Die Menschen sehnten vor diesem Weihnachtsfest endlich einmal richtigen Schnee herbei. Es war auffällig, wie stark die Sehnsucht nach der unmittelbar wirksamen Natur war. Als dieser Schnee aber überraschend stark war, Eis und Kälte mit sich brachte, war die freudige Überraschung bald zu Ende. Viele verfluchten die weiße Pracht, besonders wenn sie unterwegs sein und ihre Pläne ändern mussten.
Dies zeigt ein wenig, dass wir ein ausgewogenes Verhältnis zur Schöpfung eingebüßt haben. Wir möchten sie gerne nach unseren Vorstellungen und unseren Maßen niedlich haben, wenn sie aber diese Grenzen überschreitet, wild und unberechenbar wird, dann geht die Freude daran schnell zu Ende.
Wir haben also ein Stück weit den Sinn für die Balance und den Ausgleich zwischen Natur und Mensch aus dem Auge verloren. Wir möchten die Schöpfung ganz unseren Zwecken dienstbar machen, wehe wenn sie uns mit ihrer eigenen Macht überrascht.
In anderer Hinsicht hat uns im Lauf dieser Jahre die Übermacht der Natur ratlos gemacht. Wir denken besonders an den Tsunami in Südostasien, der genau an Weihnachten vor sechs Jahren hunderttausenden Menschen das Leben kostete. Wir sind noch erschüttert über die Naturkatastrophen, die in diesem Jahr vor allem Haiti in Zentralamerika in ein Chaos verwandelten. Die Überschwemmungskatastrophe in Pakistan gehört zu den schlimmsten Zerstörungen dieses Jahres.
In unseren Regionen haben wir uns kaum mehr eingestellt auf größere Gefährdungen durch die Natur. Man rechnete nicht mehr mit einem harten Winter. In einer Welt, in der so viel von Vorratshaltung und Planung die Rede ist, war es erschreckend, dass den Städten das Streusalz ausging und manchen Flughäfen die Enteisungsmittel. Hilflos standen wir oft vor Schneemassen, die unsere Vorfahren ohne Rückgriff auf unsere technischen Mittel noch gut bewältigen konnten.
Jemand hat in einer weltlichen Zeitung einen Kommentar geschrieben mit dem Titel „Demut vor dem Schnee". Dies ist natürlich eine gewollte Provokation. Demütig sind wir eigentlich nur, wenn uns dies gelingt gegenüber Gott und vielleicht auch den Menschen, aber nicht unmittelbar gegenüber den Gewalten der Schöpfung. Nur hat das Übermaß der schwierigen Wetterbedingungen doch auch den Charakter eines Lehrstücks: Wir sind viel tiefer in die Mächte der Natur und die Kräfte der Schöpfung eingelassen und ihnen auch ausgesetzt. Der Allmachtswahn, wir könnten doch - wenigstens in unseren Regionen - so gut wie alles regeln und machen, entpuppt sich leicht als Hochmut. Darum tut es uns gut, wenn wir gegenüber den Mächten um uns, über uns und unter uns etwas bescheidener werden. Wir sind gegenüber den Mächten der Natur nicht einfach zur Ohnmacht und zum Hinnehmen von allem verdammt. Wir erleben aber auch mit Gewinn die Grenzen unseres Könnens.
Auch wenn Franziskus von Assisi im Süden weniger vom Schnee, sondern von der Sonne, dem Mond, dem Himmel, dem Wind und den Wolken spricht, so hat er doch in all diesen kreatürlichen Wirkungen, gewiss auch im Schnee, Spuren Gottes gefunden. Dazu gehörte für ihn auch schließlich in diesem Reichtum der Gaben Gottes der Bruder Tod. Er schließt den Sonnengesang deshalb mit den Worten: Preiset und lobt meinen Herrn, und saget ihm Dank und dienet ihm in großer Demut.
(c) Karl Kardinal Lehmann, Bischof von Mainz
Diesen Gastkommentar lesen Sie in der aktuellen Ausgabe der Mainzer Kirchenzeitung "Glaube und Leben" vom 2. Januar 2011.
von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz
Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz