"Wir sind überzeugt, dass Sie dafür der richtige Mann sind" Kardinal Lehmann führt Propst Tobias Schäfer in sein neues Amt am Wormser Dom ein

Datum:
Sonntag, 28. September 2014

Dokumentation des Wortlautes der Predigt von Kardinal Lehmann zur Amtseinführung des neuen Propstes für den Wormser Dom St. Peter und des Pfarrers für St. Martin, Herrn Geistlicher Rat Pfarrer Tobias Schäfer, am 28. September 2014 in Worms 

Obgleich das Leben der katholischen Kirche durch die Jahrhunderte hindurch besonders von Kontinuität und Stabilität gekennzeichnet ist, sind doch die Wechsel der Pfarrer in den verschiedenen Gemeinden ein wichtiger Einschnitt. Die Abfolge der Pfarrer ist ein wichtiges Element in der Geschichte der Kirche vor Ort.

Doch geht es heute nicht nur um die Einführung eines neuen Pfarrers. Denn Pfarrkirche ist Worms eigentlich, genauer gesehen, erst seit 1803, als das Bistum Worms in verschiedenen Stufen aufgehoben worden ist. Deswegen mag es gut sein, den Blick auf freilich wenige Stationen der Wormser Bistumsgeschichte zu lenken, um an die Bedeutung des Wormser Doms und des Bistums zu erinnern, allerdings auch unserer Verantwortung innezuwerden. Denn dadurch, dass wir nicht nur eine päpstlich legitimierte „basilica minor" (kleine Basilika) vor uns haben - dafür gibt es noch andere im Bistum wie z.B. Ilbenstadt, Seligenstadt und Bingen -, sondern die regelrechte Kathedrale eines eigenen ehemaligen Bistums, hat diese Kirche auch ein ganz eigenes Gewicht und Gesicht.

Dies hängt ganz gewiss auch mit der Lage von Worms zusammen. Es ist am linken Rheinufer, am Übergang wichtiger Fernwege gelegen. Worms wurde früh besiedelt, vermutlich zuerst durch die Kelten. Kein geringerer als Caesar hat dem Stamm der germanischen Vangionen das Gebiet zugewiesen und Worms zu einem wichtigen römischen Verwaltungszentrum erhoben. „Wonnegau" erinnert uns noch heute durch den Namen an diese Zeit. Für vier Jahrhunderte herrschten die Römer hier. Worms war eine autonome Verwaltungseinheit, eine kleine Provinzstadt mit Handel und Gewerbe und erhielt im Lauf der nächsten Jahrhunderte das, was wir heute mit Stadtrecht bezeichnen. Um 413 war Worms Zentrum eines kurzlebigen burgundischen Reiches, in dem auch das so genannte Nibelungenlied wurzelt. Es war eine schwierige Zeit mit vielen herandrängenden Völkergruppen, den Hunnen, den Alemannen und schließlich den Franken, die allmählich das Erbe der Römer als Ordnungsmacht im 6. Jahrhundert antraten. Worms blieb in dieser Zeit immer eine Art von Oberzentrum. Später wurde es vom 7. bis zum 12. Jahrhundert ein Ort wichtiger politischer Versammlungen, vor allem für Synoden und Reichstage.

Im 4. Jahrhundert wird auch ein Bistum erwähnt, aber erst seit 614 zuverlässig bezeugt. Mit dem Namen des Bischofs Berthulf haben wir einen ersten unzweifelhaften Anhaltspunkt für die Existenz des Wormser Bistums. So alte Bistümer gibt es in unserem Land nicht viele. Wir können ab dem 7. Jahrhundert eine Bischofskirche annehmen, auch wenn wir nur wenige Fragmente dafür kennen. Wie groß der Einfluss von Worms war, zeigt sich auch daran, dass Bischof Rupert von Worms um 700 das Salzburger Bistum gründete. Worms war mit 3250 qkm die kleineste Diözese am Mittelrhein. Es lag beengt zwischen den älteren Diözesen Mainz und Speyer sowie dem 742 errichteten Bistum Würzburg. Der räumliche Zusammenhang der einzelnen Teile war recht locker, die Ausstattung war ziemlich ärmlich. Dies erwies sich bei aller Bedeutung von Worms doch als eine bleibende Schwäche. Darin ist auch begründet, dass das Bistum Worms immer mehr in der frühen Neuzeit von Trier oder Mainz verwaltet worden ist, bis es 1821 endgültig aufgehoben wurde.

Die frühe Geschichte des Domes ist verwickelt. Wir können im Jahr 2018 auf die Einweihung eines ersten Domes vor 1000 Jahren in Anwesenheit von Kaiser Heinrich II. zurückblicken. Eine Neuweihe fand nach dem Zusammenbruch und Neubau des Domes dann wieder 1181 statt. Worms hat durch die vielen schon genannten Synoden und Reichstage, wichtige politische Daten, wie das Wormser Konkordat zur Beendigung des Streites zwischen den führenden Adels-Häusern, also Laien, und der Kirche im Jahr 1122, durch den Reichstag mit dem Auftreten Martin Luthers 1521, durch das Wormser Edikt desselben Jahres mit dem Verbot der neuen Lehre und andere Ereignisse in der Geschichte bis heute einen wichtigen Namen behalten.

Aber gerade das kleine Bistum Worms, das im Blick auf die äußeren Bedingungen oft, ja stets um seine Lebensfähigkeit kämpfte, lebte nicht nur von seiner Lage, seiner Geschichte und dem Dom, sondern auch von den fünf großen Stiftskirchen (St. Peter, St. Paul, St. Andreas, St. Martin, Liebfrauenstift), die mit z.T. neun Pfarrkirchen wie ein Kranz um den Dom lagen. Entscheidend waren seine weithin wirkenden Bischöfe. Einen besonderen Höhepunkt erlangte das Bistum Worms durch das Wirken von Bischof Burchhard I. (1000-1025). Er wurde durch Erzbischof Willigis aus Mainz im Jahr 1000 im heutigen Eichsfeld zum Bischof geweiht. Als Bischof Burchhard nach Worms kam, war die Stadt in einem desolaten Zustand. Viele Bürger hatten die Stadt verlassen; die Menschen waren sehr verunsichert; überall war Streit. Bischof Burchhard stärkte die Verwaltung wieder und erwarb allmählich sogar die Stadtherrschaft. Auf ihn geht wohl auch am meisten der Dom zurück. Mainz ging beim Bau voran. Speyer und Straßburg folgten mit jeweils riesigen Neubauten. Ein neues Europa entstand. Die Domschule erlebte ihre Blütezeit. Burchhard war ein überragender Organisator und gilt als einer der wichtigsten Bischöfe von Worms und in seiner Zeit.

Burchhard hat jedoch eine Bedeutung weit über Worms hinaus, ist er doch einer der angesehensten Rechtsgelehrten des Frühmittelalters. Er hat in einem 20-bändigen Werk „Dekrete" die kirchlichen Rechtssätze (canonis) der Vorzeit und seiner Gegenwart gesammelt und damit eine wichtige Rechtsgrundlage geschaffen. Diese Sammlung hat auch eine große Wirkung gehabt auf die Entwicklung des europäischen Rechtes, ja besonders auch der heute so genannten Grundrechte, die auf der Menschenwürde und der Gottebenbildlichkeit beruhen. Burchhard hat durch diese Sammlung auch die Voraussetzung geschaffen für eine gewisse Ordnung und Sicherheit des damals sehr zersplitterten kirchlichen Rechts.

Ich will nur ganz wenige Beispiele zur Veranschaulichung nennen. Burchhard hat im Gegensatz zu seiner Zeit vor allem auch die Frau rechtlich besser gestellt. So muss nach ihm der Ehebruch bei beiden Geschlechtern in gleicher Weise verurteilt werden. Die Bischöfe machten sich besonders zu Beschirmern und Beschützern verstoßener Frauen. Hier folgt er in besonderer Weise dem Evangelium. So hat er auch große Bedeutung für die deutsche Rechtsgeschichte: Er hat für das Unrecht an den Kleinen und Bedrängten harte Strafen eingeführt. Er hat besonders alle Formen gewalttätiger Tötungen hart verurteilt. Scharf ging er auch gegen alle Formen des Zaubers vor. Schließlich hat er den Rang der einzelnen Diözese hervorgehoben und die Freiheit der Kirche gestärkt.

Viele andere Ereignisse jener Zeit und auch der folgenden Epoche kann ich in diesem Zusammenhang nur nennen. Worms war mit Mainz, Speyer, Trier und Köln Sitz der ältesten jüdischen Gemeinden in Deutschland mit einer großen jüdischen Gelehrtentradition und heute noch vielen lebendigen Monumenten aus dieser Zeit. Die Franziskaner und die Dominikaner haben sich schon früh in ihrer Geschichte in der rasch wachsenden Stadt mit vielen sozialen, politischen und religiösen Spannungen niedergelassen. Wir sind dankbar, dass die Dominikaner heute noch in St. Paul uns durch eine lebendige Gegenwart an diese Geschichte erinnern. Die Bischöfe von Worms haben z.B. auch die Universität Heidelberg mitbegründet und unterstützt.

Die Annahme der Reformation in der Kurpfalz machte aus Worms ein sehr schwaches Diasporabistum. Um 1600 bestand das Bistum nur noch aus ca. 15 Pfarreien. Zwar gab es in der Folgezeit gelegentlich einen leichten Aufschwung, aber das Bistum bewegte sich in sehr engen Grenzen. Vor allem der Wormser Reichstag von 1521 hatte mit dem Auftreten Luthers eine große Bedeutung. Luther verweigerte den geforderten Widerruf und berief sich dabei auf die Bibel und sein Gewissen. Dadurch ist Worms in der Neuzeit ganz besonders geprägt worden. Auch wenn die Lektüre und Verbreitung von Luthers Schriften verboten wurde, so wurde die Reformation bis heute weltweit durch dieses Ereignis gestärkt. Worms 1521 bedeutete den eigentlichen Auftakt der deutschen Reformationsgeschichte. Man darf aber in diesem Zusammenhang nicht vergessen, dass in den so genannten Wormser Religionsgesprächen von 1540/41 und von 1557 gleichsam in letzter Minute versucht wurde, zwischen den zerstrittenen Konfessionen zu einer Einheit zu kommen. Dies misslang, zumal auch die Differenzen unter den reformatorischen Gesprächspartnern nicht überwunden werden konnten. So ist Worms für uns alle bis zum heutigen Tag zu einer wichtigen Wegmarke im ökumenischen Gespräch um das Wiedergewinnen sichtbarer Einheit geworden. Ich freue mich sehr über das gewachsene gute Klima unter uns und danke dafür unseren evangelischen Schwestern und Brüdern, ganz besonders Ihnen, Herr Dekan Storch.

Dies alles konnte nicht aufhalten, sondern hat auch dazu geführt, dass diese Stadt trotz ihrer guten Lage und ihrer großen Geschichte immer mehr niederging. Dies zeigt sich besonders an der Zerstörung durch die Franzosen im 1689. Der endgültige Niedergang konnte, zumal Worms auch im Blick auf die Bevölkerungszahl sehr zurückging - 5000 Einwohner um 1800 -, nicht verhindert werden. Der wirtschaftliche Niedergang beschleunigte den Fall.

Wir haben also als Erbe dieser großen, gewiss auch unglücklichen Geschichte eine hohe Verantwortung. Wir leiden heute noch darunter. Sie wird noch durch viele andere Fakten und Ereignisse gestützt. Ich denke hier nur an die wichtige Rolle von Worms und besonders des hl. Martin, weil ja der hl. Martin in Worms endgültig auf den Wehrdienst verzichtet hat, dafür in den Kerker musste und sich für das Mönchstum entschied. Heute wird das Andenken an diesen großen Heiligen der Nächstenliebe in ganz Europa wachgehalten. Wir haben also gemeinsam genügend Aufgaben, um eine lebendige Tradition zu bewahren und immer zu erneuern. Dies tun wir gerne mit allen daran interessieren Bürgern. Wir wollen unserer Verantwortung, die von den Christen dieser Stadt über mehr als 1500 Jahre treu ausgeübt worden ist, auch heute fortsetzen und dieser lebendigen Tradition gerecht werden. Dafür gibt es in dieser Stadt und im Bistum viele Initiativen. Das Bistum Mainz nimmt mit den Schwestern und Brüdern diese Verantwortung wahr.

Verehrter, lieber Geistl. Rat Tobias Schäfer, wir haben Sie ausgewählt, um diese Verantwortung nach Propst und Domkapitular Engelbert Prieß zu übernehmen und in die Zukunft der Geschichte zu tragen. Wir sind überzeugt, dass Sie dafür der richtige Mann sind. Sie haben eine große Kenntnis unseres Bistums. Mit bald 50 Jahren bringen Sie viele gediegene Erfahrungen mit. Sie waren Kaplan in Alzey und Seligenstadt, Sie waren mir in den Jahren 1995 bis 1998 ein sehr hilfsbereiter und kluger Bischöflicher Sekretär, Sie waren in Rheinhessen Pfarrer, so in Freimersheim und Gau-Heppenheim, in Ober-Flörsheim und nun auch seit 2008 in der Stadt Ingelheim.

Aber damit nicht genug. Sie haben auch viele andere Erfahrungen als Dekan in Rheinhessen, als Vorsitzender des Caritas-Aufsichtsrates des Bezirkscaritasverbandes Mainz (und dies über zehn Jahre), als Gefängnisseelsorger und nicht zuletzt auch als Dozent und Ausbildungsleiter für die Studierenden der Gemeindepastoral, also für die künftigen Gemeindereferentinnen und Gemeindereferenten. Sie haben sich auch der Diözesangemeinschaft Mainz im Bundesverband der Katholiken in Wirtschaft und Verwaltung angenommen. Sie haben Erfahrung in der Leitung von Pfarrverbänden und überörtlichen Zusammenschlüssen. Sie haben sich in vielen schwierigen Situationen durch menschliche Klugheit, aufmerksamer Seelsorge, wache Spiritualität, eine offene Theologie, ökumenische Aufgeschlossenheit und durch gezielten diakonisch-caritativen Einsatz besonders für benachteiligte Menschen in hohem Maße ausgezeichnet und sich damit für diese hohe Aufgabe in Worms empfohlen.

Ich danke Ihnen von ganzem Herzen für Ihre Bereitschaft. Ich danke Ihnen aber auch für die hervorragende Arbeit in unserem Bistum seit 1992 und besonders in Ingelheim. Ich darf Ihnen die Urkunde überreichen als Propst am Wormser Dom und Pfarrer in St. Peter sowie in St. Martin. Ich bin gewiss, dass die Wormser Sie gut aufnehmen, nicht zuletzt die Räte vor Ort.

In diesem Gottesdienst wollen wir Gottes reichen Segen für die beiden Gemeinden St. Peter und St. Martin, aber auch für die Kirche von Worms und das Bistum Mainz, ja für alle Menschen in dieser Stadt erbitten. Ich danke allen, auch außerhalb unserer Kirche, die Sie dabei unterstützen. Amen.

(c) Karl Kardinal Lehmann, Bischof von Mainz 

Es gilt das gesprochene Wort 

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz