Statement in der Pressekonferenz zur Vorstellung der Weihnachtsaktion von Adveniat

am 28.11.2007 um 10.30 Uhr in Mainz, Erbacher Hof

Datum:
Mittwoch, 28. November 2007

am 28.11.2007 um 10.30 Uhr in Mainz, Erbacher Hof

Am Sonntag findet hier in Mainz die bundesweite Eröffnung der „Aktion Adveniat 2007“ statt. Es ist mir eine große Freude, die Repräsentanten, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Adveniat sowie vor allem auch die lateinamerikanischen Gäste der Aktion begrüßen zu dürfen. Ganz besonders möchte ich an dieser Stelle den hier anwesenden Erzbischof von La Paz in Bolivien, Seine Exzellenz Edmundo Abastoflor, begrüßen. Er ist ein bewährter Freund in der Zusammenarbeit zwischen den Kirchen und Bischöfen Lateinamerikas und Deutschlands. Auch den Vorsitzenden der Bischöflichen Kommission ADVENIAT, Weihbischof Franz Grave, und den Geschäftsführer der Aktion, Prälat Bernd Klaschka, möchte ich an dieser Stelle herzlich willkommen heißen. Auch an dieser Stelle möchte ich Herrn Weihbischof Franz Grave nochmals herzlich zum 75. Geburtstag (25.11.1932) gratulieren, der am vergangenen Sonntag in Essen, wie ich hörte, glanzvoll und vor allem mit großer Dankbarkeit und Anerkennung gefeiert wurde. Ich darf dies auch von der Deutschen Bischofskonferenz her sagen. Nicht zuletzt für die Führung der Aktion Adveniat in den letzten 15 Jahren sage ich Ihnen einen ganz herzlichen Dank, wie ich ihn in meinem Brief vom 20.11.2007 schon zum Ausdruck brachte.

„Gerechtigkeit, jetzt und für alle Zeiten“ lautet das Motto der diesjährigen Weihnachtsaktion. Ausgehend von der aktuellen Gerechtigkeitsdebatte in Deutschland lenkt Adveniat den Blick nach Lateinamerika – einer Region, deren wechselvolle Geschichte ebenso wie ihre krassen sozialen Gegensätze die Frage nach mehr Gerechtigkeit besonders dringlich machen.

Gerade die katholische Kirche, der die Mehrzahl der Lateinamerikaner angehört, weiß sich hier herausgefordert. Die außerordentliche und heute noch respektgebietende Rezeption des Zweiten Vatikanischen Konzils in Lateinamerika, ganz besonders bei der Zweiten Generalversammlung des lateinamerikanischen Episkopats in Medellin in Kolumbien (1968) hat denn auch unter dem Stichwort der „Option für die Armen“ deutlich herausgearbeitet, dass die Botschaft vom Reich Gottes wegweisende Konsequenzen für die Kirche, gleichzeitig aber auch unabweisbare ökonomische und politische Implikationen hat. Die Abschlussbotschaft der nun abgehaltenen Fünften Generalversammlung der lateinamerikanischen Bischöfe im Mai 2007 in Aparecida (Brasilien) hat diese Konsequenzen und die damit einhergehende Selbstverpflichtung auf die Formel gebracht: „Wir hoffen, aus diesem Kontinent ein Modell der Versöhnung, der Gerechtigkeit und des Friedens zu machen.“

Dies ist ein schwerer Weg, zumal die aktuellen ökonomischen, politischen und sozialen Entwicklungen in Lateinamerika ein zumindest widersprüchliches Bild abgeben. Aus dem jüngst erschienenen Sozialbericht der UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik geht hervor, dass die absolute Zahl der Armen in Lateinamerika im vergangenen Jahr zurückgegangen ist. Diese Entwicklung führen die Experten der UNO in erster Linie auf die günstige Weltmarktkonjunktur zurück. Einer der Hauptgründe für den Aufschwung liegt in der weltweit erhöhten Nachfrage nach Rohstoffen und Agrarprodukten. Das damit verbundene Wachstum kommt allerdings bei weitem nicht allen Ländern und bei weitem auch nicht allen Regionen zugute. Eine rein auf Naturressourcen beruhende Wachstumsstrategie ist vor allem heute alles andere als nachhaltig. Die größten Wertschöpfungszuwächse werden dort erzielt, wo menschliches und technologisches Know-how in die Produktionsprozesse einfließt. Um im globalen Wettbewerb bestehen zu können, sind die lateinamerikanischen Volkswirtschaften deshalb auf ein funktionierendes Ausbildungssystem und auf die Fähigkeit zu technologischer Entwicklung angewiesen. Nachhaltigkeit gelingt nur dort, wo der Mensch in den Mittelpunkt der Entwicklung rückt.

Darüber hinaus setzt der Aufbau gerechte Strukturen eine funktionierende Demokratie und gute Regierungsführung (good governance) voraus. Die Kirche in Lateinamerika steht hier vor der Herausforderung, im politischen und gesellschaftlichen Diskurs ein auf diese Ziele hin ausgerichtetes politisches Selbstverständnis zu fördern. Es gehört zu ihren vorrangigen Aufgaben, die Grundwerte und Normen der katholischen Soziallehre gesellschaftlich zu verankern. Auch auf politischer Ebene braucht Lateinamerika Verantwortungsbewusstsein und einen Geist gegenseitiger Solidarität. Aufgrund ihres übernationalen Charakters ist die Kirche geradezu prädestiniert, zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen und Ländern Brücken der Verständigung zu schlagen. Besonders muss dies heute für die Integration der Indígenas und Afroamerikaner gelten, die auch mehr als 500 Jahre nach der europäischen Kolonialisierung noch immer zu den Benachteiligten und Marginalisierten gehören, wenn auch in dieser Hinsicht in den letzten Jahrzehnten vieles sich geändert hat und eine neue Aufmerksamkeit dafür besteht.

Für die Bewältigung dieser schwierigen Aufgaben gehört Adveniat zu den wichtigsten Partnern der Kirche in Lateinamerika. Wie kein anderes Hilfswerk hat sich die Bischöfliche Aktion Adveniat um die Unterstützung der Menschen in diesem Teil der Erde verdient gemacht. Dabei hat man sich stets an der Mahnung des Zweiten Vatikanischen Konzils orientiert, dass es Sache aller Christen und jedes Bischofs ist, die Nöte unserer Zeit nach Kräften zu lindern, und zwar nach alter Tradition der Kirche nicht nur aus dem Überfluss, sondern auch von der Substanz (vgl. dazu LG 8; GS 69, 84; CD 13, 30; AG 12; AA 8).

Gemeinsam mit den kirchlichen Partnern vor Ort engagiert sich Adveniat für Gerechtigkeit und Chancengleichheit in Lateinamerika. In besonderem Maße setzt sich das Hilfswerk für die Rechte der benachteiligten Bevölkerungsgruppen ein. Die Tatsache, dass die indianische Bevölkerung der Andenregion im Blickpunkt der diesjährigen Weihnachtsaktion steht, macht deutlich, wie sehr sich Adveniat diesem Anliegen verpflichtet fühlt.

Ich freue mich, dass wir die diesjährige Adveniat-Aktion 2007, die der Kollekte an Weihnachten den Boden bereitet, von Mainz aus am kommenden Sonntag bundesweit eröffnen können. Wir freuen uns besonders auf die Anwesenheit und ein ermutigendes Wort von Herrn Bundespräsident Prof. Dr. Horst Köhler. Mein besonderer Dank gilt den unzähligen Spendern, Förderern und Freunden, ohne die ein Werk wie Adveniat undenkbar wäre. Sie geben den Menschen in Lateinamerika die Gewissheit, dass sie im Geist der weltkirchlichen Gemeinschaft auf unsere Unterstützung zählen können.

(c) Karl Kardinal Lehmann

Es gilt das gesprochene Wort

 

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz