"Wissenskultur und gesellschaftlicher Wandel"

Erforschung des Archivs der Glaubenskongregation in der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main

Datum:
Montag, 15. Mai 2000

Erforschung des Archivs der Glaubenskongregation in der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main

Frau Staatsministerin Ruth Wagner,
Herr Präsident Professor Dr. Werner Meißner,
Herr Kardinal Joseph Ratzinger,
meine Herren Professoren Dr. Johannes Fried und Dr. Hubert Wolf,
meine sehr verehrten Damen und Herren!

 

Es ist eine besondere Chance, die Wissenskulturen nicht zuletzt des Mittelalters und der frühen Neuzeit nicht bloß in ihren inneren Mentalitäten, sondern auch im Zusammenhang ihrer gesellschaftlich fassbaren Bedingungen zu begreifen. Dabei gibt es besondere Zusammenhänge zwischen einem Teilwissen und bestimmten sozialen Gruppen. Die Wissenssoziologie hat hier wichtige Anstöße gegeben. Es lohnt sich, auch bisher eher verborgene Ereignisse und Mentalitätsstrukturen auf die gesellschaftliche Entsprechung hin zu spiegeln und damit weithin unbekannte Zusammenhänge zu erschließen. Ich möchte den Wissenschaftlichen Leitern des DFG-Forschungskollegs "Wissenskultur und gesellschaftlicher Wandel", den Herren Professoren Dr. Johannes Fried und Dr. Hubert Wolf von der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt, sehr herzlich danken, dass sie vor diesem Forschungshintergrund ein eigenes Symposion abhalten über "Die römischen Kongregationen von Inquisition und Index und die Wissenskulturen der Neuzeit".

Was wäre aber ein solches Unterfangen ohne Zugang zu den entsprechenden Archiven, die die Dokumente dieser Ereignisse bergen und zugleich verbergen. Darum war es eine ganz besondere Entscheidung, dass die Kongregation für die Glaubenslehre beschloss, ihr bisher sorgfältig gehütetes und nur zum internen Gebrauch zugelassenes Archiv wenigstens in Teilen der wissenschaftlichen Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Der gegenwärtige Präfekt der Glaubenskongregation, Joseph Kardinal Ratzinger, hat sich hier in den bald zwei Jahrzehnten seines Wirkens tatkräftig eingesetzt. Ich möchte ihm dafür sehr herzlich danken und freue mich, dass er auch persönlich zu diesem Symposion von Rom gekommen ist und gleich nachher zu uns sprechen wird. Ich glaube, dass dies ein sehr wichtiger Einschnitt in der Geschichte und wohl auch im Selbstverständnis römischer Institutionen sein wird, das hoffentlich noch viele Konsequenzen hat.

 

Über lange Zeit konnte es so aussehen, als ob die Glaubenskongregation sich nicht in ihre noch so alten, ehrwürdigen Karten schauen lässt, als ob sie etwas verbergen müsste. In Wirklichkeit dürfte die Kirche zu den ganz wenigen Institutionen gehören, die sich zu ihren geschichtlichen Ursprüngen und auch zur Kontinuität ihrer Verantwortung bekennen. So lässt sich für viele Vorgänge das konkrete Subjekt der Verantwortung identifizieren. Die Kirche steht damit zu ihrer Geschichte und bekennt sich zu ihr. Gerade darum muss sie auch an einer echten Aufklärung dieser Verantwortung interessiert sein.

 

In jüngster Zeit ist diese Haltung in besonders eindrücklicher Weise geprägt worden durch das Schuldbekenntnis und die Vergebungsbitte, die Papst Johannes Paul II. im Blick auf sieben Sachbereiche in dem Fürbittgebet am 12. März 2000 in St. Peter in Rom vorgetragen hat. Neben einem Allgemeinen Schuldbekenntnis folgte an zweiter Stelle das "Bekenntnis der Schuld im Dienst der Wahrheit". Joseph Kardinal Ratzinger formulierte knapp: "Lass jeden von uns zur Einsicht gelangen, dass auch Menschen der Kirche im Namen des Glaubens und der Moral in ihrem notwendigen Einsatz zum Schutz der Wahrheit mitunter auf Methoden zurückgegriffen haben, die dem Evangelium nicht entsprechen. Hilf uns Jesus Christus nachzuahmen, der mild ist und von Herzen demütig." Nach einem stillen Gebet bat Papst Johannes Paul II. um Vergebung: "Herr du bist der Gott aller Menschen. In manchen Zeiten der Geschichte haben die Christen bisweilen Methoden der Intoleranz zugelassen. Indem sie dem großen Gebot der Liebe nicht folgten, haben sie das Antlitz der Kirche, deiner Braut, entstellt. Erbarme dich deiner sündigen Kinder und nimm unseren Vorsatz an, der Wahrheit in der Milde der Liebe zu dienen und sich dabei bewusst zu bleiben, dass sich die Wahrheit nur mit der Kraft der Wahrheit selbst durchsetzt."

 

Immer wieder hat der Papst dies in den 22 Jahren seines Pontifikats ausgeübt, indem er an besonders herausragenden Brennpunkten der Geschichte ganz konkret um diese Vergebung bat: "Wir fürchten die Wahrheit nicht".

 

Ich möchte gerne dieses komplexe und differenzierte Symposion im Lichte gerade dieser jüngsten Geschichte sehen, danke nochmals der Universität, der Deutschen Forschungsgemeinschaft und besonders den verantwortlichen Veranstaltern für diesen Mut zur Wahrheit. In Dankbarkeit wünsche ich Ihnen dabei gute Erkenntnisse, die auch die Wahrheit und die Gerechtigkeit fördern helfen. Dazu wünsche ich Ihnen Gottes Segen.

 

Mainz, 15.5.2000

 

 

Copyright: Bischof Karl Lehmann, Mainz

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz