Predigt im Pontifikalamt im Kiliansdom zu Würzburg anlässlich der Feiern „30 Jahre Würzburger Synode“

21. November 2005

Datum:
Montag, 21. November 2005

21. November 2005

Schrifttexte: Sach 2, 14-1; Mt 12, 46-50

Lieber Mitbrüder im bischöflichen, priesterlichen und im Diakonenamt

sehr verehrte, liebe Schwestern und Brüder im Herrn.

Konzil und Synode gehören von Anfang an zum Wesen und Leben der Kirche. Die Worte sagen es schon: Zusammenkommen, zusammentreten. Das scheint selbstverständlich zu sein. Aber Kirche lebt in einer ganz besonderen Weise in dieser Gemeinschaft. Wir kommen nicht zusammen aus denselben irdischen Interessen, auch nicht aus Gründen der Verwandtschaft, auch nicht aus Gründen des Erwerbs, auch nicht weil wir einfach gleichgesinnt sind; wir kommen vielmehr aus verschiedenen Himmelsrichtungen, aus sehr verschiedenen Richtungen des Geistes und der Einstellungen. Normalerweise trifft man sich auf diese Weise gar nicht, geht eher einander aus dem Weg. Aber die Kirche lebt gerade dadurch, dass es diese Buntheit gibt. Es gibt sie nicht so, dass man einfach gleichgültig nebeneinander lebt, sondern Kirche heißt immer auch, dass wir uns um den Herrn scharen, so wie wir es in der Lesung gehört haben. Wir denken auch an den Satz: „Ich bin in ihrer Mitte, wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.“ (Vgl. Mt 18,20)

Meine lieben Schwestern und Brüder, das fängt schon damit an, wie überhaupt das Wort „Kirche“ sich erklärt. Wir sind - wörtlich übersetzt – „herausgerufen“: aus allen Winkeln und aus allen Nischen. Das Wunder von Kirche ist immer, dass wir auf der einen Seite in unserer Vielheit, in unserer Pluralität, verbleiben dürfen, dass wir aber auch wirklich zu einer tatkräftigen Einheit zusammenkommen. Wir können nicht einfach Gleichgültigkeit walten lassen, ebensowenig aber auch nicht die anderen einfach an die Wand drücken, um irgendeiner Uniformität willen. Wir brauchen eine geistgewirkte Einheit in Vielfalt.

Dies können wir schon im Neuen Testament lesen. Bei einer schweren Auseinandersetzung in der jungen Kirche, ob nämlich die künftigen Christen erst Juden werden müssen, hat man sich auf dem ersten Konzil, das wir kennen, und das uns in Kapitel 15 der Apostelgeschichte genauer beschrieben ist, auseinander gesetzt. Es gibt Meinungsverschiedenheiten und Schwierigkeiten. Und doch kommt man zusammen und schont sich auch nicht. Da fallen auch harte Worte des Einen gegen den Anderen. Trotzdem kommt man zusammen und kann dann am Schluss sagen: Es hat dem Heiligen Geist und uns gefallen zu entscheiden, dass die künftigen Christen nicht zuerst Juden werden müssen. Man hat sich für die Freiheit des Zutritts zum Christentum entschieden. Seit dieser berichteten Zusammenkunft sind Konzilien und Synoden im Leben der Kirche heimisch geworden, in ganz verschiedenen Formen durch die Jahrhunderte hindurch. Es gehört dazu, dass man sich nicht einfach aufgibt, sondern zusammenkommt, auch wenn man - wie Paulus im Blick auf Petrus sagt - einander einmal im Angesicht gegenübersteht und sich schwer tut miteinander.

Das haben wir auch bei uns in dem bescheidenen Rahmen der Würzburger Synode in unserem Land fünf Jahre lang erfahren. Ich habe es wieder nachgezählt: Volle 32 Tage waren wir hier im Würzburger Dom - unabhängig von den sonstigen Zusammenkünften der Sachkommissionen - versammelt. Wir haben uns nicht aus den Augen gelassen; wir haben uns nicht aufgegeben; wir haben miteinander gerungen. Es war eine schwierige Zeit, vieles stand schroff gegeneinander. Aber wir haben in dieser Zeit doch immer mehr gelernt, aufeinander zuzugehen, aufeinander zu hören, auch wenn wir uns zuerst geärgert haben. Wir haben uns dann doch immer wieder bemüht, das Körnchen Wahrheit in der Meinung des Anderen zu entdecken, den Anderen wirklich anzunehmen als Schwester und Bruder im Glauben, auch wenn wir in manchen Meinungen weit voneinander weg waren. So hat sich dann doch das kleine Wunder der Synode ereignet. Wir sind heute noch dankbar für Beschlüsse und die sechs Arbeitspapiere, die wir in diesen Sitzungen miteinander zum Beschluss oder wenigstens zu einer gewissen Reife gebracht haben.

Da ist manches, das zweifellos tiefer gekennzeichnet ist von der konkreten Zeit, in der es geschehen ist. So sind sie wichtige Dokumente für den Weg der Kirche nach dem II. Vatikanischen Konzil geworden. Aber es gibt noch eine ganze Reihe von Beschlüssen - und wir spüren das immer wieder, wenn wir sie zur Hand nehmen -, die uns auch heute noch helfen weiter zu gehen. Sie haben uns schon geholfen, als wir Krisen, die uns auseinander getrieben haben, überwinden konnten. Ich denke an das gemeinsame Glaubensbekenntnis „Unsere Hoffnung“. Ebenso kann man auch die Vorlage über den Religionsunterricht mitten in einer harten religionspädagogischen Debatte erwähnen. Auch unsere Beschlüsse über die pastoralen Strukturen, über Dienste und Ämter; nicht zuletzt über die neuen pastoralen Berufe, Ökumenismus, christlich gelebte Ehe und Familie haben hier eine Erwähnung verdient. Was war das für eine Spannung, gerade vor der Abstimmung über das Dokument zur christlich gelebten Ehe und Familie! Alles hing an einem seidenen Faden. Und es war bei den dringlichen Aufgaben in diesem Bereich nicht leicht für die Synodalen zu glauben und zu vertrauen, dass die Bischöfe später mit allen Kräften diese behandelten Probleme aufgreifen. So war es wirklich manchmal zum Bersten spannend.

Wenn ich zurückblicke, dann glaube ich, dass uns dieser Würzburger Dom als Gotteshaus viel zu diesem Zusammenkommen, zu diesem Zueinander-Finden geschenkt hat. Es war vor der Synode ein hartes Ringen, ob man in einen Dom, also in ein Gotteshaus, gehen soll. Manche haben befürchtet, da sollten die Teilnehmer wörtlich „domestiziert“ werden, damit sie von Anfang an bestimmte Dinge nicht sagen oder nicht deutlich genug äußern. Das hat sie nicht gehindert. Aber in dem Gottesdienst, mit dem wir jeden Tag begonnen haben, in den eindringlichen Predigten, in dem, was hier gesagt worden ist, wurden wir immer wieder zusammengeführt; nicht zuletzt auch durch die Worte des unvergesslichen Präsidenten der Gemeinsamen Synode, des früheren Würzburger Bischofs und Münchener Kardinals Julius Döpfner. So sind wir heute noch dankbar für das, was wir aus diesem großen und guten Miteinander mitnehmen können: Es ist besonders auch diese Zusammenarbeit von Bischöfen, Priestern, Laien und Ordensangehörigen.

Gerade unsere Synode in der Bundesrepublik Deutschland hatte ein besonderes Privileg, verglichen mit allen andern mitteleuropäischen Synoden: Alle Mitglieder, gleich ob Laie, Bischof oder Priester, hatten zunächst einmal ein gleiches Stimmrecht. Anderswo standen sich Bischöfe und Synoden gegenüber. Die Bischöfe haben dann nachher entschieden, ob sie den Beschlüssen zustimmen. Die Bischöfe waren bei uns von Anfang an eingebunden, haben hier ihre Bedenken vorgetragen, mitten in den Beratungen, und nicht nachher im stillen Kämmerlein die Entscheidung getroffen. Dieses offene Miteinander hat uns genutzt. Es hat viel Vertrauen vorausgesetzt. Es gab auch Vertrauen, dass das, was die Bischöfe an Einwänden sagten, aufgenommen und gehört wird. So haben wir erfahren, dass wir auch wirklich miteinander über größere Schwierigkeiten hinwegkommen; dass wir uns vertrauen können; dass wir gerade auch hier erfahren, dass der Geist Gottes in der Kirche wirkt. Es ist schon gut und nützlich, sorgfältig zu lesen, was in der Apostelgeschichte im Kapitel 15 steht. Da ist von den Aposteln die Rede, die zusammen kamen, den Ältesten und der ganzen Gemeinde. Alle sollten etwas beitragen können, damals freilich zahlenmäßig weniger. Deshalb brauche man später gewiss auch eine Stellvertretung, eine Repräsentation. Aber dieses Vertrauen, dass alle dabei etwas zu sagen haben, wenn man aufeinander hört, dass man aber auch bereit ist, denen, die Verantwortung tragen und entscheiden, zu folgen: Das hat die Fruchtbarkeit der Synode bestimmt.

Meine lieben Schwestern und Brüder! In den vergangenen 30 Jahren ist das auf vielen Ebenen unseres Landes praktiziert worden; angefangen bei den Pfarrgemeinderäten bis zu den diözesanen Räten. Das ist oft vor dem Hintergrund der Gemeinsamen Synode so geschehen und auch im Vertrauen darauf, dass dies ein Weg ist, auf dem wir zusammen zur Wahrheit und zur Liebe kommen können. Wir dürfen freilich nicht in falschem Stolz oder in Überheblichkeit zurückblicken. Es hat auch andere Synoden gegeben. Unsere Schwestern und Brüder in der ehemaligen DDR haben bewusst fast zur selben Zeit ihre Pastoralsynode abgehalten. Dort geschah das gleichwohl ohne die große Öffentlichkeit wie bei uns. Es gab nicht so viele Pläne in die Weite der Zukunft: es waren oft kleine Schritte, aber es waren Schritte, die man erprobt hatte, und von denen man wusste, dass man sie unter den beschränkten Umständen realisieren und sich zumuten kann. Es war eine Synode, die uns auch heute noch vieles lehrt, da wir in einer Diaspora-Situation stehen: Jemand mit geringeren Mitteln kann auch in Demut und Bescheidenheit Zeugnis geben. Das funktionierte also nicht nur mit den Möglichkeiten, die wir Gott sei Dank in unserem Land zur Verfügung hatten.

So sind wir 30 Jahre nach der Gemeinsamen Synode immer noch dankbar für das, was geschehen ist, ganz besonders für dieses Miteinander. Wir sind dankbar für die Vielfalt in Einheit. Vieles mehr ist uns noch in lebendiger Erinnerung vom Ringen hier im Würzburger Dom und auch bei der Vor- und Nachbereitung. Wir bitten Gott, dass er uns diese Offenheit, dieses Vertrauen zueinander, vor allem aber das Vertrauen auf den Geist Gottes immer wieder schenke. Sonst wäre die Synode zwar nicht umsonst gewesen, aber wir würden ihr Kapital, das auch heute noch nachwirkt, nicht einlösen. Darum lasst uns gemeinsam danken und Gott bitten, dass er uns immer wieder die Gnade schenken möge, zusammenzukommen und einander nicht aufzugeben. Dadurch können wir reif werden, gemeinsam etwas wirklich Gediegenes zu sagen und tatkräftig danach zu handeln. Amen.

(c) Karl Kardinal Lehmann

Leicht bearbeitete Bandabschrift

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz