Verheißungsvolle Anregungen der Bischofssynode

Erster vorläufiger Blick auf das Abschlussdokument

Datum:
Sonntag, 1. November 2015

Erster vorläufiger Blick auf das Abschlussdokument

Kolumne von Kardinal Lehmann in der Kirchenzeitung "Glaube und Leben"

Die Flüchtlingskrise, die immer dramatischer wird, hat in der Berichterstattung der Medien die Bischofssynode weithin überschattet. Es ist auch schwierig, von den Diskussionen und Meinungsbildungen in der Synodenaula, die in dreizehn Sprachzirkeln erfolgten und eine gewisse Vertraulichkeit haben und brauchen, ausführlicher in einer größeren Öffentlichkeit Notiz zu nehmen.

Jetzt ist aber der Bann eines gewissen Schweigens gebrochen. Wie auch bei der Bischofssynode 2014 haben die 270 stimmberechtigten Bischöfe nach der Einarbeitung von ca. 250 Änderungsvorschlägen über die 94 Abschnitte jeweils eigens abgestimmt. Der Text wurde veröffentlicht. Dabei haben, wenn auch manchmal knapp, alle Abschnitte die notwendige Zweidrittelmehrheit erreicht. Der Schlusstext wurde dem Papst überreicht, der in seiner Verantwortung unter Verwendung der Gedanken dieses Textes ein endgültiges Dokument veröffentlichen wird.

In der allgemeinen Wahrnehmung, die sehr stark von gewissen Erwartungshaltungen, nicht nur in den Medien, geprägt war, ist das Dokument, wenn es überhaupt richtig durchgearbeitet worden ist, vielfach auf Enttäuschung gestoßen. Dies ist in gewisser Weise verständlich, weil die kritisch debattierten Punkte sehr knapp sind, nicht selten keine Richtungsentscheidung bezeugen und manche harten Probleme einfach nicht vorkommen wie auch z.B. das Thema Wiederverheiratete Geschiedene.

Doch trügt diese erste Einschätzung. Wenn man den Text genauer liest, dann finden sich viele positive Anregungen für ein abschließendes Dokument des Papstes. Überhaupt finde ich es bemerkenswert, dass die Synode nach weltweiten Debatten und langen Beratungen in zentralen Fragen zu Ehe und Familie zu gemeinsamen Aussagen gefunden hat, die auch in der Zweidrittelmehrheit deutlich werden: Da sind völlig verschiedene Kulturen, die aufeinander getroffen sind, es gibt unterschiedliche Sichtweisen, diese wurden offenbar auch deutlich geäußert. Diese Verschiedenheiten sind in diesem Text gesammelt und zur Sprache gebracht worden. Für die katholische Kirche als Weltkirche ist dies wahrhaftig eine kostbare Erfahrung, dass man mitten in einem manchmal erschreckenden Pluralismus mit so hoher Mehrheit zu einer gemeinsamen Sicht gekommen ist. Natürlich hätte man sich mehr gewünscht, aber bei genauerem Zusehen ist doch diese Gemeinsamkeit ein wichtiger Gewinn.

Was ist gewonnen worden? Da ist zunächst einmal der Prozess der Kommunikation. Er ist gelungen. Man hat eine Gemeinsamkeit gefunden, die nicht künstlich erzwungen war. Es findet sich so auch ein neuer Stil. Da ist nicht leichtfertig von Sünde und Schuld im Sinne objektiver Kategorien, die automatisch jeden treffen, die Rede, obwohl sie keineswegs geleugnet werden, sondern immer wieder ist der konkrete Mensch in seiner Situation im Blick, die zu ihm gehört. Man weiß um die unverwechselbare und nicht übertragbare, von vielen Faktoren bestimmte Situation. Das Gespräch eines Seelsorgers mit den Betroffenen hat einen hohen Stellenwert. Deswegen wird wohl auch das Gewicht der verschiedenen Kulturen und gesellschaftlichen Prägungen beim Umgang mit Menschen aus gestörten Beziehungen, vor allem das Gewicht der Bischofskonferenzen, im endgültigen Text größer sein als bisher. So finden sich im Schlusstext der Synode noch viele Anregungen, die es erst noch zu entdecken gilt. Das Dokument enthält z.B. auch viele positive Hinweise zur vertieften Erörterung der Problematik der Geschiedenen Wiederverheirateten. Über allem steht aber das große Thema des Papstes: „Barmherzigkeit". Vielleicht wird der Papst noch im bald beginnenden Heiligen Jahr der Barmherzigkeit (8.12.) einen längeren Text veröffentlichen können, auch wenn dies angesichts der Fülle der damit gegebenen Aufgaben eine Übererwartung darstellt.

Die Synode ist also noch nicht zu Ende. Der Papst schreibt das letzte Kapitel. Die Bischöfe aus aller Welt und die Berater sowie die Ehepaare auf der Synode haben dem Papst ihre vielfältigen Gedanken, ja manchmal auch Wünsche übergeben. Angesichts dessen, was der Papst bisher und bei beiden Synoden 2014/15 in Ansprachen und Predigten geäußert hat, sollte man Vertrauen in ihn haben, dass er der Kirche ein Dokument übergibt, das die Spuren der vielfältigen Diskussion in der Synode und die Gemeinschaft des Gottesvolkes zugleich wiedergibt, aber eben durch die Stimme des Nachfolgers Petri. Dies ist der Dienst der Einheit.

(c) Karl Kardinal Lehmann, Bischof von Mainz

Diese Gastkolumne lesen Sie auch in der aktuellen Ausgabe der Mainzer Kirchenzeitung "Glaube und Leben" vom 1. November 2015

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz