Überraschung in der Ökumene

Mönchtum und Orden in einem neuen Licht

Datum:
Sonntag, 11. September 2011

Mönchtum und Orden in einem neuen Licht

Gastkommentar des Bischofs von Mainz für die Kirchenzeitung "Glaube und Leben"

Wir machen im täglichen Leben oft die Erfahrung, dass man sich - auch wenn es schon lange heimlich vorbereitet ist - schnell zerkrachen kann, es aber sehr mühsam ist, später die Scherben wieder zusammenzufügen. Dies gilt auch im Leben des Geistes und im Bereich der Wissenschaften, darum eben auch in der Theologie und im schwierigen Dialog zwischen den Kirchen und Religionen.

Vieles ist in den letzten Jahrzehnten wieder als gemeinsames Erbe entdeckt und zurückgewonnen worden. Über manche Fragen ringen wir. Es geht dann langsamer - wie an den letzten Steilwänden vor dem Erreichen eines Gipfels.

Es gibt aber auch noch richtige Entdeckungen, wo manches erst neu oder wieder neu gefunden werden muss. So war es über Jahrhunderte eine ausgemachte Sache, dass es im Verhältnis von Katholizismus und Reformation bei der Bewertung des Mönchtums einen unüberbrückbaren Graben gibt. Der Bruch wird gerade auch in den Anfängen sehr deutlich: Der Augustinermönch Martin Luther verurteilt in einer wichtigen Schrift im Jahre 1521 die Gelübde im Mönchtum und legt schließlich, solange blieb er seiner Herkunft treu, im Jahr 1524 endgültig das Ordenskleid ab. Kurze Zeit danach heiratet er die bisherige Nonne Katharina von Bora. Dies und anderes hat auf lange Zeit hin das Gespräch über Mönchtum und Ordensgemeinschaften unmöglich gemacht oder wenigstens sehr erschwert. Die Kritik der anderen Reformatoren am Mönchtum war nicht geringer.

In den offiziellen ökumenischen Gesprächen kam das Thema „Mönchtum" nur ab und zu, gleichsam am Rande vor. Nun geriet aber vor allem im Lauf des 20. Jahrhunderts die Sache unerwartet in Bewegung. Es kam zu einer doppelten Neuentdeckung des Mönchtums in den Kirchen der Reformation.

Seit über 130 Jahren gibt es auf der wissenschaftlichen Ebene vor allem in der Kirchengeschichtsschreibung, aber auch in der Religionswissenschaft neue Einsichten in die Entstehung und Geschichte des Mönchtums. Der evangelische Theologe und Pfarrer Dr. Bernd Jaspert hat sich seit Jahrzehnten um die Aufhellung dieser Geschichte durch ein großes Werk „Mönchtum und Protestantismus" verdient gemacht und kann heute im Rückblick formulieren: Es „dürfte die größte Leistung der Forschung darin bestehen, dass sie die durch die Reformation in Verruf geratene Lebensform Mönchtum rehabilitiert und als eine christlich legitime Lebensweise in der evangelischen Kirche erwiesen hat". Dies ist nach Jahrhunderten der Entfremdung eine wahre Sensation, die wir der auf Vorurteilsfreiheit bedachten wissenschaftlichen Forschung, der Annäherung evangelischer und katholischer Historie, aber auch der zähen Nachzeichnung dieses Prozesses durch Dr. Bernd Jaspert verdanken. In zehn Jahren hat er in fünf Bänden (ein Band hat zwei Teilbände) auf über fünftausend Seiten durch eine gewaltige Dokumentation den Nachweis dafür erbracht.

Schließlich aber ist ein zweites Element wichtig. Im 20. Jahrhundert kam es auch in praktischer Hinsicht zu einer Neubegründung des Mönchtums in den Kirchen der Reformation. Männer und Frauen waren der Meinung, dass das reformatorische Urteil über das Mönchtum anfangs des 16. Jahrhunderts nicht das letzte Wort sein muss. Mutige evangelische Christen ließen sich nicht daran hindern, die reformatorischen Grundeinstellungen zum Mönchtum kritisch zu betrachten. Man hat nicht nur die Zeitgebundenheit dieser Kritik herausgestellt, sondern auch die tiefe Nachwirkung der großen monastischen Theologie des Mittelalters auf die Reformatoren erkannt. Noch im Zweiten Weltkrieg und danach immer mehr wurden evangelische Kommunitäten gegründet. Das Zweite Vatikanische Konzil hat auch das Ordensleben im Sinne der immer wieder zu erneuernden Kirche einer geistlichen Erneuerung unterzogen.

So ist das Mönchtum ein echtes ökumenisches Phänomen, das es ja auch in anglikanischen und orthodoxen Klöstern gibt. In einer überraschenden Weise wird die ökumenische Gemeinsamkeit, sogar im Blick auf die Begründung in der Bibel, wiedergefunden, wo das Mönchtum doch jahrhundertelang trennte. Schließlich hat die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland im Jahr 1990, fast als eine Art Zwischenbilanz, die evangelischen Kommunitäten als eine Bereicherung für die Kirche und als ein wichtiges Element der spirituellen Erneuerung der evangelischen Christenheit begrüßt. Nun konnte nicht mehr strittig bleiben, „dass die kommunitäre Lebensart eine legitime, mit der Heiligen Schrift zu vereinbarende christliche Existenzweise ist und auch im Protestantismus volle Anerkennung verdient", so nun im Jahr 2011 als Ergebnis formuliert von Dr. Jaspert.

Ich habe über mehr als ein Jahrzehnt die Arbeit von Dr. Bernd Jaspert mit immer größerer Sympathie begleitet und unterstützt. Das große Werk wäre wohl kaum erschienen ohne die Mithilfe des EOS-Verlages der Benediktiner-Erzabtei St. Ottilien. Was hier in aller Stille geleistet worden ist, darf nicht einfach in der Bücherflut untergehen. Es ist eine große Ermutigung für die Ökumene, wenn an einem so schwierigen Thema ganz unerwartet überraschende Einsichten gewonnen werden. Gerade heute, wo wir so schnell von Eiszeit der Ökumene reden.

B. Jaspert, Mönchtum und Protestantismus. Probleme und Wege der Forschung seit 1877, 5 Bände, St. Ottilien (Eos-Verlag) 2005-2011.

(c) Karl Kardinal Lehmann

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz