Seit dem 11. September und erst recht seit dem Beginn militärischer Operationen werden die Kirchen und besonders die einzelnen Bischöfe stets nach ihrer Beurteilung vor allem der Bombardierungen in Afghanistan und jüngst der Entsendung deutscher Truppen gefragt. Dabei machten sich einige auch daran, einzelne Stellungnahmen gegeneinander auszuspielen.
In dieser Diskussion begegnet man immer wieder einem Phänomen, dass man nämlich auf der einen Seite die Kirche kritisiert, sie sei viel zu einförmig und lasse zu wenig Meinungsunterschiede zu, die in ihr doch existierten; gleichzeitig aber wird die angebliche Uneinigkeit nicht minder kritisiert, wenn einmal – meist gar nicht so gravierende – Unterschiede tatsächlich erkennbar werden. Dass hier durchaus eine Gemeinsamkeit mit Akzentunterschieden vorherrschen kann, dürfte eigentlich nicht so überraschen.
Überhaupt hat man oft ein Bild von Kirche, das mit der Wirklichkeit wenig zu tun hat. Die Kirche ist ein soziales Gefüge, das in offenen Gestaltungsfragen vor allem des gesellschaftlichen und politischen Lebens eine große Vielfalt in sich enthält. Hier gibt es bei uns keinen Fraktionszwang. Glaubensfragen fordern ein andere Maß an Gemeinsamkeit. Aber schon das Zweite Vatikanische Konzil sagt, katholische Christen seien sich oft einig im Ziel, könnten aber verschiedene Meinungen haben über die Wege und Mittel zu diesem Ziel. Dabei soll keiner den anderen verteufeln und meinen, er allein sei im Besitz der Wahrheit und könne sich ausschließlich auf die Kirche berufen. Die Unterschiede können natürlich durch viele Elemente verursacht sein: Kontinente und Regionen, Nationen, Kulturen, Sprachwelten, Jung und Alt, Frauen und Männer, Laien und Amtsträger und gewiss auch unterschiedliche berufliche Prägungen und verschiedene politische Einstellungen. Gerade die Verbände und Vereine nehmen für sich, durchaus oft im Einklang mit dem kirchlichen Recht, in gesellschaftspolitischen Gestaltungsfragen eine hohe Selbständigkeit für sich in Anspruch (man vergleiche z.B. die Katholische Arbeiterbewegung, das Kolpingwerk und den Bund Katholischer Unternehmer).
Gerade in Fragen der Friedensethik darf man eigentlich von vornherein annehmen, dass auch in der Kirche innerhalb eines gewissen Spektrums Auffassungsunterschiede in Erscheinung treten. Militärische Auseinandersetzungen und erst recht kriegerische Interventionen sind ja grundsätzlich etwas, was nicht sein soll und was man deshalb letztlich auch nie zufriedenstellend beurteilen oder gar ordnen kann. Keine Antwort kann darum umfassend befriedigen. Gerade hier kann man unterschiedliche Meinungen vorfinden über die Wahl der Mittel und Wege zum Friedensziel. So etwas kann es auch bei Bischöfen geben. In größerem Umfang gibt es freilich auch tiefere Differenzen über die Zulässigkeit militärischer Interventionen oder eines Krieges bei einzelnen Verbänden. So sammeln sich z.B. in der Katholischen Friedensbewegung Pax Christi gewiss mehr pazifistisch orientierte Gruppierungen, während die Gemeinschaft katholischer Soldaten hier durchaus anders denken kann.
Nun soll aber niemand sagen, also herrsche eben in der Kirche dieselbe Unverbindlichkeit und vielleicht manchmal auch Willkür, wie sie auch sonst in der Gesellschaft anzutreffen sei. In Wahrheit jedoch gibt es vor einer langen, aber auch nicht einfachen Überlieferung vor allem zu den Kriterien eines "gerechten Krieges" immer wieder eine Überprüfung der Friedensethik.
Dies haben die Deutschen Bischöfe im Frühjahr 1983 angesichts der nuklearen Bedrohung in einem umfangreichen Dokument "Gerechtigkeit schafft Frieden" getan. Angesichts der Tatsache, dass jedoch unterhalb der Schwelle befürchteter nuklearer Auseinandersetzungen immer wieder oft grausame konventionelle und regional begrenzte Kriege geführt werden, die freilich durch die Zerstörungskraft der Waffen nicht ohne weiteres den traditionellen Beurteilungen entsprechen, war es notwendig, eine neue Stellungnahme zu erarbeiten, die sehr bewusst vor dem Hintergrund der biblischen Botschaft von Frieden und Gewaltlosigkeit vor allem auch der Konfliktbearbeitung, die der Gewalt vorbeugt, und der Friedensarbeit Aufmerksamkeit schenkt.
Dieses umfangreiche Dokument (erschienen in der Reihe: Die Deutschen Bischöfe, 66, Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonner Talweg 177, 53129 Bonn oder über die Bischöflichen Ordinariate) zeigt, dass die Kirche unbeschadet einiger Auffassungsunterschiede aussage- und handlungsfähig ist. Dabei zeigt sich auch hier, dass es nicht ratsam ist, prinzipielle Stellungnahmen mitten in Konflikten, gleichsam aus der Hüfte heraus schießend, zu formulieren, da man hier vielleicht zu sehr abhängig wird von momentanen Einschätzungen. Wir haben dieses Wort vor einem Jahr verabschiedet und sehen auch selbst jetzt zur eigenen Überraschung, wie dieses Wort (vgl. bes. S. 83-89) unsere heutige Situation trifft.
Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz
(aus: Bistumszeitung Glaube und Leben, November 2001)
von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz
Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz