Predigt im Eröffnungs-Gottesdienst während der Frühjahrs-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in Stapelfeld/Oldenburg

vom 14. bis 17. Februar 2005 ín der Kirche St. Andreas in Cloppenburg

Datum:
Montag, 14. Februar 2005

vom 14. bis 17. Februar 2005 ín der Kirche St. Andreas in Cloppenburg

Lesungen: 1 Kor 10,16 - 17 (eigens ausgewählt); Lk 10,1 – 9 (von den Heiligen des Tages)

Fest: Hl. Cyrill und Methodius, Schutzpatrone Europas

Die Predigt bezieht sich vor allem auf das von Papst Johannes Paul II.ausgerufene „Jahr der Eucharistie“.

Die Eucharistie ist für den katholischen Christen fast so etwas wie das tägliche Brot. In der Tat haben viele Ausleger des Gebetes Jesu, des Vater unser, die Bitte: „Gib uns heute das Brot, das wir brauchen“ (Mt 6, 11, vgl. Lk 11,3) auch auf die Gabe der Eucharistie bezogen. Obgleich also das Herrenmahl täglich den Weg der Kirche und der Christen begleitet und sich so tief in die Alltagsgeschichte einzeichnet, ist und bleibt die Eucharistie, wie das Zweite Vatikanische Konzil immer wieder betont, „Quelle und Höhpunkt des ganzen christlichen Lebens“ (LG 11, vgl. PO 5; CD 30; SC 6; 47). Die Kirche lebt und wächst immerfort aus der Eucharistie (vgl. LG 26). Nicht zuletzt darum hat der Heilige Vater seine Enzyklika über die Eucharistie mit den Anfangsworten und dem Titel bezeichnet: Ecclesia de Eucharistia (Die Kirche lebt von der Eucharistie). Sie ist wirklich der Kern des Geheimnisses der Kirche (vgl. Ecclesia de Eucharistia, Art. 1).

Aus diesen Worten wird bereits die große Spannung erkennbar, in der wir das Herrenmahl begehen: Es senkt sich am tiefsten in den Alltag unseres Lebens ein und ist doch die innerste Mitte des Kircheseins. Die Gefahr liegt nahe, dass wir diese Spannung zwischen großer Alltagsnähe und tiefstem Mysteriums nicht aushalten. Wehe aber, wenn die Eucharistie banalisiert und ritualisiert wird. Sie trennt sich dann von unserem wirklichen Leben und von ihrer Dynamik. Darum ist es ein großer Gewinn, wenn der Heilige Vater uns zu diesem „Jahr der Eucharistie“, dem auch die nächste Weltbischofssynode im Oktober 2005 gewidmet ist, aufruft. Er selbst zeigt uns vor allem in seinem Apostolischen Schreiben „Mane nobiscum Domine“ (7. Oktober 2004), wie sein eigenes Denken und Beten immer wieder auf die Eucharistie zielt (vgl. Mane nobiscum Domine, Art. 6 – 10). Darum ist es auch angemessen, dass wir zu Beginn unserer ersten diesjährigen Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz diesen Aufruf als Gabe und Aufgabe verstehen und wenigstens eine erste Hinführung zu diesem großen Geheimnis versuchen. Es ist im In- und Ausland zu spüren, dass die Kirche dieser dringenden Empfehlung des Heiligen Vaters vielfach entspricht.

Die Eucharistie ist das Testament Jesu Christi. In ihr laufen gleichsam alle Linien seines Lebens und Wirkens, seiner Worte und Zeichen zusammen. Schon darum ist es gut, wenn der heilige Paulus von der „Feier des Herrenmahls“ (1 Kor 11,20) spricht. Man kann in der Geschichte des irdischen Jesus gut verfolgen, wie schon Jesu Mahlpraxis vieles sehr dicht von seiner Botschaft bezeugt. Dabei geht es weniger um Gastmähler mit den Randexistenzen und Außenseitern der Gesellschaft, wie man oft interpretiert, sondern Jesus wendet sich in aller Breite beim Mahl dem Menschen zu, den Sündern, auch den Pharisäern und seinen eigenen Gefährten. Das gemeinsame Essen und Trinken verstand er als Vorwegnahme der zukünftigen Mahlgemeinschaft im vollendeten Gottesreich. Zugleich war es ein Hinweis auf die Lebensgemeinschaft mit Gott und unter den Menschen (vgl. Lk 14, 15; 14,16 – 24; Mt 22 1 – 10; Lk 15,2.23 ff). Jesu Zuwendung zu den Menschen am äußersten Rand des Gottesvolkes und den schwächsten Gliedern brachte unübersehbar zum Ausdruck, dass Gott sich vorbehaltlos zum Heil der „Sünder“ entschlossen hat.

Diese Mahlpraxis Jesu, die man nicht von seinem ganzen Wirken trennen darf, steht auch in vielfältiger Beziehung zu den Erzählungen von der wunderbaren Speisung des Volkes (vgl. Mk 6,32 – 44; Mk 8,1 – 9; Joh 6,5 – 13). Hier sind auch immer wieder Züge eines geradezu liturgischen Handelns Jesu im Anschluss an das jüdische Festmahl zu erkennen: Er bricht als Gastgeber das Brot und spricht über den Gaben die Dankgebete. So ist es auch nicht verwunderlich, dass das Mahl Jesu mit den Seinen „in der Nacht, in der er ausgeliefert wurde“ (1 Kor 11,23), sich in diese vorangehende Mahlpraxis beinahe bruchlos einzeichnet, zumal wenn man den oft vernachlässigten gottesdienstlichen Charakter seiner vorösterlichen Mahlpraxis bedenkt.

Jesus weiß, dass es sein letztes Mahl ist. In einer unübertrefflichen prophetischen Zeichenhandlung, die an die Boten des Alten Bundes anknüpft, stellt er unter den Zeichen von Wein und Brot sein ganzes Leben in den Dienst der Menschen. Es ist wirklich ein Abschiedsmahl: „Amen, ich sage euch, ich werde nicht mehr vom Gewächs des Weinstocks trinken bis zu jenem Tag, wenn ich es trinken werde im Reich Gottes.“ (Mk 14,25) Und mit einem großen Gestus, der zugleich in ganz neuer Form die Handlung mit den deutenden Worten verbindet, zeigt er, wie er die Richtung seines ganzen Lebens versteht: „Das ist mein Leib für euch. Tut dieses zu meinem Gedächtnis... Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut. Tut dies, sooft ihr daraus trinkt, zu meinem Gedächtnis! Denn sooft ihr von diesem Brot eßt und aus dem Kelch trinkt, verkündet ihr den Tod des Herrn, bis er kommt.“ (1 Kor 11,24 – 26) Mit dieser Ausrichtung seines Lebens, nämlich der Hingabe seiner ganzen Existenz für die Freunde, für die Vielen, schließlich „für alle“, geht er in den Tod. Dies ist das Vermächtnis seines Lebens. So deutet er auch schon sein Leiden und sein Sterben nicht als sicheren Untergang, sondern als Zeichen der Hoffnung jenseits des Todes. Darum wird auch deutlich, dass Jesus seine Gefährten mit in das Mahlgeschehen einbezog und sie zugleich mit seinem eigenen Wort („Tut dies zu meinem Gedächtnis“) zur Weiterführung der Mahlpraxis anwies.

Jesus bleibt nicht im Tod. Ostern ist der entscheidende Grund, um über seine Gegenwart nachzudenken. Er ist der lebendige und in seiner Kirche gegenwärtige „Herr“ (Kyrios), der auch nun in den nachösterlichen Mahlgemeinschaften gegenwärtig ist. Deshalb werden uns nun nach Ostern die vielen Mahlgemeinschaften mit den Jüngern erzählt (vgl. Lk 24, 13 – 35; 36 – 43; Joh 21, 1 – 14; Apg 1,4a; 10,41). Sie können ihn, gewiss auf andere Weise als vor Ostern, nun wieder neu entdecken und ihn wiedererkennen. Zugleich werden die Jünger eingewiesen in die Zeit nach Jesus, in die Zeit der Kirche. Sie sollen neben und mit der Predigt vom Evangelium die besondere Gegenwart seiner Person in der Eucharistie bezeugen.

Er ist nun in einer neuen Weise der Gegenwart unter ihnen. Sie begehen das Mahl nun nicht mehr in seiner physischen Gegenwart. Der Bericht von der Einsetzung des letzten Mahles zeigt aber auf, wer er ist. Schließlich kommt auch nun die Gemeinde, wie schon zu Lebzeiten Jesu, in ganz unterschiedlicher Form zusammen: Sklaven und Herren, Juden und Heiden, Männer und Frauen, Habenichtse und Wohlhabende. Gerade dies macht auch die junge Gemeinde anziehend. Die Gemeinschaft im Herrenmahl hat auch Konsequenzen für das tägliche Zusammenleben. „Und alle, die gläubig geworden waren, bildeten eine Gemeinschaft und hatten alles gemeinsam. Sie verkauften Hab und Gut und gaben davon allen, jedem so viel, wie er nötig hatte. Tag für Tag verharrten sie einmütig im Tempel, brachen in ihren Häusern das Brot und hielten miteinander Mahl in Freude und Einfalt des Herzens.“ (Apg 2, 44 – 46). So verwandelt die Gegenwart des Herrn die Männer und Frauen in seiner Nachfolge. Es ist verständlich, dass sich seine Gegenwart als Tischherr und Gastgeber dabei ein wenig anders akzentuiert, denn nun wird seine Gegenwart stärker konkret auch in Brot und Wein, in der Nahrung zum Leben wirksam. Mehr und mehr verdichtet sich die Gegenwart des erhöhten Herrn auf die Zeichen von Brot und Wein hin, d.h. auf das Sakrament. Um so wichtiger wird es, den Leib und das Blut des Herrn von gewöhnlicher Nahrung zu unterscheiden (vgl. 1 Kor 10,3 f).

Von einem wichtigen Element muss noch die Rede sein. Zum Herrenmahl gehört das Bewußstein vom täglichen Aufenthalt und Stehen in der Geschichte der Welt. Aber der Glaube geht in diesem Wandel nicht unter. Täglich wird im Wort und im Sakrament Jesu Botschaft verkündet. Deshalb ist das kleine Wort so wichtig, das er so zur Sprache bringt: „Denn sooft ihr von diesem Brot esst und aus dem Kelch trinkt, verkündet ihr den Tod des Herrn, bis er kommt.“ (1 Kor 11, 26) Er geht als der neue Immanuel, der Gott-mit-uns, durch die Geschichte, die großen und kleinen Stunden, die Freuden und die Hoffnungen, Leid und Schmerz. Dieser ständige Ausblick „zwischen den Zeiten“, alltäglich und jeden Tag neu, gehört zur Eucharistie.

Diese Dimension bringt zwei wichtige Gesichtspunkte in das Ganze. Unter den Zeichen von Brot und Wein ist der Herr gegenwärtig, aber auch verborgen. Die Augen des Glaubens müssen ihn immer wieder entdecken, wie es eindrucksvoll im „Tantum ergo“ des hl. Thomas von Aquin vor jedem großen eucharistischen Segen zur Sprache kommt. Vor allem aber wird auch deutlich, dass wir auf dem Weg der Pilger immer unterwegs sind in der Spannung zwischen der schon geschenkten Gegenwart und dem Noch-Nicht einer letzten Erfüllung im Reich Gottes. Deshalb müssen wir auch immer wieder vieles von dem Vermächtnis Jesu, vor allem auch in der letzten Hingabe seines Lebens „für alle“, mutig in die Tat umsetzen, ganz gewiss im Blick auf alle Armen dieser Welt.

Darum betont der Heilige Vater in seinen neueren Texten zur Eucharistie mit Recht immer wieder die Eucharistie als das Prinzip der „Mission“, als Weg der Solidarität und als mutiger Dienst an den Nächsten (vgl. Mane nobiscum Domine, Kap. IV). Und ganz gewiss wird die Weltbischofssynode im Herbst dieses Jahres diesen Akzent nochmals vertiefen und verbreiten (vgl. jetzt schon das Vorbereitungsinstrument „Die Eucharistie: Quelle und Höhepunkt des Lebens und der Sendung der Kirche“, Lineamenta 2004.

Vielleicht verstehen wir jetzt erst, was wir am Anfang betont haben: Die Eucharistie ist nicht einfach ein Sakrament neben den anderen sakramentalen Zeichen. In ihr laufen alle Lebensvollzüge der Kirche, getragen vom Wort des Herrn selbst, wie in einem Brennpunkt zusammen. Darum kann die klassische theologische und spirituelle Überlieferung sagen, die Eucharistie sei so etwas wie das geistliche Gemeinwohl der ganzen Kirche. So verstehen wir auchdie Worte, dass die Eucharistie der Kern des Mysteriums der Kirche ist und auch den Titel des Weltrundschreiben des Papstes zum Herrenmahl aus dem Jahr 2003: Die Kirche lebt von der Eucharistie.

Dies sollte eine Art Bauplan und Grundriss des Glaubens und der Rede von der Eucharistie sein. Darum haben wir noch viel von dem, was daraus folgt, abzuarbeiten: das Verhältnis von Taufe und Eucharistie, die Beziehung von Wort und Sakrament, die Frage nach dem Zutritt zur Eucharistie. Jetzt wird auch deutlicher, wie eng Kirchengemeinschaft und Eucharistiegemeinschaft miteinander verbunden sind. Hier gibt es auch noch schwerwiegende ökumenische Streitfragen. Wir dürfen sie nicht billig lösen, weil die Eucharistie zu kostbar ist und weil man am allerwenigsten ein Testament verfälschen darf. Aber wir werden auch selbst im Kern von der Frage getroffen, ob wir das Sakrament des Herrenmahles genügend schätzen, nicht zuletzt auch durch die Teilnahme am sonntäglichen Herrenmahl. Aber vielleicht gelingt dies auch leichter, wenn wir wieder neu lernen, was uns geschenkt ist. Amen.

Neuere kirchenamtliche Texte zum Jahr der Eucharistie:

Papst Johannes Paul II., Enzyklika Ecclesia de Eucharistia, 17. April 2003 = Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 159, 2. korrigierte Auflage, Bonn 2003

Instruktion „Redemptionis Sacramentum“ über einige Dinge bezüglich der heiligsten Eucharistie, die einzuhalten und zu vermeiden sind, 25. März 2004 = Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 164, Bonn 2004

Apostolisches Schreiben von Papst Johannes Paul II., „Mane nobiscum Domine“ an die Bischöfe, den Klerus und an die Gläubigen zum Jahr der Eucharistie Oktober 2004 bis Oktober 2005, 7. Oktober 2004= Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 167, Bonn 2004, 3 – 24

Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung, Das Jahr der Eucharistie. Empfehlungen und Vorschläge, 15. Oktober 2004 = Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 167, Bonn 2004, 27 – 74 (mit weiteren Hinweisen)

Bischofssynode, XI. Ordentliche Vollversammlung, Die Eucharistie: Quelle und Höhepunkt des Lebens und der Sendung der Kirche. Lineamenta, Vatikanstadt 2004

 (c) Karl Kardinal Lehmann

Es gilt das gesprochene Wort 

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

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