ZUR JÜNGSTEN DISKUSSION UM SCHWANGERENBERATUNG UND ABTREIBUNG

Auf ein Wort

Datum:
Donnerstag, 14. Dezember 2000

Auf ein Wort

Viele wollen von dem seit Jahren diskutierten Thema "Abtreibung" nichts mehr hören. Man habe sich im Jahr 1995 anlässlich des neuen Gesetzes geeinigt. Nun müsse einmal Ruhe einkehren.

In den letzten Wochen und Tagen, als ich mehrfach in der Öffentlichkeit mit diesem Thema zu tun hatte, ist mir bei vielen Menschen, mit denen ich ins Gespräch kam, eine weitere Verschlechterung des Bewusstseins von der Unverletzlichkeit des Lebens ungeborener Kinder aufgefallen. Ich stehe mit meinen Eindrücken nicht allein.

Dies fing schon an mit einer grundsätzlich falschen Beurteilung der Schwangerenberatung. Sie wurde nicht selten als "ganz neutral" aufgefasst, wonach die schwangere Frau im Konflikt gleichwertig und ganz frei sich entweder für die Annahme oder die Abtreibung des Kindes entscheiden kann. Man hat die Zielsetzung der Beratung, nämlich mit der Mutter das Leben des ungeborenen Kindes zu erhalten und Hilfen dafür anzubieten, ziemlich ignoriert und die "Ergebnisoffenheit", die den nicht vorhersehbaren Ausgang der Beratung im Einzelfall markiert, fälschlich als Zieloffenheit gedeutet. Der Nachweis der ergangenen Beratung ("Schein") gerät dadurch in ein immer schieferes Licht.

Dies ist keine spezifisch katholische oder christliche Auffassung. Es ist schlicht das, was unsere Verfassung für alle als grundlegende Spielregel des Zusammenlebens der Menschen vorgibt. Das Verfassungsgericht hatte auch den Auftrag erteilt, dass alle Organe, die eine stärkere Nähe zur Verfassung und zum Staat haben, sich sehr viel intensiver für den Schutz des ungeborenen Kindes einsetzen müssen, besonders die Schulen, die Bildungseinrichtungen und die öffentlich-rechtlichen Medien. Ich habe von der Erfüllung dieses Auftrags nicht viel wahrnehmen können. Öffentliche Hinweise dieser Art wurden nicht selten einfach übergangen oder sogar getilgt. Dabei sind die Menschen, die solche Meinungen haben, nicht ideologisch eingestellt oder sonstwie verbohrt. Sie wissen es offenbar nicht besser oder werden in dieser Richtung beeinflusst.

Die Kirche hat noch tiefere Motive als Verfassungselemente. Aber auch diese sind eine elementare Hilfe zur Wahrung der Menschenwürde und Menschenrechte für alle. Die Gesellschaft sollte sich nicht täuschen: Abtreibung ist die Tötung eines Unschuldigen. Dies sollte man nicht verharmlosen. Wenn man so viel über die Senkung und Minderung von Gewalttätigkeit spricht, darf man dieses Thema nicht einfach ausklammern. Hier ist ein wunder Punkt, auf den wir Christen im Namen der Gerechtigkeit und der gleichen Lebenschancen aller immer wieder hinweisen werden und müssen.

 

© Karl Lehmann, Mainz
(aus: Bistumszeitung Glaube und Leben, Dezember 2000)

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz