Predigt im Ökumenischen Gottesdienst anlässlich des Gedenkens an den Abschluss des Augsburgers Religionsfriedens 1555 in der St. Anna-Kirche in Augsburg

am 25.09.2005 (übertragen durch das Bayerische Fernsehen)

Datum:
Sonntag, 25. September 2005

am 25.09.2005 (übertragen durch das Bayerische Fernsehen)

Die Frage der Toleranz und der Religionsfreiheit ist so etwas wie ein großer Leidens- und Kreuzweg in der Geschichte der europäischen Christenheit. Es ist eine Geschichte, in der Tausende und Abertausende ihr Leben, ihre Würde, Hab und Gut verloren haben. Sie wurden von Haus und Hof vertrieben. Dahinter stand die gemein-christliche Überzeugung, man müsse gegenüber jedem Feind der wahren Religion bzw. des reinen Evangeliums durchgreifen und dadurch notwendig intolerant sein. Das Festhalten an der realen Einheit von religiöser Wahrheit und weltlich-politischer Ordnung gehört im Übrigen zu den Grundüberzeugungen der abendländischen Christenheit.

In diese Geschichte gehört der Augsburger Religionsfrieden von 1555 hinein. Er hat manches verwirklicht, was man sich immer wieder sehnlichst gewünscht hat, so vor allem den Verzicht auf offene Gewaltanwendung in Fragen des Bekenntnisses. Er brachte für die Lutheraner auch die äußere rechtliche Existenzsicherung und die Freiheit der spirituellen Entfaltung. Das evangelische Bekenntnis und sein Kirchenwesen wurden politisch gesichert und rechtlich anerkannt. Aber dies galt vor allem im Bereich der beiden großen Konfessionen, der Katholiken und der Lutheraner. Die geistliche Rechtshoheit der katholischen Bischöfe über die Anhänger des Augsburgischen Bekenntnisses wurde damit aufgehoben. Die Ketzerverfolgung entfiel.

Aber manches konnte nicht so verwirklicht werden, wie es viele anstrebten. Die Reichsritter erhielten die Freiheit des Bekenntnisses. Die weltlichen Reichsstände leiteten davon die Lehre und Praxis ab, dass sie die Religionszugehörigkeit ihrer Untertanen festlegten. Später sagte man verkürzt „cuius regio – eius religio“. Wer nicht einverstanden war mit einem solchen Zwangswechsel der Konfession erhielt das Auswanderungsrecht. Aber den Untertanen wurde so eine weitergehende Religionsfreiheit versagt. Die alte Einheit von Kirche und Reich ging zwar verloren, aber zugleich war die alte Welt auch noch sehr kräftig, weil die Standesinteressen vor allem des Adels vieles überlagerten und schließlich auch in Fragen der Religion zu einer großen territorialen Zersplitterung und Politisierung von Religion führten. Vieles war auch nur möglich, indem man in der Friedensordnung bewusst Lücken schuf und Probleme ausklammerte.

Die Tragödie für die Kirchen bestand darin, dass sie selbst nicht in der Lage waren, wegen des heftigen Streits um die Wahrheit zum Frieden zu gelangen. Die politische Ordnung kam in eine ausweglose Lage und suchte schließlich nur den politischen Frieden: unabhängig von der religiösen Wahrheit, bedacht auf die Erhaltung von äußerem Frieden, öffentlicher Sicherheit und Ordnung. Diese politische Ordnung begann, sich auf sich selbst zu stellen und sich von der ganz unbestrittenen Verwurzelung in der wahren Religion zu lösen. Prägnant und kurz hatte der Kanzler im Rat des Königs von Frankreich (Michel de l´Hôpital) bereits 1562, am Vorabend der Hugenottenkriege, den neuen Grundsatz formuliert: „Nicht darauf komme es an, welches die wahre Religion sei, sondern wie man beisammen leben könne.“ Der Staat erklärte sich gegenüber der religiösen Wahrheitsfrage neutral. Hier liegen die Anfänge eines grundlegenden Auseinandertretens von Wahrheit und Recht, von Staat/Gesellschaft und Kirche/Religion. Dies hat auch bis heute zu einer immer stärkeren Privatisierung von Glaubensfragen geführt.

Dahinter steckt die ganze Not des konfessionellen Bürgerkriegs. Die Konfessionen waren nicht in der Lage, von sich aus und von innen her zum Frieden zu finden. Der Verlust war in dieser Hinsicht sehr groß, auch wenn im Augsburger Religionsfrieden noch vieles von der alten Einheit von Kirche und Reich vorausgesetzt war. Überhaupt sollte ja dieser Friede ursprünglich nur eine politische Zwischenlösung bis zur noch nicht aufgegebenen Wiederherstellung der Einheit von Glaube, Kirche und Reich sein, wurde aber zur Dauerordnung, die im Lauf der Neuzeit - besonders über den Westfälischen Frieden von 1648 – sich immer mehr durchsetzte.

So stehen wir selbst etwas zwiespältig vor diesem Jubiläum. Es gibt gewiss zu danken für das Eindämmen von Gewalt. Auch wurde auf diesem Weg der neuzeitliche Rechtsstaat gefunden und gefestigt. Dies sind, besonders im Sinne des modernen Grundrechts von Religionsfreiheit für alle, bleibende Errungenschaften. Die lutherische Seite betont die rechtliche Sicherung. Aber überall melden sich auch Grenzen einer solchen Lösung, wie z.B. der Ausschluss von Reformierten und Täufern. Wir spüren mitten in dieser Ambivalenz ein tiefes Versagen. Dieser Friede war ohnehin nur ein Torso und ein Anfang. Aber wir sind dennoch dankbar, dass am Ende dieses Weges die heutige Religionsfreiheit steht, die für uns alle fast selbstverständlich geworden ist.

Um so dringlicher ist das Gebot des Herrn zum Wiedergewinn wahrer Gemeinsamkeit geworden, „damit sie eins sind“ (Joh 17, 11). Deshalb gibt es zum Weg der Ökumene, wie wir ihn schon seit einiger Zeit gemeinsam gehen dürfen, keine Alternative. Der Augsburger Religionsfriede, der ja nur ein Notbehelf bis zur Wiederherstellung der Einheit sein sollte, mahnt uns. Er ist damit eine der Wurzeln heutiger Ökumene. Ich finde diese Mahnung am besten ausgedrückt im dritten Kapitel des Kolosserbriefes: Ihr seid (alle) von Gott geliebt, seid seine auserwählten Heiligen. Darum bekleidet euch mit aufrichtigem Erbarmen, mit Güte, Demut, Milde, Geduld! Ertragt euch gegenseitig und vergebt einander, wenn einer dem anderen etwas vorzuwerfen hat. Wie der Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr! Vor allem aber liebt einander, denn die Liebe ist das Band, das alles zusammenhält und vollkommen macht. In eurem Herzen herrsche der Friede Christi; dazu seid ihr berufen als Glieder des einen Leibes. Seid dankbar! Das Wort Christi wohne mit seinem ganzen Reichtum bei euch. Belehrt und ermahnt einander in aller Weisheit! Singt Gott in eurem Herzen Psalmen, Hymnen und Lieder, wie sie der Geist eingibt, denn ihr seid in Gottes Gnade.“ (Kol 3, 12-16)

Der Augsburger Religionsfriede ermutigt und bestärkt uns in dieser Magna Charta der Ökumene zu einem wahrhaft paulinischen Geist. Amen

(c) Karl Kardinal Lehmann

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz