Wir beschließen unser Zukunftsgespräch zwischen Bischöfen und Gemeinschaften des geweihten Lebens mit einem feierlichen Gottesdienst am Vorabend des Festes "Darstellung des Herrn", oft volkstümlich Lichtmess genannt, das zugleich seit einiger Zeit der "Tag der Orden" in unserer Kirche ist. Unter den dichten Texten wählen wir das Evangelium nach Lk 2,22-39.
Veranlasst werden die dort berichteten Geschehnisse - wir haben sie soeben nochmals gehört - durch die alttestamentlichen Reinheitsvorschriften (vgl. Lev 12,1-8; Ex 13,2.12.15; Num 18,15 f.). Nach der Geburt eines Kindes gilt die Frau bei einem Knaben 40 Tage als unrein und muss Opfer zum Priester bringen, im Falle der Armut nur zwei Tauben (Lev 12,8). Der erstgeborene Knabe ist Eigentum des Herrn, muss im Tempel dargebracht und durch ein Geldopfer ausgelöst werden. So bringen Maria und Josef Jesus "vor den Herrn". Zwar wird dreimal die Erfüllung eines "Gesetzes des Herrn" erwähnt, aber darauf liegt trotz allem weniger der Akzent. Für eine "Darstellung des Erstgeborenen im Tempel" gab es eigentlich keine Gesetzesvorschrift. Auf ihr liegt aber der ganze Nachdruck. Dabei bilden die prophetischen Äußerungen des Simeon und der Hanna den Zielpunkt der Erzählung.
Im Gegensatz zur Erwähnung des "Gesetzes" wird in diesem Zusammenhang dreimal das Wirken des Geistes erwähnt. Hier stoßen das alte und das neue Testament miteinander zusammen. Die prophetischen Stimmen von Simeon und Hanna, die das Volk Israel vertreten, erkennen das Kind als den erwarteten Messias. In der messianischen Heilszeit erwachen im Volk wieder die prophetischen Stimmen, die bisher versiegt waren. Darum kommt es zur messianischen Offenbarung im Tempel. Gott wird gepriesen wegen seiner großen Taten. Deshalb hat Simeon auch sein Lebensziel erreicht und darf aus diesem Leben scheiden.
"Sie brachten das Kind nach Jerusalem hinauf, um es dem Herrn darzustellen." (2,22) "Darstellen" sollte man vielleicht nicht direkt mit "weihen" übersetzen. Zunächst geht es in der ganzen Geschichte, wie besonders auch die ostkirchliche Liturgie bis heute es nennt, um die "Begegnung", vor allem mit dem greisen Simeon und der Prophetin Hanna. Aber Jesus begegnet auch dem himmlischen Vater im Tempel. Die Zeit der Erwartung geht in die messianische Zeit über. Jesus geht seiner Sendung entgegen. Er muss freilich nicht durch bestimmte Opfer "ausgelöst" werden, denn er gehört als "heilig" bereits zu Gott und braucht deshalb nicht losgekauft zu werden (vgl. auch 1,35). Er bringt deshalb selbst die "Erlösung". Aber gerade so erscheint Jesus - es wird sprachlich eher von Ferne angedeutet - als Opfer, ja als die Hingabe seines Lebens an den Vater. So verschiebt sich auch alles vom Tempel und dem Ritual auf die Person Jesu.
Man muss hier die Erzählung von der Darstellung im Tempel auch im Zusammenhang des Weihnachtsfestes, vor allem der Geburt Jesu sehen. Bis jetzt war von der Verwunderung und dem Nachdenken/Erwägen (vgl. 2,18 f.) über das, was geschehen war, die Rede. Jetzt geht es sehr viel mehr um das, was sich in der Tiefe ereignete. Im Raum der Gemeinschaft der Glaubenden, konkret im Tempel geschieht die letzte Offenbarung Jesu. Gott wird deshalb gepriesen und gelobt.
Dies wird ganz besonders deutlich in dem wunderbaren Lied des alten Simeon, das wir täglich im Abendgebet der Kirche verwenden. Es kennzeichnet die Wende der Heilszeit und die weite Bedeutung des Geschehens "Nun lässt du, Herr, deinen Knecht, wie du gesagt hast, in Frieden scheiden. Denn meine Augen haben das Heil gesehen, das du vor allen Völkern bereitet hast, ein Licht, das die Heiden erleuchtet, und Herrlichkeit für dein Volk Israel." (2,29-32 mit Bezug auf Jes 40,5; 52,10). Jesus ist das Licht für die Heiden und für Israel. Er kommt zu den Nationen der ganzen Erde. Es gibt wenige Texte, die in dieser weltumspannenden Bedeutung das Heil für Israel und die Heidenvölker zum Ausdruck bringen. Hier ist wirklich die Offenbarung des Herrn für die ganze Welt, wirklich ein Höhepunkt im Verständnis des Kommens Jesu, besonders auch seiner Geburt.
Von dieser Erwähnung des Lichtes im Anschluss an eine tiefe Prophetie des Jesaja kommt auch unser Wort "Lichtmess". Das warme Licht der Kerzen ist ein Symbol für das größere Licht, das über alle Zeiten hin von der Gestalt Jesu ausgeht. Heute wissen wir, dass damit auch, wenigstens in Rom, eine heidnische Lichterprozession verdrängt werden sollte. In ihrem Treiben darf man wirklich auch einen Schrei nach Reinigung und Überwindung der dunklen Mächte sehen. So ist Jesus "Licht zur Erleuchtung der Heiden". Das Heidnische wird gereinigt und zu seiner Erfüllung gebracht.
Damit ist aber die Botschaft noch nicht zu Ende. Die Passion wirft ihre Schatten voraus. Mit dem Lobpreis Gottes bekundet sich auch eine dunkle Weissagung, die sich vor allem an die Mutter Jesu richtet: "Dieser ist dazu bestimmt, dass in Israel viele durch ihn zu Fall kommen und viele aufgerichtet werden, und er wird ein Zeichen sein, dem widersprochen wird. Dadurch sollen die Gedanken vieler Menschen offenbar werden. Dir selbst aber wird ein Schwert durch die Seele dringen." (2,34 f.) Das von Gott zugesagte Heil ist zwar in Jesus gegenwärtig, aber es ist noch nicht in seiner Gänze da. Hier kommt es vor allem darauf an zu erkennen, dass an diesem Kind die Geister sich scheiden. In der Begegnung mit Jesus kommt es zum Bekenntnis und zu einer Entscheidung, ob man wirklich zu Jesus gehört. Darum werden viele sich auch verweigern und ihm eine Absage erteilen. Insofern wird auch für viele drohendes Unheil angekündigt. Schließlich ist vom Schwert die Rede, das durch die Seele der Mutter Jesu geht. Dies ist zweifellos von der Passion her verdeutlicht. Insofern erscheint hier über aller Herrlichkeit auch ein erster Vorschein auf die Passion, so wie Krippe und Kreuz insgeheim zusammengehören.
Von Hanna gibt es nicht unmittelbar eine ausdrückliche Prophetie. Sie hält sich zurück. Aber ihr lebenslanges Beten und Fasten im Tempel hat ihr einen tiefen Blick gegeben. Sie versteht, was hier trotz allem vor sich geht: "In diesem Augenblick nun trat sie hinzu, pries Gott und sprach über das Kind zu allen, die auf die Erlösung Jerusalems warteten." (2,38) Darum geht es, nochmals den Blick über alle bisherigen Erwartungen hinaus zu weiten und dankbar zu sein für das, was sich ereignet hat. Hanna erkennt dies. Sie gehört zu den Stillen im Lande, zu den Armen. Aber oft haben diese eine größere Einsicht als die Satten und Selbstgerechten.
Ich habe bewusst mehr indirekt auf Lichtmess als den Tag der Orden vorausgeschaut. Wir können viele Bezüge entdecken, die wir heute im Lauf des Tages reflektiert und meditiert haben. Jesu Darstellung im Tempel hat durchaus auch etwas mit unserer Bereitschaft zu tun, Gott zu dienen. Dafür nimmt er uns an und segnet uns. Die Nähe unserer "Weihe" zu Jesu Darstellung kommt uns in den Sinn. Darum müssen aber auch wir uns selber vorbehaltlos, eindeutig und öffentlich Gott zur Verfügung stellen (vgl. den Zusammenhang mit Röm 6,19; 12,1, im Übrigen mit Sam 1,11.21-28). Schließlich ist von uns Sendung hinein in die ganze Welt gefordert. Dafür will Simeon uns die Augen öffnen. Dies geht nicht ohne zwei Dinge, die zusammengehören: unsere klare Entscheidung für Jesus Christus und auch die Kraft, den Widerspruch gegen ihn zu erdulden und dafür auch zu leiden. Insofern sagt die "Darstellung des Herrn" tatsächlich viel auch über die Existenz des Christen und besonders auch der Schwestern und Brüder in den Ordensgemeinschaften. Amen.
(c) Karl Kardinal Lehmann
von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz
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