Predigt bei der Missa Chrismatis im Mainzer Dom

am 21. März 2005 (mit den Firmlingen)

Datum:
Montag, 21. März 2005

am 21. März 2005 (mit den Firmlingen)

Liebe Schwestern und Brüder, meine lieben jungen Freunde!

Im ersten Augenblick scheinen diese Ölweihen etwas ganz am Rande unseres Glaubens zu sein: Ein alter ehrwürdiger Brauch, gewiss. Aber hat das wirklich etwas zu tun mit der Mitte unseres Glaubens? Da werden wir schon hellhörig, wenn wir soeben bei der Lesung aus dem Alten Bund und im Evangelium aus dem Neuen Bund feststellen: Da gibt es eine ganz erstaunliche Gemeinsamkeit.

Jesus greift in seiner ersten Predigt in der Synagoge seiner Heimatstadt ein ganz zentrales Wort des Alten Bundes auf. Dieses Wort ist wie eine Achse im Ganzen des Evangeliums. Heute sehen wir deutlich, wie nah das Evangelium Jesu der Botschaft der zweiten Hälfte des Jesajabuches kommt: „Der Herr hat mich gesalbt.“ Das ist ein wichtiger Ausgangspunkt. Wenn wir das noch einmal mit dem Hintergrund der ganzen Bibel lesen, dann heißt das ja auch, dass der Herr, der gesalbt worden ist, Christus ist. „Messias“ und „Christus“, das ist dasselbe wie „der Gesalbte“. Das ist der vornehmste Name, den Jesus von den Christen bekommen hat, und er ist eine große Hoffnung der Menschen, die im Alten Bund diesen Messias, diesen Befreier, ersehnt haben. Er ist derjenige, der gesalbt wurde.

Diese Salbung ist in vielen Kulturen, gerade auch der alten Welt, aber auch heute noch eine ganz besondere Mitteilung des Geistes an Menschen, die eine große Verantwortung tragen für andere. Das sind die Könige, die gesalbt wurden, damit der Geist Gottes ihnen die rechte Kraft und eine gute Einstellung gibt, um Menschen zu leiten und zu führen, sie vor dem Verderben zu bewahren und sie auf gutem Weg zu leiten. Und Ähnliches galt für alle, die eine andere Verantwortung hatten: für die Richter, schließlich auch für die Priester und alle, die im Tempel Dienst taten an verantwortlicher Stelle. Diese Salbung bedeutet im Blick auf Jesus, dass Gott der Herr in ganz besonderer Weise bei ihm ist. „Der Geist Gottes ruht auf mir“, heißt es da. Der Geist kommt nicht einfach wie ein Windhauch, wie eine kurzlebige Installation auf Jesus, sondern er bleibt bei ihm.

Zwei Dinge gehören bei Jesus immer wieder zusammen: Salbung und Sendung. Die Salbung soll ihn nicht einfach nur auszeichnen, sondern sie wird ihm gegeben, damit er sie weitergibt. Darum schickt er auch seine Jünger, die bei ihm sind, aus. Er gibt ihnen auch den Auftrag, dass sie z.B. zu den Kranken gehen und die Kranken salben. Es gehört auch dazu, wie wir aus dem 5. Kapitel des Jakobusbriefes wissen, dass daraus ein ganz fester Brauch der frühen Kirche entstanden ist. Wenn eine Schwester, ein Bruder krank ist, dann sollen die Ältesten der Gemeinde hingehen, für ihn beten und ihn mit Öl salben.

Im Neuen Bund geht es nicht mehr darum, dass einige wenige Auserwählte, einige Führungspersönlichkeiten, gesalbt werden. Taufe und Firmung zeigen uns in ganz besonderer Weise, dass jeder durch Glaube und Taufe den Geist Gottes bekommt. Wir sind dann wirklich auch königliche Menschen. Das bedeutet zuerst, dass wir den Geist Gottes bekommen und gesalbt werden. Es heißt auch, dass wir uns verbinden und uns einsetzen für seine Botschaft, für das Evangelium. Und es bedeutet, dass wir seinen Namen tragen, Christen sind, weil er der Christus, der gesalbte Messias, ist. Wir sollen dies als Zeugnis weiter geben: Sendung und Salbung gehören zusammen.

Wir sollen wie Könige königliche Menschen sein, freilich ohne Zepter und ohne Krone. Aber in einem ist es entscheidend, ein königlicher Mensch zu sein: dass wir nämlich nicht in falsche Abhängigkeiten geraten von anderen. Ein König ist gerade dadurch König, dass er selbstständig in seinem Reich herrschen kann. Er hat, wie wir heute sagen, Souveränität, er kann sich selbst beherrschen. Und so gehört zum königlichen Menschen, dass wir auch unsere Freiheit recht benutzen, dass wir frei und unabhängig sind, dass wir uns aber nicht einfach anpassen, dass wir uns nicht einfach mitschleppen lassen von allen möglichen Kräften. Darum gehört es gerade auch zur Taufe und zur Firmung, dass wir diesen Geist Gottes erhalten für unseren Weg als Menschen, als junge Christen, hinein in unser selbstständiges, eigenes Leben. Das gilt dann auch für andere wichtige Punkte unseres Lebens. Für den Anfang in der Taufe oder bei einer Lebenswende, wenn wir schon erwachsene Menschen sind und Christ werden, schließlich auch in der Krankensalbung. Aber nicht nur für den einzelnen Menschen haben wir diese Salbung, sondern auch dann, wenn bestimmte Dienste und Aufträge ergehen in der Kirche: die Priester- und die Bischofsweihe und nicht zuletzt auch die Altar- und die Kirchweihe, bei denen diese heiligen Öle Verwendung finden.

In diesem Jahr denken wir in besonderer Weise an die Kranken und an die Krankensalbung. Diese geht in den Anfängen auf Jesus selbst zurück. Er gibt die Anstöße, die Kranken zu besuchen. Wenn er einmal zum Weltgericht kommt, dann wird er uns genau fragen, ob wir die Gefangenen besucht haben, oder ob wir die Kranken besucht haben. Dann werden wir daran erinnert, was die Bibel sagt: Wenn ihr eure Schwestern und Brüder besucht habt, dann habt ihr mich besucht (vgl. Mt 25,36).

Dieses Salben der Kranken hat auch ganz tief mit dem Lebensweg Jesu zu tun. Er ist alle Menschenwege gegangen, die denkbar sind, er ist mit uns gegangen. Er hat vieles erleiden müssen, nicht nur an physischen Qualen, an die wir in der Karwoche ganz besonders denken. Wir denken zugleich an die vielen Menschen, die Leiden ertragen von innen und von außen, die manchmal weder ein noch aus wissen, immer wieder Schmerzen hinnehmen müssen. Wir denken auch daran, dass Jesus dies durchgetragen hat, ja, dass er gerade dadurch, dass er dies alles ausgelitten hat, nicht ausgewichen ist, uns auch erlöst und befreit hat. Immer wieder denke ich an das schöne zusammenfassende Wort der Kirchenväter: Alles, was er angenommen hat, das hat er auch erlöst. Nicht nur das Gute in unserem Menschsein, nicht nur unsere Freuden, sondern gerade auch das, was uns bedrängt und bedrückt, hat er angenommen, sonst wäre es kein Evangelium. Das Wort der Frohen Botschaft soll zu allen kommen, alle ermutigen, alle aus den Tiefen herausholen und allen helfen, dass sie ihren Weg gehen, vielleicht ihren Weg schließlich auch gut zu Ende gehen können.

Das ist, meine lieben Schwestern und Brüder, die Freude des Evangeliums: Dass es wirklich keinen Aufenthalt des Menschen gibt, wo Christus nicht helfend, ermutigend und erlösend hinkommt. Gerade da, wo wir sonst kneifen, bei Kranken, bei Schwerkranken, bei Hoffnungslosen, wo wir uns aus dem Staub machen, wo wir das alles lieber einigen wenigen Menschen, die dazu ausgebildet sind, allein überlassen, gerade da sollen wir bleiben. Da soll die Gemeinde bis zum Schluss dort sein, mit ihrer Unterstützung, mit ihrem Gebet; aber auch in der Überzeugung, dass dies alles dem Menschen so weit wie es nur möglich ist, auch in seiner leiblichen Existenz Unterstützung gibt, Mut macht, und sei es nur der Mut, dass er weiß, er ist nicht allein und bleibt nicht einsam im Tod. Darum gehört dieser Tag, der sonst am Gründonnerstag gefeiert wird im Zusammenhang des Höhepunktes des Lebens und Leidens Jesu, wirklich in das Zentrum unseres Glaubens. Da wird uns ganz konkret durch diese Öle, die ja in allen großen Kulturen als Zeichen und Symbole der Stärkung und der Heilung gelten, gesagt: Das Heil betrifft auch unseren Leib, betrifft auch unsere irdische Existenz, ist nicht nur etwas für das ewige Leben. Ja, er verheißt uns wirklich dereinst ewiges Leben, das nicht zerstört werden kann, aber wir sollen es auch schon jetzt in dieser Zeit anfanghaft begreifen. Wir dürfen auch jetzt schon spüren, dass Gottes Wort ganz nahe im Symbol des Öles zu uns kommt.

Amen

(c) Karl Kardinal Lehmann

Es gilt das gesprochene Wort 

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz