Als wir mitteilen mussten, dass in fast allen Diözesen ab dem 1. Januar 2001 zwar die Schwangerenberatung weitergeht, aber keine Beratungsnachweise (Scheine) mehr ausgestellt werden dürfen, war es notwendig, gegen die Versuchung zur Resignation anzukämpfen. Es war klar, dass wir nun nicht die Flinte ins Korn werfen durften, sondern dass wir noch mehr, noch entschiedener und noch überzeugender für das Leben des ungeborenen Kindes eintreten mussten.
Dabei war es notwendig, die Wege und Verbindungen zu den Hilfsangeboten auszuweiten und besser miteinander zu verknüpfen. Dies gilt besonders für die Pfarrgemeinden, die Beratungseinrichtungen vor allem des „Sozialdienstes katholischer Frauen" und der Caritas, die Vereine und Verbände sowie viele einzelne Initiativen. Wir hatten schon viele Einrichtungen zur Hilfe für Frauen in schwierigen Schwangerschaftssituationen. Aber wir mussten sie noch besser miteinander vernetzen. So entstand die Initiative „Netzwerk Leben", die in der Zwischenzeit im Bistum bekannter geworden ist. Mit dem Wort „Netz" nehmen wir auch ein biblisches Bild auf, das zum Ausdruck bringt, Menschen in Not aufzufangen und nicht verloren gehen zu lassen.
Wir haben unser Rahmenkonzept zur Beratung schwangerer Frauen erweitert und vertieft. Dabei geht es auch um Notsituationen unabhängig von einer Schwangerschaft. 16 Beratungsstellen stehen dafür in unserem Bistum zur Verfügung. In diesen Tagen und Wochen kommen zusätzliche Einrichtungen hinzu: z.B. das „Haus des Lebens" in Viernheim mit entsprechenden Hilfen und die teilweise Freistellung einer Pastoralreferentin und eines Pastoralreferenten im Norden und Süden des Bistums für die Anliegen von „Netzwerk Leben". Dabei gibt es auch schon ältere, höchst anerkennenswerte Initiativen im Bistum, wie z.B. der Bensheimer Verein „Pro Vita / Für das Leben e.V." mit dem Angebot von zeitweiligen Wohnungen für alleinstehende Schwangere, dessen 20-jähriges Jubiläum wir im August feierten. Ich denke aber auch an Initiativen mancher Gemeinden, immer einen „Babykorb" mit der Erstausstattung zur Verfügung zu halten – gewiss nur ein Anfang, aber eben doch ein ermutigendes Zeichen.
Ohne engeren Zusammenhang mit dem Netzwerk Leben und als weltliche Gründung, aber in enger Zusammenarbeit mit der Pfarrgemeinde und der verantwortlichen Mitarbeit vieler katholischer Christen entsteht in Jügesheim mitten im Zentrum der Stadt ein Zentrum für Behinderte mit Werkstätten und Wohnungen. Dieser Verein „Gemeinsam mit Behinderten" existiert ebenfalls schon 20 Jahre und hat im Zusammenhang mit einem ungewöhnlichen Sportwettbewerb, dem 24-Stunden-Lauf, ein fast unglaubliches Kapital für diese große Einrichtung gesammelt.
Aber wer solche Initiativen (noch) nicht ins Leben rufen kann, hat dennoch viele Möglichkeiten. So habe ich mich in den letzten Wochen sehr gefreut, dass nicht nur viele Menschen anlässlich meines 65. Geburtstages eine hohe Summe für das Netzwerk Leben gaben, sondern dass bei Visitationen und Firmungen einige Gemeinden die Kollekte dafür zur Verfügung stellten und die Gefirmten sich selbst mit einem eigenen, persönlichen Betrag beteiligten. Darüber habe ich mich sehr gefreut, ganz besonders über die Wachheit und Sensibilität der Jugendlichen, beim „Netzwerk Leben" mitzumachen und sich diese Initiative anzueignen. Auf die kommenden Generationen kommt es ja entscheidend an.
Diese großen und kleinen Hilfen sind gerade heute ein ganz wichtiges Signal, um unter uns Christen, aber auch bei allen Menschen mehr Verantwortungsbewusstsein für das Leben zu wecken. Die Fortschritte der Biomedizin belegen täglich mehr, wie wichtig dieser Auftrag zumal für die Christen ist, für die Unversehrtheit des Lebens auf dieser Erde, besonders aber des ungeborenen Kindes einzutreten. Deshalb sollten wir überall bis in jede Gemeinde hinein das Wort der Bibel schon des Alten Testamentes hören, das uns aufruft „Wähle also das Leben, damit du lebst, du und deine Nachkommen!" (Dtn 30,19b) Ich freue mich über jede Initiative und jeden schöpferischen Einfall, der hilft, auch in schwierigen oder gar ausweglos erscheinenden Situationen Mut zum Leben zu wecken.
(aus: Glaube und Leben: Kirchenzeitung für das Bistum Mainz, 7./8. Oktober 2001)
von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz
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