Wie wir sterben wollen

Zur Frage der Patientenverfügungen

Datum:
Samstag, 11. Dezember 2004

Zur Frage der Patientenverfügungen

Gastkommentar in der Mainzer Allgemeinen Zeitung am 11.12.2004

Der medizinische Fortschritt hat in den letzten Jahrzehnten zu einer schwierigen Situation geführt. Auf der einen Seite können durch moderne medizinische Möglichkeiten Krankheiten geheilt oder wenigstens aufgehalten werden, die noch vor wenigen Jahren als unheilbar gegolten haben. Auf der anderen Seite kann der Einsatz aller medizinisch-technischen Mittel heutiger Intensivmedizin dazu führen, das Leiden und Sterben von Menschen wesentlich zu verlängern.

Alles muss darauf hinzielen, bis zuletzt ein Leben und Sterben in Würde zu ermöglichen. Dafür kann es notwendig sein, die intensive Medizin voll anzuwenden oder aber auf sie zu verzichten. Die letzte Entscheidung sollte aus der konkreten Situation des sterbenden Menschen heraus getroffen werden, wobei seine Wünsche und Bedürfnisse im Vordergrund stehen.

Eine Patientenverfügung dokumentiert den Willen eines Menschen für den Fall, dass er sich nicht mehr selbst äußern und sein Selbstbestimmungsrecht im Blick auf seine Gesundheit nicht mehr selbst wirksam ausüben kann. Deshalb kam es in den letzten Jahren immer mehr zur Ausarbeitung und zum Angebot verschiedener Formulare. Darunter gibt es auch, nun seit 2003 in 2. Auflage, eine „Christliche Patientenverfügung“, die mit Zustimmung fast aller Kirchen in unserem Land erarbeitet worden ist.

Neuerdings hat das Bundesjustizministerium einen Entwurf zur Regelung der Patientenverfügung vorgelegt. Er geht allgemein von einer strikten Beachtung der in der Patientenverfügung niedergelegten Willenserklärung aus. Im Allgemeinen besteht an diesem Punkt Übereinkunft, dass der Arzt an den in einer Patientenverfügung geäußerten Willen gebunden ist, wenn die Behandlungssituation der Willenskundgebung des Patienten entspricht und keine nachträgliche Änderung dieses Willens erkennbar ist.

Ein schwieriges Problem ist die so genannte Reichweite der Patientenverfügung: Wird sie nur angewandt zur Abänderung der Therapie während der Sterbephase oder auch dann, wenn diese Phase noch nicht gegeben ist, das Grundleiden jedoch unabänderlich zum Tod führen wird? Der Regierungsentwurf hat heftige Kritik einstecken müssen, weil er keine Begrenzung dieser Reichweite vorsieht. Manche wollen darin einen Einstieg in die aktive Sterbehilfe sehen.

Der Berliner Entwurf sieht nicht vor, dass die Patientenverfügung in schriftlicher Form erfolgen muss. Auch hier gibt es erhebliche Einwände. Dies könnte dazu führen, dass irgendwelche Äußerungen von Angehörigen als Patientenverfügung gedeutet werden. Die Bindung an eine Form erhöht in der Regel auch die Gründlichkeit der Beratung. Schon ein normales Testament muss schriftlich verfasst sein. Soll demgegenüber eine Entscheidung über das Lebensende wirklich formfrei sein?

 

Dies scheinen mir die wichtigsten Diskussionspunkte zu sein, um die es in den nächsten Wochen geht. Der Staat muss freilich nicht nur das Selbstbestimmungsrecht des Patienten respektieren, er ist auch von den Grundrechten her zur Rettung von Leben verpflichtet, soweit dies nur möglich ist. Es ist zu hoffen, dass die Diskussion der nächsten Wochen, wenn das Gesetz auch in den Bundestag eingebracht werden wird, nüchtern und würdevoll verlaufen wird. Der Souverän Tod, der uns alle erfasst, gebietet zuerst dies.

(c) Karl Kardinal Lehmann

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz