Fast ein Jahr ist es nun her, seit der "Versöhnungsfonds der Katholischen Kirche in Deutschland" am 20. November 2000 seine Arbeit aufnahm. Im August 2000 war die Einrichtung dieses Fonds offiziell von der Deutschen Bischofskonferenz beschlossen und Renovabis, der Solidaritätsaktion der deutschen Katholiken mit den Menschen in Mittel- und Osteuropa, übertragen worden. Nach einer außerordentlich kurzen Vorlaufphase konnten die ersten konkreten Projekte aus dem Fonds bereits im Januar dieses Jahres bewilligt werden.
Nach einem Jahr Versöhnungsfonds wollen wir heute eine Zwischenbilanz ziehen und Ihnen berichten, wie der Fonds bisher gearbeitet hat und welche Perspektiven für die weitere Projektförderung wir sehen.
Erlauben Sie aber, dass ich zunächst noch einmal kurz zurückblende und etwas zur Vorgeschichte und Entstehung des Versöhnungsfonds sage. Von seiner Genese her, aber auch hinsichtlich seiner inhaltlichen Orientierung hat der Fonds seinen Ausgangs- und auch seinen inneren Bezugspunkt in der Gewaltherrschaft und im Vernichtungskrieg der Nationalsozialisten. Er fügt sich damit ein in das vielfältige Engagement für Versöhnung der Katholischen Kirche in Deutschland in der Nachkriegszeit. Die Kirche hat sich in den vergangenen Jahrzehnten durchaus als eine Art "Avantgarde der Versöhnung" verstanden, die nicht nur ihrer eigenen Opfer gedachte, sondern immer bemüht war, die moralische Last des deutschen Volkes mitzutragen und abtragen zu helfen.
Wie Sie sich vielleicht erinnern, stand die Einrichtung des "Versöhnungsfonds der Katholischen Kirche in Deutschland" im Kontext der Diskussionen um die Entschädigung für ehemalige Zwangsarbeiter in der Zeit des Nationalsozialismus, einer Debatte, die im Sommer 2000 aufkam und sehr intensiv geführt wurde. Wir zogen daraus die Konsequenz – neben entsprechenden Bemühungen der Bundesregierung und der deutschen Wirtschaft –, als Kirche eine eigene Initiative zu ergreifen, um ausländische Arbeitskräfte, die während der NS-Zeit zwangsweise in kirchlichen Einrichtungen eingesetzt wurden, zu entschädigen. Auch wenn es sich hierbei – im Vergleich zur Industrie – um eine verhältnismäßig kleine Zahl handelte, wurde und wird seitdem von den Bistümern, aber auch von Ordensgemeinschaften sehr genau untersucht und gesichtet, wo solche der Kirche zugewiesenen oder ihr zugeordneten Arbeitskräfte zum Einsatz kamen.
Unsere Initiative führte umgehend zur Errichtung eines eigenen kirchlichen Entschädigungsfonds, aus dem inzwischen Entschädigungsleistungen in Höhe von fast 900.000 Mark gezahlt wurden. Wir wollten es mit diesen direkten Entschädigungen für Zwangsarbeiter in katholischen Einrichtungen allerdings nicht bewenden lassen, und haben daher – zur gleichen Zeit – den Versöhnungsfonds geschaffen. Beide Fonds wurden übrigens mit derselben Summe von jeweils 5 Millionen Mark ausgestattet und stehen in engem inhaltlichem Zusammenhang miteinander.
Lassen Sie es mich so sagen: Der Versöhnungsfonds soll – in Zuordnung und Abgrenzung zum Entschädigungsfonds – deutlich machen, dass von uns, sprich: von der Kirche, mehr gefordert ist als verhältnismäßig kleine Geldleistungen, die ja ohnehin ein eher symbolischer Akt sind. So wichtig diese konkreten Entschädigungen – als zeichenhafter Ausdruck von Recht und Gerechtigkeit – sind, so sehen wir sie doch in einem viel weiter gesteckten Horizont, nämlich als Bausteine eines umfassenderen Bemühens um Versöhnung. Hat Entschädigung eher retrospektiven Charakter, so erweist sich Versöhnung als prospektive und natürlich auch immerwährende Aufgabe.
In unserer Bereitschaft zur Entschädigung machen wir jedoch bereits wesentliche Aspekte von Versöhnung sichtbar. "Versöhnung" hat ja nicht nur vom Ursprung des Wortes, sondern auch von der Sache her mit "Sühne" zu tun. Versöhnung bedeutet schließlich, dass Gemeinschaft und Miteinanderleben durch bewusste Annahme einer leid- und schuldbestimmten Geschichte neu bzw. wieder errungen und dabei die Perspektiven der Opfer in den Mittelpunkt gestellt werden. Dazu muss die Erfahrung von erlittener ungerechter Gewalt, von Demütigung und Erniedrigung immer wieder in Erinnerung gerufen werden.
Solche Erinnerung wird dann zum Anfang und zur Grundlage echter Versöhnung, wenn sie sich dem Leiden und dem Unrecht, vor allem aber dem Leiden der Anderen, dem Unrecht, das ihnen angetan wurde, stellt und die Schuld nicht ausblendet. Die Erinnerung, der sich kirchliche Versöhnungsarbeit verpflichtet weiß, ist also eine qualifizierte Form des Erinnerns, ein Erinnern, das den Zusammenhang zwischen Freiheit, Moralität und Geschichte sieht und das gerade deshalb von der Hoffnung begleitet ist, dass Schuld und Leiden, Verbrechen und Verwüstung – die gerade jüngst erst wieder so massiv in unsere Zeit eingebrochen sind – nicht das letzte Wort der Geschichte sein müssen.
Vor dem Hintergrund des bisher Gesagten hat der Versöhnungsfonds folgende konkreten Zielsetzungen. Er versucht
Wie wurden nun diese Zielsetzungen umgesetzt? Insgesamt wurden aus dem Versöhnungsfonds bisher 40 Projekte bewilligt mit einem Finanzvolumen von rund 1,9 Millionen Mark. Das heißt, dass von dem ursprünglichen Etat des Fonds bereits etwas mehr als ein Drittel in Projekte der Versöhnungsarbeit investiert wurden. Allerdings befinden sich darunter auch die drei größten Projekte – mit dem Maximilian-Kolbe-Werk, mit Pax Christi und Christen für Europa – mit jeweils dreijähriger Laufzeit.
Die Projekte des Versöhnungsfonds betreffen im Einzelnen überwiegend – wie Sie auch den Ihnen vorliegenden Unterlagen entnehmen können – Bildungsmaßnahmen, Begegnungs- und Austauschprogramme sowie finanzielle Fördermaßnahmen für Veranstaltungen, Publikationen und Dokumentationen.
Die deutliche Schwerpunktsetzung im Bereich der Begegnungsmaßnahmen hat natürlich etwas mit der – wenn ich so sagen darf – "Philosophie" des Versöhnungsfonds zu tun. Wie schon ausgeführt, ist die Erinnerung an erlittenes Unrecht und Leid eine wichtige Grundlage von Versöhnung. Diese Erinnerung, die für uns ja vor allem Erinnerung an das Leiden Anderer ist, bedarf der Begegnung. Erinnerung und Begegnung sind eng miteinander verschwistert. Denn in einem Prozess der Versöhnung geht es ja nicht allein darum, dass jede Seite die Wahrhaftigkeit der eigenen Erinnerung nicht scheut. Sondern es ist unabdingbar, die Erinnerungen der Anderen zu Wort kommen zu lassen und sich mit deren Erinnerungen zu konfrontieren.
Folgerichtig bestand daher nicht nur insgesamt die kirchliche Versöhnungsarbeit der vergangenen Jahrzehnte zu wesentlichen Teilen aus Begegnungen, sondern die Ermöglichung von Begegnungen ist natürlich auch ein zentrales Anliegen des Versöhnungsfonds geworden. Dabei sind – wie Sie wiederum der Projektstatistik entnehmen können – junge Menschen unsere Hauptzielgruppe. Mehr als 50 Prozent der Bildungs- und Begegnungsmaßnahmen wurden mit Jugendlichen, Schülern und Kindern durchgeführt. Das Spektrum der Begegnungsarbeit des Versöhnungsfonds reicht von eher informellem Austausch zwischen hiesigen und ausländischen Gruppen, über langfristig und systematisch angelegten Dialog – zum Beispiel zum Verhältnis von Juden und Christen – bis hin zur sozialen Betreuung etwa von ehemaligen KZ-Opfern.
Besondere Bedeutung kommt bei all dem der Begegnung mit Opfern des Nationalsozialismus und mit Menschen aus den von Deutschland angegriffenen Ländern zu. Diese Aufgabe ist aktuell um so wichtiger, als die meisten Zeitzeugen der Nazi-Zeit bereits gestorben sind und in der näheren Zukunft letztmals die Chance besteht, jungen Menschen, denen der NS-Terror und der Zweite Weltkrieg manchmal so weit entrückt scheinen wie der Dreißigjährige Krieg, eine konkrete menschliche Brücke zu dieser Zeit zu bauen.
Im Juli dieses Jahres hat daher der Vergabeausschuss des Versöhnungsfonds dem Maximilian-Kolbe-Werk fast 600.000 Mark für ein dreijähriges Begegnungsprogramm mit Zeitzeugen der Nazi-Verfolgung zugesagt. Das Maximilian-Kolbe-Werk widmet sich ja – neben anderen wichtigen kirchlichen Organisationen wie z. B. Pax Christi – seit langen Jahren der Sorge um die Opfer des Nationalsozialismus. Ihm geht es bei seinem Projekt um Begegnung in mehrfachem Sinne. Neben dem Austausch zwischen Opfer- und Tätergeneration steht die Weitergabe der Erfahrungen und Erlebnisse an die Folgegeneration im Mittelpunkt. So kommen zu den Zeitzeugenbegegnungen nicht nur Überlebende etwa des Konzentrationslagers Auschwitz, sondern auch deren Enkelkinder nach Deutschland und berichten von ihren Erfahrungen.
Eines dieser Zeitzeugenprojekte des Maximilian-Kolbe-Werks fand übrigens im September in der Diözese Mainz statt, mit großem Erfolg wie den Erfahrungsberichten Beteiligter zu entnehmen war. Die Zeitzeugengespräche mit 12 Überlebenden des KZs Auschwitz wurden an insgesamt neun Schulen mit schätzungsweise 800 Schülerinnen und Schülern durchgeführt und hatte eine außerordentlich gute Resonanz sowohl bei den jungen Leuten wie auch bei den Gästen aus Polen. "Die ‚Landkarte des Terrors‘ bekommt ein Gesicht, Geschichtsbücher beginnen zu sprechen – Polnische Nazi-Opfer und deutsche Nachgeborene begegnen sich in Schulen in Mainz und Umgebung" titelte eine Zeitung; in vielen ähnlichen Berichten wurde die große Offenheit der Gespräche betont.
Man darf – glaube ich, neben der persönlichen Dimension, die solche authentischen Begegnungen haben – den pädagogischen Effekt nicht unterschätzen. Denn Gewalt, Menschenverachtung, Hass und Unterdrückung gehören ja auch zu den Zeichen unserer Zeit. Und die schlimmen Erfahrungen aus der Geschichte vermögen vielleicht doch dafür zu sensibilisieren, dass der Einsatz für die Achtung von Menschenwürde, für Frieden und Aussöhnung auch auf unserer heutigen Agenda stets einen Platz verdient. Intoleranz, Fremdenfeindlichkeit, ja sogar Rassismus sind leider Phänomene, denen wir auch in unserer Gesellschaft noch begegnen.
Der Versöhnungsfonds der Katholischen Kirche in Deutschland will hier – wie es im Grundsatztext des Fonds heißt – "die Auseinandersetzung mit politischem Extremismus, Antisemitismus, Antiziganismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit sowie allen Formen von systematischen Menschenrechtsverletzungen und politischer Gewaltherrschaft unterstützen". Hier liegt sicher eine bleibende Aufgabe für die nähere und weitere Zukunft.
Der Versöhnungsfonds steht, wie ich zu Beginn schon sagte, im Gesamtzusammenhang kirchlicher Versöhnungsarbeit. Kirchliche Versöhnungsarbeit wurde und wird durch den Fonds nicht neu erfunden, kann aber wichtige zusätzliche Impulse und gezielte Unterstützung erhalten. Mit dem Versöhnungsfonds richten wir den Blick nach vorne, um alles daran zu setzen, dass Frieden und Versöhnung in Deutschland und Europa möglich werden bzw. bleiben. Aktuell erfahren wir ja gerade wieder, wie gefährdet der Friede zwischen Staaten, zwischen Völkern und zwischen Menschen ist. Der Versöhnungsfonds sollte aus der Erinnerung der Vergangenheit heraus dabei mithelfen, für die Zukunft eine friedlichere Welt zu gestalten.
Ich darf nun den stellvertretenden Geschäftsführer von Renovabis, Herrn Dr. Albert, der dem Vergabeausschuss des Versöhnungsfonds vorsitzt, bitten, noch einige nähere Ausführungen zu Einzelprojekten des Fonds sowie zur bisherigen und zukünftigen Projektpolitik zu machen.
von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz
Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz