Zum schiedlich-friedlichen Verhältnis von Staat und Kirche heute

Anmerkungen aus der Sicht der Bundesrepublik Deutschland und der Katholischen Kirche

Datum:
Mittwoch, 31. Oktober 2007

Anmerkungen aus der Sicht der Bundesrepublik Deutschland und der Katholischen Kirche

Hinweis: Dieser Text, der bei verschiedenen Gelegenheiten - dem Anlass entsprechend leicht modifiziert - vorgetragen wurde in Krakau, Karlsruhe, Hannover, Frankfurt u.a. ist bei den jeweiligen Veranstaltern ggf. auch in Buchform zugänglich und enthält dort auch Fußnoten mit weiteren Hinweisen. Er wurde für den Druck noch einmal aktualisiert und hat nun den Stand vom 31.Oktober 2007.

I. Annäherung an Grundmodelle

Für die Beziehung von Religion – Gesellschaft – Staat gibt es eine Fülle von Verhältnisbestimmungen. Dies hängt von der Religion, der gesellschaftlichen Situation, der Staatsform und der historischen Epoche ab. Viele Formen des Verhältnisses mischen sich auch. Im übrigen kann man diese Relation kaum verstehen ohne die Geschichte, aus der diese Relationen entstanden sind, nicht selten als Ergebnis von Auseinandersetzungen.

Ich möchte es dennoch wagen, hier wenigstens tendenziell einige Grundmodelle zu skizzieren, um die folgenden Ausführungen etwas besser platzieren zu können. Ich bitte dabei um Verständnis, wenn ich das Thema vor allem am Beispiel des Kirche-Staat-Verhältnisses exemplifiziere, wie es mir aus der Theorie und der Praxis vertraut ist. Ich bin kein förmlicher Experte des Staatskirchenrechts, vielmehr bin ich vornehmlich katholischer Theologe und nun seit mehr als 24 Jahren auch Bischof mit einer täglichen Erfahrung im Umgang mit der Gesellschaft und dem Staat, und zwar auf der Ebene eines Bistums in den Bundesländern Rheinland-Pfalz sowie Hessen und als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz seit 20 Jahren. Europäische Erfahrungen haben gerade in letzter Zeit das Auge zusätzlich geschärft.

Für den Theologen sind zunächst die Aussagen im Neuen Testament ein günstiger Zugang, um von verschiedener Seite aus das Phänomen zu beschreiben. Im bekannten 13. Kapitel des Römerbriefes heißt es: „Jeder leiste den Trägern der staatlichen Gewalt den schuldigen Gehorsam. Denn es gibt keine staatliche Gewalt, die nicht von Gott stammt; jede ist von Gott eingesetzt. Wer sich daher der staatlichen Gewalt widersetzt, stellt sich gegen die Ordnung Gottes, wer sich ihm entgegenstellt, wird dem Gericht verfallen.“ (Röm 13,1-2) Hier klingt wenigstens eine prinzipielle Loyalität zwischen den Christen und der politischen Obrigkeit durch. Im Hintergrund steht die für die Antike charakteristische Einheit von religiöser und politischer Ordnung, wie sie im Herrscherkult des Imperium Romanum gipfelte. Der uns heute geläufige Gegensatz zwischen Religion und Politik als Dualität der Ordnungen wurde erst möglich, als diese ursprüngliche Einheit zerbrach. Eine solche Konzeption theopolitischer Einheit findet sich auch in vielen Strängen der jüdischen Tradition. In dem Augenblick, als religiöse Strömungen im biblischen Bereich wirksam wurden, die sich als religiös exklusive, letztlich nur ihrem Herrn unterstellte eschatologische Größen verstanden, zerbrach diese Einheit vollends. Spätestens in der Apokalyptik finden sich dafür solche Anzeichen.

Der innere Grund wird deutlich in Jesu Wort vom Zinsgroschen „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist“ (Mk 12,17): Hier geht es weniger um eine Bereichsscheidung von weltlicher und geistlicher Gewalt, vielmehr liegt der Hauptakzent auf der Souveränität Gottes, der den ganzen Menschen beansprucht und auch noch die politische Ordnung umfasst. So hält dieses Wort eine Mitte ein zwischen extremen Positionen des Widerstandes und der Revolution auf der einen Seite, der Apotheose, der Mythisierung und der Verherrlichung von Kaiser und Reich auf der anderen Seite. Besonders die Verfolgungszeiten haben in der biblischen Literatur dokumentiert, wie das Verhältnis der Glaubenden zum Staat umschlägt, wenn der Staat seine Macht missbraucht und gar für sich Anbetung und Verehrung fordert. Der Staat erscheint dann wie dämonischen Mächten ausgeliefert (vgl. Offb 13,1ff). In diese Linie gehört das in der ganzen Tradition wichtige und bis heute maßgebend gebliebene Wort aus der Apostelgeschichte: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen“ (Apg 5,29, dazu auch Platon, Apologie 29 d, wo Sokrates sagt: „Gehorchen werde ich dem Gotte mehr als euch“). Diesen Text muss man in der ganzen Spannweite und Bandbreite mit Röm 13 zusammensehen.

Aus diesen wenigen Perspektiven, die sich noch stark vermehren ließen – nicht zuletzt auch im Blick auf das Johannesevangelium (vgl. vor allem Joh 18,36: „Mein Königtum ist nicht von dieser Welt.“) –, wird auch eine gewisse grundsätzliche Pluralität von Modellen evident: Es gibt das Modell der Distanz, das sich bis zu einem prinzipiellen Gegensatz, mindestens aber bis zu einer strikten Trennung entfalten kann. Es gibt im Gegenzug ein Modell faktischer Identifikation, das freilich funktionelle Unterscheidungen zwischen einer geistlich-religiösen und weltlich-politischen Sphäre zulässt.

Vor diesem Hintergrund wird auch leicht erkennbar, dass die Frage des Verhältnisses von Religion – Gesellschaft – Staat eng verknüpft ist mit der Geschichte der Menschenrechte, besonders der Religionsfreiheit.

Es gibt gewiss noch recht differenzierte Paradigmen, besonders im Zusammenhang der Politischen Theologie verschiedener Provenienz. Der religiöse Anspruch kann manchmal auch zum bloßen Mantel bestimmter politischer Interessen und Forderungen werden. Insgesamt stellt sich immer wieder die Frage, ob die Religion frei und ungehindert ausgeübt werden kann und ob die politische Gewalt begrenzte Gewalt bleibt. In diesem Sinne darf man wohl auch den Schluss der Apostelgeschichte mit den schon genannten Texten als wegweisende Orientierung verstehen, wenn es wohl im Blick auf das Römische Reich heißt: „Er (Paulus) verkündete das Reich Gottes und trug ungehindert und mit allem Freimut die Lehre über Jesus Christus, den Herrn, vor.“ (Apg 28,31) Es beginnt die Zeit der Kirche: Sie ist unterwegs und steht immer unter dem Gericht, dem „eschatologischen Vorbehalt“ (E. Peterson), weiß sich aber in einer schon etwas vorgerückteren Zeit dem Bauen am Reich Gottes in dieser Zeit verpflichtet.

II. Differenzierungen zum Trennungsmodell

In der neueren Geschichte wenigstens der westlichen Demokratien hat sich, bedingt vor allem durch die Religionskriege und durch die Aufklärung, eine grundsätzliche Trennung von Staat und Kirche durchgesetzt. Man darf diese Trennung nicht von Anfang an negativ qualifizieren, vor allem nicht unreflektiert, indem man eine pure Ablehnung oder gar eine bloße Feindseligkeit daraus ableitet. Es gibt sicher solche Tendenzen. Immerhin ist in der französischen Regelung das strikt laizistische Moment der Trennung nicht zu übersehen. Das Trennungsmodell enthält freilich verschiedene Differenzierungen. So ist in den USA auf dem Boden einer sehr weit ausgreifenden Religionsfreiheit bei verfassungsrechtlicher Trennung von Kirche und Staat den Religionsgemeinschaften im öffentlichen Leben eine faktisch ungehinderte Entfaltungsmöglichkeit gewährleistet.

Damit ist das Trennungsproblem letztlich in eine neue Phase geraten. Der historisch schwer belastete Begriff „Trennung“ wurde auch immer wieder neu umschrieben. U. Stutz sprach für die Weimarer Zeit von „hinkender Trennung“, nach 1949 wurde von „positiver Trennung“ gesprochen und E.-W. Böckenförde prägte das Wort von der „balancierten Trennung“. Die Kirche hat vor allem ein unfreiheitliches, letztlich auf Ausschaltung der öffentlichen Tätigkeit der Kirche bedachtes Trennungssystem, z.B. in den ehemaligen kommunistischen Staaten, abgelehnt. So werden im Trennungsmodell vielfache Linien der Kontaktnahme, ja der Kooperation erkennbar. Dies kann sich formell abzeichnen, wie etwa im deutschen System, aber auch informell erfolgen, wie es m.E. sogar im französischen Trennungssystem der Fall ist. Es gibt hier mehr Kontakte und Kooperation, als das Grundmodell vermuten lässt. Aber es ist nirgends formell formuliert. Ich sehe hier vom „laicisme“ in Frankreich und z. B. in der Türkei ab.

Insgesamt hat wohl das Zweite Vatikanische Konzil in der Pastoralkonstitution „Gaudium et spes“ eine glückliche zusammenfassende Formulierung gefunden, wenn es dort heißt: „Beide (Staat und Kirche) aber dienen, wenn auch in verschiedener Begründung, der persönlichen Berufung der gleichen Menschen. Diesen Dienst können beide zum Wohl aller um so wirksamer leisten, je mehr und besser sie rechtes Zusammenwirken miteinander pflegen; dabei sind jeweils die Umstände von Ort und Zeit zu berücksichtigen.“ (Art. 76)

Freilich kann es auch in einem strikten Trennungssystem einen bloßen Anschein von Kooperation geben. Aber diese ist dann erzwungen. So haben früher z.B. in einigen kommunistisch orientierten Staaten Bischöfe einen Diplomatenpass bekommen, indem sie so für die Belange des Staates instrumentalisiert worden sind. Oder es gab in den östlichen Staatsdiktaturen ein den Kirchen oft schmeichelhaftes Protokoll, das aber nur mühsam verdeckte, dass die Politik die einzige wirklich gestaltgebende gesellschaftliche Kraft war. Dies sah nach Gemeinsamkeit aus, war aber mehr oder minder aufgezwungen.

III. Basis-Elemente: Freiheit und Kooperation

So kam es denn im Verlauf vor allem der neueren Geschichte zu Modellen, die eine differenziertere Form des Verhältnisses ausbildeten. Voraussetzung für diese Neubestimmung ist eine grundlegende Trennung, die jedoch mehrere Dimensionen enthält. Man kann sagen, dass Freiheit und Zusammenarbeit die beiden Basis-Elemente dieser Verhältnisbestimmung sind. Wir haben gesehen, dass die hier verwendeten Begriffe im einzelnen vieldeutig sind und jeweils aus dem Kontext erschlossen werden müssen. Diese Modelle sind ja keine rational konstruierten Systeme mit eindeutigen Begriffen, sondern eher etwas schwebende, stets aufeinander bezogene und auch wandelbare Netze. Wenn man die Trennung nicht nur negativ und statisch formuliert, kann man sagen, dass in ihr für die jeweiligen Dimensionen eine wechselseitige Freiheit zum Ausdruck gebracht wird. Diese Freiheit ist nicht ein Ausdruck der Gleichgültigkeit. Die Differenz ist nicht gleichzusetzen mit Indifferenz. Diese Freiheit besagt, dass die einzelnen Partner nicht gehindert werden, ihre ureigene Legitimation und eine unabhängige Funktion zu haben, zu beanspruchen und auszuüben. So ist auch ein Spielraum gegeben, um aus dieser Freiheit in der jeweiligen Sphäre der Unabhängigkeit ungezwungen aufeinander zuzugehen und gewisse Formen und Felder der Zusammenarbeit zu vereinbaren. Für die Sendung der Kirche ist diese Freiheit elementar wichtig.

Vor einiger Zeit hat Peter Graf Kielmansegg dieses Ergebnis hervorragend von der Geschichte her gekennzeichnet und formuliert abschließend: „Das europäische Muster, der auf wechselseitiger Selbstbeschränkung beruhenden friedlichen Koexistenz zweier letzter Instanzen ist nicht religionsneutral entwickelt worden. Es ist das Ergebnis einer sehr spezifischen Geschichte, hervorgegangen aus dem Wechselspiel einer bestimmten politischen Tradition mit einer bestimmten Religion.“ Alle Versuche zu einer unbeschränkten Ausweitung scheiterten von beiden Seiten her. So ergab sich auch die Position konfessioneller Neutralität, die eben zugleich bedeutet: „Europa nahm endgültig von der Idee der Verschmelzung von Religion und Politik Abschied.“ In diesem Sinne erblickt Peter Graf von Kielmansegg die Gewaltenteilung als „das elementarste Strukturdenkmal der europäischen Zivilisation überhaupt“ . Diese Selbstbeschränkung erlaubte auch eine neue Form von Kooperation.

Diese Kooperation ist nämlich ihrerseits nicht ein festgefügtes System, das irgendwie in sich abgeschlossen und vollendet wäre. Vielmehr sind es eher punktuelle Ansätze zu einer begrenzten Zusammenarbeit. Sie haben letztlich diese partielle Kooperation nicht bloß aus ihrem jeweils eigenen Interessenfeld im Blick, sondern bestimmen sich von der jeweiligen Sorge von Staat und Religion um den selben einen Menschen, auf den beide bezogen sind. Letztlich ist es der eine konkrete und ganze Mensch, der die begrenzte Kooperation erlaubt und fordert.

Dem Einzelnen, der Gruppe sowie den Kirchen und Religionsgemeinschaften steht das in der Würde des Menschen fundierte Grundrecht der Religionsfreiheit zu, wie sie wiederum kirchlicherseits vom Zweiten Vatikanischen Konzil eigens anerkannt worden ist. Den Religionsgemeinschaften ist in solchen Verfassungen überdies ausdrücklich die Freiheit bei der Ordnung und bei der Verwaltung ihrer eigenen Angelegenheiten verbürgt, wenn diese Freiheit auch – gemäß der Verantwortung des Staates für das Gemeinwohl – durch die Schranken des für alle geltenden Gesetzes begrenzt wird. Auch die Tatsache, dass die Kirchen in einer solchen Situation Körperschaften des öffentlichen Rechtes sind, gehört in diesen Zusammenhang. Das Bundesverfassungsgericht der Bundesrepublik Deutschland hat in diesem Zusammenhang formuliert: „Der Status (gemeint: Körperschaft des öffentlichen Rechts) soll die Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der Kirche vom Staat sowie ihre originäre Kirchengewalt bekräftigen. Durch sie wird die Kirche weder in den Staat organisch eingegliedert, noch einer besonderen staatlichen Kirchenhoheit unterworfen.“ Diese Freiheit der Kirche wendet sich aber nicht nur abwehrend und abgrenzend gegen den Staat. Die Kirche versteht ihre Freiheit positiv und aktiv. Sie wird also gegebenenfalls dem Staat, genauer: den verantwortlichen Repräsentanten des Staates, - wenn nötig - auf die jeweils angemessene Weise ins Gewissen reden und sie wird sich darin weder durch ihren Rechtsstatus noch durch die Verbindung mit dem Staat beirren lassen. Umgekehrt bleibt es auch in Zukunft eine elementare Aufgabe der Kirche, ein noch tieferes Verständnis für die Eigenart des modernen Staates sowie für die Probleme und Nöte einer säkularen, pluralistischen Gesellschaft zu entwickeln (vgl. unten V.).

Eine solche Freiheit ist die Grundvoraussetzung für die Zusammenarbeit mit dem Staat. Wenn die Kirche hier in den letzten Jahrzehnten bisweilen so etwas wie ein „prophetisches Wächteramt“ für sich beansprucht hat und dies auch öffentlich wahrnehmen muss, so kann dies zwar gelegentlich etwas überheblich klingen und auch in einzelnen Erklärungen und Stellungnahmen von der Realität abgehobenen, fast richterlich klingenden Äußerungen führen, dient aber schließlich dem Gemeinwohl, wenigstens wenn dieses Wächteramt dienend und selbstkritisch wahrgenommen wird. In vielen Fällen kommt es dabei auf die Tonart an. Der Ton macht auch hier die Musik.

Früher wurde darauf hingewiesen, dass diese Unabhängigkeit und Selbständigkeit nicht negativ verstanden werden darf, sondern dass sie sich auf die partielle Zusammenarbeit mit dem Staat zum Wohl zunächst des einzelnen Menschen bezieht. Hier geht es besonders um die so genannten „res mixtae“, also die gemischten Angelegenheiten, bei denen die Religion und der Staat jeweils einen gewissen Anteil haben. So steht hier die Tätigkeit der Kirche in staatlichen Einrichtungen obenan, wie z.B. Schule, Krankenhaus, Gefängnis, Militär. Die allermeisten Themen von gemeinsamem Interesse beziehen sich auf Fragen der Erziehung und der Bildung sowie der sozialen Hilfen. Dies fängt bei den Kindergärten an, die sich zu einem großen Teil in der Verantwortung der Kirchen befinden, und erstreckt sich auch auf die Präsenz z.B. der Theologie als Wissenschaft im Bereich der staatlichen Universitäten. Diese Fragen sind von Staat zu Staat, manchmal in der Bundesrepublik Deutschland auch von Bundesland zu Bundesland, recht verschieden. Ein wichtiger Bereich sind das Gesundheitswesen und die sozialen Einrichtungen, weil die Kirche hier viele Institutionen als Träger führt. Der Staat gewährt der Kirche auch in unterschiedlicher Weise z.B. das Recht, vollwertige Privatschulen zu unterhalten. Manche Probleme können auch vielleicht nur zeitweise strittig sein, wie z.B. die Partizipation an Informationen der elektronischen Datenverarbeitung, die auf der einen Seite die Person schützen muss, auf der anderen Seite indispensabel ist, z.B. für die Krankenhausseelsorge. Dies ist in der Regel zwischenzeitlich gut geklärt.

Die gemäße Form solcher Vereinbarungen sind verschiedene Verträge. Sie werden z.B. zwischen dem Vatikan und den Bundesländern gewöhnlich im Sinne von Konkordaten beschlossen. Die evangelischen Kirchen verhandeln auf der Basis analoger Staatskirchenverträge, besonders zwischen den einzelnen (Landes-)Kirchen und den Bundesländern. Diese Verträge haben eine hohe Bedeutung. Für Streitfälle verpflichten sich beide Seiten auf die so genannte „Freundschaftsklausel“, d.h. Auseinandersetzungen werden nach Möglichkeit im Geist freundschaftlichen Respekts ausgetragen und abgeschlossen.

IV. Partnerschaft zwischen Kirche und Staat?

Dieses Instrument rechtlicher Vereinbarungen hat eine lange Geschichte. So gibt es auch im jetzigen Staatskirchenrecht noch entfernte Relikte einer Dominanz des Staates aus einer Zeit, da der Staat die Kirche – vor allem im 19. Jahrhundert – ziemlich knebelte und im festen Griff hatte („Staatskirchentum“). In den alten Konkordaten findet sich z.B. im Treueid neuer Bischöfe ein Brauch, der heute problematisch erscheint: Der Bischof schwört vor den höchsten Repräsentanten des Staates dem Land, in dem er für die Kirche zuständig ist, Treue, Achtung vor der gebildeten Regierung, Sorge um das Wohl und das Interesse des deutschen Staatswesens und die Verhütung jeden Schadens. Es ist kein Zweifel, dass ein solches Element eher auf das frühere Staatskirchenrecht verweist als auf künftige Rahmenbedingungen. Deshalb erscheint dies auch nicht mehr in neueren Staatskirchenverträgen.

An dieser Stelle muss eigens auch von einer Formel die Rede sein, die die gängige Verhältnisbestimmung zwischen Kirche und Staat geprägt hat und prägt. Man bezeichnet sehr oft die Freiheit und die Zusammenarbeit zwischen Staat und Kirche als Partnerschaft. Nicht wenige Staatsrechtslehrer lehnen jedoch eine solche Kennzeichnung ab, da sie nach ihrer Überzeugung die Souveränität des Staates zu sehr einschränkt. Sie sehen durch eine solche Kennzeichnung die von keiner anderen Macht abgeleitete Hoheitsgewalt nach innen und außen gefährdet. So wird von nicht wenigen eine solche Bestimmung - nicht selten auch ironisch - abgelehnt.

Ich selbst würde auch meinerseits weniger das Substantiv Partnerschaft zur Beschreibung verwenden, da dies vielleicht in der Tat nach einer für beide Seiten problematischen Verschränkung der beiden Ordnungen aussehen könnte. Wenn dieser Gefahr aber gewehrt ist, dann spricht nach meinem Urteil nichts dagegen, vor allem das Adjektiv „partnerschaftlich“ zur Bestimmung des Verhältnisses zu verwenden. Während das Substantiv Partnerschaft auf ein ganzes System der Beziehungen anspielen könnte, bezieht sich das Eigenschaftswort mehr auf die Art der Verfahren und den Stil der gegenseitigen Beziehungen, die Form des Umgangs miteinander, der wirklich auch ein Ausdruck des Respekts vor der Freiheit und Unabhängigkeit des Partners ist. Ich sehe hier eigentlich keinen Grund, eine solche Sprechweise nicht zu benutzen oder wenigstens zu dulden. Wie soll der Staat sonst die beiden Basis-Elemente der Freiheit sowie Unabhängigkeit und der Kooperation wirklich vermitteln und zu einem Ergebnis führen? Andere Stilformen wären eben letztlich doch gekennzeichnet durch einseitige hoheitliche Akte, die die eigene Wirklichkeit von Religion und Kirche nicht mehr ausreichend respektieren könnten.

Freilich kann man sich manchmal auch fragen, ob und wie der Staat bei der ihm zugewachsenen Kompetenz, z.B. in Bildungs- und Sozialfragen, faktisch eine solche partnerschaftliche Beziehung heute aufrechterhalten kann und will, ohne dass dies bloß vom guten Willen einzelner Verantwortlicher abhängig ist. Hier gibt es latente Konflikte.

V. Uneingeschränkter Souveränitäts-Begriff?

Nun hängt die Antwort auf die Frage nach der Art der Beziehung auch sehr von der Gültigkeit und dem Stellenwert des Souveränitäts-Begriffs ab. Die Herrschaftsgewalt des Staates gilt als eine höchste, unabgeleitete, keiner weiteren fremden Bindung unterliegende Größe. Aufgrund des Missbrauchs staatlicher Souveränität in der jüngsten Neuzeit ist der Souveränitätsbegriff keineswegs unanfechtbar gültig.

Die Anfechtung des Souveränitätsbegriffs erfolgt dabei unter vielen Gesichtspunkten. Die jüngste Kritik geht dahin, der moderne Staat sei von den sozialen Machtkomplexen weitgehend okkupiert und instrumentalisiert; alles sei durch Interessengruppen vermittelt, womit das Ende wahrer Staatlichkeit gegeben sei. Aber die Zweifel haben auch tiefere Gründe. Nachdem der Souveränitätsgedanke spätestens im 20. Jahrhundert nicht mehr so ausschließlich mit „Nation“ als einem politisch zentralen Sinnprinzip verknüpft ist, ergab sich für die inhaltliche Bestimmung der Souveränität ein gewisses Vakuum. Hinzu kam, dass allein im 20. Jahrhundert mit Berufung auf die Souveränität oder gar die „Volkssouveränität“ schreckliche Gräuel verübt wurden, die vor allem das jüdische Volk am allermeisten zu spüren bekam. Mit der Auflösung dieser Denkmuster wird jedoch die demokratische Legitimation schwächer. Die Vorstellung einer uneingeschränkten Souveränität des einzelnen Staates wird auf der Ebene eines Landes, der Nachbarstaaten, der Kontinente und der Weltgesellschaft immer problematischer. Darauf brauche ich hier nicht im einzelnen einzugehen. Man denke auch an die Einschränkungen nationaler Souveränitäten im Prozess der europäischen Einigung.

Dies ist ein weiteres Argument, warum die Beschreibung einer partnerschaftlich orientierten Verhältnisbestimmung zwischen Staat und Kirche angemessener erscheint, denn auch in diesem Problemfeld wäre eine uneingeschränkte Souveränität letztlich eine fragwürdige Kategorie.

Schon bei der Entstehung der Bundesrepublik Deutschland ist man bekanntlich hier einen eigenen und anderen Weg gegangen. Man geht in der Verfassung nicht mehr von der problematischen Souveränität des Einzelstaates aus. Man verzichtet auch auf die Aufzählung der Staatsziele im klassischen Sinne, wo Souveränität einen der vorderen Plätze beansprucht. Vielmehr stellt man die Grundrechte und darin besonders den Schutz der Menschenwürde an den Anfang der Verfassung. So heißt es in Art. 1, 1 GG: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Eine Reihe von eher konservativ ausgerichteten Staatsrechtslehrern hat sich schon früh über diese - nach ihrer Meinung - Unterbestimmung staatlicher Souveränität skeptisch, wenn nicht abfällig geäußert. Im Grunde ist die Bescheidenheit, mit der hier der Staat nicht in seiner Vollmacht, sondern in seinem Auftrag dargestellt wird, eine Konsequenz aus der Geschichte der Demokratie in Deutschland und Europa im 20. Jahrhundert. Auch wenn Probleme im Blick auf das Selbstbewusstsein und die innere Stärke der Staatlichkeit nicht geleugnet werden sollen, so ist diese kopernikanische Wende in der Bestimmung des Staates auf die Dauer ein Gewinn.

VI. Die „Not“ des modernen Staates

Vielleicht ist man dadurch noch nicht einmal an das Ende der Reflexion über Religion - Staat - Gesellschaft - Kirche gelangt. Die Ernüchterung des Begriffs „Staat“ schreitet nämlich noch weiter. Es gibt noch in anderer Hinsicht eine „Entzauberung“ des klassischen Staatsgedankens der Neuzeit. Immer mehr ist offenkundig geworden, dass der neuzeitliche Staat, gerade wenn er weltanschaulich und religiös neutral ist, von Voraussetzungen lebt, die er selbst am Ende nicht garantieren kann. Ich darf an dieses berühmte Zitat von Ernst-Wolfgang Böckenförde anknüpfen. Der Staat ist auf einen Konsens von Werteüberzeugungen und Grundhaltungen angewiesen, die er selbst nicht erzeugen oder einfordern kann. Er braucht das gelebte Ethos seiner Bürger, zu dem auch Religion und Kirche gehören. Das Ethos selbst bedarf nämlich eines hinreichend starken Fundamentes, um den ethischen Grundüberzeugungen ihre Unabhängigkeit und damit auch so etwas wie ihre unumstößliche Geltung zu verleihen.

Wenn der Staat einsieht, dass er hier konstitutionell schwach ist, wird er gegenüber den sinnstiftenden Institutionen nicht dieses Maß an Autarkie und Souveränität an den Tag legen, wie es noch im 19. und weit hinein in das 20. Jahrhundert der Fall war. Er muss deshalb die gesellschaftlichen Kräfte respektieren, die diese Werte vermitteln, weitergeben und pflegen. Gewiss sind dies nicht Religion und Kirche allein. Dazu gehören auch u. a. Kunst und Wissenschaft, Sport und Medien, ja schließlich auf je eigene Weise die einzelnen Bereiche des gesellschaftlichen Lebens. Aber zweifellos haben Ethik und Religion, deren Träger besonders auch die Kirchen sind, hier eine besondere Funktion. Der Staat verhält sich der Religion und den Kirchen gegenüber auch nicht bloß im Sinne einer passiven, negativen Duldung (negative Religionsfreiheit), sondern er hält diesen Sinnträgern in der Gesellschaft, ohne sich direkt für sie einzusetzen, einen aktiven Raum offen, in dem diese sich selbst nach ihren Vorstellungen einbringen und betätigen können. Dies ist letztlich gemeint, wenn wir erklären, dass der Staat keine Religion oder Kirche begünstigen darf, in diesem Sinne also weltanschaulich-religiös neutral ist, aber eben nicht völlig indifferent sein kann. Diese Offenheit für die Pflege von Sinnüberzeugungen und Werten, die mit den Grundlagen der Verfassung vereinbar sind, muss er aufrechterhalten, denn die positive Gebundenheit des Gemeinwesens an Werte muss dem Staat ein entscheidendes Anliegen sein, gerade wenn er selbst kein Sinnproduzent sein kann (positive Religionsfreiheit).

Es ist nicht zufällig, dass heute überall nach solchen „Grundwerten“ gesucht wird. Die Kohäsionskräfte der Gesellschaft sind viel lockerer geworden. Auch liberale Kräfte beklagen den Bindungsverlust in den westlichen Gesellschaften. Die Diskussion aus den USA um den so genannten „Kommunitarismus“ weist in dieselbe Richtung.

Ich bin fest überzeugt, dass nur eine solche Betrachtung wirklich neue Perspektiven für eine heutigen Verhältnissen entsprechende Bestimmung der Relation zwischen Religion und Gesellschaft, Kirchen und Staat bietet. Die alte Fragestellung hat sich gründlich verändert. Deshalb muss die heutige Darstellung des Staat – Kirche – Verhältnisses auch grundlegend den Faktor „Gesellschaft“ in die Reflexion einbeziehen.

VII. Die unentbehrliche Dimension erlittener Geschichte

Nun möchte ich nochmals vor der Versuchung warnen, dieses Thema gleichsam abstrakt-systematisch im luftleeren Raum anzusiedeln. In einer Demokratie kann diese Verhältnisbestimmung ohnehin nur vom Volk selbst getragen werden. Aber es genügt auch nicht nur ein soziologischer und psychologischer, sozial- und humanwissenschaftlicher Blick auf die Situation der Gesellschaft und ihre Bedürfnisse.

Ich habe die feste Überzeugung, dass es dafür auch der Einsicht in die Geschichte, ja der Annahme und der Deutung des Erleidens geschichtlicher Schicksalsschläge bedarf. So wäre man in der europäischen Geschichte wohl nie zu einer differenzierteren Sicht des Modells „Freiheit und Zusammenarbeit“ gekommen, wenn man nicht in vielen Leidensprozessen, Konfliktsituationen, mörderischen Kriegen und langwierigen geistigen Prozessen die Unhaltbarkeit absoluter Trennungsmodelle und erst recht identifikatorischer Paradigmen erfahren hätte. Dies beginnt bei den Verfolgungen gläubiger Glieder des Volkes Gottes durch den Staat in der Bibel des Alten und des Neuen Bundes und setzt sich fort in den Christenverfolgungen der Antike und aller Zeiten. Es ist um so tragischer, dass die Christen und die Kirchen in den Zwangstaufen, den Kreuzzügen, den Judenverfolgungen, den Hexenverbrennungen und in der Inquisition selbst solche Gräueltaten verübt haben und ein Stück weit sich blenden ließen im Verständnis ihrer eigenen Botschaft. Ein wichtiges Ereignis für diese Frage ist der Investiturstreit im Kampf um die Kirchenfreiheit („libertas ecclesiae“) zu Beginn des Hochmittelalters. Doch kann ich hier in diesem Zusammenhang dies nicht mehr im einzelnen verfolgen. Es müsste auch noch vom Beginn der Neuzeit und von der Aufklärungszeit die Rede sein.

Aus dieser Anmerkung folgt jedoch, dass man staatskirchenrechtliche Einsichten und Modelle ebenso wenig übertragen kann wie z.B. „Soziale Marktwirtschaft“. Es ist kein abstraktes Modell, das nur transplantiert werden dürfte. Es setzt das Lernen auch aus einer erlittenen Geschichte voraus. Diese darf man nicht überspringen. Jede Gesellschaft muss dies auf ihre Weise nachholen. Dies muss abschließend noch etwas genauer bedacht werden.

VIII. Offene Fragen heute

Axel Freiherr von Campenhausen hat vor einiger Zeit die offenen Fragen im Verhältnis von Staat-Kirche an der Schwelle zum 21. Jahrhundert ausführlich beschrieben. Es sind viele Probleme in der Politik, in der Lehre und auch in der Rechtsprechung. Die offenen Fragen betreffen von einem Religionsunterricht für Muslime bis zur religionsrechtlichen Stellung der Zeugen Jehovas. Es geht aber auch um die Befugnisse der Kirchen in den klassischen Rundfunk- und Fernsehanstalten, wenigstens den öffentlich-rechtlichen, und in den neuen Medien überhaupt. Dies kann hier nicht im Einzelnen abgehandelt werden. Wir können hier auch nicht die Situation in anderen Ländern einbeziehen, so aufschlussreich dies wäre.

Hier ist es vielleicht wichtiger, einige Fragen anzusprechen, die nicht bloß einzelne Diskussionsfelder, sondern die grundlegend das Verständnis des Staat-Kirche-Verhältnisses betreffen. Dies betrifft zunächst einmal den Stellenwert des Staatskirchenrechts überhaupt. Immer stärker findet man nämlich die Vorstellung die Verfassung privilegiere die christlichen Kirchen. Im Grunde betreffe Religion heute nicht mehr die gesamte gesellschaftliche Ordnung, sondern bestimme Religion als Privatsache der einzelnen Staatsbürger. Unter diesen Voraussetzungen erscheint der verschärfte religiöse Pluralismus als unvereinbar mit dem Staatskirchenrecht und einer besonderen Kooperation von Staat und christlichen Kirchen. Im Grunde genügt die grundrechtliche Verbürgung der Religionsfreiheit. Man sieht diese freilich dann nur im Sinne der oben erwähnten „negativen Religionsfreiheit“. Sie erschöpft sich in einer Toleranz, die alle Religionen, ganz unabhängig von der Zahl ihrer Mitglieder und ihrer Geschichte, gleich behandelt, sofern sie nicht mit dem Gesetz in Konflikt kommen.

In diesem Sinne möchte ich auch dem Titel dieses Beitrags noch eine eigene Note hinzufügen. „Das schiedlich-friedliche Verhältnis von Staat und Kirche heute“ begegnet nämlich nicht selten einer tiefen Skepsis, ja manchmal auch einer unverkennbaren Ironie, weil dieses Verhältnis manchem als längst ausgehöhlt, reformbedürftig, aber auch reformunfähig erscheint. Schiedlich-friedlich heißt dann auch: gleichgültig. In letzter Zeit häufen sich dafür die Stimmen. So hat Claus Leggewie im Interesse eines angeblich neuen friedlichen Nebeneinanders der Bekenntnisse radikal neue Wege von Staat und Kirche gefordert. Weil die klassischen Modelle der Integration und Gleichstellung, z.B. für den Islam, nicht mehr funktionieren, müssen neue Wege gefunden werden. „Die effektive Gleichstellung nichtchristlicher Religionsgemeinschaften erfordert eine behutsame Revision des Verhältnisses von Religion und Politik in Deutschland, die, um mit Ulrich Willems zu reden, ‚religiös-christlich-großkirchliche Schlagseite’ muss austariert werden.“

Dazu gehört auch, dass man in der Privatisierung der Religion und einer weitgehenden Entchristlichung Europas das Ende der bisherigen Entwicklung sieht. Man kann dies auch in anderer Hinsicht beobachten, dass nämlich – wie schon erwähnt – immer mehr im Zusammenhang der Religionsfreiheit oft nur von der negativen, aber kaum mehr von der positiven Dimension die Rede ist. Dass und warum es eine korporative Religionsfreiheit gibt, tritt weitgehend zurück.

Es passt in diesen Zusammenhang, was die Bundesjustizministerin Brigitte Zypries am 12. Dezember 2006 in ihrer „Berliner Rede zur Religionspolitik“ an der Humboldt-Universität ausgeführt hat: „Im säkularen Verfassungsstaat kann Religion nicht mehr den Anspruch haben, das Leben der Menschen vollständig und verbindlich zu regeln. Religion bestimmt nicht mehr die gesamte gesellschaftliche Ordnung, sondern sie ist weitgehend zur Privatsache der einzelnen Staatsbürger geworden.“ Darum hegt sie auch den Verdacht, dass die „Wiederkehr der Religion“ nur der Versuch sei, „die Religion für eine rückwärtsgewandte Gesellschaftspolitik dienstbar zu machen“. Später heißt es dazu. „Sie (die Wiederkehr der Religion) scheint allerdings eher ein Feuilleton-Phänomen zu sein, denn eine Welle von Kircheneintritten ist wohl nicht zu verzeichnen. Stattdessen rangieren in den Bestseller-Listen jene Sachbücher ganz oben, in denen religiöse Werte laut beschworen werden. Ob Nachrichtensprecher, Verfassungsrichter oder Pädagoge – sie alle beklagen in ihren Büchern den Verfall und den Niedergang von Werten und Kultur.“ „Der Rückgriff auf die Religion ist eine Modeerscheinung von Autoren, denen alles zu unordentlich geworden ist in Deutschland. Er sagt viel über ihre Sehnsucht nach der Ordnung von gestern, aber er bietet keine Antworten auf die Fragen von heute.“ Wenn als Antwort aber nur die Loyalität zu den Gesetzen ins Feld geführt wird, – „Diese Rechtstreue ist das unverzichtbare Minimum für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft“ – dann ist diese Lösung zwar pragmatisch im Blick auf den Alltag nicht falsch, aber angesichts der in der Rede selbst gestellten Fragen gewiss unzureichend und im Munde einer Bundesjustizministerin, die ja schließlich in besonderer Weise auch über den authentischen Sinn unserer Verfassung wachen sollte, enttäuschend.

Im Grunde entfällt hier jede geschichtliche Perspektive und ihre Wirkungen. Die Neutralität des Staates im Blick auf die einzelnen Religionen darf nicht mit Gleichgültigkeit und unreflektierter Toleranz gegenüber dem Wirken von Religionen in der Gesellschaft verwechselt werden. Dies könnte auch nicht geschehen angesichts der Tatsache, dass die christlichen Kirchen und das Christentum überhaupt eine prägende Rolle nicht nur in der Geschichte Europas, sondern auch bei allen Verlusten und Minderungen bis in die Gegenwart hinein hätten. Die tiefe kulturelle Verknüpfung des Christentums und der Rechtskultur, die bis in das frühe Mittelalter und noch weiter zurückgeht, kann nicht einfach ignoriert werden. Die richtig verstandene Neutralität des Staates muss also gegenüber der Religion, besonders wenn sie diese Stellung in Geschichte und Gegenwart hat, eher fördernd und wohlwollend sein, darf keinesfalls zu einer simplen Entkoppelung führen.

Dies gilt besonders aber auch für die Möglichkeit der christlichen Kirchen, als Körperschaften des öffentlichen Rechtes zu wirken. Nun ist der Begriff der Körperschaft des öffentlichen Rechts keineswegs eindeutig und deshalb auch rasch bestreitbar. Der Status als Körperschaft des öffentlichen Rechts muss besonders von seiner Funktion her gesehen werden. Durch diesen Status ragt die Kirche aus der Sphäre des Privaten hervor, ohne dass sie aber in die Ebene der Staatlichkeit eingegliedert wird. In diesem Sinne ist die Körperschaft des öffentlichen Rechts für die Kirchen eine Voraussetzung dafür, dass sie unabhängig und frei in die Kooperation mit dem Staat und mit den staatlichen Institutionen eintreten kann. In diesem Sinne ist der Körperschaftsstatus auch eine Einladung des Staates zur Kooperation. „Die korporierten Kirchen wurden, ungeachtet der Scheidung von Staat und Kirche, damit als Teile der guten, geschützten öffentlichen Ordnung anerkannt und der Versuch wurde abgewehrt, sie in den Bereich des für den Staat Beliebigen, Unwesentlichen zu verbannen. Die Verfassung erkennt mithin in den Kirchen maßgebende ‚Faktoren oder Potenzen des Öffentlichen’.“ So ist der Körperschaftsstatus eine Bekräftigung der Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der Kirchen. Er ist kein notwendiger Bestandteil der Religionsfreiheit.

Es lässt sich beobachten, dass mit dem Modell der Körperschaft ziemlich abstrakt umgegangen wird. Natürlich ist es möglich und unter gewissen Bedingungen notwendig, auch anderen Religionen und Kirchen den Körperschaftsstatus zu verleihen, „wenn sie durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten“ . Dies ist auch öfter geschehen. Vom Grundsinn des Körperschaftsstatus her verbietet es sich freilich, diesen Status relativ beliebig zu verleihen, einmal abgesehen von der Notwendigkeit der Rechtstreue. Man muss gerade im Staatskirchenrecht auch das Verhältnis von Kirche und Staat als Ausdruck europäischer Kulturidentität sehen. Dann steht aber auch die gewachsene Grundbestimmung dieses Verhältnisses nicht beliebig zur Verfügung. Man darf den wechselseitigen Lernprozess zwischen Staat und Kirche auf diesem Weg nicht übersehen. Nur wenn die in diesem Lernprozess gemachten Erfahrungen auch anerkannt werden, ist es sinnvoll, den Körperschaftsstatus auszuweiten und zu übertragen. Durch den Ausfall der historischen Dimension in der Betrachtung wird auch das Modell „Körperschaft des öffentlichen Rechts“, das ja zuerst für die Regelung des kirchlichen Bereichs geschaffen worden ist, immer rätselhafter. Hier muss neu angesetzt werden.

Wenigstens kurz muss hier die inzwischen gedruckte Habilitationsschrift von Christian Walter angesprochen werden, wenn die dort vorgetragenen Thesen auch weiter der Diskussion bedürfen (vgl. schon oben Anm. 23). Das traditionelle Staatskirchenrecht wird dabei mindestens in einer doppelten Weise erweitert und aufgebrochen. Einmal ist es die völkerrechtliche Dimension , auf der anderen Seite ist es eine prinzipiell von den Grundrechten her betrachtete neue Struktur des klassischen deutschen Staatskirchenrechts („Vergrundrechtlichung“). Die Perspektive ist zunächst faszinierend. Sie ist aber nicht ganz neu. J. Listl hat die Sache schon in seiner Dissertation „Das Grundrecht der Religionsfreiheit in der Rechtsprechung der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland“ vertreten. Die grundrechtliche Betrachtungsweise entspricht natürlich stärker dem Wandel der Religion in den letzten Jahrzehnten und bekommt dadurch schon einen Zugewinn an Plausibilität. Es ist aber nicht zu verkennen, dass ein solcher Ansatz auch eine im Blick auf die Religionen egalisierende Wirkung bekommt. Vor allem wird die institutionelle Dimension des deutschen Staatskirchenrechts in den Hintergrund gedrängt. Dies kann natürlich zu einer nivellierenden Transformation des deutschen Staatskirchenrechts führen. Aber es hat weder historisch noch systematisch, noch politisch Sinn, die grundrechtliche gegen die institutionelle Betrachtungsweise, Individualität und Institutionalität, entgegenzusetzen. Deshalb darf man die künftige Diskussion mit hohem Interesse weiterverfolgen. Dies gilt auch für die Konsequenzen in der europäischen und internationalen Perspektive.

IX. Die Staat-Kirche-Ordnung im Blick auf die Europäische Union

Eine weitere wichtige Dimension ist die Frage, wie sich das Staatskirchenrecht und besonders auch das rechtlich verbürgte Staat-Kirche-Verhältnis im künftigen Europa entwickeln werden. Die Antwort ist nicht schon damit gegeben, dass das national bzw. regional gegebene Staatskirchenrecht seine Gültigkeit behalten wird. Dies ist zwar eine wichtige Aussage. Man muss aber sehr nüchtern die Konsequenzen bedenken, die sich aus der Entwicklung der EU ergeben. Heute schon gibt es bei der Fülle der Rahmengesetze aus Brüssel und der folgenden nationalen Gesetzgebung so viele Konsequenzen, die auch in das Staatskirchenrecht hineinreichen, dass es eine pure Illusion wäre zu glauben, dass die nationale Regelung des Staat-Kirche-Verhältnisses davon weitgehend unberührt blieb. Es wird überall mit Händen greifbar, dass hier z.B. Folgerungen tief auch in die Eigenart der nationalen Regelungen hineinreichen. Man sieht dies z.B. auch bei den einzelnen Bestimmungen über die Anforderungen an die Mitarbeiter in der Kirche und die Freiheit der Kirchen bei der Anstellung von Mitarbeitern (vgl. z.B. Antidiskriminierungsgesetz). Insofern kann man nicht davon absehen, dass die gesamteuropäischen Regelungen das jeweilige Staatskirchenrecht bis zu einem gewissen Grad aushöhlen. Es gibt hier zweifellos viele Gefahren, zu denen auch die Dominanz der ökonomischen Dimension gehört.

Der Verfassungsentwurf hatte in Artikel 51 bzw. 52 eine Bestimmung enthalten, die genauer zitiert sein soll:

1.„Die Union achtet den Status, den Kirchen und religiöse Vereinigungen oder Gemeinschaften in den Mitgliedstaaten nach deren Rechtsvorschriften genießen, und beeinträchtigt ihn nicht.

2. Die Union achtet den Status von weltanschaulichen Gemeinschaften in gleicher Weise.

3. Die Union pflegt in Anerkennung der Identität und des besonderen Beitrags dieser Kirchen und Gemeinschaften einen offenen, transparenten und regelmäßigen Dialog mit ihnen.“

Vor dem Ende der deutschen Präsidentschaft des Rates der Europäischen Union am 30. Juni 2007 ist versucht worden, was von diesem Vertragsentwurf für einen so genannten „Grundlagenvertrag“ zu retten ist. Dies ist erstaunlich rasch gelungen. Die Konferenz der Staats- und Regierungschefs hat am 18. Oktober 2007 in Lissabon den „Entwurf eines Vertrags zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft“ verabschiedet. Dieser sehr umfangreiche Gesamttext von ca. 180 Seiten enthält im Teil „Allgemein anwendbare Bestimmungen“ unter der Nummer 30 den Einschub eines neuen Artikels 15 b. Dieser lautet nun leicht modifiziert zum früheren Entwurf: „1. Die Union achtet den Status, den Kirchen und religiöse Vereinigungen oder Gemeinschaften in den Mitgliedstaaten nach deren Rechtsvorschriften genießen, und beeinträchtigt ihn nicht. 2. Die Union achtet in gleicher Weise den Status, den weltanschauliche Gemeinschaften nach den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften genießen. 3. Die Union pflegt mit diesen Kirchen und Gemeinschaften in Anerkennung ihrer Identität und ihres besonderen Beitrags einen offenen, transparenten und regelmäßigen Dialog.“ Dieser Text bedarf noch sorgfältiger Analysen. Er kann von verschiedener Seite her interpretiert werden. Es ist wichtig, dass er grundsätzlich erhalten geblieben ist, aber er hat natürlich seinen „Sitz im Leben“ verändert, indem er von grundlegenden Aussagen im Verfassungsentwurf zu einer Aussage über die Arbeitsweisen geworden ist. Aber dies ist ja ohnehin beim Wechsel vom Verfassungsentwurf zum Entwurf eines Grundlagenvertrages geschehen. Der Entwurf soll schließlich im Dezember 2007 bei der Regierungskonferenz auf der Ebene der Staats- und Regierungschef im portugiesischen Mafra verabschiedet werden. Eine Wertung wird in jedem Fall differenziert sein müssen, noch ganz unabhängig davon, wie die Praxis des Umgehens mit diesen Bestimmungen gestaltet wird.

Die am 15. Mai 2007 zum dritten Mal unternommene Begegnung zwischen den Religionen und Kirchen Europas und den Präsidenten des Europäischen Parlamentes und der Kommission sowie der Präsidentin des Rates kann bei aller Bedeutung die Notwendigkeit regelmäßiger Konsultationen nicht ersetzen. Es hat jedenfalls keinen Sinn, ein solches Staat-Kirche-Verhältnis auf der Ebene der Europäischen Union zu versuchen, das weit hinter nationalen Regelungen bleibt und für diese Länder nur eine Verschlechterung der Situation darstellt, wie es für die Bundesrepublik Deutschland der Fall wäre. Man wird also gerade in dieser Hinsicht sehr wachsam bleiben müssen. „Bei entsprechendem Selbstbewusstsein müsste es möglich sein, auf europäischer Ebene diese Besonderheit ... zu vertreten ... Nach wie vor ist es eine aktuelle Aufgabe, darauf hinzuarbeiten, dass die Europäische Einigung in staatskirchenrechtlicher Sicht nicht zu einem Kahlschlag bewährter freiheitsschützender Institutionen führt, sondern dass die Besonderheit der nationalen staatskirchenrechtlichen Ordnung erhalten werden kann als Ausdruck der nationalen Identität und als ein Teil des kirchlichen Erbes im Interesse der Staatsbürger jedes Bekenntnisses.“

Freilich genügt es nicht, wie es leider immer wieder geschieht, auf die rechtlich verbürgte Stellung der Kirchen zu pochen. Nur wenn die freiwillige Bindung von Menschen in den Kirchen auch nach außen überzeugender wird, wenn Gläubigkeit wieder ein aktiveres, weltverwandelndes Zeugnis wird und die Kirchen dies alles auch noch bewusster im Horizont weltweiter Globalisierung wahrnehmen, können die Christen die Kritiker überzeugen. Dafür braucht es freilich einen lebendigen Rechtsstaat, der seine Neutralität in dem Bereich von Staat und Kirche wohlwollend und fördernd versteht. Dies muss der Saat auch deshalb sensibel beachten, weil es um geistige und kulturelle Fundamente des Zusammenlebens geht, über die er bei aller Wertgebundenheit nicht verfügen kann. Die Gesellschaft hat in sich mehr Kräfte als der Staat. Dies ist und bleibt seine Ohnmacht. Aber dafür haben wir auch zwar einen säkularen Staat, aber nicht einfach eine säkulare Gesellschaft. In ihr gibt es viele geistige Wohnstätten und Aufenthalte. Der Christ muss sich nur entschieden zu seinem Glauben bekennen, ohne in Fundamentalismus und Fanatismus abzugleiten. Für ihn gilt, gerade heute, wieder, was schon eines der ältesten Zeugnisse der früheren Christenheit so formuliert hat: „So wichtig ist der Posten, auf den Gott die Christen gestellt hat, und sie dürfen sich dem nicht entziehen.“

 

 (c) Karl Kardinal Lehmann

Im Original sind eine Reihe von Fußnoten und Anmerkungen enthalten.

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz