Wegmarken im Jahr 2013

Predigt von Kardinal Lehmann in der Jahresschlussandacht an Silvester, 31. Dezember 2013, im Mainzer Dom

Datum:
Dienstag, 31. Dezember 2013

Predigt von Kardinal Lehmann in der Jahresschlussandacht an Silvester, 31. Dezember 2013, im Mainzer Dom

Wenn man am Ende eines Jahres all dem, was geschehen ist, nochmals nachgeht, wird man in einem solchen Dom, der über 1000 Jahre alt ist, nachdenklich und wohl auch selbstkritisch: Was hat im Horizont dieser Zeit Bestand? Worüber lohnt sich eigentlich zu reden? Ist nicht vieles Sand und Tand, das gestern, heute und morgen schnell weggeschüttet wird? In der Moderne wird dieses Problem noch grundsätzlicher. Ist nicht alles, wie ein moderner Historiker sagte, von einem „Geist der ewigen Revision" bestimmt, von der „spezifisch modernen Treulosigkeit", vom fortdauernden Verlust letzter Gewissheiten?

Man wird diese Beschreibung nicht einfach verneinen können, aber sie erschöpft doch nicht das, was die Menschen denken. Dies gilt auch für junge Menschen. Allen sonstigen Trends entgegen suchen junge Menschen seit Jahrzehnten mit ziemlicher Konstanz Glück in ihrem Leben, vor allem aber Beständigkeit in Beziehungen der Liebe und besonders auch in der Familie. Es gibt viele Tiefenschichten in uns selbst, die wir vielleicht gar nicht immer wahrnehmen. Deswegen dürfen wir uns auch von der Rasanz der Moden, die sich oft über Nacht abwechseln, nicht zu sehr bedrängen lassen. Unter diesen Bedingungen achten wir zwar sorgfältig auf die „Zeichen der Zeit". Deswegen passen wir uns aber nicht einfach dem Zeitgeist an. In einer solchen Situation spüren wir noch stärker, dass wir im Interesse des Menschen am Ende vor allem dem verpflichtet sind, was bleibt, ohne deswegen nur das Bisherige und Alte pflegen zu wollen. In der Geschwindigkeit heutiger Entwicklungen kann uns auch der Glaube helfen, für uns und andere besser unterscheiden zu lernen, was für uns wichtig ist und worauf wir verzichten können.

Freilich bedeutet dies auch, dass wir fundamentalen Herausforderungen nicht ausweichen, wenn sie uns erreichen. Wir müssen viele grundlegende Werte und Normen, die sich in einer langen Geschichte bewährt haben, angesichts der Veränderungen in der Welt und unter den Menschen gründlich bedenken. Nur dann können sie ihre Fruchtbarkeit und ihre Kraft bezeugen. Dies ist ganz gewiss auch so im Bereich von Sexualität, Liebe, Ehe und Familie. Wir werden darauf noch zurückkommen. Aber dies ist ein weites und tiefes Feld des Suchens und Findens, dem wir uns vielleicht doch bisher nicht genügend gestellt haben. Ganz gewiss gehören auch andere Themen dazu, die in diesen Tagen größere Beachtung gefunden haben, wie die moderne Migration und vor allem auch das weltweite Flüchtlingselend.

II.

Wir brauchen nicht im Einzelnen zu wiederholen, was in unserer Welt geschah, angefangen von den vielen Katastrophen bis zu den Wahlen im Bund und in Hessen. Wir wollen uns dabei vor allem auf Ereignisse beschränken, die im Kern kirchlich beheimatet sind, auch wenn sie weit darüber hinausreichen.

Keiner kann über das Ereignis des Wechsels im Petrusdienst unserer Kirche im ersten Vierteljahr 2013 hinweggehen. Dabei dürfen wir Papst Benedikt XVI. nicht zu schnell vergessen. Der andere Stil von Papst Franziskus darf uns die Gemeinsamkeit beider nicht verdunkeln, die vor allem Papst Franziskus immer wieder herausstellt. Es ist nicht nur wahrhaft historisch zu nennen, wenn ein Papst von seinem Amt zurücktritt, wie es Benedikt XVI. zum ersten Mal seit Papst Cölestin, der im Jahr 1294 zurücktrat, getan hat. Nicht nur die 700 Jahre, die dazwischen liegen, offenbaren einen Hauch großer Geschichte, sondern dies hat auch Auswirkungen auf das Bild und Verständnis des Papstamtes in der Kirche und in der Ökumene: Wenn ein Papst demütig und bescheiden aus der Erfahrung der menschlichen Grenzen eine solche Konsequenz zieht, dann wird das Papsttum in dieser Perspektive durch einen ganz unerwarteten Rücktritt auch menschlicher. Es rückt uns und vielen anderen näher. Außerdem hat Papst Benedikt XVI. als Theologe, als Präfekt der Glaubenskongregation und erst recht als Nachfolger Petri vieles spirituell und theologisch für die Gegenwart und Zukunft der Kirche vorbedacht, was seine Fruchtbarkeit erst noch zeigen wird. Der Unterschied beider Päpste im Stil und in der Reaktion vieler Menschen darauf darf deshalb auch unsere bleibende Dankbarkeit für Benedikt XVI. nicht verdecken.

Dennoch war es gut, dass die Kardinäle in verhältnismäßig wenigen Wahlgängen sich entschlossen haben, einen Nichteuropäer, einen Lateinamerikaner und zum ersten Mal einen Jesuiten als Papst zu wählen. Papst Franziskus macht keinen Hehl daraus, dass er etwas anders in die Welt blickt als wir. Auch wenn italienisches Blut in seinen Adern fließt und er vertraut ist mit europäischer Bildung und Theologie, schaut er als jemand auf Europa und auch auf Rom, der ganz andere Erfahrungen der Menschen in anderen Kontinenten mitbringt, hautnah und sehr konkret. Es ist für viele nicht leicht, sich an diese Blickwendung zu gewöhnen. Wir waren vielleicht auch schon zu lange der Nabel der Welt oder haben uns dafür gehalten. Außerdem tut es den Kirchen Europas gut, wenn sie einmal nicht besonders beobachtet werden, vielmehr manches in Ruhe wachsen kann, bis man Kraut und Unkraut unterscheiden kann. Dass der Papst, der sich zum ersten Mal nach dem großen heiligen Franz von Assisi Franziskus nennt, zentrale Forderungen und Werte der Verkündigung Jesu sehr zielorientiert aufgreift, gibt der Kirche einen neuen Schwung, auch wenn dies bei uns manchmal durch die Ereignisse im benachbarten Bistum Limburg überlagert wird. Dabei spielt das große Thema des Zweiten Vatikanischen Konzils und der nach dem Konzil tief und neu erwachten Kirche Lateinamerikas, nämlich „Option für die Armen", eine zentrale Rolle. Dabei beschränkt sich die Rede von der Armut nicht auf materiellen Mangel und Kargheit an Gütern, sondern weiß sehr deutlich, dass man gerade auch bei vollen Töpfen satt, „fertig" und in diesem Sinne in ganz anderer Weise arm sein kann.

Lassen wir Papst Franziskus nicht allein. Es genügt nicht, dass wir seinen frischen, direkten und verständlichen Stil mit den konkreten Gesten bewundern - und ihn dann allein lassen. Er redet ja auch nicht nur von einer armen Kirche, die als Kirche noch einfacher werden kann, sondern zeigt nüchtern und mutig auch z.B. die Skandale im individuellen und gesellschaftlichen Leben von heute auf. Da ist von erbärmlich niedrigen Löhnen und von hoher Steuerhinterziehung die Rede. Vor diesem Hintergrund muss jeder sein Leben ändern.

III.

Ähnlich ist es mit dem Ruf nach Reformen. Sie sind wahrhaftig notwendig. Aber jede Reform, wenn sie glaubwürdig ist, fängt zuerst bei einem selbst an, nicht indem wir auf eine hässliche Institution zeigen. Der Ruf nach solchen Reformen in der Kirche erging in den letzten Jahrzehnten besonders stark in Richtung einer Erneuerung der Dienste und Ämter, nicht zuletzt im Blick auf die Möglichkeiten von Frauen in der Kirche, vor allem aber einer Revision des kirchlichen Verständnisses von Sexualität, Ehe/Familie und besonders der Empfängnisregelung („Pille") und auch der Wertung der Homosexualität mit ihren gemeinschaftlichen Ausdrucksformen.

Papst Franziskus ist nicht nur ein großer Realist in der Kenntnis des Menschen. Offenbar ist er auch sehr entschlossen und zielstrebig im Aufgreifen von Problemen. So hat er die Umfrageaktion zur Bischofssynode 2014 über die Familienpastoral und damit zusammenhängende Fragen, die gewöhnlich zur Vorbereitung an die Bischofskonferenzen gerichtet werden, auf alle Gemeinden und jeden Katholiken umgeleitet. Freilich gab es so auch besondere Schwierigkeiten durch die nicht leicht verständliche Kirchensprache, eine mangelhafte Aufbereitung der Fragen selbst und den Zeitdruck. Aber die Anerkennung und Freude der Menschen, dass sie auf diese Weise endlich selbst befragt werden und selbst antworten können, hat dies doch eher wieder zurücktreten lassen. So haben viele Menschen in den Diözesen ihre Stimme hörbar gemacht. Dies gilt auch für unser Bistum. Die Ergebnisse finden sich auf der Homepage des Bistums. Wir werden aber noch nach anderen Mitteln suchen, um die Resultate genügend bekannt zu machen. Freilich kommt es dabei auch auf die anderen deutschen Bistümer und die vielfältigen Antworten in der Weltkirche an. Über die Pluralität einer globalisierten Welt dürfen wir uns dabei nicht wundern.

Die Hauptantwort ist bekannt und wurde schon mehrfach mitgeteilt: In zentralen Fragen der Gestaltung menschlicher Sexualität und von Ehe/Familie denken sehr viele Katholiken - bis zu 80 Prozent - anders als offizielle Erklärungen der Kirche zum Ausdruck bringen. Ich habe das Verständnis von Sexualität und Ehe/Familie, die Empfängnisregelung und den Umgang mit Homosexualität und ihren Gemeinschaftsformen schon genannt. Ich habe selbst eine Würdigung der Ergebnisse, aber auch der Folgen für die weitere Arbeit am Ende der genannten Darstellung der Umfrageresultate in unserem Bistum versucht. Der Reformeifer darf sich jedoch nicht auf eine oberflächliche Kenntnis beschränken: die Aktion ist aufschlussreich, aber nicht sehr repräsentativ; sie wird dennoch ernst genommen, bedarf aber auch der Ergänzung; Fragen bieten noch keine zuverlässigen Antworten; wir müssen auch darauf hören, was die Kirchen in aller Welt als ihre dringenden Wünsche formulieren; die Bischofssynode im Herbst des kommenden Jahres ist eine Etappe auf dem Weg zum Finden tragbarer Lösungen; wir werden bis zum Vorliegen solcher Lösungen noch viel miteinander erarbeiten müssen.

Alle diese Fragen sind nicht neu. Die Antworten aus Pastoral und Theologie waren oft unbefriedigend. Das Lehramt der Kirche musste deshalb auch da und dort auf Unklarheiten aufmerksam machen. Aber es selbst war durch die Art der Reaktion in den meisten Fällen auch kaum hilfreich beim Suchen nach neuen Wegen. Ich habe selbst seit über 45 Jahren, also noch bevor ich Bischof wurde, bis heute, auf nationaler und internationaler Ebene an vielen Versuchen zu einer Weiterführung der Probleme und an einer Antwort mitgewirkt. Ich kenne also die Probleme und bin deshalb auch zurückhaltend mit Versprechungen, obgleich ich mir endlich Hilfen für viele offenkundige Notsituationen sehnlich wünsche.

Vielleicht kann man in den einzelnen Fragen, von einigen grundlegenden Prinzipien abgesehen, nicht überall globale Antworten bis ins Detail erwarten. Man muss aber auch die Einheit und Wahrheit des Glaubens in so wichtigen Gestaltungsfragen des Glaubens bewahren. Der Ruf nach „Barmherzigkeit", der überall erschallt, kann nicht bedeuten, dass man alles, was ist, naiv zudeckt und still rechtfertigt. Nicht alles, was an Untreue und Willkür geschehen ist, darf man einfach übergehen. Zur Barmherzigkeit gehört auch die Gerechtigkeit. Ein Ausgleich zwischen beiden ist seit Jahrhunderten immer wieder gesucht worden. Es ist ganz wichtig, die einzelnen Situationen von Menschen aus gebrochenen Beziehungen zu unterscheiden. Die „Unterscheidung der Geister" wird eine große Aufgabe des christlichen Lebens, nicht nur spiritueller Eliten. Dann wird man zu gewiss nicht vollkommenen, aber tragbaren Lösungen vor allem in Einzelfällen kommen können. Die Betroffenen selbst behalten dabei eine große Verantwortung. In der Kirche kommt es zunächst vor allem darauf an, dass Menschen aus gebrochenen Beziehungen, ob wiederverheiratet oder nicht, einen fraglosen Platz in der Kirche behalten oder bekommen. Sie sind nicht, wie man besonders im Blick auf Wiederverheiratete oft denkt, einfach exkommuniziert. Diese Frage einer Beheimatung ist noch wichtiger als eine schlichte Zulassung zum Eucharistieempfang. Dies kann ja keine allgemeine Automatik sein, die es nie beim Empfang der Eucharistie gegeben hat.

In diesem Zusammenhang kann man auch die Probleme im Kontext der Homosexualität nicht ausklammern. Solange wir jedoch nicht genügend über die Homosexualität im Entstehen und im Verlauf wissen, ist Zurückhaltung besonders in ethischer und religiöser Hinsicht geboten. Dass Menschen, ohne verheiratet zu sein, füreinander eintreten und sich enger aneinander binden, was ja nicht einfach nur durch die Ausübung der Sexualität geschieht, hätte man schon früher in vieler Hinsicht günstiger beurteilen und erleichtern können. Dies gilt z.B. wenn Menschen einander aus unterschiedlichen Situationen und vielleicht auch verschiedenen Lebensaltern beistehen. Aber es ist ein äußerst fragwürdiger Weg, wenn man zur Stützung dieser Lebensgemeinschaften, besonders wenn sie primär sexuell orientiert sind, die Ehe und die Familie als das auch für sie geltende Modell heranzieht. Die Umfrageergebnisse sind hier aufschlussreich und zeigen, dass die Menschen doch recht unterschiedlich werten. Dies schließt ja Toleranz dem Einzelnen gegenüber nicht aus. Hier sind tiefgreifende Klärungen notwendig. Die „traditionelle" Familie hat gute Karten, aber sie muss von den Generationen immer wieder neu entdeckt werden.

Diese Fragen werden uns gewiss in nächster Zeit außerordentlich berühren und ansprechen. Wir dürfen diesen Lebensfragen sehr vieler Menschen von heute nicht ausweichen, wir dürfen sie aber auch nicht durch billige Antworten enttäuschen. Es gibt hier eine falsche Strenge, gegen die man sündigt, aber auch eine naheliegende Nachlässigkeit, die immer wieder verführerisch ist.

IV.

Ich will noch eine letzte Sache im Übergang der Jahre erwähnen. In unserer Kirche und in jedem Bistum, ja in vielen einzelnen Gemeinschaften verehren wir Heilige. Das neue „Gotteslob", das wir im Lauf des Jahres 2014 einführen, nimmt große Rücksicht darauf. Zu unseren Mainzer Seligen gehörte schon bisher Petrus Faber, der vor allem im Lauf der Jahre 1542/43 in Mainz weilte. Er wurde am 17. Dezember, also vor 14 Tagen, durch Papst Franziskus heilig gesprochen. Der Papst selbst wird am 3. Januar 2014 in der Kirche Il Gesù einen feierlichen Gottesdienst zu Ehren des neuen Heiligen halten. Papst Pius IX. hatte ihn 1872 selig gesprochen.

Wer war Petrus Faber? Ich will wenigstens mit einigen Pinselstrichen eine Antwort versuchen. Er wurde 1506 bei Genf geboren, gehörte zu den fünf ersten Gefährten des hl. Ignatius von Loyola und lebte mit ihm und Franz Xaver als Stubengenossen in Paris zusammen. Er war maßgeblich beteiligt, als im Jahr 1539 der Jesuitenorden gegründet worden ist. Der hl. Ignatius hat ihn ganz besonders als Seelsorger und Exerzitienbegleiter geschätzt. Die damaligen Wirren der Zeit, auch in der Kirche, brachten es mit sich, dass Peter Faber zwischen Papst und Kaiser verschiedene Aufgaben erfüllte und in sehr vielen Hauptstädten Europas, besonders auch bei Fürstenhöfen und Bischöfen, tätig werden musste, obwohl er sich nach Ruhe und Beständigkeit sehnte. „Unser Herr weiß, warum Er mir nie die Gnade gibt, lange an einem Ort bleiben zu können; warum man mich immer dann abberuft, wenn die Sachen gut zu gehen beginnen und die eigentliche Erntezeit kommt. Bis jetzt hat das immer zum besten ausgeschlagen, das sehe ich wohl." (Brief an Ignatius vom 27.4.1542, Memoriale, 340).

Auf diesen vielen Wegen kam Petrus Faber als erster Jesuit nach Deutschland. Ganz unver-meidlich kam er in das Land der Glaubensspaltung. Diese hat er jedoch nie vornehmlich politisch oder auch theologisch verengt, sondern stets unter pastoraler Perspektive wahrgenommen. So kam er 1540 zu den Religionsgesprächen nach Worms und später nach Regensburg. Die Trennung zwischen den Kirchen schien noch nicht endgültig zu sein. Peter Faber kommt 1542 nach Speyer und zur Seelsorge nach Mainz. Hier trifft er auch Kardinal von Brandenburg, Erzbischof von Mainz, in Aschaffenburg. Er hält Vorlesungen in Mainz und entfaltet hier eine reiche seelsorgliche Tätigkeit. Bevor er 1544 nach Köln zieht, um dort die erste Jesuitenniederlassung in Deutschland zu begründen, wird der Holländer Petrus Canisius nach Exerzitien bei Peter Faber am 8. Mai 1543 der erste deutsche Jesuit. Vieles geschah in der Mainzer Kirche St. Christoph. Wertvolle Teile seines Geistlichen Tagebuches, des „Memoriale", und wichtige Briefe schreibt er in der Mainzer Zeit nieder. Bald verlässt Peter Faber aber auch wieder Köln, muss auf Weisung des Ignatius nach Portugal und Spanien. Auf der Reise über Rom zum Konzil von Trient stirbt er im jungen Alter von 40 Jahren in Rom und wird dort begraben, wohl bei der heutigen Kirche Il Gesù.

Ich kann nur auf diese bei uns fast vergessene, aber wunderbare Gestalt hinweisen. Besonders wichtig ist auch der Stil, mit dem er auf die Protestanten zuging. Es war in dieser Form selten und klingt wie ein Stück aus entsprechenden Äußerungen des Zweiten Vatikanums. Ich möchte nur mit dem folgenden Zeugnis Mut machen, sich näher mit diesem großen Heiligen zu beschäftigen, am besten anhand des „Memoriale", also eines Merk- und Gedächtnisbuches über den Geistlichen Weg (vgl. die 1963, in 2. Auflage 1989 veröffentlichte Übersetzung von Peter Henrici im Johannesverlag). In den Verhaltensregeln gegenüber den Protestanten heißt es: „Als Erstes muss, wer den Irrgläubigen unserer Zeit helfen will, zusehen, dass er ihnen viel Liebe entgegenbringt und dass er sie in Wahrheit liebt, indem er seinen Geist von allen Überlegungen frei macht, die der Achtung vor ihnen abträglich sein können. Als Zweites müssen wir die Gunst zu gewinnen suchen, dass sie uns lieben und uns einen guten Platz in ihrem Geiste geben. Das geschieht, wenn man sich mit ihnen freundschaftlich über Dinge unterhält, die ihnen und uns gemeinsam sind und sich vor allen Streitgesprächen hütet, wo einer den anderen herabzusetzen sucht. Zuerst nämlich müssen wir mit ihnen in den Dingen Umgang pflegen, die uns einen und nicht in den anderen, wo eine Verschiedenheit der Auffassungen zutage tritt." (Anweisungen für das Apostolat vom 7.3.1546, Memoriale, 374) Die Auseinandersetzung mit der Reformation und eine mögliche Wiedervereinigung sind nach Peter Faber nur möglich durch eine innere Erneuerung der katholischen Kirche selbst, also der praktischen christlichen Lebenshaltung. Es geht zuerst um unser Beispiel. So endet im Jahr 1546 Peter Faber seine Instruktionen: „Jesus Christus, der Erlöser aller Menschen, erfülle sie mit Seinem Heiligen Geist; denn Er weiß ja, dass Sein geschriebenes Wort allein nicht genügt!" (Memoriale, 376) Gerade deshalb haben wir als ein auch heute noch exemplarisches Vorbild Peter Faber, der neue Heilige, der gerade auch in Mainz über St. Christoph und das Peter-Faber-Haus in Bingen hinaus, vor allem auch spirituell noch bekannter werden kann und soll. Amen.

Karl Kardinal Lehmann, Bischof von Mainz

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

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