Predigt im Pontifikalamt zum Aschermittwoch der Künstler

am 9. Februar 2005 im Mainzer Dom

Datum:
Mittwoch, 9. Februar 2005

am 9. Februar 2005 im Mainzer Dom

Verehrte, liebe Schwestern und Brüder im Herrn!

„Gedenke Mensch, dass du Staub bist und wieder zum Staub zurückkehrst.“ Das ist ein Wort mit einer großen vieldimensionalen Bedeutung. Es ist nicht leicht, es in wenigen Worten auszuschöpfen. Beginnen wir einmal an bei dem Wort „Gedenke, oh Mensch". Gedenke - wir sollen Einkehr halten, wir sollen uns besinnen, wir sollen nicht einfach nur in unserem Trott verfahren, in unserer Arbeit, in unseren Beziehungen; wir sollen einkehren. Wenn wir uns heute umsehen, welche großen Schlüsselworte in unserer Welt und Kultur eine Rolle spielen, dann ist es gerade das Wort „erinnern, nicht vergessen". Wenn Sie in eine Buchhandlung gehen und die Buchtitel ansehen, wenn Sie in diesen Tagen die öffentlichen Feiern zur Erinnerung an die Nazi-Verbrechen bedenken, dann heißt es immer wieder „erinnern, nicht vergessen". Und so heißt es auch „gedenke Mensch", vergiss nicht, woher du kommst, vergiss nicht, wohin du gehst, erinnere dich deswegen, halte Einkehr, Besinnung.

Gedenke Mensch: Mensch, das Wort muss man hier mit allen Nebentönen hören, die wir gerade auch vom Alten Bund her leicht in Erfahrung bringen können. „Mensch“ heißt dort im hebräischen „Adam“. Adam, das ist für uns ganz der Eigenname geworden für den ersten Menschen. Vielleicht auch ein Gattungsnamen für das erste Menschenpaar überhaupt. Aber Adam hat sehr eng zu tun mit einem verwandten Wort „adamar“ – und das ist ein Wort für die Erde. Der Mensch kommt ganz nahe zusammen mit der Erde. Er ist ein Sohn/eine Tochter der Erde. Er gehört zu dieser Welt, er gehört auch zu den anderen Kreaturen. Das erfordert, dass wir uns nicht übernehmen, als ob wir ein reiner Geist seien. Wir müssen wirklich wissen, dass wir immer wieder fest verwurzelt sind in dieser Erde.

Wir spüren dies in diesen Wochen nach der Flutkatastrophe, nach den anderen Katastrophen, die oft von Menschen gemacht worden sind, in ganz besonderer Weise. Da sind auch wieder Worte gebraucht worden, die wir lange Zeit in unserem weltlichen Sprechen vergessen haben. Manchmal ist man regelrecht zusammengezuckt bei Kommentaren, wenn plötzlich von der Demut des Menschen die Rede war. Da hat der Mensch gespürt, dass er überwältigt werden kann, wie er es sich gar nicht mehr so ohne weiteres vorstellte. Wir gehören zur Erde, und wir dürfen diese Erde auch lieben, aber wir dürfen uns nicht in sie einfach verkrallen und verkrampfen, als ob sie das Letzte wäre, als ob sie das Maß für alles wäre. Davon geht immer wieder eine große Versuchung und Verführung aus, dass wir sie und alles, was wir auf ihr vorfinden, als ein Letztes ansehen und zu einem Götzen machen.

Darum ist es gut, auf die Endlichkeit und Sterblichkeit unseres Menschseins und unserer Erde aufmerksam zu machen. Wir wissen, dass wir nur eine kurze Spanne des Lebens haben in der großen Geschichte der Menschheit. Wir wissen, dass wir damit auch verletzbar sind, dass wir überwältigt werden können von dem, was uns umgibt. Aber wir werden auch noch einmal daran erinnert, dass nicht nur unser Leben, sondern auch unsere Erde, die Schätze unserer Erde, begrenzt sind, endlich sind; dass wir nicht so tun sollen, als ob immer alles so weitergehen könnte; dass wir auch und gerade an künftige Generationen denken und nicht vergessen, dass diese Erde auch für sie da ist. Wir sind verpflichtet, dass wir sie nicht gefährden, dass wir sie nicht zerstören, dass wir sie nicht unwirklich machen, aber auch, dass die Schätze dieser Erde für alle ausreichen müssen, nicht nur im Blick auf Wasser, das viel kostbarer ist als wir denken, aber auch im Blick auf alles, was lebt. Wir müssen aufpassen auf die Arten, die wir erhalten möchten, damit sie nicht aussterben und untergehen. All dies kann zerstört werden, ist vergänglich.

Und wie oft haben Menschen uns übernommen, indem wir uns über die Kreaturen gestellt haben und Raubbau betrieben haben. Nicht, dass wir alles verbieten wollten! Es gibt auch manche Experimente der Wissenschaft, die bisweilen notwendig sind für das Wohl und Heil der Menschen. Ich denke an einzelne Tierexperimente. Aber man kann - wie sich heute zeigt - anders damit umgehen. Das Empfinden gehört dazu, dass es Mitkreaturen sind, dass wir den Graben nicht einfach total ziehen zwischen den Menschen und der übrigen Schöpfung. Auch das gehört zu dem Wort: Gedenke Mensch, dass du Staub - besser gesagt „Erde“ - bist und wieder zur Erde zurückkehrst. Wir bleiben an diese Erde gebunden, gerade mit unserer leiblichen Erscheinung, gerade auch mit all dem, was wir haben. Und wir wissen, dass wir das einmal, gerade weil wir sterblich sind, loslassen müssen.

Eine erfahrene Krankenschwester hat mir vor Jahrzehnten einmal gesagt: Ich bin fast nur bei Sterbenden, es ist nicht mehr so schwer, einmal lassen zu können. Und das gehört – denke ich – auch zu dieser Demut, zu diesem Wissen um die eigene Endlichkeit, zu dem Zugehörigsein zur Erde, dass uns das nicht alles einfach gehört. Wir wissen: Vieles ist uns anvertraut für eine gewisse Zeit, vieles ist uns gegeben als Leihgabe, treuhänderisch übergeben. Wir sollen es auch weitergeben, es nicht einfach ausnutzen und abnutzen. Das liegt auch darin begründet, dass wir selbst Söhne und Töchter der Erde sind. Und deshalb ist es gut, wenn wir in der besonders zugespitzten Form der Asche des alten Symbols der Vergänglichkeit, uns ganz konkret durch dieses Symbol daran erinnern, es auf unser Haupt legen lassen. So vergessen wir wirklich nie, dass wir uns auch in unserem Denken, in unserem Verhalten, in unserem Wollen, in unserem Fühlen davon uns inspirieren und bestimmen lassen.

Gedenke Mensch, dass du Staub bist und wieder zum Staub zurückkehrst. Die Asche war über viele Jahrhunderte und in vielen Religionen und großen Kulturen nicht nur das Zeichen der Vergänglichkeit, sondern auch ein Symbol des Verwandelt-Werdens, des Wandels. So wie irdische Dinge zerfallen, besonders wenn sie im Feuer gereinigt und zu Asche werden, so wird auch unsere menschliche Erscheinung, unser Leib, zerfallen, aber nicht einfach untergehen im Nichts, sondern wirklich verwandelt. Es gibt Dinge in unserem Leben, die können bleiben, wenn wir sie in Glaube, Hoffnung und ganz besonders in Liebe tun. Dann bleibt etwas von dem, was wir sind, und was wir tun.

Das Zweite Vatikanische Konzil hat eine ungeheure Kühnheit besessen, wenn es vom Ewigen Leben sprach. Für den heiligen Paulus steht fest: „Für jetzt bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; doch am größten unter ihnen ist die Liebe.“ (1 Kor 13, 13) Natürlich zerfällt auch rein äußerlich gesehen das bloße Werk. Aber all das, was wir an Liebe verändern in unserer Welt, was wir in Liebe Gutes tun, das ist nicht einfach etwas, das zerfällt, und das sozusagen zu Asche verglüht, sondern etwas, das vor Gott verwandelt wird zu ewigen Schätzen. Und damit ist es ein wirklich bedeutsames Wort: „Gedenke, oh Mensch, dass du Staub bist und wieder zu Staub wirst.“ Amen.

(c) Karl Kardinal Lehmann

Es gilt das gesprochene Wort 

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz