WARUM NICHT?

Nachgedanken zum Karikaturenstreit

Datum:
Dienstag, 21. März 2006

Nachgedanken zum Karikaturenstreit

Gastkommentar für die Kirchenzeitung "Glaube und Leben" im März 2006

Es war in der diesjährigen Fastnacht- von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen – erfreulich, dass die Veranstalter auf Karikaturen des Karikaturenstreits verzichtet haben. Sonst hätte man wohl noch mehr Öl ins Feuer gegossen.

Aber zu Ende ist deswegen der Streit nicht. Wütende Proteste, die leider oft auch mit Gewalt verbunden sind, halten in manchen Ländern an. Im Westen wird grundsätzlich mit Recht, aber eben doch auch oft gedankenlos, mit der Religionsfreiheit eine schrankenlose Meinungsfreiheit verteidigt. Man sieht dann auch nicht mehr ein, warum es ein Fehler war, die beklagten Karikaturen zu veröffentlichen.

Einer unserer großen Schriftsteller, Botho Strauss, hat in einem Essay für den SPIEGEL (7/2006, S. 120 f) jüngst darauf aufmerksam gemacht, dass wir zwar eine Grenze der Meinungsfreiheit beim Schutz der Person setzen. „Es ist aber nicht einzusehen, weshalb ein solcher Schutz nicht auch für die Sakralsphäre gewährt werden sollte, ohne dass damit demokratische Grundrechte aufs Spiel gesetzt würden.“

Warum spüren wir dies nicht? Weil wir weitgehend in einem säkularen Denken befangen sind, ahnen wir das Gewicht religiöser Potenz auch bei anderen nicht mehr. Die Blindheit der gewalttätigen Glaubenskrieger ist schlimm und erregt uns mit Recht, aber die Blindheit der westlichen Welt für die Stärke religiöser Überzeugungen im Menschen ist ebenfalls besorgniserregend. Viele sind „religiös unmusikalisch“, wie man gerne höflich formuliert, wir sind aber in weiten Teilen auch mit „metaphysischer“ und darum auch wegen der grundsätzlich fehlenden Sensibilität religiösen Blindheit geschlagen.

Wir wollen die grundsätzlich säkulare Prägung unserer Welt nicht einfach zurückschrauben. Aber der säkularistische Geist, der die geistigen und spirituellen Energien von Religion leichtfertig übergeht oder gar verschmäht, hat sich überlebt. Wir haben, auch wenn wir jede Form von Gewaltausübung ablehnen, den religiösen Emotionen verletzter Muslime wenig oder nichts entgegenzusetzen. Es zeigt sich, wie inhaltslos und leer eine pure säkulare Grundhaltung werden kann. Dann könnten uns bei diesen schlimmen Konflikten die Augen aufgehen.

Aber dieser Säkularismus hat sich ohnehin auch im Westen überlebt. Es gibt neue Zeichen der Zeit (vgl. mein Eröffnungs-Referat bei der Herbst-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz 2005). Man sieht langsam ein, dass man die Kraft religiöser Inspirationen auch in ihrem Gewicht für die säkulare Welt unterschätzt hat. Wo sind sonst Motive zu gründen, die die großen Herausforderungen zur Bewältigung der Probleme in unseren Gesellschaften leiten und gerade mit Mut und Geduld auch bei Enttäuschungen durchhalten lassen? Freilich, eine Wellness-Religion, die nur im Moment etwas fromm angesäuselt ist, leistet dies nicht. Der christliche Glaube wird durch diese neue Zumutung wieder zu seiner ursprünglichen und eigenen Explosionskraft geführt, wenn ihm selbst wirkliche Umkehr, was immer – sogar im ursprünglich biblischen Sinn - auch Umdenken heißt, gelingt.

Erst wenn wir diese Spuren verfolgen, geschieht eine ernsthafte Auseinandersetzung über den Karikaturenstreit.

© Karl Kardinal Lehmann

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz