Glaube und Kirche brauchen heute dringend die Kommunikation nach innen und außen. Diese geschieht auf viele Weisen. Aber gerade wenn wir Menschen außerhalb oder am Rande der Kirche erreichen wollen, brauchen wir die vielfältigen Medien von heute.
Es gibt nicht nur neue Medien, wie das Internet und die dazugehörigen sogenannten sozialen Medien. Auch die klassischen Medien machen nicht nur in technischer Hinsicht einen Wandel durch. Dazu gehört auch, dass man vor allem die Meldungen äußerst knapp fasst. In der Tat kann man durchaus in einer sehr knappen Zeit, z.B. 1:30 Minuten, einen ersten Eindruck vermitteln. Freilich bedarf es dann anderer Arten von Kommunikation, z.B. eines Essays oder eines Kommentar, vielleicht auch eines (Streit-)Gespräch, um die angesprochene Sache zu entfalten. So brauchen gerade die dichten, manchmal sehr verkürzten Statements im Fernsehen eine längere Erläuterung, für die sich die Print-Medien besser eignen.
Erschwert wird dies jedoch zusätzlich, wenn Vorgänge von Anfang an eine Zuspitzung, ja manchmal auch aus der Tendenz zu Dramatisierung und Skandalisierung eine besondere Aufmerksamkeit schaffen wollen und müssen. Dies kann soweit gehen, dass die Hauptsache, um die es geht, oder der Kontext, der zu ihr gehört, hinter einer sensationell aufgemachten Spitze regelrecht verschwindet. Im Wettkampf um die Nachrichten, um die Schnelligkeit der Übermittlung, die höheren Einschaltquoten usw. bleibt dann eine sachliche und nüchterne Betrachtung auf der Strecke. Nichts grundsätzlich gegen Konzentration und Kürze der Meldung - man kann dies wirklich auch lernen -, aber es gibt leider eine gewisse „Boulevardisierung", die nur noch die Sensationsgier und den Nervenkitzel erregt.
Unter solchen Umständen kann es sehr schwierig werden, komplexe Sachverhalte darzulegen und verengte Sichtweisen aufzusprengen. Es ist ein gefährliches Paradox. Unsere Welt wird immer umfassender und differenzierter, während einige Medien glauben machen, man könne grenzenlos vereinfachen. Wenn man dies nicht beachtet und dagegensteuert, kann man unversehens in Fallen tappen.
In letzter Zeit ereignet sich dies öfter bei Nachrichten über die Kirche. Man könnte es am Beispiel der Missbrauchsstudie aufzeigen. Wiederum auffallend zeigte sich die Sache auch bei dem Kölner Vergewaltigungsopfer. Man überfällt dann den medial wenig oder gar nicht geschulten Interviewpartner mit der einzigen Frage: Ist die Kirche für oder gegen die „Pille danach".
Diese Fragen sind nicht zu vermeiden. Man muss auch auf sie antworten. Aber das ganze Phänomen gerade auch der Hilfe für eine vergewaltigte Frau darf nicht allein darauf reduziert werden. Es fällt dann vieles einfach aus, was grundlegend wichtig ist: die menschliche Sorge, die Zuwendung zu einer tief verletzten Frau, die psychologischen und auch seelsorglichen Möglichkeiten, Empathie und Sensibilität, die medizinischen Maßnahmen, das Gespräch über den Vorfall und den möglichen Umgang mit den Folgen. Man muss das tief verletzte Opfer in seinem Schmerz überhaupt erst einmal annehmen. Wenn alles reduziert wird auf die Verabreichung oder Verweigerung der „Pille danach", findet keine menschenwürdige, ganzheitliche Hilfe statt. Gewiss gehört zu einem aufklärenden Gespräch die ganze Palette möglicher Maßnahmen. Aber allein schon das Wort „Pille danach" ist vieldeutig und enthält mehrere recht verschiedenartige Medikamente mit unterschiedlichen Wirkweisen.
Wenn man unter solchen Bedingungen sich nur auf die verkürzte Fragestellung „Pille danach: Ja oder Nein" einlässt, kann bei einer negativen Antwort der verheerende Eindruck entstehen, man kümmere sich überhaupt nicht um die hilfsbedürftige Frau, man interessiere sich nur für die Frage des Lebensschutzes, ganz gleichgültig gegenüber den tief verletzten Empfindungen der betroffenen Frau.
So ist es in den vergangenen Tagen und Wochen öfter geschehen. Leider waren auch von kirchlicher Seite falsche Reaktionsweisen mit im Spiel, für die die Bischöfe sich entschuldigen mussten. Aber man hat dabei auch den Menschen in unseren Krankenhäusern und Beratungsstellen Unrecht getan, die in vielen Situationen eine sehr sensible Pflege leisten. Man muss dann, wenn man gefragt wird, die manchmal beinahe hoffnungslos verengte Sicht, hier z.B. nur auf ein Ja oder Nein zur „Pille danach", aufbrechen, um auch nur einigermaßen den ganzen Horizont für eine sachgerechte Situation eröffnen zu können.
Vorsicht, damit man nicht in solche Fallen tappt. Man darf nicht einfach darauf losreden, sondern muss die Bedingungen eines Interviews klären und vereinbaren. Im Zweifelsfall sollte man auch eher darauf verzichten, wenn keine Einigung gelingt. Hier kann manchmal auch weniger mehr sein.
(c) Karl Kardinal Lehmann, Bischof von Mainz
von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz
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