Wozu Katholikentage?

Herkunft, Gegenwart und Zukunft

Datum:
Mittwoch, 4. Juni 2008

Herkunft, Gegenwart und Zukunft

Katholikentage gibt es seit 160 Jahren. Vor zehn Jahren haben wir in Mainz, wo der erste stattgefunden hat, das 150-jährige Jubiläum gefeiert. Es mag deshalb gut sein, nach dem 97. Katholikentag in Osnabrück ein wenig zurück und vorwärts zu schauen. Der erste Katholikentag, den ich besuchte, war in Berlin 1952 mit dem Thema „Gott lebt"; seit September 1968 (Essen), also seit 40 Jahren, habe ich bei allen Katholikentagen mitgewirkt und sie z. T. auch mitgestalten können.

Die Katholikentage gehören zum Aufbruch der katholischen Kirche nach 1848 in eine neue Freiheit und in eine weitgehend uneingeschränkte öffentliche Darstellung und Wirksamkeit, nicht zuletzt und gerade der Laien und ihrer Verbände und Vereine. Sie haben sich bei allem Wandel von dieser Grundidee her nicht abgenützt und erschöpft, sondern immer wieder die „Zeichen der Zeit" aufgenommen und neue Impulse für das kirchliche Leben gesetzt, so z. B. im Blick auf sozialpolitische Initiativen, aber auch für die Begegnung mit dem Judentum und die ökumenischen Bemühungen. Dabei gibt es eine wichtige Abwechslung zwischen dem Katholikentag in unseren Großstädten, wo man in den Messe- und Kongresszentren eine reiche Vielfalt an Räumen und Begegnungsmöglichkeiten hat, aber zweifellos auch etwas abgeschottet ist, und den mittleren Großstädten, in denen der Katholikentag sich rasch, leicht und wirksam auf die ganze Stadt überträgt, wie dies wiederum in Osnabrück der Fall war.

Zwei Dinge sind auch diesmal wieder von besonderem Belang, ohne andere zu missachten. Die Katholikentage sind ein bevorzugter Begegnungsort der Kirche besonders für junge Menschen geworden. 40 Prozent der Dauerteilnehmer waren junge Katholiken unter 30 Jahren. Eine solche Möglichkeit des Sich-Treffens und auch des Mitgestaltens haben wir sonst heute - von Weltjugendtagen, die einen ganz anderen Charakter haben, abgesehen - nicht. Kirchliche Großveranstaltungen, dazu gehören natürlich auch Evangelische Kirchentage und gemeinsame Ökumenische Kirchentage, haben die heute seltener gewordene Chance, die Gegenwart des christlichen Glaubens und der Kirche in unserer Mediengesellschaft wirksam zur Geltung zu bringen, sei es auf den ersten Seiten der Printmedien, sei es in den elektronischen Nachrichtensendungen. Auch wenn hier manches im Blick auf die Inhalte zu wünschen übrig bleibt, so darf man die Möglichkeit und das Faktum dieser Präsenz von Religion in unserer Gesellschaft nicht unterschätzen. Wer unsere wirkliche Situation heute kennt, wird dies weder überschätzen noch verachten, sondern auf beste Weise nützen.

Gerade weil der Katholikentag auch in gewandelten Verhältnissen kräftig weiterlebt, gibt es immer wieder einiges zum Nachdenken. Ich möchte auch im Blick auf meine 40-jährige Erfahrung als Aktiver dabei hier auswahlhaft Folgendes nennen:

1. Die Präsenz und das Engagement an den Katholikentagsorten und ihren Umgebungen ist und bleibt eindrucksvoll. Die Chance der Versammlung so vieler junger Menschen muss erhalten bleiben und gepflegt werden. Es gibt auch viele Katholikentagsbesucher, die seit vielen Jahren und Jahrzehnten gerne immer wieder kommen. Aber es ist auch nicht zu übersehen, dass - über einzelne hinaus - die Gemeinden, die früher oft mit Bussen kamen, nicht mehr so erkennbar gegenwärtig sind. Wir müssen darum die Gemeinden und die Katholikentage wieder näher zusammenbringen.

2. Die Gegenwart und das Mitwirken oberster politischer Repräsentanten bereichert die Katholikentage. Freilich kann es auch ein sehr kurzes, auf Effekte zielendes Schaulaufen werden. Es gibt genügend Beispiele. Dass Bundespräsident Prof. Dr. Horst Köhler sich der Diskussion über die Zukunft der liberalen Demokratie stellte, war ganz gewiss auch im Blick auf die von ihm vertretenen Überzeugungen ein Glücksfall. Aber dies alles dispensiert den Veranstalter - konkret: das Zentralkomitee der deutschen Katholiken - nicht, die eigene Stimme im Namen der Katholiken und im Zusammen-hang des Katholikentages sowie seiner Thematik deutlicher zur Geltung zu bringen. Die öffentliche Kundgebung früherer Katholikentage mit den wegweisenden Reden z. B. von Bernhard Vogel und Hans Maier sind jedenfalls mir persönlich unvergesslich und können durch keine Alternativformen für diese „Kundgebung", die am Samstagnachmittag ideal liegt, ersetzt werden. Man hat viel experimentiert; dies hatte auch seine guten Gründe. Aber befriedigend waren diese Alternativen ganz und gar nicht. Man muss auch unter heutigen Bedingungen wieder erreichen, dass die auch in Osnabrück noch große Zahl thematisch weit auseinander liegender Themen stärker gebündelt werden. Dann können die Menschen vor Ort und Zuhause auch mehr von einem Katholikentag mitnehmen. Dies muss die innere, unverkrampfte Pluralität in der Kirche von heute nicht verleugnen oder stören. Eine solche Botschaft könnte auch das Selbstbewusstsein der Katholiken heben und stärken. Die Predigt beim Abschlussgottesdienst am Sonntagvormittag, die ich oft genug selbst gehalten habe, kann diese Aufgabe aus vielen Gründen nicht leisten. Wir dürfen im Übrigen diesen Ruf eines Katholikentages nach innen und nach außen auch dem jetzigen Präsidenten, Prof. Dr. Hans-Joachim Meyer, zumuten und zutrauen.

3. Nicht wenige deutsche Diözesanbischöfe waren nicht nur auf dem Katholikentag anwesend, sondern haben auch vielfältig mitgewirkt. Aber es gibt viele Talente, gerade auch unter den Weihbischöfen, die nicht genügend zum Mitwirken eingeladen und eingesetzt werden. Dies gilt ähnlich auch für die Fachtheologen. Ein breiteres Spektrum könnte die Akzeptanz des Katholikentages erhöhen, besonders auch im Blick auf die Regionen unseres Landes. Zugleich lassen sich dabei Talente entdecken und bewähren für andere Aufgaben.

So kann es zuversichtlich weiter gehen: Herzlichen Dank dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken und der gastgebenden Diözese mit Bischof Franz-Josef Bode; die Erfahrung von Osnabrück gibt frischen Mut für den Ökumenischen Kirchentag in zwei Jahren in München.

 

(c) Karl Kardinal Lehmann

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz