Liebe junge Mitbrüder, die Sie geweiht werden,
meine lieben Schwestern und Brüder im Herrn!
Der Dienst im Evangelium Jesu Christi ist reich, und darum hat er auch nicht nur viele Aufgaben, sondern in sich selbst auch viele Facetten und viele Dimensionen. In diesem Jahr, in dem wir das Jubiläum 1250 Jahre nach dem Tod des heiligen Bonifatius feiern und am Ende dieses Gottesdienstes eine neue Statue hier im Dom weihen, kann uns eine wichtige Dimension nicht entgehen: die missionarische Dimension des priesterlichen Dienstes. Wir haben es gerade gehört, dass es schon grundlegend von Jesus her um diese Dimension geht. Was euch ins Ohr gesagt wird, das kündet von den Dächern.
Es ist ein besonderes Kennzeichen des christlichen Glaubens von Anfang an, dass er um diese Öffentlichkeit weiß. Ja, dass es nicht nur um die Öffentlichkeit des Wortes geht, sondern dass auch diese Öffentlichkeit eine gewisse Helle, ja, auch eine gewisse Rationalität in diesem Glauben bringt. Geheimlehren sind verdächtig. Man muss darüber sprechen können, man muss es anderen mitteilen können. Diese Botschaft ist auch nicht nur an eine Sprache gebunden, sondern man kann sie übersetzen. Man kann sie in neue Kulturräume, Sprachen hineinsagen.
Meine lieben Schwestern und Brüder, das ist für uns bis heute ein entscheidender Auftrag Jesu Christi. Geht hinaus in alle Welt, nach Jerusalem, nach Samarien und bis an die Grenzen der Erde. In wie viele Sprachen - wie kein anderes Buch der Welt - ist die Bibel übersetzt und hat Heimat und Verwurzelung gestiftet? Darum hat der priesterliche Dienst auch von seinem Ursprung her diese Weite zu eigen. Diese Weite, die zunächst einmal darin besteht, dass wir wirklich verbunden sind mit Jesus Christus selbst. Da liegt das Fundament allen Dienstes. Indem er sein Leben hingab für alle – das Wort geht uns manchmal zu schnell und zu leicht von den Lippen: für alle – sind wir eben selbst auch gesandt und dazu da, allen diese Botschaft zu bringen in Wort und Tat.
Mit allen sind bestimmt alle Völker der Erde gemeint bis an die Grenzen der Erde. Und immer und immer wieder entdeckt man kleine unbekannte Stämme in den großen Weiten der Welt, die noch nichts von dieser Botschaft gehört haben. Darum muss die Kirche unablässig um diese Weltmission bemüht bleiben. Wir dürfen sie nicht hinter anderen wichtigen Aufgaben zurücktreten lassen. Freilich, echte Mission war immer schon auch die Sorge um den ganzen Menschen, um das Wohl und das Heil. Und darum ist immer auch mit dem Evangelium die Bildung und die Vorsorge für die Gesundheit mitgebracht worden: Schulen und Ärzte. Diese Aufgabe, für alle da zu sein, ist aber auch nicht immer leicht in unserem eigenen Bereich, in dem wir glauben, alle zu kennen. Aber wir wissen aus der Geschichte und aus der Gegenwart wie schnell es geschehen kann, dass man bestimmte Leute ausgrenzt. Mal bewusst, mal unbewusst, dass man sie einfach nicht beachtet, sie nicht mehr sieht. Bei uns leben z.B. über eine halbe Million Menschen, so genannte Illegale, die eigentlich bei uns gar nicht da sein dürften, die offiziell auch nicht da sind, und die doch hier oft jahrzehntelang leben. Viele Anstrengungen braucht es, um in einer differenzierten Gesellschaft immer wieder die Gruppe neu zu entdecken, die unserer Aufmerksamkeit entglitten sind.
Das macht - glaube ich - eine große Dynamik und eine große Leidenschaft gerade auch des priesterlichen Dienstes ebenso wie des Diakons aus, dass wir immer wieder Ausschau halten nach den vielen und gerade nach denen, die wir weniger beachten: die Armen, die Kranken, die Alten, die Leidenden, die Kinder. Alle, die in irgendeiner Weise nicht mehr so im Zentrum unserer Gesellschaft stehen, die oft einfach nach Tätigkeit und Leistung, Prestige und öffentlicher Bekanntheit schauen. So brauchen wir für unseren Dienst immer wieder eine Verwurzelung in diesen Grund. Nur weil er gekommen ist für alle, weil seine ganze Lebensrichtung darauf hingeht, sein Leben hinzugeben für alle, darum ist dieser Dienst auch von Anfang an unermesslich weit und darf keinen ausschließen.
Meine lieben Schwestern und Brüder, das heißt auch, dass sich dieses kleine Wort alle bewähren muss an der Sorge um einen einzigen. Jesus sagt, dass er die 99 Gerechten stehen lässt um dem einen zu helfen, der ihn braucht. Das ist ein Erweis für diese Wahrheit. Dann muss man auch den Mut haben, immer wieder um einzelne Menschen, oft in der Verborgenheit und der Intimität der Diskretion zu kämpfen. Da muss man den Mut haben, ihn nicht einfach aufzugeben, auch wenn alle anderen ihn aufgegeben haben, sonst wären wir Verräter am eigenen Glauben.
Diese Dimension, meine lieben Schwestern und Brüder, ist heute noch wichtiger als sonst. Es ist nicht leicht, in der Öffentlichkeit unseres Lebens immer wieder Verständnis zu gewinnen für das Evangelium, für die Botschaft des Christentums. Viele sind in Distanz gegangen, viele meinen, sie kennen das ja alles, manche haben noch nie davon etwas gehört. Viele Andersgläubige leben mit uns, und darum ist diese Dimension christlichen Lebens und Wirkens ganz entscheidend. Dass wir wirklich dieses Zeugnis geben bis an die Grenzen der Erde, aber auch in den verborgenen Winkeln unserer eigenen Welt. Ich glaube, man kann nicht Priester sein und Priester werden heute und für morgen, wenn man nicht im Grund des Herzen diese Leidenschaft, das Evangelium Jesu Christi unermüdlich allen mitzuteilen, mitbringt. Da dürfen wir uns nicht zuerst bange machen lassen, ob denn das alles überhaupt gelingt, ob das alles wirklich Frucht bringt, ob wir Erfolg haben. Das ist nicht unmittelbar eine Sorge des Evangeliums und der Bibel.
Natürlich möchten wir, dass das, was wir tun, gelingt. Natürlich möchten wir uns freuen an der Fruchtbarkeit unseres Tuns, das gehört zum Menschen. Aber es ist nicht so, dass, wenn dieser ausbleibt, wir versagt haben. Es ist auch kein Grund, um einfach wieder in sich selbst zurückzukehren. Es ist wirklich wie bei einem Sämann und auch beim Lehrer: Wir säen und ein anderer erntet. Vieles wird gesagt in der Schule, in der Schule des Lebens und in der wirklichen Schule, und niemand weiß, ob es wirklich im Leben einmal ankommt. Und doch machen wir immer wieder die Erfahrung, dass ein solcher Samen auch nach langer Zeit noch aufgehen kann und dürfen deshalb niemals die Flinte ins Korn werfen, weil im Stil unseres heutigen Lebens oft nur nach Effizienz, die man sofort einlösen kann, gerechnet wird.
Wir sollten gelassen bleiben, bei all der Dringlichkeit unserer Sendung. Darum ist es ganz wichtig, beides immer wieder zu sehen: Dass wir wirklich zu allen gesandt sind, dass wir aber nicht allein verantwortlich sind, in unserem Bereich, in unserer Lebenszeit, feststellen zu können, ob es sich gelohnt hat oder nicht. Da ist das Sendungswort Jesu entscheidend, das wir gerade gehört haben, und das vom Alten Testament her das Neue Testament durchzieht: Du aber geh. Alle unsere Ausreden, alle unsere guten Begründungen, ein anderer könne es besser, man sei noch zu jung und so weiter, wird zunächst einmal beiseite geschoben. Du aber geh, du lauf, und du verkünde das Evangelium! Wir können und dürfen eigentlich auf diesen Ruf nicht anders antworten als das, was wir in der Lesung gehört haben: Hier bin ich.
Meine lieben Schwestern und Brüder, wenn wir mit dieser Haltung, mit dieser Einstellung in unseren Beruf hineingehen, und das gilt entsprechend auch von jedem Christsein, dann brauchen wir uns nicht zu quälen, dann brauchen wir uns nicht zu zermartern, ob wir denn genügend Erfolg haben, neurotisch werden wegen Zahlen, die uns präsentiert werden, sondern dann wissen wir: Wir haben unseren Dienst getan und tun ihn weiter, und Gott wird schauen, welchen Ertrag wir daraus haben werden.
Im Evangelium machen wir immer wieder die Beobachtung, nicht zuletzt im Markusevangelium, dass zwei Dinge ganz eng zusammengehören, die wir eher trennen. Auf der einen Seite: Die Jünger sind bei Jesus. Bei Jesus sein, das ist ganz entscheidend, das ist die erste Schule, in die wir immer wieder gehen müssen. Wie die Jünger damals in der unmittelbaren Nachfolge waren, so sind wir heute in anderer Weise durch den Geist auf seinen Spuren in unserem Gebet, in der Betrachtung, in der Besinnung, nicht zuletzt durch das Wort Gottes sind wir bei ihm. Wir sind nicht einfach die Benachteiligten, weil wir 2000 Jahre später leben. Schon das Evangelium in den Auferstehungsgeschichten zeigt uns: Wir haben durch das Wort Gottes und vor allem auch durch die Eucharistie unmittelbaren Zugang zu ihm. Nicht schlechter als die anderen früher, die mit ihm zusammen waren, auch wenn sie in anderer Weise Zeugen sind. Darum kommt es darauf an, dass wir immer wieder auch bei ihm sind.
Wenn wir später unsere neue Bonifatiusstatue einweihen, dann sehen wir: Bonifatius steht da ganz als Mönch. Als Mönch, der eine beinahe meditative Ruhe ausstrahlt, ja auch und gerade der Missionar. Auch und gerade im missionarischen Dienst müssen wir ganz nah bei ihm bleiben, sonst können wir nicht weit hinausgreifen, sonst verlieren wir uns selbst. Darum ist das Erste und Entscheidende, bei ihm zu sein und bei ihm zu bleiben.
Aber dann, meine lieben Schwestern und Brüder, kommt der zweite Pol; dann kommt die Sendung, das Hinausgehen, gleichzeitig, gleichwertig. Das Hinausgehen baut auf auf dieses „Bei-ihm-Sein“. Wenn wir bei ihm sind, ist auch kein Weg zu gefährlich und keine Stunde zu spät, dann können wir wirklich uns selbst verlassen; dann können wir wirklich hinausgehen mit ihm und seinem Wort. Bei ihm sein und Sendung, Intimität mit Jesus und Aufnehmen der Sendung, das gehört ganz eng zusammen, und da werden wir immer auch hin und her pendeln. Das werden wir immer wieder durchmessen, manchmal auch durchleiden müssen, aber wir dürfen beides nicht aus dem Auge verlieren.
Dies, meine lieben jungen Mitbrüder, wird euch heute durch Gottes Geist verheißen und geschenkt: Dass wir es immer wieder vermögen, bei ihm zu sein und hinauszugehen.
Amen.
(c) Karl Kardinal Lehmann
Es gilt das gesprochene Wort
von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz
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