Kolumne von Kardinal Karl Lehmann in der Mainzer Kirchenzeitung "Glaube und Leben" (1. März 2015)
Der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen, der offensichtlich lange Zeit verdeckt war und wurde, hat der Kirche in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten weltweit außerordentlich geschadet. Ganz gewiss ist dies nicht nur ein Problem der Kirche, gar der katholischen. Aber da die Kirche im Bereich der Gestaltung der menschlichen Sexualität große Anforderungen stellt, war das Aufdecken von Verfehlungen in ihrer Mitte besonders reizvoll, für die Kirche freilich extrem schädlich. Es gibt bis zum heutigen Tag viele Bereiche, in denen es auch Verfehlungen dieser Art anderswo gibt: im Sport, im Ballettunterricht, in Therapien usw. Für Schulen ist innerhalb und außerhalb der Kirche vieles an den Tag gekommen.
Man darf auch feststellen, dass in vielen Fällen kircheneigenes Personal zuerst diese Verbrechen aufgedeckt und bloßgestellt hat. Es darf aber auch nicht verschwiegen werden, dass der größte Teil dieses Missbrauchs in den Familien geschieht. Obwohl man dies weiß, macht man - auch in den Medien - einen großen Bogen um diese Schande herum.
So beschämend dies alles für die Kirche und auch für die Verantwortlichen in ihr ist und bleibt, so sehr haben wir zu Beginn der 90er Jahre rasch reagiert und entsprechende Richtlinien zum Umgang mit Opfern und Tätern aufgestellt. Dies wird von verschiedener Seite durchaus anerkannt. Aber manche Leute ignorieren dies bis auf den heutigen Tag und schaffen so den Eindruck, als vertusche die Kirche auch heute noch diese Verfehlungen. Dass dies früher oft erfolgte, soll nicht geleugnet werden, was immer die Motive dafür waren.
Gerade die Deutsche Bischofskonferenz hat mit der Beauftragung des Bischofs von Trier, Dr. Stephan Ackermann, über Jahre hinweg viele Studien, Programme und Maßnahmen, auch finanzieller Art, angeregt und durchgeführt zur Aufklärung, Heilung und Vermeidung sexuellen Missbrauchs. Viele Maßnahmen zur Prävention stehen heute an erster Stelle und werden auf allen Ebenen sehr regelmäßig durchgeführt.
Hier darf man nicht vergessen, dass auch die oberste Kirchenleitung nach anfänglichem Zögern hart eingeschritten ist. Papst Benedikt XVI. ließ keinen Zweifel, wie verabscheuungswürdig diese Untaten sind.
Nun hat Papst Franziskus mit hohem Einsatz diese Verfehlungen noch mehr mit Worten gegeißelt, aber auch durch eine Reihe von Aktivitäten energisch bekämpft. Dies geht bis in die jüngste Zeit hinein, ist aber auch kirchenintern zu wenig beachtet worden. Zu diesen Maßnahmen gehört die Errichtung einer Päpstlichen Kommission zum Schutz Minderjähriger (2013). Er hat den nordamerikanischen Kardinal Seán O'Malley, einen Angehörigen des Kapuzinerordens, zum Präsidenten dieser Kommission ernannt. Er hat nach seinem Dienstantritt in seiner eigenen Diözese, dem großen Erzbistum Boston, eine der schwierigsten Situationen im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch überstehen müssen. Das Erzbistum ist dadurch auch finanziell an seine Grenzen gekommen.
Papst Franziskus hat ihm den Auftrag gegeben, in der ganzen Kirche alle existierenden Maßnahmen zum Schutz der Kinder und im Sinne einer pastoralen Begleitung der Opfer zu überprüfen. Es sollen dazu auch Erziehungsprogramme in allen Diözesen und Ordensgemeinschaften entwickelt werden. Der Papst hat Kardinal O'Malley 15 Frauen und Männer aus der ganzen Welt, die fast alle Experten sind - freilich sind aus England und Irland auch eine Frau und ein Mann als Opfer Mitglieder -, zur Realisierung dieser Aufgaben zur Seite gestellt. Zugleich wurde ein Zentrum für den Schutz des Kindes, das ursprünglich vom Erzbistum München und Freising aus geplant wurde, mit ähnlichen Gründungsabsichten des Hl. Stuhl gemeinsam in Rom errichtet, das in der vergangenen Woche seine Arbeit aufgenommen hat und von einem namhaften deutschen Experten geleitet wird, der auch einen Lehrstuhl für Psychologie an der Päpstlichen Universität Gregoriana innehat, Professor P. Dr. Hans Zollner SJ.
Es ist wohl kein Zufall, dass der Papst am 2. Februar 2015 einen überaus ernsten Brief über die Aufgaben der genannten Kommission an alle Bischofskonferenzen und Ordensgemeinschaften geschickt hat und zum gemeinsamen Vorgehen aufgerufen hat. Er verweist ausdrücklich auf zusätzliche Maßnahmen, wie z. B. ein Schreiben der Glaubenskongregation vom 3. Mai 2011. Im Juni 2014 hat Papst Franziskus im Übrigen gemeinsam mit Opfern einen Gottesdienst mit einer aufrüttelnden Predigt gehalten.
Der Präsident der Kinderschutzkommission, Kardinal O'Malley, hat bei der Kardinalsversammlung am 13. Februar 2015 ausführlich über die Aktivitäten und Aufgaben berichtet. Papst Franziskus hat in selten ernsten, tief berührenden Worten die Kardinäle und Bischöfe zu einem energischen Vorgehen aufgerufen. Alles müsse 1:1 umgesetzt werden, null Toleranz. Bei aller sonstigen Rede von Barmherzigkeit gegenüber Tätern hat er nicht die geringsten Zweifel hinterlassen, auf welcher Seite er steht.
(c) Karl Kardinal Lehmann, Bischof von Mainz
von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz
Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz