Predigt im Pontifikalamt zur Feier des 1250. Todestages des heiligen Bonifatius

am Sonntag, 06.06.04, im Dom zu Mainz

Datum:
Sonntag, 6. Juni 2004

am Sonntag, 06.06.04, im Dom zu Mainz

Liebe Schwestern und Brüder im Herrn!

In dieser Woche konnten wir bei dem großen mehrtätigen Internationalen Kongress im Erbacher Hof schon viel über den heiligen Bonifatius erfahren. Nebenan in der Martinus-Bibliothek können Sie eine kleine Ausstellung besuchen, auch heute: Bonifatius in Mainz. Und heute Abend bei der Uraufführung des Geistlichen Oratoriums von Bonifatius werden wir mit Musik und Gesang seine eigenen Worte noch einmal ganz besonders in uns aufnehmen können. Herr Domdekan Heckwolf wird am Schluss des Gottesdienstes dazu noch einige Hinweise geben.

Um so wichtiger ist es, wenn wir bei der Vielgestaltigkeit und den vielen Einzelheiten dieses Lebens nun einmal konzentriert fragen: Worauf kam es bei ihm an, was sagt uns sein Leben für unser heutiges Christsein? Drei Stichworte habe ich ausgewählt.

Peregrinatio: Das ist am besten zu übersetzen mit Pilgerschaft. Aber es reicht nicht ganz. Dahinter steht die Überzeugung, dass der Mensch ganz wesentlich und grundlegend unterwegs ist. Er ist immer herausgerufen aus seinem eigenen Leben und darum immer auch ganz entscheidend und wichtig unterwegs in die Fremde. Abraham steht als Beispiel hier am Horizont: Abraham, der herausgerufen worden ist aus seiner Heimat. Wenn Bonifatius im Jahr 718 trotz einer guten Aussicht auf eine erfolgreiche Karriere in seiner englischen Heimat alles verlässt, dann hat dies mit dem christlichen Ideal der "peregrinatio" zu tun. Familiäre Bindungen hatten damals gewiss eine ganz große Rolle, auch für Bonifatius. Nicht zuletzt hat er als Gefährtin und Gefährten Frauen und Männer aus seiner eigenen großen Verwandtschaft nach Deutschland gerufen. Aber das Gebot, auch zur rechten Zeit Vater und Mutter zu verlassen, war nicht vergessen. Der Abschied vom Elternhaus schuf eine eigene Form von Unterwegssein, ja, auch von Heimatlosigkeit. Der Aufbruch damals bedeutete, dass jemand aus der Familie heraus, die in vielem Schutz gab, eine ziemliche Schutzlosigkeit auf sich nehmen musste. Gerade dadurch, dass Bonifatius aber über die heimatliche Familie und Verwandtschaft hinausging, dass er in ein Land ging, wo die Stämme oft sehr völkisch und stammesmäßig abgeschlossen waren, hat er eine Isolierung unter den Menschen aufgebrochen und ist wirklich zu allen Menschen gegangen, um ihnen das Evangelium zu verkünden.

Wir sagen das so leicht – zu allen Menschen –, aber was mussten für Mauern übersprungen werden, um wirklich dann auch zu allen Menschen zu kommen. Und davon ist Bonifatius bis in die letzte Lebenszeit ganz tief erfüllt und auch wir sind und bleiben solche Pilger. Wir spüren es heute vielleicht gar nicht mehr. Reine Mobilität, reines dauerndes Unterwegssein, das ist noch nicht einfach dasselbe. Dazu gehört auch das Wissen, dass wir eigentlich immer in dieser Zeit im vorläufigen Leben, dass wir immer auch mit Bruchstücken zu tun haben, dass wir uns immer wieder auch korrigieren müssen, dass wir unterwegs sind um zu lernen, dass wir immer wieder neu Horizonte erschließen, ja, und auch davon geprägt sind, dass wir unterwegs sind und darum so vieles nicht einfach für uns festhalten können. Jemand hat das eine abschiedliche Haltung genannt, dass man Abschied nehmen kann von vielen Dingen im täglichen Leben, in unserem Leben. Wir machen uns vieles gleichsam für immer zu Eigen, das uns gar nicht gehört. Das fehlt oft das Bewusstsein, dass wir vieles lassen müssen, auch anderen Generationen überlassen müssen, abgeben auch anderen Menschen, die hungern. So müssen wir dieses Unterwegssein, diese Peregrinatio, in unserer Zeit verstehen.

Das zweite: Bonifatius hatte eine Leidenschaft für die gleiche Würde aller Menschen. Bonifatius ist vollständig ergriffen von der Wahrheit des Evangeliums, das allen Menschen Heil bringt. So wie der hl. Paulus sagt, der ihm in vielem gleicht, dass er von dem nicht schweigen kann, was ihn so tief im Leben erfasst hat, sagt Bonifatius einmal, er könne nicht ein stummer Hund bleiben. Er müsse sozusagen hinausgehen, den anderen erzählen von dem, was sie erleben. Und immer wieder weist er darauf hin, dass Unterschiede in Macht und Besitz dafür nicht eine letzte Rolle spielen dürfen Darum ist das Evangelium allen zugesagt und allen übergeben. Darum war er auch so unermüdlich und ohne Furcht. Er hat keine Gefahren gescheut unterwegs, wie auch seine letzte Reise zeigt. Und darum hat er auch dieses Evangelium gegenüber den Mächtigen verkündet.

Wir wissen heute, dass sich dadurch vieles an der Situation der Menschen damals geändert hat: Es gab eine intensivere Armenfürsorge, die Frauen bekamen größere Rechte innerhalb der Ehe, Bildung spielte eine größere Rolle, Gewaltanwendung wurde wenigstens zu mildern und zu mindern versucht. Gefangene und Sklaven hatten ein besseres Los. Gewiss waren es erste Ansätze, aber sie haben viel verändert und reichen weit. Dies erwies sich als ein ganz besonderes befreiende Geschenk für die Menschen. Und auch heute noch bleibt diese Leidenschaft für dieselbe Würde aller Menschen hier bei uns aus allen Schichten und Klassen und schließlich auch in unserer immer mehr zusammenwachsenden Welt ein ganz entscheidendes Element unserer Verkündigung, dass wir inmitten so vieler Ungleichheiten diese letzte Würde, die man keinem Menschen nehmen darf, respektieren und sie verteidigen.

Ein dritter Punkt: Der Totale Einsatz ohne Erfolgsgarantie. Bonifatius hat eine einmalige Chance ergriffen und genutzt. Bei seinem ersten Aufenthalt muss er nach wenigen Monaten im Jahr 716 vom Friesenland wieder völlig erfolglos nach Hause zurück kehren. Nach zwei Jahren hat es ihn gleichsam wieder gepackt und er ist noch einmal aufgebrochen. Aber nun mit einer sehr deutlich überlegten Strategie. Er ging zuerst nach Rom, weil er von Rom aus ein Auftrag haben wollte; den Auftrag nämlich, diese vielen zusammenhanglosen, oft in Spannung und miteinander im Krieg stehenden Stämme zusammen zu bringen zu einer größeren Gemeinschaft; damit hier nicht einfach nur eine Landeskirche, sozusagen eine Stammeskirche neben der anderen ist. Aus eigenen Kräften allein hätte er dies nicht vermocht. Um diese Welt zu öffnen, auch aufeinander hin zu öffnen, brauchte er diesen Auftrag der größeren kirchlichen Gemeinschaft.

Er hat auch gewusst, dass er dies nicht allein zu Stande bringt und hat deshalb das, was ihm politisch und gesellschaftlich dabei nützlich war, in Dienst gestellt. Das Geschlecht der Karolinger, die Europa geformt haben, nicht zuletzt auch Karl der Große, aber nicht zuerst und allein. Sie haben ihm dadurch, dass sie ein solches großes Reich in Europa geschaffen haben, sozusagen eine Hilfe, eine Grundlage für seine missionarischen Überlegungen zur Verfügung gestellt. Es ging damals natürlich nicht nur um eine einmalige Mission, sondern um ein auf Dauer angelegtes Einpflanzen von Glaube und Kirche vor Ort, auch und gerade auf dem Land. Es war vielleicht die größte Leistung des Bonifatius gewesen, dass auch in den Dörfern Kirchen gebaut worden sind, Mittelpunkte des menschlichen, gesellschaftlichen und kirchlichen Lebens. Gerade für die Inkulturation, für das Bringen von Kultur, ist es ganz wichtig gewesen, dass Bonifatius eben nicht nur als Wanderprediger umherzog, sondern dass er auch besorgt war, dass durch Organisation die Kirche im Land auch künftig Bestand hat. Dabei hatte er durchaus erstaunliche Erfolge. Aber in der letzten Lebensphase erlitt er auch viele Enttäuschungen, besonders ab dem Jahr 751.

In seinen Briefen können wir dabei einen alternden Bonifatius kennen lernen, der sehr resignativ und sehr depressiv wirkt. Er ist der Meinung, dass er in vielen Dingen gescheitert sei. Die Karolinger hatten direkte Verbindungen zum Papst bekommen, sie brauchen ihn nicht mehr als Vermittler, der König wurde gesalbt im Frankenreich, ohne dass Bonifatius anwesend war. Er fühlte sich an den Rand gedrängt, er fühlte sich übergangen. Es war außerordentlich schwer, ungeeignete Bischöfe abzusetzen. Er war deshalb manchmal geradezu verzweifelt. Dennoch, liebe Schwestern und Brüder, hat er sehr viel mehr erreicht, als er selbst wissen und ahnen konnte. Deswegen sprechen wir heute in den Forschungen vieler Länder davon, dass er das christlichen Europa grundgelegt habe, dass er Vorläufer und Baumeister sei, Vater Europas. Ich denke, man muss beides sehen. Diese ungeheure zivilisatorische Leistung, die in seiner ganzen Mission liegt, auch für die Armen, auch für die Krankenpflege und für die Bildung und für vieles andere. Aber er hat auch spüren müssen, wie die Mächtigen nur so lange und so weit an ihm und seiner Verkündigung interessiert waren, als dies zur Festigung ihrer eigenen Macht beigetragen hatte. Und doch sehen wir an seinem Leben, dass ihm viel viel mehr gelungen ist als er selber sehen konnte. Immer wieder und gerne zitiere ich das Wort von Martin Buber, das Erfolg kein Stichwort sei im Wörterbuch der Bibel. Fruchtbarkeit und Segen schon. Wir möchten schon gerne sehen, dass das, was wir tun, auch Früchte trägt. Aber berechenbarer Erfolg, dass immer alles aufgeht, das ist kein Wort der Bibel, und das sollten wir heute gerade für uns lernen. Bonifatius ist jemand, bei dem wir dies im großen Stil lernen können. Auch vieles, was wir tun, gelingt oft nicht. Dennoch kann es fruchtbar sein, ohne dass wir es sofort merken. Die Älteren im Umgang mit ihren Kindern, der Lehrer im Umgang mit seinen Schülern, Menschen in verschiedenen Gemeinschaften, die manchmal den Eindruck haben, es hat ja keinen Zweck, es kommt ja doch nichts dabei heraus, du kannst es so und so oft sagen und predigten, und es nützt nichts. Und doch keimt irgendwo der Same. Oft werden wir es selbst gar nicht mehr mitbekommen, dass es Saat aus unserer Hand ist. Aber es war nicht umsonst, und deshalb bringt der christliche Glaube auch die Zuversicht, dass gerade auch unsere Absicht zählt, unsere Intention oder wie man in der überkommenen seriösen Sprache sagt, die gute Meinung. Das ist entscheidend und wichtig. Ob dann immer alles gelingt, das haben wir nicht in der Hand. Aber wenn wir es versuchen und anpacken, dann kann daraus etwas erwachsen. Darum kann man von Bonifatius auch im Handeln Zuversicht lernen, und ich denke, das kann uns auch bei vielen Schwierigkeiten gelassener machen.

Bonifatius hat einfach das getan, wovon er zutiefst erfüllt war. Unterwegs sein für die Botschaft des Evangeliums, leidenschaftlich und unermüdlich diese Frohe Botschaft allen Menschen verkündigen, in Wort und Tat, von falschen Ängsten befreien. Das war sein eigenes Lebenszeugnis, bis in den Tod hinein. Dieser sinnlose Tod, den ihm Räuber beigebracht haben, die es nur auf seinen Besitz abgesehen hatten, hat ihn dann vor Gott und den Menschen groß gemacht. Die Verehrung, die ihm dann zuteil geworden ist nach dem 5. Juni 754, unmittelbar auch aus seiner Heimat, aus der er schon 40 Jahre fortgezogen war, kann man nicht überschätzen. So verehren wir ihn auch und danken Gott für diesen Seligen und Heiligen. Amen.

(c) Karl Kardinal Lehmann

Es gilt das gesprochene Wort

 

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz