Viele Menschen haben einen Horror vor Massenveranstaltungen. Sie sind vielleicht durchaus solidarisch mit den Zielen, aber sie fürchten alles, was auch nur im Entferntesten an Reichsparteitage und andere Aufläufe erinnern könnte. Manchmal spürt man dies auch im Verhältnis zum Weltjugendtag, der in der kommenden Woche in Köln stattfindet (16. bis 21. August).
Ich habe Verständnis für diese Zurückhaltung. Es ging mir früher auch so. Aber einmal muss man erkennen, dass die Kirchen heute in der großen gesellschaftlichen Öffentlichkeit ein auffallendes Stelldichein brauchen. Katholikentage (seit 1848 in Mainz!), Kirchentage und neuerdings Ökumenische Kirchentage geben Zeugnis davon. Dabei wissen die Kirchen natürlich, dass viele Aufgaben tagtäglich mit großer Diskretion und geradezu verborgen erfüllt werden, wenn es z.B. um das Leiden von Menschen geht. Die Großveranstaltungen gehören zum Medienzeitalter, aber sie sind nur ein Ausschnitt aus dem vielfältigen Leben der Kirche.
Ich habe selbst bei den Weltjugendtagen in Paris (1997), Rom (2000) und Toronto (2002) mitgewirkt. Auch ich habe erst nach und nach Sinn und Nutzen dieser riesigen Treffen erfahren und verstanden. Es ist für eine wirkliche Weltkirche gut, wenn viele junge Menschen, die ihre Zukunft bilden, bei aller Verschiedenheit ihrer Herkunft zusammenkommen, gemeinsam ihre Chancen ermessen und ihre reale Stärke wahrnehmen. Dies gilt nicht nur für die jungen Mitchristen aus sehr desolaten politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen, sondern auch wir selbst sind nicht selten die Beschenkten, wenn wir z.B. gerade bei den jungen Menschen aus den ärmeren Ländern eine erstaunliche Glaubensfreude und eine unverbrauchte Hoffnungskraft entdecken, die man bei uns eher mühsam suchen muss. Es tut uns gut, wenn wir einmal über den eigenen Kirchturm blicken. Gerade dies brauchen wir.
Die jungen Menschen aus aller Welt zeigen uns aber auch, dass man Glaube in der Kirche in ganz verschiedenen Modellen leben kann, und dass wir uns nicht nur an bestimmte Sozialformen von Kirche klammern. Kirche geht nicht einfach unter, wenn sich die äußeren Bedingungen im Kontext verändern. Auch diese Erfahrung kommt uns beim Wandel unserer gesellschaftlichen Verhältnisse zugute.
Unsere jungen Mitchristen kommen in ein Land, das sie vor allem von der Entwicklungshilfe und der Arbeit der großen kirchlichen Hilfswerke, aber auch vieler kleinerer Organisationen kennen. Sie bewundern uns auch wegen der Situation und der realen Möglichkeiten in unserer Gesellschaft, selbst wenn sie heute auch unsere Schwierigkeiten wahrnehmen. Aber sie gehen mit dem gestärkten Bewusstsein zurück in ihre Heimat, dass vieles nicht einfach schicksalhaft ist, sondern von Menschen selbst zum Guten verändert werden kann. Sie zählen auch auf uns, vielleicht noch mehr als bisher.
Dieser Gemeinsamkeit dienen auch die Gottesdienste, die 250 Katechesen von Bischöfen aus der ganzen Welt und viele Veranstaltungen, an denen auch der Papst mitwirkt. Der Hunger nach authentischer Spiritualität und auch ihre Erfüllung, an der die jungen Menschen selbst erstaunlich mitwirken, gehören von Anfang an zu den Weltjugendtagen.
Dies könnte sich auch in Köln und bei der Vorbereitung in den „Tagen der Begegnung“ in den einzelnen Bistümern (11. bis 15. August) ereignen – das ist Globalisierung konkret, von Anfang an auch in der Kirche vorhanden und eingeübt.
(c) Karl Kardinal Lehmann
von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz
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