Zum Verhältnis zwischen Theologie und Spiritualität

Ein erster Blick auf das theologische Werk von Dumitru Staniloae

Datum:
Mittwoch, 28. April 2004

Ein erster Blick auf das theologische Werk von Dumitru Staniloae

Kleine Dankesrede nach der Promotion zum theologischen Ehrendoktorat durch die Orthodoxe Theologische Fakultät der Universität Iassi/Rumänien am 28. April 2004

Zunächst möchte ich Ihnen, meine sehr verehrten Herrn Professoren der Theologischen Fakultät und ganz besonders Ihnen, Herrn Prof. Dr. Popa, als dem Dekan einen sehr herzlichen Dank sagen für die erfolgte Ehrenpromotion. Vor allem aber danke ich seiner Eminenz, Herrn Metropoliten Daniel, der gewiss der Initiator des Verfahrens ist und es in jeder Hinsicht unterstützt hat. Ich danke allen, die an diesem Akt beteiligt waren.

I.

Zunächst freue ich mich, dass mir diese Ehrung im Rahmen und im Bereich der Rumänischen Orthodoxen Kirche zuteil wird. Wir sind hier auf einem sehr alten christlichen Boden. Historische Berichte wie auch archäologische Nachweise und Sprachdokumente belegen schon sehr früh die Verbreitung des Christentums auf dem heutigen Territorium. Kirchliche Schriftsteller berichten von einer Mission des Apostels Andreas bei den Skythen. Die Provinz Dacia (101-271 n.Chr.) hat schon im 4. Jahrhundert entlang der Donau mehrere Diözesen. Die enge Beziehung zu dieser römischen Welt zeigt sich auch noch in der Zugehörigkeit der Rumänen zur romanischen Sprachfamilie. Durch ihr lateinisches Erbe sind die Rumänen an den Westen gebunden und nehmen teil an der abendländischen Kultur. Zugleich aber gab es auch schon in früher Zeit ein enges Zusammenwirken mit der byzantinischen und slawischen Welt. Dies bringt eine einzigartige Mittlerstellung mit sich. Die Rumänisch-Orthodoxe Kirche ist die einzige, die innerhalb einer lateinischen geprägten Kultur existiert. Durch die Nähe zum Bulgarenreich setzte sich im 10. Jahrhundert die slawische Sprache als Liturgiesprache durch, auch wenn sie für das Volk wenig verständlich blieb, bis sich im 16. Jahrhundert die rumänische Sprache auch für den Gottesdienst durchsetzte.

Es ist also ein besonderes Land mit einer Brückenfunktion zwischen Ost und West, zwischen dem abendländischen und dem byzantinischen Kulturbereich, aber auch zwischen dem byzantinischen und dem slawischen Denken. Dies hat der Rumänisch-Orthodoxen Kirche in Verbindung mit ihrer Nation auch ein sehr eigenes Gepräge gegeben. Gewiss darf man auch noch nennen, dass man in diesem Land unbeschadet der großen Zahl orthodoxer Christen – die Kirche mit 17 Millionen ist die drittgrößte orthodoxe Kirche – immer schon mit römisch-katholischen, lutherischen und reformierten Christen zusammenlebte. Alle Christen haben auch eine große Verfolgung erlitten: Tausende Priester, Mönche, Nonnen und Gläubige wurden verhaftet, zahlreiche Klöster und Kirchen konfisziert, die Kirchenleitung zu einer staatskonformen Politik verpflichtet. Ich habe es immer als eine besondere Chance gesehen, dass in einem Land mit so vielen Kirchen und Konfessionen zwar gewiss beim Zusammenleben sich auch manche Probleme ergeben, aber noch wichtiger ist, dass die Ökumene auch eigene Möglichkeiten ausprägen kann.

Dies ist auch eine besondere Chance für die Theologie. Oft ist aber diese vermittelnde Tätigkeit der Orthodoxie nicht genügend erkannt worden. Daran mag auch besonders die Sprachbarriere mitbeteiligt sein. Man hat so die Brückenfunktion zu wenig genützt. Dies führt gewiss, nun positiv gesehen, zu einer einzigartigen ökumenischen Berufung. Rumänien ist ein Haus, wo Ost und West sich im natürlichen Gespräch zusammenfinden, ein Kreuzungspunkt zwischen Mittel- und Osteuropa. So ist es gut, wenn uns die Rumänische – Orthodoxe Kirche gleichsam an die Hand nimmt und uns in die Welt der Orthodoxie einführt. Dies könnte in einem Land mit weströmischer Kultur und oströmischer Spiritualität besonders gelingen.

Von dieser besonderen Chance habe ich auch lange nichts gewusst und nichts verstanden. Dies änderte sich, als ich in der zweiten Hälfte der 70er Jahre Seine Eminenz, den heutigen Metropoliten Daniel, Dan-Ilie Ciobotea, kennen lernte. Er hat an der Fakultät für Protestantische Theologie in der Universität Straßburg als Stipendiat der Französischen Regierung studiert. Es ist schon eine längere Tradition, dass junge Rumänen in Straßburg ihr Studium vertiefen und anschließend in hohem Maß Professoren an den Fakultäten von Bukarest und von Sibiu werden.

Während dieses Aufenthaltes (1976-78) kam Metropolit Daniel eines Tages in das benachbarte Freiburg im Breisgau und sagte mir, er möchte gerne während seines Aufenthaltes in Mitteleuropa auch noch die deutsche katholische Theologie kennen lernen, und zwar in Freibug. So kamen wir in Kontakt. Heute noch habe ich das Exemplar der großen Dissertation mit 424 Seiten „Reflexion et vie chrétienne aujourd´hui. Essai sur le rapport entre la théologie et la spiritualité.“ Die handschriftliche Widmung stammt vom 25. Juni 1979. Bei mehreren Gelegenheiten haben Sie, Eminenz, mir begeistert den Namen Ihres verehrten Lehrers Dumitru Staniloae genannt. Als ich Ihre Arbeit lesen konnte, habe ich zum ersten Mal vom Reichtum der Gedanken und der Wirkungskraft seiner Spiritualität erfahren (vgl. die Bibliographie 415 – 418). Gerade (1978) war die dreibändige Orthodoxe Dogmatik auf rumänisch in Bukarest erschienen. Später, als ich Sie im Ökumenischen Institut des Weltrates der Kirchen in Bossey (Schweiz) besuchte – Sie waren Diakon -, setzten wir dieses Gespräch fort. Ich habe mir dann nach und nach einige französischsprachige Übersetzungen gekauft so zum Beispiel „Dieu est amour“ (Genf/Paris 1980), „Prière de Jésus et expérience du Saint-Esprit“ (Paris 1981), „Le génie de l´Orthodoxie“ (Paris 1985). Einige Zeitschriften, Aufsätze, die im Westen erschienen sind, kamen hinzu.

Dies war eine gute Vorbereitung, denn bald sollte ich dem damaligen Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, meinem unmittelbaren Vorgänger Joseph Kardinal Höffner, einen Rat geben, ob er denn dem von Herrn Professor Jürgen Moltmann erbetenen relativ hohen Druckkostenzuschuss gewähren soll zur Übersetzung der orthodoxen Dogmatik von Staniloae. Ich konnte aus voller Überzeugung eine sehr warmherzige und nachdrückliche Empfehlung aussprechen. Als ich selbst Höffners Nachfolger im Amt des Vorsitzenden wurde, habe ich gerne im Jahr 1990 und im Jahr 1994/95 den zweiten und dritten Band gefördert, wie aus den jeweiligen Vorworten hervorgeht. Es war ein „europäisches Ereignis, dass eine orthodoxe-rumänische Dogmatik von einem lutherischen Theologen deutscher Herkunft in Siebenbürgen übersetzt wurde“ (J. Moltmann, Vorwort zu Band III, Solothurn/Gütersloh 1995, 10). Heute noch sei an dieser Stelle dem Übersetzer, Professor Hermann Pitters, aus Hermannstadt/Sibiu und Herrn Professor Moltmann gedankt. Es verdient wohl auch an dieser Stelle eine Erwähnung, dass beim ersten Treffen der Evangelischen Kirche in Deutschland mit der Rumänischen-Orthodoxen Kirche im Jahre 1979 ein konkretes Ergebnis die Übereinkunft war, die „Orthodoxe Dogmatik“ von Staniloae zu übersetzen. So kam wohl zum ersten Mal in der Geschichte eine vollständige, umfangreichere orthodoxe Dogmatik auf deutsch in die Bibliotheken.

Damit lässt sich auch erklären, dass Dumitru Staniloae auch immer mehr unter den großen Theologen des 20. Jahrhunderts, die auch in die Gegenwart hineinreichen, genannt wird. Er selbst ist im Herbst 1993 im Altar von fast 90 Jahren gestorben. Lassen Sie mich wenigstens drei Zeugnisse für diese größere Aufmerksamkeit zitieren:

 Wenigstens im 11. Band des „Lexikon für Theologie und Kirche“, Freiburg i.Br. 2001, findet sich in den „Nachträgen“ ein über 30 Zeilen umfassender Artikel von Mircea Basarab (XI, 240)

 In einem kürzlich erschienen Sammelwerk „Theologen des 20. Jahrhunderts“, herausgegeben von Peter Neuner und Gunther Wenz (Darmstadt 2002), findet sich ein Portrait (145-156) von Dumitru Staniloae von zwei rumänischen Theologieprofessoren, nämlich Ioan-Vasile Leb und Valer Bel von der Universität Cluj-Napoca (Klausenburg).

 Der rumänische Theologe Professor Viorel Ionita beginnt seinen in der Festschrift für Theodor Schneider „Ökumene vor neuen Zeiten“, herausgegeben von Konrad Raiser und Dorothea Sattler (Freiburg i.Br.), veröffentlichten Artikel „Einige Bezugspunkte orthodoxer Theologie und Spiritualität aus der Sicht von Dumitru Staniloae“ (399-409) mit dem Satz: „Dumitru Staniloae (1903-1993) ist der bedeutendste rumänische Theologe aller Zeiten. Durch sein umfangreiches Werk hat er in der schwierigen Zeit der kommunistischen Diktatur in Rumänien eine hervorragende Synthese der Orthodoxie geschaffen. Dadurch hat der hochgeschätzte Priester und geistige Vater viele Schüler und Nachfolger gewonnen; dennoch muss sein Nachlass sowohl in seinem eigenen Lande wie auch außerhalb noch weiter erforscht und rezipiert werden.“ (399)

Es gibt aber auch sonst Einführungen in die ostkirchliche Kirche und Spiritualität, in denen Staniloae bereits einen festen Platz hat (vgl.z.B. K. C. Felmy, Die orthodoxe Theologie der Gegenwart: eine Einführung, Darmstadt 1990, vgl. Register 252). Die Einleitungen und Vorworte von J. Moltmann in die dreibändige Dogmatik sind nach wie vor ausgezeichnete und auch heute noch gültige Würdigungen. Dies gilt aber auch z.B. von den verschiedenen Hinführungen von Olivier Clément.

 

II.

Wer war Dumitru Staniloae? Er ist als fünftes und letztes Kind in einem kleinen Dorf Vladeni, Bezirk Brasov (Kronstadt, im Zentrum Rumäniens), am 17. November 1903 geboren und hat eine tiefreligiös christlich - orthodoxe Erziehung genossen. Zwei seiner Schwestern wurden Nonnen. Schon früh wurde seine Begabung erkannt. Metropolit Balan förderte ihn wie manche andere. Er studierte an der Universität Czernowitz und erhielt nach dem Studienabschluss wiederum ein Stipendium für Athen. Nach der Promotion in Czernowitz erhielt er nochmals auf Grund seiner Leistungen ein Stipendium und studierte an der Universität München Byzantinologie und Dogmatik. Im Frühling 1929 führten ihn Reisen nach Berlin und Paris. Frucht dieser Studien ist das schließlich erst 1938 erscheinende Buch „Das Leben und die Lehre des heiligen Gregor Palamas“. Damit hat sich Staniloae in die Mitte der orthodoxen Spiritualität hineingearbeitet. Mit 26 Jahren übernimmt er an der Orthodoxen Theologischen Akademie in Sibiu mehrere theologische Fächer, wird 1934 ordentlicher Professor und lehrt bis 1947 Dogmatik. Dumitru Staniloae heiratet. Aus der Ehe gehen drei Kinder hervor. 1932 wird er zum Priester geweiht. Immer wieder zeigt es sich, auch schon in den frühen Veröffentlichungen, wie sehr dieser Theologe in der östlichen Tradition gründet und zugleich die westliche Moderne im Blick hat und im Stande ist, sich mit ihr auseinander zu setzen, nicht zuletzt der zeitgenössischen Philosophie.

Staniloae ist auch ein hervorragender Übersetzer großer patristischer Texte. Nach dem Krieg (1946) begann er ein riesiges Werk, nämlich die Übersetzung der sogenannten Philokalia. Damit ist eine Anthologie zentraler und wichtiger Texte gemeint, vor allem über das Gebet. Staniloae hat zwischen 1947 und 1992 zwölf Bände solcher Texte veröffentlicht, in denen er den ganzen Reichtum der orthodoxen Spiritualität mit vielen reichen Anmerkungen versieht. Hier darf man wohl das eigentliche Kraftzentrum seines theologischen Denkens sehen. In dieser Hinsicht kennen wir sein Werk viel zu wenig. Dies gilt aber auch für andere Bereiche, für seine reiche publizistische Arbeit in der Kirchenzeitung „Rumänischer Telegraph“ (über 219 Artikel), für eine dreibändige orthodoxe Moraltheologie, für viele ökumenische Studien, über die Gefahr des Kommunismus.

Nach dessen Sieg wird Staniloae nach Bukarest versetzt um seinen Einfluss zu begrenzen. 1958 wurde er mit anderen Theologen und anderen Intellektuellen verhaftet und für fünf Jahre ins Gefängnis geworfen. Das Urteil lautete: „Verschwörung gegen den Arbeiterstaat Rumänien“. Im Januar 1963 wurde er freigelassen. Nach seiner Pensionierung 1973 arbeitete er bis zu seinem Tod 1993 unermüdlich weiter. 1978 erscheint die dreibändige orthodoxe Dogmatik als Höhepunkt, aber immer wieder begleitet von Studien zur Spiritualität und auch von Übersetzungen patristischer Texte. Seine ökumenische Bedeutung wird immer gewichtiger. Die Theologischen Fakultäten von Paris, Belgrad, Athen und Bukarest ernennen ihn zum Ehrendoktor. Viele Theologen, die in ihm den einflussreichsten und kreativsten orthodoxen Theologen der Gegenwart sehen, vergleichen ihn mit Karl Barth und Karl Rahner. Eine seiner schönsten Wirkungen ist, dass er durch die zwölf Bände der „Philokalia“ die Kenntnis spiritueller patristischer Texte vertiefte und vor allem eine ganz erstaunlich Wiedergeburt des monastischen Lebens in seiner Kirche erreicht hat. „Obwohl er selbst verheirateter Weltpriester ist, wurde er zum spiritus rector dieser unerwarteten Wiedergeburt des geistlichen Lebens im sozialistischen Rumänien“. (J. Moltmann, Orthodoxe Dogmatik I, 11)

 

III

Es ist gewiss unmöglich, hier auch nur die wichtigsten Perspektiven in den Beziehungen zwischen Theologie und Spiritualität bei Dumitru Staniloae darzulegen. Es sei jedoch wenigstens eine Skizze versucht:

 Dumitru Staniloae hat immer wieder die Beziehung zwischen der Theologie und dem Leben der Kirche erneuert. Er hat die Bande zwischen der wissenschaftlichen Theologie und der Volksfrömmigkeit, aber auch der Tätigkeit der Priester enger geknüpft. Stets hat er die Bedeutung, die Freiheit und auch die Notwendigkeit der Theologie für die Kirche betont, dies gerade auch in einer Zeit (1949), wo z.B. in Bukarest die Theologische Fakultät den Rahmen der Universität verlassen musste und sich im Kontext des kirchlichen Lebens bewegte. Er hat aber auch an die Adresse der Theologie immer wieder auf den Wert der Frömmigkeit der Gläubigen und der pastoralen Erfahrung der Priester hingewiesen. Stärke und Schwäche der Kirche und der Theologie hat er immer in einer wechselseitigen Beziehung gesehen.

 In einer solchen Situation entsteht leicht die Gefahr, die Theologie auf ihre pastoralen und katechetischen Aufgaben zu verweisen und zu konzentrieren. Staniloae hat dieses Bedürfnis in ganz anderer Weise aufgenommen: Wie seine „Orthodoxe Dogmatik“ zeigt, hat er ein strenges dogmatisches Denken erneuert, das im Blick auf die Methode und die Inhalte eine erstaunliche Nähe hat zur zeitgenössischen westlichen Theologie. Dabei war ihm immer die Zeit der Väter Vorbild. Darum hat er die Lehre an die Spiritualität, den Glauben an die Liturgie und das Gebet an die Ethik gebunden. Dabei hat er auch den sozialen Auftrag der Kirche in einem neuen kulturellen Milieu betont.

 Dumitru Staniloae hat immer auch Kontakt gehalten und Kommunikation gesucht mit den anderen orthodoxen Kirchen und ihren theologischen Vertretern. Er hat aber ganz bewusst, ohne in einen Nationalismus abzugleiten, eine an der rumänischen Kultur orientierte Theologie entwickelt. Offensichtlich ist ihm dies – was ich nicht beurteilen kann -auch im Blick auf die Sprache und Begriffsbildung –literarisch gut gelungen. So wirft man ihm manchmal vor, er sei nicht leicht zu verstehen. Ein ähnlicher Vorwurf geht immer wieder an Karl Rahner. Es bedarf einer vertieften Lektüre. Aber – man spürt es auch noch durch die Übersetzung hindurch – Staniloae hat auch ausgesprochene poetische Qualitäten. So hat er zwischen einer griechischen und einer slawophilen Orientierung die eigene rumänische Version der Orthodoxie gestützt und ausgebildet, und dies besonders im Rahmen des Theologischen Instituts von Bukarest. So hat er auch gerade in der neuen Situation nach 1945 die Notwendigkeit gespürt, von der Theologie her den Glauben neu zu buchstabieren. Darum hatte er den Mut, in mehreren mehr synthetischen Werken, die auch den Handbuch-Charakter nicht verschmähten, eine begrifflich streng ausgearbeitete Summe des Glaubens und des Ethos vorzulegen. So hat er die Theologie immer auch für die neue kulturelle Situation aufzubereiten gesucht: Schon früh hat er darum eine „Hermeneutik der Dogmen“ gefordert.

 Aus der Tiefe des Ereignisses der Menschwerdung Jesu Christi hat er eine orthodoxe Theologie der Welt entworfen als eine ganz neue Möglichkeit eines Gesprächsbeitrags der Kirche gegenüber der modernen Zivilisation. Dabei hat er besonders die Schönheit des Kosmos hervorgehoben und, wie wohl kaum ein anderer Theologe dieser Epoche, eine Theologie der Zeit und des Raumes entwickelt. Dies scheint mir ein Thema zu sein, das gerade im Westen sehr wenig bemerkt worden ist. Für Staniloae ist dies aber eine wesentliche Voraussetzung, um eine Theologie der Geschichte und eine anthropologische Dimensionierung der Theologie zu inszenieren.

 In diesem Zusammenhang ist es verständlich, dass Staniloae auch die soziale und kulturelle Dimension der Schöpfung hervorgehoben hat. Wenn Gott in uns ist, dann muss er auch unter uns den Maßstab unseres Lebens bilden. Es ist auch leicht einsichtig, dass Staniloae aus dem Grundgedanken heraus, dass die Welt ein Geschenk der Güte Gottes ist, in einer Theologie der Liebe so etwas wie einen roten Faden seines Denkens sieht. Er hat betont, dass eine solche konstante „Theologie der Liebe“ eine ähnliche Aufgabe habe wie die „Theologie der Hoffnung“ im Westen. Dabei ist gerade für das westliche Denken wichtig, dass es Staniloae nie nur um die geschichtliche Hoffnung, sondern auch um ihre kosmische Dimension geht. Die endgültige und totale Verklärung des Kosmos ist ein wichtiges Element seines Denkens. Das Wunder der Inkanation, wie sie Staniloae gerne im Anschluss an Maximus den Bekenner entwickelt, ist der Grund für diese universale Hoffnung. Man hat Staniloae manchmal kritisiert, er vertrete einen zu intensiven „ontologischen Optimismus“, der die Gebrochenheit der Schöpfung als Folge der Ursünde nicht genügend beachte. Gewiss besteht schon durch den Ansatz in einer solchen Theologie eine gewisse Gefahr in dieser Richtung, Aber er kennt die Macht der Sünde. Noch wichtiger ist aber, dass er durch die Inkanation das Tor offen sieht zu einer neuen unbegrenzten Menschlichkeit. Der Sieg Jesu über den Tod und die Sünde schenkt der Kirche ein regelrechtes „Laboratorium der Auferstehung“. Staniloae sieht die Kirche immer in Bewegung, aber eben auch stets erneuert durch die Versöhnung Gottes und die gegenseitige Vergebung. Es ist der heilige Geist, der das Gebet und die Liebe entzündet und wie ein lebendiges Feuer belebt. Es braucht keine besondere Betonung, dass bei einem orthodoxen Theologen die trinitarische Dimension des Denkens besonders intensiv ist, aber bei Staniloae gibt es hier, gerade auch für den westlichen Theologen, viele Entdeckungen.

Diese vielen Gedanken sind meisterhaft gesammelt in der dreibändigen „Orthodoxen Dogmatik“, die wir – Gott sei Dank – auch in einer guten deutschen Übersetzung lesen können. Sie ist ein wahrhaft magistrales Werk mit einer großen synthetischen Kraft und zugleich geprägt von einer tiefen, aber durchaus zugänglichen Sprache. Es gelingt Staniloae, ohne jeden Verrat der großen Tradition, die Grundlagen der Glaubens und die ethischen Perspektiven kraftvoll und überzeugend für unsere Gegenwart neu zu durchdenken. Der erste Band beginnt mit der göttlichen Offenbarung, die die Quelle des christlichen Glaubens und der Kirche ist. Hier erhält die Kirche als „Organ“ und „Milieu“, in denen der Gehalt der Offenbarung bewahrt wird und seine Früchte bringt, von Anfang an einen wichtigen Platz. Dennoch ist dieser erste Band radikal zunächst dem christlichen Gottesverständnis gewidmet, dann schließlich dem Weltverständnis, eng zusammen gesehen mit der schon genannten Theologie der Liebe. Der zweite Band ist ganz auf die Person und das Werk Jesu Christi bezogen. Dabei ist es spannungsvoll, wie sein Heilswerk in einer erneuerten Humanität, aber eben zugleich im Sinne der Erlösung verstanden wird. Der dritte Band betrifft ausführlich den Sinn der Sakramente und entwirft eine kräftige, umfassende Eschatologie, die immer wieder in den Glauben an das ewige Leben mündet. Obwohl diese Dogmatik begrifflich streng ist und auch wirklich einen wissenschaftlichen Geist bekundet, ist sie von der ersten bis zur letzten Seite von einer tiefen Spiritualität erfüllt, die einerseits im besten Sinne des Wortes als aktuell und gegenwartsbezogen bezeichnet werden kann und die zugleich in einer erstaunlichen Weise ganz und gar in der Tradition ruht, darin zugleich aus frischen Quellen schöpft, aber auch darin geborgen ist und geschützt wird. So spürt man in ganz besonderer Weise, dass diese Theologie auch aus einer eigenen Geschichte kommt. Jürgen Moltmann schreibt mit Recht: „Die orthodoxen Kulturen kennen keine Reformation, keine Kirchenspaltung, keine Aufklärung und kaum Säkularisierung und haben doch ihre eigenen modernen Entwicklungen genommen.“ (Orthodoxe Dogmatik III, 10).

Hier spürt man, wie sehr diese Theologie auch aus der Brückenstellung Rumäniens kommt und gerade darum so fruchtbar sein kann. Es ist eine Theologie, die uns wirklich fehlt und deren Stimme auch in der weltweiten Ökumene noch wirksamer werden sollte. Wir spüren dabei aber auch, wie sehr wir im Westen eine solche Theologie brauchen. Es wäre darum auch ein großer Fehler, wenn Rumänien bald nicht noch näher an den Westen Europas herankäme. Das „Europäische Haus“ braucht dringend die beiden Lungenflügel, von der Papst Johannes Paul II. immer wieder spricht, gerade auch bei seinem Besuch Rumäniens 1999. Wir haben uns im Bereich der Europäischen Gemeinschaft noch nicht intensiv um die Gemeinschaft mit den orthodoxen Kirchen Osteuropas bemüht. Dies gilt aber auch zugleich für die entsprechenden Völker und Kulturen.

Darum möchte ich nochmals sehr herzlich für die Verleihung der Würde eines Ehrendoktors der Fakultät für Orthodoxe Theologie der Universität in Iassi danken. Dass die Fakultät nach Dumitru Staniloae benannt ist, erhöht die Freude und geradezu den Stolz. Dabei stelle ich dankbar fest, dass Sie auch Herrn Prof. Jürgen Moltmann, der ein großes Verdienst hat für das Zustandekommen der Übersetzung der „Orthodoxen Dogmatik“, vor Jahren die Ehrendoktorwürde verliehen haben. Wir werden mit allen Kräften bemüht bleiben, dass diese Ehre mit Gottes Segen auch wirklich fruchtbar für die Einheit der Kirche und für das Zeugnis des christlichen Glaubens in unseren Kulturen.

(c) Karl Kardinal Lehmann

Redemanuskript - es gilt das gesprochene Wort

 

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz