In den letzten Jahrzehnten haben verschiedene Parteien immer wieder das Ziel der Privatisierung vor allem von Produktionsmitteln und staatlichen Einrichtungen auf ihre Fahne geschrieben. In vieler Hinsicht gab es dafür gute Gründe. Der Staat hatte sich mit vielen Einrichtungen übernommen. Manchmal hat darunter auch der Wettbewerb gelitten, das Leistungsangebot war weniger wirksam. Gelegentlich haben die Verbraucher sogar ein geringeres Angebot zu höheren Preisen als unter Wettbewerbsbedingungen geliefert bekommen.
Beispiele für Privatisierungen sind die Telekommunikation, die Energie- und Wasserversorgung, Gaswerke, zum Teil auch die Verkehrsmittel. Wie steht es aber z. B. um die Bewachung von Gefängnissen und Sicherheitseinrichtungen? Man hat sich immer wieder gefragt, ob die eine oder andere Privatisierung geglückt ist.
Gegenüber der Aufblähung der Staatsausgaben wollte man bewusst eine Abspeckung in Richtung eines schlankeren Staates. Der Staat sollte zum unverzichtbaren Kern seiner Aufgaben zurückkehren. Man sah die hoheitliche Kernaufgabe des Staates darin, Freiheit für den Bürger zu sichern, indem der Staat Recht schafft und die Herrschaft des Rechtes durchsetzt. Man war auch überzeugt, der Staat könne seine verbleibenden Kernaufgaben für die Bürger besser wahrnehmen, wenn er einige, freilich geeignete Gestaltungsspielräume und Verantwortungsfelder an Einzelne und an freiwillige Gemeinschaften zurückgibt. Dadurch würde der Staat freier und handlungsfähiger.
Man wird nicht bestreiten, dass einige Ziele auf diesem Weg erreicht worden sind. Aber es lässt sich fragen, ob man nicht da und dort über das Ziel hinausgeschossen ist. Ich will es an zwei Aufgabenfeldern etwas erhellen.
Vor Jahren wurde die Deutsche Flugsicherung privatisiert. Man konnte sich wirklich fragen, ob man damit nicht auf eine hoheitliche Funktion des Staates verzichtet hat, ohne die Auswirkungen genügend im Blick zu haben. Wenn heute z. B. über die Verringerung des Fluglärms diskutiert wird, zeigt sich immer mehr, dass eine Institution dieser Art sich schwerer tut, das Gemeinwohl aller im Blick zu behalten. Dann würden vielleicht günstigere Anflug- und Abflugrouten rascher verwirklicht. Aber aus der Sicht privater Unternehmer kann dies auch Nachteile haben, wie z. B. weniger Anflüge und Abflüge innerhalb einer Stunde, ein Mehrbedarf an Fluglotsen usw. Man kann also Zweifel haben, ob die Privatisierung in diesem hochsensiblen Bereich - denkt man auch noch an militärische Verwicklungen - wirklich angemessen ist.
Ein anderes Beispiel ist die Privatisierung im sozialen Bereich. Ich will nicht in Abrede stellen, dass dies durchaus in einzelnen Teilbereichen gelingen kann. Auch in diesen Feldern soll man den Wettbewerb nicht einfach schlechthin fernhalten. Aber im Lauf der Jahre konnte man durchaus beobachten, dass bei manchen Trägern sozialer Einrichtungen das umfassende Wohl z. B. von älteren oder kranken Menschen gegenüber einem erwarteten und kalkulierten Gewinn zurücktrat. Der Wettbewerb ging hier manchmal zu Lasten der Betroffenen. Dies ist wohl auch mit ein Grund, warum heute nicht selten Klagen erhoben werden wegen einer fragwürdigen Betreuung und Begleitung hilfsbedürftiger Bürger. Erfahrene und bewährte Einrichtungen, die mehr bieten, kommen dann leicht in eine Schieflage, wenngleich sie sich - Gott sei Dank - nach einiger Zeit angesichts einer Verschlechterung der Pflege von privaten Anbietern oft wieder durchsetzen können.
Vielleicht musste man bei dieser Privatisierung solche und andere Erfahrungen sammeln, manchmal war man auch gewiss zu blauäugig. Man muss sich z. B. wirklich fragen, in welchem Maß und mit welchen Grenzen der Sozialbereich eine solche Privatisierung zulässt. Die genannten und andere Beispiele zeigen jedenfalls, dass die Zeit einer gewissen Blauäugigkeit zu Ende geht. Die Reform der Reform muss ja nicht eine Rückkehr zu alten Modellen bedeuten, sondern erlaubt auch nach manchen Erfahrungen neue Wege. Es wird Zeit, darüber intensiver nachzudenken.
(c) Karl Kardinal Lehmann, Bischof von Mainz
von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz
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