Warum verhüllte Kreuze?

Datum:
Mittwoch, 14. April 2004

In vielen Kirchen findet man spätestens vierzehn Tage vor Ostern, der sogenannten Passionszeit, meist violett verhüllte Kreuze . Manchmal sind es auch größere Bilder, die wie mit einem Schleier verhüllt werden. In den Anweisungen zur heiligen Messe heißt es nach der Liturgie-reform des Zweiten Vatikanischen Konzils im deutschen Messbuch: „Der Brauch, die Kreuze und Bilder in den Kirchen zu verhüllen, soll beibehalten werden. Die Kreuze bleiben bis zum Ende der Karfreitagsliturgie und die Bilder bis zum Beginn der Osternachtsfeier verhüllt.“Die Liturgiereform hat sich nach längerer Zeit entschieden, dass die Bischofskonferenzen auf ihrer Ebene die Frage der Verhüllung entscheiden wollen. In jüngster Zeit ist durch das Hungertuch von „Misereor“ ein damit eng zusammenhängender Brauch wieder neu erweckt worden.

Die Gründe dafür sind vielfältig. Im 12. und 13. Jahrhundert kam vor allem im Westen der Brauch auf, Kreuze und Bilder zu verhüllen, denn Jesus Christus habe in der Zeit des Leidens auch seine Gottheit verborgen (vgl. Joh 8,59). Andere sahen darin eine Erinnerung an die Erniedrigung des Herrn.

War das Kreuz über die ersten Jahrhunderte ein letztlich schauerliches Symbol für den „schändlichsten Tod“ der Alten Welt, so sind die Kreuze, als sie mehr und mehr zum Siegeszeichen Jesu über Tod und Sünde, aber auch über eine gottwidrige Welt geworden waren, mehr und mehr mit wertvollen Edelsteinen geschmückt und aus wertvollen Metallen gearbeitet worden. Der Realismus des Hoch- und Spätmittelalters, erinnerte dann wieder drastisch an die Erniedrigung und das Unrecht, das dem Schmerzensmann zugefügt worden ist. Allzu prächtige Darstellungen sollten also gerade in der Passionszeit zurückgenommen und evtl. sogar verhüllt werden. Dies galt vor allem den Bildern und Kreuzen, die den in Herrlichkeit thronenden Herrn darstellen.Das Bild des am Kreuz erniedrigten Herrn sollte in dieser Zeit vorherrschen. Gewiss ist diese Verhüllung weniger sinnvoll, wenn das Kreuz und die Bilder ohnehin den Herrn in seiner tiefen Erniedrigung zeigen.

Der Film von Mel Gibson „Die Passion Christi“, der in diesen Wochen durch die Kinos der Welt läuft, zeigt diese tiefe und letzte, an Grausamkeit kaum zu überbietende Erniedrigung Jesu bis zur gänzlichen Vernichtung. Dies hat viele Filmbesucher tief getroffen, nicht selten auch verunsichert. Wir sind offenbar lange Zeit zu harmlos und zu oberflächlich mit dem Kreuz umgegangen. Es wird ja auch bei weniger passenden Gelegenheiten gedankenlos als Schmuck getragen. Da mag es gut sein, das Kreuz einmal für vierzehn Tage zu verhüllen und ihm damit seine Selbstverständlichkeit zu nehmen. Es gehen uns dann die Augen auf, wie ehrlos der Tod Jesu war. Auch hier können uns Zurückhaltung und Verzicht, das allzu Gewohnte banal anzuschauen, neu das Sehen lernen, gerade auch der Tiefe, die im Kreuz Jesu Christi steckt. Ausgerechnet in ihm, einem Schandpfahl ist das Heil der Welt beschlossen.

Wenn wir Christen diesen alten Brauch wieder aufnehmen und darüber meditieren, merken wir, dass das Verhüllen uns darauf vorbereiten soll, bei der Enthüllung des Kreuzes am Karfreitag die volle Wahrheit über das Leben und Sterben unseres Herrn zu entdecken. Dann bekommt die Einladung zur Verehrung des Kreuzes durch alle einen tiefen Sinn: „Seht das Holz des Kreuzes... Kommt, lasset uns anbeten.“

© Karl Kardinal Lehmann

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz