Texte: Dienstag in der Oster-Oktav
1. Lesung: Apg 2,14 a, 36-41 (und für die Predigt auch V. 42)
2. Lesung: (Ev.) Mt 28,8-15
Es ist gut, wenn wir unmittelbar nach der Feier der Osterfesttage alles ausklingen lassen, was in den vergangenen Tagen geschehen ist. Darum und dafür ist die Oktav eine hervorragende Gelegenheit. Wir werden mit den Geheimnissen nicht einfach rasch fertig, sondern brauchen die Oktav und die Osterzeit, um noch besser zu verstehen, was eigentlich für uns geschehen ist. Darum stellen wir im Anschluss an die Texte des heutigen Tages besonders die Frage: Was bewirkt Ostern?
Dafür wollen wir besonders in die Lesung aus dem zweiten Kapitel der Apostelgeschichte (2,14.a, 36-41.42) hineinsehen. Das erste und entscheidende Element ist die Sammlung der Apostel und Jünger aufgrund des Ostertages. Sie sind geflohen. Nur die Frauen und wenige Jünger sind geblieben. Die Emmauserzählung (Lk 24,13-35) gibt uns einen Einblick in ihre Gemütsverfassung. Aber nun ist es eine ganz wichtige Wirkung der Erscheinungen des Herrn, dass er die Jünger wieder sammelt. Er kommt aus dem Tod, den er überwunden hat, und kann Mutlosigkeit, Angst und Schrecken überwinden. Er bringt auch Vergebung und Versöhnung, besonders denen, die feige davongelaufen sind und den Herrn verleugnet haben. Dies ist der Anfang von Kirche, dass sie überhaupt wieder zur Einheit und Gemeinschaft zusammen- und herausgerufen werden, nichts anderes bedeutet ja das Wort Kirche/Ekklesia.
Der Herr kommt nun in anderer Gestalt. Er ist der Kyrios, d.h. der überall und zu jeder Zeit gegenwärtige Herr der Welt, der zuerst bei den Seinen ist. Dies gilt gerade auch für die verschiedenen Formen ihrer Gemeinschaft: als sie ängstlich beieinander sind und vor Furcht die Türen schließen; als sie beim Mahl mit ihm versammelt sind,;als er Einzelnen und der ganzen Gemeinschaft erscheint, und sie vor allem ihn wiedererkennen. Dieses Wiedererkennen bestärkt sie in ihrem Verständnis der Geschichte und der Botschaft Jesu.
Die Wiederherstellung der verlorenen und zerbrochenen Gemeinschaft und die neue Gegenwart des Herrn in der Mitte der Jünger ist aber nicht ein geschlossener Zirkel, sozusagen ein Kreis für sich. Denn indem die Gemeinschaft durch die Kraft und Macht des auferstandenen Herrn wieder hergestellt wird, sind die Jünger und Apostel auch sofort dabei, von dem, was ihnen und nicht zuletzt auch den Frauen widerfahren ist, zu künden. Jetzt werden sie ihn nicht mehr verleugnen. Jetzt sind sie von ihm wirklich überzeugt. Jetzt müssen sie darum, ob sie wollen oder nicht, gelegen oder ungelegen den Mund auftun. Darum gehört zu dieser ersten Stunde in fast allen Erscheinungserzählungen auch die Verkündigung, zuerst den Aposteln und allen in Jerusalem. Es ist ein einziges Zeugnis des Glaubens, das nun aus der Sendung der Ostertage hervorgeht. „Dann geht schnell zu seinen Jüngern (so der Engel) und sagt ihnen: Er ist von den Toten auferstanden. Er geht euch voraus nach Galiläa. Dort werdet ihr ihn sehen. Ich habe es euch gesagt.“ (Mt 28,10) Dies mündet dann in den weltweiten Auftrag des Auferstandenen, wie er unmittelbar auf unser Evangelium vom heutigen Tag folgt: „Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf der Erde. Darum geht zu allen Völkern, und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe. Seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt.“ (Mt 28,18-20) Das fünfmalige „alle/alles“ zeigt, dass dieser Sendungsauftrag des Herrn der Welt wirklich in Raum und Zeit keine Grenzen kennt. Nicht zufällig ist dies der Schluss des ersten Evangeliums, aber eigentlich nicht Abschluss, sondern Eröffnung der Sendung in die ganze Welt hinein.
Und die Jünger sowie Apostel haben verstanden, welche Stunde nun geschlagen hat. Unerschrocken laufen sie überall in die Welt hinein und verkünden das Evangelium. Dabei – darauf kommt es Lukas als Verfasser der Apostelgeschichte sehr an – liegt über ihrem Tun auch großer Segen. Darum wächst die Kirche, wie es auch an unserer Stelle heißt: „An diesem Tag wurden (ihrer Gemeinschaft) etwa dreitausend Menschen hinzugefügt.“ (2,41) Auch wir müssen die Zögerlichkeit und die Zaghaftigkeit hinter uns lassen, wenn wir fruchtbar sein wollen (vgl. dazu auch 1,15; 4,4; 5,14; 6,17; 11,21-26 usw.).
In manchen Ausgaben der Heiligen Schrift geht nun der Text unserer heutigen Lesung im zweiten Kapitel der Apostelgeschichte weiter. Ich möchte diesen Vers darum gerade heute noch hinzunehmen, weil er nicht zuletzt auch für unser Zusammensein und unsere Arbeit wichtig ist, wenn wir in diesen Tagen die Entwicklungen und Perspektiven der pastoralen Neuordnungen in den Diözesen studieren. Der Vers lautet: „Sie (die Mitglieder der ersten Gemeinde) hielten an der Lehre der Apostel fest und an der Gemeinschaft, am Brechen des Brotes und an den Gebeten.“ (2,42) Vielleicht kann man dies noch etwas besser wiedergeben, wie wir es ja mit den Übersetzungen der Heiligen Schrift immer wieder versuchen. Denn eigentlich heißt es, sie verharrten in der Lehre der Apostel. Dieses Wort ist der Apostelgeschichte besonders wichtig (vgl. 1,14; 6,4; 2,46; vgl. auch Röm 12,12; 13,6; Kol 4,2). Das Wachsen der Kirche braucht einen festen Boden. Gerade die Dynamik der Sendung in alle Welt braucht immer wieder die vertiefte Sammlung. Dies gilt ganz besonders für unsere heutigen Gemeindestrukturen, wenn wir sie aus pastoralen und anderen Erwägungen verändern.
Darum ist es sehr lehrreich, wie die werdende Kirche ihre Sendung in die Welt hinein näher begreift. Dies gilt ganz besonders für die Aufgaben. Es kommt bei der Apostelgeschichte sehr darauf an, dass die jungen Christen fest in einer Gemeinschaft beisammenbleiben. Sie werden zusammengehalten durch die Treue zu den grundlegenden Aufgaben. Dies sind:
Lehre der Apostel
Dies ist das Fundament, auf dem wir auch heute stehen. Dabei sind gewiss zuerst die Überlieferung der Worte und Taten Jesu und ihre Auslegung gemeint, gleichsam das lebendige Evangelium im Wachsen hin zur „Schrift“. Dabei geht es immer auch um die Deutung und Anwendung des Evangeliums im Leben. Das vergleichbare Judentum dieser Zeit kannte keine so schroffe Abgrenzung zwischen einer schulmäßigen Lehre und der katechetischen Unterweisung, wie wir dies eher kennen. Gewiss galten auch Jesus Worte in ethischen Fragen als entscheidende Autorität (vgl. z.B. 1 Kor 7,10.25). Für Lukas gehört diese beständige Treue in der Lehre der Apostel ganz wesentlich zur Kontinuität von Evangelium und Kirche: „So kannst du dich von der Zuverlässigkeit der Lehre überzeugen, in der du unterwiesen wurdest.“ (Lk 1,4; Apg 1)
Gemeinschaft
In der „Gemeinschaft“ bleiben, hat wohl einen doppelten Aspekt. Damit ist zuerst gemeint, dass Jesu Jünger untereinander einen guten Zusammenhalt haben und in festen, verbindlichen Formen zusammenleben. Im Übrigen verwendet Lukas nur hier das später, aber auch schon bei Paulus so wichtige Grundwort „koinonia“, „communio“. Gerade darum aber ist mit „Gemeinschaft“ auch gemeint, dass sich die gemeinsame Zugehörigkeit zu Jesus im diakonischen Eintreten füreinander, also in Diakonia und Caritas erweist. Lukas führt dies später (2,44 f.) aus. In der Gemeinde Jesu Christi soll es keine Arme ohne Hilfe geben. Die Werke der Liebe müssen unter Jesu Jüngern Anwendung finden. Es ist dabei z.B. auch aufschlussreich, dass Paulus später die Geldsammlung seiner Gemeinde für Jerusalem eine Aktion der „koinonia“ nennt (2 Kor 8,4; vgl. 9,13; Röm 12,3; 15,26; Gal 6,6). Das diakonische Handeln in den eigenen Reihen ist und bleibt eine zentrale Aufgabe der Nachfolge Jesu.
Brotbrechen
Damit sind wohl zuerst einmal die täglichen Mahlzeiten in den Häusern gemeint. Dort wurden auch mittellose Gemeindemitglieder eingeladen. Aber das „Brotbrechen“ wurde auch schon früh zur Bezeichnung des Herrenmahls verwendet (vgl. 1 Kor 10,16; 11,25; Lk 22,20). Mögen auch die Gemeinschaftsmahle Jesu in der vorösterlichen Zeit mit im Hintergrund gewesen sein, so ist doch zweifellos das letzte Mahl Jesu der ausdrückliche Anstoß, die Gemeinschaft mit Jesus auf diese Weise fortzusetzen. Wir dürfen mit guten Gründen annehmen, dass das Herrenmahl wohl nicht täglich, aber ganz sicher an den Herrentagen, den Sonntagen, stattgefunden hat (vgl. Apg 20,7).
Gebete
Wenn unser Text mit dem Verharren in den „Gebeten“ abschließt, so darf man dabei gewiss zuerst an die vom Judentum her bekannten drei Gebetszeiten denken. Dazu gehören auch die Psalmen, wie wir sie beim Stundengebet der Kirche verwenden. Schließlich nahmen die ersten Christen noch an den Tempelgottesdiensten (vgl. 2,46) teil und hielten die jüdischen Gebetszeiten ein (vgl. 3,1; 5,42). Aber sie hatten auch ihre eigenen Gebete und formten sie immer mehr aus (vgl. Lk 1,46-53.68-79; 2,13; 11,2-4; Apg 4,24-31). Dabei hat das Vaterunser (vgl. Mt 6,9-13) gewiss eine zentrale Rolle. Es ist vor allem auch die Geisterfahrung, die schon bald eine neue Ausdruckswelt des Betens erschloss (vgl. Röm 8,15; Gal 4,6).
Diese vier von Lukas angegebenen Elemente Lehre der Apostel, Gemeinschaft, Feier der Eucharistie und Gebete sind auch für uns heute noch die Grundelemente des christlichen Gemeindelebens. Wir haben viel zu wenig bemerkt, dass unsere in den letzten Jahrzehnten fast schon klassisch gewordene Umschreibung der Grundfunktion der Gemeinde: Verkündigung und Glaubensunterweisung, Gottesdienst und Sakramente, Nächstenliebe und Caritas genau dieser Aufzählung in der Apostelgeschichte entspricht. So sind diese Säulen wirklich auch Grundelemente des heutigen Gemeindelebens. Im Kern geht es um den Gottesdienst aus dem Glauben und um die Verantwortung gegenüber den Menschen und vor der Welt.
So sind wir mit der Lesung des heutigen Tages ohne künstliche Suche und ohne Verkrampfung zu einem zentralen Thema unserer Frühjahrs-Vollversammlung gekommen. Darauf kommt es an, nicht nur heute. Dann wissen wir auch, woran alle Strukturen gemessen werden müssen. Schließlich heißt die Überschrift zu unserem gemeinsamen Studientag: „Mehr als Strukturen ...“ Amen.
(c) Karl Kardinal Lehmann
Es gilt das gesprochene Wort
von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz
Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz