Gastkolumne in der Mainzer Kirchenzeitung "Glaube und Leben" vom 7. Juli 2013
Die Ökumene hat in den letzten Jahrzehnten beträchtliche Fortschritte gemacht. Viele Kontroversen, die bald 500 Jahre andauerten, konnten aufgehoben, entschärft oder wenigstens besser verständlich gemacht werden. Es ist auch für Fachleute nicht so leicht zu überblicken, was alles verhandelt und zwischen den Partnern auch vereinbart worden ist. Die vier Bände „Dokumente wachsender Übereinstimmung" (1931-2010) umfassen 5000 Seiten; dabei enthalten sie nur die interkonfessionellen Gespräche auf Weltebene. Vieles ist auf theologischer Ebene erarbeitet, aber von den Kirchenleitungen noch nicht aufgegriffen worden.
Ich habe durchaus Verständnis, wenn Laien, besonders in konfessionsverbindenden Ehen, trotz dieser Fortschritte unzufrieden sind, weil noch keine weitere Einigung erreicht worden ist, die eine gemeinsame Feier des Herrenmahls und eine volle wechselseitige Zulassung zum Kommunionempfang erlaubt. Ich kann nur versichern, dass wir an allen Hindernissen arbeiten, die besonders im Verständnis von Kirche und ihren Ämtern zentriert sind. Hier liegen die Schwierigkeiten auf der Hand und sind besonders differenziert. Wir müssen - und ich bin überzeugt: wir können - auch hier zu Lösungen kommen wie in vielen anderen Fragen.
Dieser ökumenische Weg ist keine überall schon vorgespurte breite Straße. Oft gibt es Verzögerungen und Staus wie im gewöhnlichen Verkehr. Es gibt bei diesen Erkundigungen in einem zunächst unwegsamen Gelände auch Umwege, Holzwege und Sackgassen. Besonders bei schwierigen Fragen gibt es nicht so leicht einen einlinigen, unaufhaltsamen Fortschritt. Im ökumenischen Gespräch braucht man Geduld und Mut zugleich.
Man darf aber nicht nur auf die Fragen der Glaubenslehre im engeren Sinne schauen. Es gibt auch die Ebene der Begegnungen, der gemeinsamen Gottesdienste, der gemeinsamen oder wenigstens abgesprochenen Nächstenliebe in Caritas und Diakonie usw. In Deutschland hatten wir in den letzten 30 Jahren außerdem viele Gespräche und Verlautbarungen über ethische Grundfragen und die Folgerungen für das gesellschaftliche und politische Handeln. Die gemeinsamen Äußerungen reichen von der Ethik der Transplantation über Migration und Medienethik bis zur fälligen Erneuerung der politischen Tugenden. Dabei spielt wie auch in der Gesellschaft und in den Wissenschaften die Frage nach der ethischen Beurteilung vieler Vorgänge im Bereich der Bioethik seit vielen Jahren eine wichtige Rolle. In der Schrift „Gott ist ein Freund des Leben" sind viele Elemente eines Konsenses oder wenigstens eines Teilkonsenses gesammelt. In der seit Jahrzehnten gemeinsam begangenen „Woche für das Leben" haben wir die Entwicklung auf diesem Feld und in anderen Bereichen intensiv verfolgt und auch in mehreren Auflagen eine gemeinsame Textsammlung z.B. zu Fragen nach dem Anfang und dem Ende des Lebens herausgegeben.
Nach der Jahrtausendwende kam es in diesen ökumenischen Bemühungen trotz der wichtigen Vereinbarung über die Gemeinsamkeit in den Grundlagen der Rechtfertigungsbotschaft vom 31. Oktober 1999 in Augsburg zu einer Reihe von Störungen. Sie sind mit den Stichworten „Dominus Jesus" und „Ökumene der Profile" kurz gekennzeichnet. Danach gibt es dann leider eben zunehmend eine wachsende Distanz vor allem im Bereich der Bioethik, wo es doch schon so viele Gemeinsamkeiten und Annäherungen gab. Ich erinnere an den Dissens in der Frage der Embryonen- bzw. Stammzellforschung, aber auch der Sterbehilfe. Manches wäre noch hinzuzufügen.
In letzter Zeit kam nun ein weiterer Konfliktherd hinzu, nämlich in der Frage der Stellung zu verschiedenen Formen von Familie, zum Verhältnis von Ehe und Familie überhaupt, nicht zuletzt zu gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften und ihren Konsequenzen vor allem im Blick auf Kinder. Dieser Dissens hat nun in einigen Landessynoden, wie auch der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, und besonders auch in der soeben erschienenen Orientierungshilfe des Rates der EKD „Zwischen Autonomie und Angewiesenheit. Familie als verlässliche Gemeinschaft stärken" einen unübersehbaren Ausdruck erhalten. Die Schrift ist in der Öffentlichkeit, auch in der EKD selbst, mit sehr entgegengesetzten Einschätzungen aufgenommen worden.
Hier wollte ich bloß darauf hinweisen, dass ich auf diesem Weg der letzten Jahre eine hohe Gefahr für ein tieferes Miteinander sehe. Ich kann hier nicht im Einzelnen die Sachfragen erörtern. Aber die Gefahren sind überdeutlich. Um im Klartext zu reden: Wenn wir an diesen und anderen Punkten ethischer Grundlagenfragen einen Dissens feststellen, dürfen wir daran nicht vorbeigehen. Wir müssen ihn aufzuarbeiten versuchen. Schrille und rechthaberische Töne helfen dabei von keiner Seite weiter. Wir können einander im gemeinsamen Dialog, auch wenn er streckenweise zum Streit wird, helfen und vielleicht einen tieferen gemeinsamen Konsens finden, der auch für das gesellschaftliche Leben fruchtbar wird. Aber wir sollten nicht die Spirale des wachsenden Dissenses sich weiter bewegen lassen. Ein intensives gemeinsames Gespräch tut not.
(c) Karl Kardinal Lehmann, Bischof von Mainz
von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz
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