Predigt beim Dankgottesdienst der Deutschen Bischofskonferenz und des Bistums Mainz nach der Wahl von Papst Benedikt XVI.

am Montag, 25. April 2005, im Hohen Dom zu Mainz

Datum:
Montag, 25. April 2005

am Montag, 25. April 2005, im Hohen Dom zu Mainz

BENEDIKT XVI.

Bei dieser Papstwahl gab es – wahrscheinlich war dies immer ähnlich – viele Überraschungen. Sie kam nach 24 Stunden zu einem raschen Ergebnis. Die größte Überraschung war die Wahl des deutschen Kurienkardinals Joseph Ratzinger. Überraschend war aber auch die Wahl des Namens durch den neuen Papst. Nachdem er unmittelbar nach der Auszählung der Stimmen die Annahme der Wahl zum Ausdruck brachte, fragte ihn der stellvertretende Dekan des Kardinalskollegiums, Angelo Card. Sodano: „Wie willst du dich nennen?“

Natürlich wurde vorher immer wieder - auch ganz allgemein - gerätselt, wie der neue Papst wohl heißen könnte. Manche dachten im Anschluss an Papst Paul VI. an einen Paul VII. Kaum einer mochte so recht glauben, das jemand sich Johannes Paul III. nennt. Überhaupt war es 1978 zum ersten Mal, dass ein Papst einen Doppelnamen nämlich „Johannes Paul I.“ wählte. Jetzt müsste man doch wieder zurückkehren zu einer einfachen Nennung.

Der eben Gewählte antwortete zur Überraschung wohl aller seiner Wähler: Benedictus XVI. Er hat dies auch sofort knapp begründet. So mag es gut sein, ein wenig auch diesem Papstnamen in seiner Bedeutung für Benedikt XVI. selbst und für die Kirche nachzugehen. Wir tun uns heute ja schwer, die volle Bedeutung eines Namens zu ermessen. Ein kleines lateinisches Sprichwort sagte immer schon: „Nomen est omen“, deutsch: der Name ist so etwas wie die Vorausbedeutung eines Menschen und erschließt sein Wesen und so auch sein Programm.

Benedikt ist, wie schon die Zählung als 16. Inhaber zeigt ein oft verwendeter Name für einen Papst. Benedikt I., ein Römer, regierte von 575-579. Große Bedeutung hatte der aus Bologna stammende Benedikt XIV. (1740-1758), der wohl zu den bedeutendsten Päpsten der Neuzeit zählt. Der neue Papst knüpfte sehr bewusst an Benedikt XV. an, der in der schwierigen Zeit kurz nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges von 1914 bis Anfang 1922 das Papstamt innehatte. Es überraschte zunächst, dass Kardinal Ratzinger einen Mann als Namensgeber wählte, der stark politisch orientiert war. So hat er unermüdlich versucht, die gewaltigen Zerstörungen des Krieges eindämmen zu helfen, und hat viele Friedenssignale ausgesandt. Dazu musste er sich strikt neutral verhalten. Den von den Zerstörungen betroffenen Menschen ließ er, soweit er nur konnte, caritative Hilfsmaßnahmen zukommen. Kardinal Ratzinger wählte also „Benedikt“ durchaus auch im Bewusstsein der bleibenden Verantwortung der Päpste für Frieden und Versöhnung mitten in unserer zerrissenen Welt.

Benedikt XV. ist mit seinen Friedensbemühungen weitgehend gescheitert. Ich glaube, dass auch dies dem neuen Papst entspricht. Er treibt nicht Politik um des Machterhalts oder gar eines Sieges wegen. Zuerst gibt er Zeugnis von der biblischen Botschaft des Friedens. Ihre Verkündigung darf nie fehlen. Darauf kommt es an. Es ist schön, Wirkung zu erzielen, aber Erfolg ist, wie schon Martin Buber sagte, kein Begriff im Wörterbuch der Bibel. So kann auch ein hervorragender Mann mit besten Absichten scheiteren, wie es Benedikt XV. mit seinen Friedenbemühungen und auch Hadrian VI., dem letzten deutschsprachigen Papst, mit den Versuchen innerkirchlicher Reform und kirchlicher Einigung (1522/23) erging. Kardinal Ratzinger weiß, wie wichtig es ist, in Theorie und Praxis den Glauben und verlässliche Grundsätze zu wahren, auch wenn man mit der Realisierung in unserer Welt nicht unmittelbar ans Ziel kommt.

Benedikt XV. hatte noch in anderer Hinsicht Erfolg gehabt, was hier nicht näher dargestellt, sondern nur angedeutet werden kann: Er hat das kirchliche Recht 1917 neu zusammengefasst; er hat ein offeneres Verhältnis zum Staat Italien gesucht; er hat die schwierigen und manchmal fragwürdigen Maßnahmen im Modernismus-Streit eingestellt, auch wenn er diesen immer noch bekämpfte; er hat die Ausbildung in der Theologie gefördert und das Missionsverständnis vertieft. Aktivitäten nach innen und außen halten sich die Waage. Man kann sich das Programm des neuen Papstes vor diesem Hintergrund ganz gut vorstellen.

An zweiter Stelle nannte der neue Papst als Motiv für seine Namenswahl die Bedeutung des großen Begründers des abendländischen Mönchtums Benedikt von Nursia. Ohne ihn ist unsere europäische Kultur nicht denkbar. Gebet und Arbeit, „ora et labora“ gehören zusammen. Nicht minder brauchen Kultur und Askese einander. Aber dabei geht es nicht nur um die Grundlegung Europas, sondern auch um unsere Gegenwart. Denn der heilige Benedikt ist schon von Papst Pius XII. zum „Vater Europas“ und von Paul VI. vor mehr als 40 Jahren (1964) zum „Schutzpatron Europas“ erklärt worden. Wer besonders Gedanken und die Schriften Joseph Ratzingers zur Herausforderung und Aufgabe der Christen beim Bau eines neuen Europa kennt, weiß, wie sehr für ihn die christlichen Wurzeln und die christliche Seele Europas in der Person und im Werk des heiligen Benedikt versammelt sind. Dieser Papst legt uns damit unübersehbar die Sorge um das künftige Europa an das Herz. Auch damit steht er in einer sehr engen Tradition der Päpste im 20. und 21. Jahrhundert, besonders mit Johannes Paul II.

Schließlich brachte aber der neue Papst an dritter Stelle noch einen ganz anderen Hintergrund ins Spiel, um die Übernahme des Namens „Benedikt“ zu begründen. Das lateinische Wort „benedictus“ heißt ja wörtlich „der Gesegnete“, über den Gott Schutz und Zuwendung verheißt. Von da aus hat Joseph Ratzinger nun einen Sprung gemacht in das Alte Testament. Damit hat er zugleich das jüdische Volk und auch die ganze Völkerwelt angesprochen. Denn zweifelos hat gerade auch der Segen etwas mit der Gestalt Abrahams zu tun. Gott schließt ja seinen Bund mit Abraham (vgl. Gen 15). In der Segenszusage an Abraham setzt Gott dem seit der ersten Sünde anwachsenden Fluch den Segen entgegen. Er soll nun die ganze Menschheit erreichen. Abraham ist der Mittler dieses Segens: „Ich werde dich zu einem großen Volk machen, dich segnen und deinen Namen groß machen. Ein Segen sollst du sein. Ich will segnen, die dich segnen; wer dich verwünscht, den will ich verfluchen. Durch dich sollen alle Geschlechter der Erde Segen erlangen.“ (Gen 12, 2f)

Damit wird deutlich, dass der Name „Benedikt“ eben auch damit zu tun hat, dass der Namensträger zu einem Segen werden soll für andere. Hier geht es wirklich darum, dass Gott das Heil aller Menschen will und die Kirche nach den Aussagen des II. Vatikanischen Konzils von diesem Heilswillen Gottes von der Welt her verstanden werden muss: „Christus ist das Licht der Völker … die Kirche ist ja in Christus gleichsam das Sakrament, d.h. Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott, wie für die Einheit der ganzen Menschheit.“ (Lumen gentium, Art. 1) Der neue Papst, der gerade auch intensiv an der eben zitierten Kirchenkonstitution des II. Vatikanischen Konzils mitgearbeitet hat, weiß sehr wohl, dass das Papsttum ganz in diesem Zusammenhang seine Bedeutung für die heutige Welt hat. Bewusst schreitet er bei der behutsamen Deutung des von ihm übernommenen Namens von der Papstgeschichte mit dem Rückgriff auf einen Vorgänger gleichen Namens über die Stellung des Mönchvaters Benedikt für die Herkunft und die Zukunft Europas bis hin zu den in Jesus Christus erfüllten Verheißungen des Heils für alle Völker. „Nicht zuletzt darum muss es auch die Mission geben, weil nur so die Sendung Gottes in alle Winkel der Welt hinein und zu allen Völkern verwirklicht werden kann. Dies verbindet gerade auch Benedikt XV. mit Benedikt von Nursia und den in Abraham gesegneten Völkern unserer Welt.

Wir sagten zu Beginn, dass wir heute oft das Gewicht eines Namens unterschätzen. Wenn wir einen Menschen und schließlich seinen Namen kennen, entdecken wir oft eine immer größere Zusammengehörigkeit des Namens und der Wesenseigenschaften. Darum suchen Eltern sorgsam einen passenden Namen für ihr Kind. Liebende verkosten geradezu den Name des geliebten Menschen und entdecken in ihm den ganzen Reichtum dieser Person. So erschließt sich wirklich im Namen das Wesen eines Menschen. Nomen est omen: Im Namen liegt fast wie in einer Weissagung schon die Bedeutung eines Menschen. Beim Namen Benedikt geht es zwar auch um die Person, aber zugleich um die Bedeutung dieses Menschen für andere, also um seine „Funktion“. Der Papst ist ja nicht nur eine private Gestalt, sondern hat ein Amt im Horizont der ganzen Menschheit inne.

Der Theologe Joseph Ratzinger hat also seinen Namen Benedikt XVI. sehr gezielt und sehr klug ausgewählt. Unter den vielen Zugängen zu ihm dürfen wir auch immer wieder diese innere Vielfalt in seinem Namen bedenken.

 

(C) Karl Kardinal Lehmann

Es gilt das gesprochene Wort

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz