Persönlichkeiten, zu deren Gedenken eine eigene Briefmarke herausgegeben wird, besonders wenn sie in jüngster Zeit noch gelebt haben, erhalten dadurch eine große Öffentlichkeit, die sie vielleicht zu Lebzeiten nicht immer hatten. Um so mehr ergibt sich dadurch eine gute Gelegenheit, nochmals auf die besondere Bedeutung des Lebens und Wirkens von Joseph Card. Höffner hinzuweisen.
Joseph Höffner hatte zunächst das Glück, besonders in Rom und Freiburg i.Br. eine außerordentlich gute Ausbildung zu erfahren. In verhältnismäßig kurzer Zeit wurde er nach dem Studium in Rom zum Doktor der Theologie (1938), sowie zum Doktor der Wirtschaftswissenschaften (1940) promoviert und 1944 für die Katholische Soziallehre bzw. Sozialethik habilitiert. Alle diese akademischen Grade einschließlich des Diplom-Volkswirts (1939) erwarb er an der Universität Freiburg i.Br. In diesen Studien behandelte er Themen, die ihn in methodischer Fragestellung und im Blick auf seine Denkweise auch später sehr prägten: Bauer und Kirche im deutschen Mittelalter; Wirtschaftsethik und Monopole im 15. und 16. Jahrhundert; Christentum und Menschenwürde. Das Anliegen der spanischen Kolonialethik im Goldenen Zeitalter.
Dies waren Themen, die rasch einen Brückenschlag in gegenwärtige Themenbereiche erlaubten und zugleich auch fast zwangsläufig nahe legten. Ich weise nur hin auf den Übergang von der Studie über die frühneuzeitlichen Monopole auf das Machtproblem in der Wirtschaft, vor allem aber auf Probleme der Wettbewerbsethik und der Wirtschaftsethik überhaupt. Zugleich war das Verhältnis zwischen planwirtschaftlichen Lenkungsmaßnahmen und marktwirtschaftlicher Konzeption angesprochen. Unter seinen großen Lehrern möchte ich nur Walter Eucken nennen. Der junge Gelehrte musste sich freilich bald einen eigenen Ort schaffen zwischen dem Ordoliberalismus der Freiburger Schule und der Katholischen Soziallehre, über die er schon in Rom gearbeitet hatte (Soziale Gerechtigkeit und soziale Liebe, Saarbrücken 1935). Diesem ersten Buch Joseph Höffners entstammt auch das Leitwort für seinen bischöflichen Dienst „Justitia et Caritas“, das auch in großen Buchstaben über die Briefmarke gedruckt ist. Die drei Farben Blau, Gelb, Rot entstammen seinem Wappen.
Im Jahr 1951 wurde Joseph Höffner, der während des Krieges Pfarrer war und mit seiner Schwester jüdische Mitbürger versteckte – hierfür wurden die beiden durch die israelische Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem mit dem Ehrentitel Gerechter unter den Völkern ausgezeichnet –, Professor der Christlichen Sozialwissenschaften an der Universität Münster und besonders Direktor des bekannten Instituts für Christliche Sozialwissenschaften, das er ausbaute (vgl. M. Hermanns, Sozialethik im Wandel der Zeit, Paderborn 2006). Jenseits aller partikularen Interessen hatte er immer wieder die Priorität des Gemeinwohls betont. Immer wieder bewegte er sich auch an der Nahtstelle von Theorie und Praxis. In den Wissenschaftlichen Beiräten der Bundesministerien für Familien- und Jugendfragen, für Wohnungsbau und für Arbeits- und Sozialordnung wurde er mit anderen (z.B. Wilfried Schreiber) zum Initiator vieler sozialpolitischer Maßnahmen, die zum festen Bestandteil der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gehören, darunter z.B. auch die „dynamische Rente“. Viele andere Themen lassen sich nennen: Eigentumsstreuung als Ziel der Sozialpolitik, Familienlastenausgleich, Handwerkerversorgung, Überlegungen zur Entwicklungspolitik, Vermögensbildung in Arbeiterhand.
Qualitätssinn und Nüchternheit, durchsichtige Logik und prägnante Knappheit zeichneten den Gelehrten Joseph Höffner aus. Wenn man heute Aufsätze dieser Zeit liest, staunt man über die aktuelle Frische seiner Äußerungen (vgl. dazu J. Höffner, Soziallehre und Sozialpolitik, Paderborn 2006). Kurz vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil wurde Joseph Höffner zum Bischof von Münster berufen, übrigens ähnlich wie sein Fakultätskollege Hermann Volk, der fast gleichzeitig Bischof von Mainz wurde. Knapp vier Wochen nach der Bischofsweihe begann das Zweite Vatikanische Konzil. Es ist hier nicht der Ort, um den Konzilsvater Höffner näher darzustellen. Auch hier hat er sich vor allem für praktische Fragen engagiert: Erziehung und Bildung, Laienapostolat, Soziale Kommunikationsmittel. Der Sozialwissenschaftler Joseph Höffner bleibt auch in den Fragen der Weltzuwendung der nüchtern an Genauigkeit gewöhnte Realist.
In der Deutschen Bischofskonferenz war er zehn Jahre Vorsitzender der Kommission für Gesellschaftspolitische Fragen. Die behandelten Themen sind bezeichnend: Stellung der Kirche in der pluralistischen Gesellschaft, Katholische Soziallehre und Neomarxismus, Betriebsräte und Kirche, „Studentenrevolte“ (1968), Christsein in der Wohlstandsgesellschaft. Die Reform des Strafrechts, vor allem aber das Lebensrecht des ungeborenen Kindes und des sterbenden Menschen, hat ihn leidenschaftlich engagiert. Er wusste sich immer in Einklang mit der kirchlichen Lehre und Praxis, besonders für das Lebensrecht gerade der Schwächsten einzutreten. Schließlich war er auch noch verantwortlich im Blick auf die Kommission für Priesterfragen und hat sich besonders für Priesterausbildung und Fortbildung der Priester eingesetzt.
Nach dem jähen Tod Kardinal Döpfners im Juli 1976 wurde Kardinal Höffner im September 1976 Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz. Seit 1969 war er Erzbischof von Köln. Er konnte so sieben Jahre in Münster und sieben Jahre in Köln in die Leitung der Bischofskonferenz einbringen. Bald hat er viele Bedenken, die anfangs hinsichtlich seiner Person geäußert worden sind, überwunden und konnte ein hohes Vertrauen gewinnen. Zu seinem 80. Geburtstag (24.12.1986) habe ich gesagt: „Für die Sache des Glaubens und der Kirche war es stets ein Gewinn, wie Sie von Ihrer Persönlichkeit her Verbindlichkeit und Liebenswürdigkeit, Mut zum Bekenntnis und menschliche Offenheit miteinander zu vermitteln wussten. Es ist das Geheimnis Ihrer Person und wohl auch die Frucht Ihres Lebensweges, dass Sie Festigkeit in den Grundüberzeugungen und Prinzipien mit einer beinahe jugendlichen Frische und Elastizität gegenüber vielen Herausforderungen glaubwürdig verbinden können. Dies hat Ihnen bis in das hohe Alter hinein […] ermöglicht, geistesgegenwärtig im Sinne des Evangeliums zu sein, nämlich dem bleibenden Anruf Gottes in den heutigen geschichtlichen Situationen vernehmbar zu machen, ohne je konformistisch zu wirken.“
In einer Hinsicht hat Card. Höffner ganz besonders das Zweite Vatikanische Konzil in seinem Bischofsdienst verwirklicht. Von Anfang an lenkte er in seinem Denken und Handeln seinen Blick auf das Wohl und die Würde aller Menschen. Er hat stets über nationale Grenzen hinausgedacht. Dabei war ihm der Aufbau eines geistig fundierten und starken Europa ein Herzensanliegen. Er wurde aber auch nicht müde, für eine wirksame Entwicklungspolitik zu werben und für eine gerechte Verteilung der Güter dieser Welt bis hin zu notwendigen Landreformen einzutreten. Mehr und mehr wurde er gerade auch nach seiner Kardinalsernennung, ein Bischof der Weltkirche. Den Bischöflichen Werken war er stets mit großer Sorge zugetan. Er erblickte in ihnen eine spezifische Besonderheit der Katholischen Kirche in unserem Land. Was er für Japan und die Philippinen bedeutet, müsste eigens dargestellt werden. Das Engagement für die Aussöhnung mit Polen möchte ich nur am Rande nennen. So wurde er zu einer lebendigen Ausprägung des Bischofsbildes des Zweiten Vatikanischen Konzils.
Bald nach dem Pastoralbesuch von Papst Johannes Paul II. im Mai 1987 – Kardinal Höffner war in dieser Zeit bald 25 Jahre Bischof – ereilte ihn eine heimtückische Krankheit. Am 15. August, trat er von seinem Amt als Vorsitzender der Bischofskonferenz zurück. Kurze Zeit danach erlag er seinem geduldig getragenen Leiden (16. Oktober 1987).
Es ist gut, dass die Briefmarke zu seinem 100. Geburtstag am 24.12. dieses Jahres uns wieder ganz frisch an diesen Mann erinnert. Lassen Sie mich schließen mit einem Wort aus seinem Mund, das er zu katholischen Journalisten im Jahre 1974 sagte: „Der Christ darf nicht mürrisch am Zaun der Welt von heute stehen und ärgerlich zusehen, was da drinnen geschieht. Er muss über den Zaun steigen und handelnd und helfend mitten in der Welt von heute gegenwärtig sein, als Salz und Sauerteig.“
Im Namen der Deutschen Bischöfe und ganz besonders auch des Heimatbistums Trier und seiner großen Wirkstätten im Bistum Münster und im Erzbistum Köln möchte ich dem Bundesfinanzministerium und darin auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bei der Vorbereitung der neuen Postwertzeichen herzlich danken.
Die Briefmarke macht uns rechtzeitig aufmerksam auf den 100. Geburtstag Joseph Cardinal Höffners am Heiligen Abend.
Ausführlicher: K. Lehmann, Zuversicht aus dem Glauben, Freiburg i.Br. 2006, 35-46 (Lit.)
(c) Karl Kardinal Lehmann
Es gilt das gesprochene Wort
von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz
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