Verspielte Chance?

Zum Schicksal des Zuwanderungsgesetzes

Datum:
Samstag, 15. Dezember 2001

Zum Schicksal des Zuwanderungsgesetzes

Gastkommentar für die Mainzer Allgemeine Zeitung am 15.12.2001

Hinter der Zuwanderungsfrage verbergen sich viele elementare Probleme, die auch den an der Politik weniger Interessierten umtreiben: Wie viele Ausländer sollen mit uns leben? Welche Rechte sollen sie erhalten? Was tut der Staat gegen eine Gefahr der Überfremdung? Wie gehen wir mit dem Fremden um?

So ist es nicht überraschend, dass der im Bundestag eingebrachte Regierungsentwurf für das Zuwanderungsgesetz die Wellen hochgehen lässt. Es ist ja auch nicht eine Eintagsfliege, sondern man regelt auf längere Zeit für In- und Ausländer elementare Lebensvorgänge. So ist auch die Schärfe der Argumentation zwischen den politischen Kontrahenten verständlich.

Das deutsche Ausländerrecht gilt seit langem als besonders reformbedürftig. Dies bezieht sich nicht nur auf Fragen, ob wir z.B. ein Einwanderungsland sind oder sein wollen. Vielmehr besteht unser Ausländerrecht aus sehr komplizierten Bestimmungen, die geschichtlich oft weit zurückgehen und unter sich teilweise in Spannung stehen. Das Ganze ist unübersichtlich geworden und erschwert damit auch den Umgang in Verwaltung und Gerichtswesen. Jeder weiß freilich auch, dass solche Reformen beinahe Jahrhundertwerke sind und nur selten gelingen.

Die derzeitigen parteipolitischen Auseinandersetzungen über den Gesetzesentwurf sollten bei aller Notwendigkeit von einzelnen Klärungen nicht verdunkeln, dass die großen politischen Kräfte in unserem Land sich in den letzten Monaten und Jahren ziemlich nahegekommen sind. Dazu haben viele in Kommissionen und Arbeitsgruppen beigetragen und für eine Einigung vorgearbeitet. Es bedeutet eine große Chance, wenn man sagen kann, dass man schon lange Zeit nicht mehr so nahe zusammenkam.

Gewiss bestehen noch von verschiedener Seite erhebliche Einwände. Auch die Kirchen verlangen angesichts ihrer Erfahrung im Umgang mit Ausländern manche Verbesserung, z.B. eine allgemeine Härtefallregelung und Klärungen für die soziale Rechtsstellung von Menschen in der Illegalität, deren Zahl immer größer wird. Aber um solche und andere Änderungen geht es mir jetzt weniger, sondern um die Nützung der vielleicht einmaligen Chance, das über lange Zeit von vielen bedachte Reformwerk zum Abschluss zu bringen. Dies geschieht gewiss nur, wenn einige Forderungen in einem abschließenden Text realisiert werden.

Die Parteien müssen selbst überlegen, welche Themen sie in einem Wahlkampf für erfolgversprechend halten. Darüber entscheiden sie allein. Aber von außen darf man gewiss auch einen guten Rat geben, nämlich unter Aufbietung aller Kräfte noch in dieser Legislaturperiode alles zu versuchen, um in einer so verletzlichen Materie, die leicht unkontrollierte Emotionen weckt und auf dem Rücken der Betroffenen ausgetragen wird, zu einer tragfähigen Einigung zu kommen. Arbeitslose sollte man nicht gegen Ausländer ausspielen. Nach mehr als vierjähriger intensiver Diskussion sollten die politischen Kräfte unseres Landes gerade in der jetzigen Situation für das In- und Ausland zeigen, dass wir wirklich politikfähig sind. So gilt auch hier die alte Weisheit: Nütze den Tag und die Stunde.

(c) Karl Kardinal Lehmann

 

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz