Leitwort und Motto: „Gott ist größer als unser Herz, und er weiß alles.“ (1 Joh 3,20).
Lesung: 1 Joh 3,18-20. 4,7-10
Wir brauchen von Zeit zu Zeit die größere sichtbare Gemeinschaft des Bistums. Es ist an der Zeit, dass wir sie wiederum erfahren, und dass wir dadurch auch unseren Glauben in seiner ganzen Tiefe erneuern. Dabei kann uns das Leitwort dieses Bistumsfestes „Gott ist größer als unser Herz, und er weiß alles“ helfen.
Das Herz des Menschen ist unruhig, wie es später der heilige Augustinus ausdrücken wird. Aber selbstverständlich weiß die Bibel schon längst um die Regungen und Strebungen unseres Herzens. Es kann sich leicht an momentane Ersatzlösungen hängen und sich in den Süchten unseres Lebens verlieren. Wir rasen dann von einer vermeintlichen Erfüllung zur anderen und bleiben gerade so zutiefst unbefriedigt. Dies schafft eine eigene Form von Unruhe, weil diese nicht in die Tiefe geht, sondern sich in den rasch wechselnden Moden des Überall-Nippens verliert und verbraucht. Dies ist die schlechte Unendlichkeit des menschlichen Herzens, die uns oft in einen Strudel des Abgrundes reißt.
Wir dürfen jedoch dem Menschen die wahre Unruhe des Suchens nicht nehmen. Der Mensch ist von Hause aus ein ständig Suchender. Er gibt sich eben auf die Dauer mit den Ersatzlösungen nicht zufrieden und durchstößt sie immer wieder. Die Bibel hat für dieses Suchen, gerade auch für das Gott-Suchen, einen starken Sinn. Wer nicht richtig sucht, der findet auch nicht. Jedenfalls fehlt ihm das Glück dessen, der nach langem Suchen wirklich seinen Schatz entdeckt. Wenn man den Menschen diesen Schwung und diese Leidenschaft des Suchens nimmt, dann gefährdet man auch seine Würde. Am Ende ist er nur ein schlau angepasstes Tier, aber man nimmt ihm seine Größe, über alles hinaus zu suchen. Nur im Finden der Wahrheit kommt er zur Ruhe und findet Glück, ja Seligkeit.
Dies muss man vorausschicken, wenn man das Wort im ersten Johannesbrief (3,20) liest: „Gott ist größer als unser Herz“. Er kennt uns besser als wir uns selbst kennen. Gerade die Entdeckung des Unbewussten im Menschen hat uns gezeigt, wie groß die verborgenen Abgründe unseres Herzens sind, und was uns insgeheim umtreibt. „Er weiß alles“: Er kennt auch all das, was uns bewegt, uns selbst aber oft unbekannt bleibt. Dass Gott mehr von uns weiß, meint freilich noch mehr. Er weiß auch besser, was für uns gut ist. Deshalb ist es ein tröstliches Wort. Er ist uns immer voraus. Er ist unsere Zukunft: Er kommt von vorne auf uns zu und bringt uns etwas wirklich Neues, das wir noch nicht kennen, und das uns auch von Grund auf erneuern kann. Darum dürfen wir uns Gott anvertrauen. In der unendlichen Unruhe unseres Herzens gibt er uns Mut und „Zuversicht“ (3,21).
Der erste Johannesbrief geht jedoch noch weiter. Unser eigenes Erkennen und besonders unser Tun bleiben immer hinter dem hohen Anspruch vor allem der Liebe zurück (vgl. 1 Joh 3,18. 23). Von dieser Liebe spricht ja der ganze Erste Johannesbrief (vgl. 3,18. 23). Auch ein waches und besorgtes Herz findet in sich selbst keine Ruhe. Gott sprengt unsere Enge und unsere Ängste, er erweitert unseren Horizont und führt uns immer wieder ins Weite (vgl. Ps 4,2b). Auch darum ist er größer als unser Herz, weil er uns zu dieser wahren Freiheit verhilft.
Die Bibel weiß, dass wir dabei immer wieder versagen. Wir wollen dies nicht verdrängen und abschütteln. Es gehört auch zur Größe des Menschen, dass er Verantwortung übernimmt. Doch auch dann, wenn wir vor einem Scherbenhaufen stehen und manches nicht erreicht haben, brauchen wir nicht zu verzweifeln. Da kommt noch ein tieferer Sinn des Wortes „Gott ist größer als unser Herz“ mit ins Spiel: Gott wird den Maßstab seiner eigenen Liebe nicht vergessen. Er ist größer als alle unsere Selbstzweifel und unsere Zerknirschung. Man kann sich ja auch in sein eigenes Unglück verlieben. Daraus befreit er uns. Immer wieder wird er uns erbarmungsvoll und zuvorkommend begegnen. Die Bibel weiß sehr wohl, dass Gott groß ist im Schonen und Vergeben. Er will unsere Rettung. Auch darum ist er größer als all unser Sinnen und Trachten. Darum können wir auch zuversichtlich sein und Hoffnung haben, dass wir auch den Abgründen und Untiefen unseres Lebens entrinnen. Auch dann, wenn das Herz uns verurteilt, weiß Gott besser, wie es um uns steht (vgl. auch 1 Joh 1,7 - 2,2). Diese Zuversicht, von der die Rede ist, wird uns nicht nur am Ende geschenkt (vgl. 2,28; 4,17), sondern schon jetzt, freilich mit einer Einschränkung: „Alles, was wir erbitten, empfangen wir von ihm, weil wir seine Gebote halten und tun, was ihm gefällt.“ (3,22) Mit „Geboten“ sind vor allem die Liebe zum Nächsten und der Glaube an Jesus Christus gemeint.
Das kleine Wort „Gott ist größer als unser Herz“ gibt uns also in allen Lagen des Menschen ein wirklich unerschütterliches Fundament, auch wenn wir manchmal annehmen, dass wir im Boden versinken und untergehen. Deshalb sind wir auch dankbar für diese letzte Gewissheit unseres Glaubens. Selig der Mensch, der auf einen solchen Gott vertrauen darf!
Dies ist die tröstliche Botschaft der Sonntage nach Ostern, darum auch unseres Bistumsfestes. Wir brauchen gerade in der Zeit des Umbruchs, wenn wir uns mit manchen Strukturfragen der Pastoral befassen müssen, eine wache Erinnerung an die tiefe, oft verborgene Kraft unseres Glaubens, damit wir wissen, worum es am Ende letztlich geht. Ich selbst bin froh, dass ich bei diesem Bistumsfest so auch die Feier meines 70. Geburtstages ausklingen lassen darf. Gottes Segen für uns alle! Amen
(c) Karl Kardinal Lehmann
von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz
Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz