Predigt im Dankgottesdienst anlässlich der Wahl von Papst Franziskus

am 7. April 2013 im Mainzer Dom

Datum:
Sonntag, 7. April 2013

am 7. April 2013 im Mainzer Dom

Nach der großen Überraschung der Wahl von Papst Franziskus am 13. März 2013 und der überaus herzlichen Aufnahme des neuen Oberhauptes der katholischen Kirche in aller Welt wollen wir in diesem Gottesdienst zuerst einmal danken. Dabei wollen wir die vielen Päpste in der Geschichte - man zählt 265 - und auch in unserer Zeit (in meiner Lebenszeit darf ich acht Päpste erleben) nicht vergessen, die unsere Kirche durch bald 2000 Jahre geführt haben. Unser Dank gehört in dieser Stunde auch nochmals Papst Benedikt XVI., der vom 19. April 2005 bis zum 28. Februar 2013 die Verantwortung für die Weltkirche getragen hat. Durch das, was er der Kirche an Glaubenseinsicht in seinen spirituellen und theologischen Zeugnissen geschenkt hat, wird er ganz gewiss nicht nur einen wichtigen Platz in der Papstgeschichte einnehmen, sondern auch in der Zukunft uns immer wieder behilflich sein, durch seine Vertiefung unseres Glaubens und durch die Auseinandersetzung mit den geistigen Herausforderungen unserer Zeit, den angemessenen Ort für die Kirche im gesellschaftlichen Leben der einzelnen Länder und der ganzen Erde zu finden. Wir wollen ihn in großer Dankbarkeit während seines letzten Lebensabschnittes zunächst in Castelgandolfo, wohl aber bald auch im Vatikan durch unser Gebet begleiten und ihn um seinen Segen für uns bitten.

Wir danken dafür, dass das Kardinalskollegium mit seinen 115 Wählern innerhalb kurzer Zeit nach dem Rücktritt von Benedikt XVI. einen Nachfolger gefunden hat. In weniger als 14 Tagen nach dem Wirksamwerden des Rücktrittes konnten wir Papst Franziskus als Nachfolger Petri begrüßen. Wenn man an die Vielfalt unserer Weltkirche und an die vielen Zerrissenheiten unserer Welt denkt, die sich immer wieder auch in der Kirche bemerkbar machen, so ist diese Einigkeit, zu der ja eine Zweidrittelmehrheit notwendig ist, keineswegs selbstverständlich. Nicht wenige haben ein langes Konklave angekündigt, und dies vor allem wegen der angeblichen Zerstrittenheit des Kardinalskollegiums. Umso dankbarer sind wir, dass die Wähler nach den ca. einwöchigen Beratungen in den sogenannten Generalkongregationen, in denen die Situation der Kirche überall zur Sprache kam (es wurden aber keine Namen genannt), bereits im fünften Wahlgang zu einem so hohen Einvernehmen kamen.

Vielleicht darf man nochmals auf die Wahl selbst verweisen, die seit bald 800 Jahren gewiss mit vielen Wandlungen urdemokratische Verfahren ausgebildet hat und sehr streng auf ihre Einhaltung achtet, aber dennoch nicht als eine politische Schlacht um Mehrheiten verstanden werden darf. Die ganze Kirche betet für eine gute Wahl. Der große Gottesdienst in St. Peter eröffnet die Wahl im engeren Sinne. Man zieht in die ehrwürdige Sixtinische Kapelle unter dem Gesang des „Veni Creator Spiritus" ein, legt einen Eid ab auf die Geheimhaltung und Unabhängigkeit des Wahlvorgangs, hört eine mahnende Meditation zur Bedeutung der Wahl und wählt die verantwortlichen Assistenten, die öfter wechseln, für den Kardinal, der die Wahl leitet, und für den Kämmerer der Kirche, der für die wichtigsten Verwaltungsvorgänge verantwortlich ist. Das Gewicht der je eigenen Stimme, die man zum Altar trägt und in eine große Urne legt, wird durch eine knappe Erklärung erkennbar, die jeder spricht: „Ich rufe Christus, der mein Richter sein wird, zum Zeugen an, dass ich den gewählt habe, von dem ich glaube, dass er nach Gottes Willen gewählt werden sollte." Diese Worte werden unmittelbar vor dem großen Gerichtsgemälde auf den Fresken Michelangelos gesprochen, womit die Verantwortung und Rechenschaft, die jeder spürt, für alle erkennbar wird. Auszählung und Ankündigung des Ergebnisses jedes Wahlganges werden laut vernehmlich mitgeteilt. Aussprachen, von Geschäftsordnungsstellungnahmen abgesehen, gibt es im Konklave nicht.

Als der Erzbischof von Buenos Aires, Jorge Mario Kardinal Bergoglio, Zweidrittel der Stimmen erreicht hatte, gab es diskreten Beifall, vor allem aber viel Freude. Nach der Auszählung aller Stimmen wird der Gewählte gefragt, ob er die Wahl annehme. Wenn er zustimmt (und schon Bischof ist), ist er sofort das Oberhaupt der katholischen Kirche und der Nachfolger Petri. Alles andere, auch die Amtseinführung einige Tage später, dient der Ausgestaltung dieses Jawortes. Sofort wird der neue Papst nach seinem Namen gefragt. Daraufhin kleidet sich der Gewählte in einem Nebenzimmer als Papst an und nimmt sofort die Glückwünsche und das Versprechen der guten Zusammenarbeit und des Gehorsams seiner Wähler an. Direkt danach begibt sich der neue Papst mit einer kleinen Begleitung auf die Loggia von Sankt Peter, wo sein Name den von überall her strömenden Römern verkündigt wird. Alles andere wissen Sie und haben es zum großen Teil selbst erlebt.

Wer ist Papst Franziskus? Jorge Mario Bergoglio wurde am 17. Dezember 1936 in Buenos Aires geboren. Sein Vater war noch in Italien bei Turin geboren und tätig, bis er 1929, wie viele Menschen damals, auswanderte. Die Mutter war eine junge Argentinierin, ebenfalls mit italienischen Wurzeln. Sie lernten sich in Buenos Aires kennen und heirateten 1935. Nach dem Erstgeborenen Jorge Mario folgten noch vier weitere Kinder, zwei Brüder und zwei Schwestern. Man blieb in vielem der italienischen Herkunft der Familie, besonders im Glauben treu. Durch diese Herkunft besitzt dem Vernehmen nach Papst Franziskus die argentinische und die italienische Staatsangehörigkeit. Er spricht sehr sicher die italienische Sprache; Kenner meinen auch in ihr einen leichten piemontesischen Dialekt zu erkennen. Dies und vor allem auch die Wahl des Namens in Erinnerung an San Francesco von Assisi haben den neuen Papst rasch eine gute Aufnahme bei den Italienern finden lassen. Ähnlich wie Johannes XXIII. hat er die Grundlage seines Amtes von Anfang an betont, Bischof von Rom zu sein.

Papst Franziskus ist durch und durch Seelsorger. Er hat ein starkes Fundament dafür in seinem tiefen persönlichen Glauben. Dieser wurzelt von Kind auf im religiösen Leben seiner Familie. Er erfuhr in seinem eigenen Leben viele Orte einer Bewährung dieses Glaubens. Aber dieser Glaube war nie weltflüchtig. Er hat ja zuerst als Chemielaborant studiert und gearbeitet. Als er dann in den Jesuitenorden eingetreten ist (1958), hat er im Gesamtzusammenhang der Ausbildung auch Psychologie und Literatur studiert, übrigens auch in Chile. In den 70er Jahren durchlief er das ordensübliche Studium der Philosophie und Theologie (1970 Abschluss). Kurz vor seinem 33. Geburtstag wurde er am 13. Dezember 1969 zum Priester geweiht. Nachdem er das fast zehnjährige Studium insgesamt abgeschlossen hatte und im Orden verschiedene Aufgaben übernahm, wurde Bergoglio mit nur 37 Jahren für sechs Jahre zum Ordensoberen (Provinzial) in Argentinien gewählt.

Der noch junge Provinzial konnte nicht ahnen, dass ihm bald eine sehr schwierige Zeit seines Lebens bevorstehen sollte. Diese Zeit hat ihn auch bis nach der Wahl verfolgt. Es ist eines der schwärzesten Kapitel Argentiniens, die Zeit der Militärdiktatur (1976-1983). Für die Menschen bedeutete dies die ständige Angst vor Verschleppung und Tod. Wer kritische Worte fand, konnte seines Lebens nicht mehr sicher sein. Entführungen, bestialische Folterungen und Ermordungen geben Zeugnis. Man spricht heute von 30.000 Menschen, die der Junta zum Opfer gefallen sind. Viele sind einfach bis heute verschwunden. Immer wieder wurden auch Opfer in Flugzeuge verladen und über dem Meer abgeworfen. Die Kirche war in dieser Hinsicht gespalten. Es gab viele Geistliche, die sich unter Einsatz ihres Lebens für Regimegegner einsetzten. Manche traten besonders in den Elendsvierteln für die Rechte der Armen ein. 20 Priester fanden dabei den Tod. Papst Franziskus wurde über die Wahl hinaus vorgeworfen, er habe eine zu große Nähe zu den regierenden Generälen gehabt und habe sich nicht genügend vor seine Glaubensbrüder gestellt. Dabei wird oft nicht genügend beachtet, dass P. Bergoglio damals ja nicht als Bischof oder gar Kardinal die Kirchenpolitik bestimmte, sondern dass er als Provinzial vor allem die Personen seiner Ordensgemeinschaft und auch andere Menschen schützen musste und wollte. Der Papst hat damals gewiss mit hohem Einsatz eine mittlere Linie einzuhalten versucht zwischen der konkreten Rettung einzelner Menschen, besonders auch aus dem Orden, und eines Kontaktes mit den Machthabern. Er weiß, dass es mutigere Mitbrüder gab, aber er hat auch nicht wenige gerettet. Im Wissen um diese schwierige Zwiespältigkeit, in die hier jeder kommt - man denke nur an die NS-Zeit bei uns -, hat er im Oktober 2012 ein Schuldbekenntnis abgelegt und das Schweigen mancher Verantwortlichen und Formen der Kollaboration bedauert. Es bleiben gewiss Fragen, wie sie in solchen Situationen unvermeidlich sind. Aber es besteht auch kein Zweifel, dass viele Vorwürfe aus einer polemischen Grundkonstellation gegen die Kirche formuliert worden sind, auch gegen Kardinal Bergoglio. Ich brauche im Rahmen dieser Predigt nicht näher darauf einzugehen. Viele, die Vorwürfe erhoben hatten, haben inzwischen die Einwände zurückgezogen, jedenfalls in ihrem Gewicht. Wir werden gewiss in der nächsten Zeit hier noch manches über die Geschehnisse von damals und ihre Aufarbeitung erfahren. Jedenfalls weiß der Papst um die reale Gefahr der Verwicklung in solche Zusammenhänge und kennt die Spirale der Gewalt.

Der Papst ist bei aller Offenheit und Kommunikationsbereitschaft ein stiller Mann. Er sucht nicht aufgeregt einen Gesprächspartner nach dem anderen auf. Er hält sich eher zurück. Er ruht - so hat man den Eindruck - sehr in sich, aber nicht im Sinne einer esoterischen Weltvergessenheit und Selbstverliebtheit. Denn wenn er auf jemanden zugeht oder andere ihm begegnen, ist er sofort wach. Wenn manche ihn als scheu bezeichnen, darf man nicht das Interesse und die Sensibilität für andere Menschen übersehen, die ihn still prägen. Er macht kein Aufheben von sich. Trotz des Studienaufenthaltes in unserem Land, in Boppard zum Erlenen der deutschen Sprache und in Frankfurt/St. Georgen zum Studium, war er mit Reisen eher zurückhaltend. Deswegen kennt man ihn nicht überall persönlich. Als er Bischof wurde (1992 Weihbischof, 1998 Erzbischof, 2001 Kardinal), betonte er immer wieder, seine Diözese und die Menschen in ihr seien seine „Braut", an die er sich zuerst binde.

Dies zeigt sich auch wiederum in seiner Zurückhaltung gegenüber der Kirchenpolitik und auch theologischen Strömungen. Am bekanntesten ist seine Mitwirkung bei der Abfassung des Abschlussdokuments der V. Generalkonferenz des Episkopates von Lateinamerika und der Karibik vom 13. bis 31. Mai 2007 in Aparecida (Brasilien). Wenn er auch kein unmittelbarer Vertreter der Theologie der Befreiung ist, so eint ihn doch eine tiefe Verbundenheit mit dem grundlegenden biblischen und spirituellen Impuls des lateinamerikanischen Aufbruchs nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, der wirklich zu einer ganz neuen Zuwendung zu den Armen dieses Kontinentes führte und bis heute vorbildlich ist. Die Ausarbeitung einer „Theologie der Befreiung" ist ein späterer Schritt. Aber dies darf nicht sein tiefes Engagement für die Armen und Bedrängten dieser Welt verdecken, wie wir dies bei ihm täglich beobachten können.

Vielleicht kann man dies am besten darlegen durch die kleine Geschichte, die Papst Franziskus selbst bei der Begegnung mit den Journalisten bald nach seiner Wahl erzählte: Als die Zahl der Stimmen im Konklave für Kardinal Bergoglio anstieg und offenbar ihn dies etwas bedrängte, saß ein großer Freund von ihm, Kardinal Claudio Hummes, neben ihm und als die Zweidrittel erreicht waren, umarmte Hummes ihn, küsste ihn und sagte: „Vergiss die Armen nicht!" Und Bergoglio fährt fort: „Und da setze sich dieses Wort in mir fest: die Armen, die Armen. Dann sofort habe ich in Bezug auf die Armen an Franz von Assisi gedacht. Dann habe ich an die Kriege gedacht, während die Auszählung voranschritt bis zu allen Stimmen. Und Franziskus ist der Mann des Friedens. So ist mir der Name ins Herz gedrungen: Franz von Assisi. Er ist für mich der Mann der Armut, der Mann des Friedens, der Mann, der die Schöpfung liebt und bewahrt. Gegenwärtig haben auch wir eine nicht sehr gute Beziehung zur Schöpfung, oder? Er ist der Mann, der uns diesen Geist des Friedens gibt, der Mann der Armut ... Ach, wie möchte ich eine arme Kirche für die Armen!" (16. März 2013)

Die Wähler dieses Papstes haben diesen seinen Geist geahnt und wollten einen solchen Papst. Sein Profil konnte gut erkannt werden in der Ansprache, die er während der Generalkongregation der letzten Tage vor der Wahl hielt (es waren nur vier Minuten). Hier hat er sein Credo in vier Punkten dargelegt: keine um sich selbst kreisende Kirche, keine bloße Selbstbezogenheit der Kirche, sie verkündet nur das Licht Jesu Christi, in der Evangelisierung muss sie aus sich herausgehen. „Was den nächsten Papst angeht: (es soll ein Mann sein), der aus der Betrachtung Jesu Christi und aus der Anbetung Jesu Christi der Kirche hilft, an die existenziellen Enden der Erde zu gehen, der ihr hilft, die fruchtbare Mutter zu sein, die ‚aus der süßen und tröstenden Freude der Verkündigung des Evangeliums‘ lebt." Wir können von Herzen froh und dankbar sein, dass Papst Franziskus diesen Text von der Geheimhaltungspflicht befreit hat und ihn dem Erzbischof von Havanna, Kardinal Jaime Ortega, und der ganzen Kirche zur Veröffentlichung überlassen hat.

Ich glaube, damit ist mehr gesagt, als unsere Worte dies noch vermehren könnten. Vielleicht ist damit auch erklärt, warum die 115 wählenden Kardinäle sich erstaunlich rasch für den Erzbischof von Buenos Aires und den ersten Jesuiten der Papstgeschichte entschieden haben. Vielleicht darf ich nur noch ein kleines ergänzendes Wort hinzufügen. In den offiziellen Beratungen und besonders auch in den privaten Gesprächen spielte nach meiner Erfahrung die Überlegung, ob man auch einen Nichteuropäer wählen könnte, überhaupt keine Rolle Dies bedeutete auch einen Unterschied zu 2005. Hier mussten die Nichteuropäer immer noch um eine gewisse ebenbürtige Anerkennung ringen. Im März 2013 war dies überhaupt kein Thema, und dies trotz der wachsenden Pluralität auch in der Kirche. Dies war für mich eine der tiefsten Erfahrungen des Konklaves 2013. Es war der Grund, in der Gemeinschaft des christlichen Glaubens aus tiefstem Herzen für die gelebte Katholizität in unserer Kirche dankbar zu sein. - Dies gilt nicht nur bei der Papstwahl und in den enthusiastischen Tagen danach, sondern auch morgen im Alltag und besonders in seinen Niederungen. Papst Franziskus weiß gerade auch im Blick auf den Poverello von Assisi sehr wohl um das Kreuz in der Welt und in jedem Leben. Lassen wir ihn nicht allein! Amen.

(c) Karl Kardinal Lehmann, Bischof von Mainz

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

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