Referat im Rahmen der Domvorträge 2007 „Wiedergeboren aus Wasser und Geist. Christwerden und Taufe“ im Mainzer Dom am 31. Mai 2007
„Durch den einen Geist wurden wir in der Taufe alle in einen einzigen Leib aufgenommen, ... und alle wurden wir mit dem einen Geist getränkt.“ (1 Kor 12,13)
I.
Am 29. April 2007 hat ein Ökumenischer Gottesdienst im Dom zu Magdeburg ein großes Echo erzielt, weil in ihm unter elf christlichen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften in unserem Land eine wechselseitige Taufanerkennung unterzeichnet worden ist. In einer mehrjährigen Vorbereitung ist ab 2003 eine Gemeinsame Arbeitsgruppe gebildet worden, die einen Text vorbereiten sollte.
Schließlich hat dieser Text folgenden Wortlaut erhalten:
„Jesus Christus ist unser Heil. Durch ihn hat Gott die Gottesferne des Sünders überwunden (Röm 5,10), um uns zu Söhnen und Töchtern Gottes zu machen. Als Teilhabe am Geheimnis von Christi Tod und Auferstehung bedeutet die Taufe Neugeburt in Jesus Christus. Wer dieses Sakrament empfängt und im Glauben Gottes Liebe bejaht, wird mit Christus und zugleich mit seinem Volk aller Zeiten und Orte vereint. Als ein Zeichen der Einheit aller Christen verbindet die Taufe mit Jesus Christus, dem Fundament dieser Einheit. Trotz Unterschieden im Verständnis von Kirche besteht zwischen uns ein Grundeinverständnis über die Taufe.
Deshalb erkennen wir jede nach dem Auftrag Jesu im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes mit der Zeichenhandlung des Untertauchens im Wasser bzw. des Übergießens mit Wasser vollzogene Taufe an und freuen uns über jeden Menschen, der getauft wird. Diese wechselseitige Anerkennung der Taufe ist Ausdruck des in Jesus Christus gründenden Bandes der Einheit (Eph 4,4-6). Die so vollzogene Taufe ist einmalig und unwiederholbar.
Wir bekennen mit dem Dokument von Lima: Unsere eine Taufe in Christus ist ‚ein Ruf an die Kirchen, ihre Trennungen zu überwinden und ihre Gemeinschaft sichtbar zu manifestieren’ (Konvergenzerklärungen der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung des Ökumenischen Rates der Kirchen, Taufe, Nr. 6).“
Der Aufbau dieses Textes ist leicht erkennbar: Im ersten Abschnitt werden die Hauptinhalte einer Theologie und Spiritualität der Taufe formuliert. Im zweiten Abschnitt wird die Anerkennung ausgesprochen, wobei zugleich auch die Bedingungen genannt werden, nämlich die trinitarische Form und die von den Kirchen geübte Zeichenhandlung im Sinne des Untertauchens im Wasser bzw. des Übergießens mit Wasser. Am Ende des zweiten Teils und im dritten Abschnitt wird der Zusammenhang dieser Anerkennung mit der zu vertiefenden Einheit der Kirche formuliert und mit dem so genannten Lima-Dokument die Aufforderung und Mahnung zur Sprache gebracht, dass die Kirchen ihre Trennungen überwinden und eine tiefere Gemeinschaft sichtbar zum Ausdruck bringen.
II.
Ein wenig wollen wir darlegen, wie es zu dieser bindenden Unterzeichnung gekommen ist. Dabei wollen wir nicht die Geschichte einer wechselseitigen Taufanerkennung weit zurückverfolgen.
Der unmittelbare Anstoß für die nun erfolgte Taufanerkennung kam von Rom. Auf einer Vollversammlung des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen im Jahr 2001 wurden die Ergebnisse einer Umfrage zur Taufanerkennung diskutiert. Dabei wurden auch Differenzen im Taufverständnis angesprochen. Der Präsident dieses Rates, Walter Kardinal Kasper, hat danach eine Anregung des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen an die Bischofskonferenzen geleitet, über die bestehenden Abmachungen hinaus weitere Initiativen einer wechselseitigen Anerkennung der Taufe zu ergreifen. Soweit ich weiß, ist die feierliche Unterzeichnung am 29. April 2007 der erste Abschluss einer solchen Initiative, nach dem Aufruf von Kardinal Kasper.
An dieser Stelle muss die Tragweite dieses Schrittes in einem ersten Anlauf erläutert werden. Es gab auch schon vor dieser Aufforderung des Einheitsrates in Deutschland eine größere Zahl von solchen Vereinbarungen. Ich will nur einige von ihnen nennen: Es gab bereits vor 1967, also bald nach dem Konzil, Gespräche zwischen dem evangelisch-lutherischen Bischof von Oldenburg und dem Bistum Münster. Hier ging es vor allem um eine Aussage zur Spendung der Taufe „sub conditione“ bei der Aufnahme von Konvertiten in die katholische Kirche. Dabei wurde festgestellt, dass die in der Kirche von Oldenburg ordnungsgemäß gespendete Taufe als gültig zu betrachten ist, also keine Taufe „sub conditione“ erfolgt. Bedingungen sind die trinitarische Form und die Begießung des Hauptes des Täuflings mit Wasser. Unterzeichnet ist dieses Gesprächsergebnis im Amtsblatt der Diözese Münster von Bischof Joseph Höffner, dem späteren Kardinal, Erzbischof von Köln und Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz. Weitere Vereinbarungen folgten, wie z.B. zwischen der Evangelischen Kirche im Rheinland und dem Erzbistum Köln sowie den Bistümern Aachen, Essen, Münster und Trier am 26. März 1996. Schließlich gibt es auch für den Mittel-Bereich eine Vereinbarung der Hessischen Kirchenleiterkonferenz, zu der die Erzdiözese Paderborn sowie die Bistümer Fulda, Limburg und Mainz sowie die Evangelischen Kirchen von Kurhessen-Waldeck, Hessen-Nassau sowie im Rheinland gehören. Noch zahlreiche Vereinbarungen wären zu nennen, darunter auch die innerhalb der ACK in Baden-Württemberg, die viele Kirchen umfasst.
In diesem Sinne scheint es nur ein letzter, zusammenfassender Schritt zu sein, partikuläre Initiativen zu einer bundesweiten und eine möglichst große Zahl von Kirchen einschließenden Vereinbarung zu bringen. Insofern ist der in Magdeburg am 29. April 2007 vollzogene Schritt nicht völlig neu. Aber er ist in vieler Hinsicht qualitativ und im Grad der Verbindlichkeit höherwertiger, vor allem auch durch die Verbindung mit einem Ökumenischen Gottesdienst, der zugleich eine Art Taufgedächtnisfeier war und auch eine Tauferneuerung bedeutete.
Die Feier in Magdeburg hatte noch zwei wichtige Begleitumstände. Einmal sind bekanntlich in den neuen Bundesländern 75 bis 80 Prozent der Bevölkerung überhaupt nicht getauft, sodass ein zurückhaltender missionarischer Akzent dieser Aktion nicht zu übersehen war. Schließlich heißt es ja im Dokument selbst: „Deshalb ... freuen (wir) uns über jeden Menschen, der getauft wird.“ (2. Abschnitt) Im Magdeburger Dom findet sich schließlich ein Taufstein, der wohl von Kaiser Otto I. in den Magdeburger Dom gebracht worden ist - und zwar im 10. Jahrhundert, also in der Zeit vor der Kirchenspaltung zwischen Konstantinopel und Rom (1054). Wie kein zweiter in Deutschland steht also der achteckige Porphyrstein – vermutlich aus Brüchen in Ägypten – für die Einheit der Taufe. So steht in Magdeburg der in Deutschland vermutlich einzig erhaltene Taufstein aus dem ersten Jahrtausend. Er wurde ununterbrochen bis heute benutzt. So muss man beides gerade auch in der Spannung zueinander zusammen sehen, nämlich die tausend Jahre alte Benutzung des Taufsteins und die geringen Taufen in Mitteldeutschland während und nach der sowjetischen Besatzungszeit. Nicht zuletzt diese beiden Elemente haben dem Magdeburger Ökumenischen Gottesdienst für alle Anwesenden, aber auch für die Medien eine herausragende Bedeutung gegeben.
III.
Wenn man sich fragt, woher die Probleme einer Taufanerkennung überhaupt kommen, muss man ein wenig zurückgehen in die Zeit des heiligen Augustinus, auch wenn dies nicht unmittelbar unsere Fragen sind. Aber das Verständnis der Taufe ist in wichtigen Dimensionen dort grundgelegt. Dies betrifft auch die Frage der Anerkennung. Eine Entscheidung war nämlich schon nötig im so genannten Ketzertaufstreit. Für Christen, die ihre ursprüngliche Taufe in einer häretischen oder schismatischen Gemeinschaft empfangen hatten, bildete sich für ihre Aufnahme in die katholische Kirche ein zweifaches Problem. In Nordafrika und Kleinasien wurde die Wiedertaufe verlangt. In Rom genügte ein Bußakt zur Eingliederung. Papst Stephan war der Meinung, dass die Gültigkeit der Taufe nicht von der persönlichen Heiligkeit und der geistlichen Würde des Taufspenders abhängig sei, wie die Nordafrikaner dies annahmen. Augustinus lehrte schließlich die objektive Wirksamkeit der Sakramente. So ist auch die Gültigkeit der Ketzertaufe später verteidigt worden, wenn die richtige trinitarische Taufformel gesprochen und die geforderte Intention gegeben ist. Ein wichtiger Hintergrund ist die Überzeugung, dass Jesus Christus der Hauptspender der Sakramente ist, und die Kirche sein Werkzeug darstellt. Demnach genügt die innere Intention durch einen unter Christen allgemein üblichen und anerkannten Ritus, das zu tun, was die Kirche bzw. Jesus Christus getan haben will, ohne dass der Glaube an die Kirche oder an Jesus Christus vorausgesetzt wäre. Die Intention des Spenders kann nur in Frage gestellt werden, wenn ein ernster Zweifel darüber besteht, ob er zu tun beabsichtigte, was Christen tun. Dies ist insgesamt eine äußerst kluge Antwort auf die Schwierigkeiten, wenngleich auch gewiss im Anschluss an diese Lehre manche Fehlentwicklungen entstanden sind, als ob z.B. die persönliche Heiligkeit des Taufspenders nicht von Bedeutung wäre.
Bei der Frage nach der Gültigkeit der Taufe sind, so zeigt dies die Lehrentwicklung, drei Elemente zu berücksichtigen.
1. Materie und Form der Taufe bestehen darin, dass der Taufende den Täufling mit Wasser besprengt oder begießt oder in das Wasser hineintaucht. Gleichzeitig spricht er: „Ich taufe dich im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.“
2. Wer im so genannten „Vernunftalter“ (gewöhnlich gilt dies ab dem 7. Lebensjahr) die Taufe empfängt, muss irgendwie eine minimale Intention haben, einen in der Kirche üblichen Ritus an sich vollziehen zu lassen. Wenn dieser Wille überhaupt nicht vorhanden ist, ist das Taufgeschehen ungültig.
3. Hinsichtlich der Intention des Spenders der Taufe, ist es notwendig zu sehen, dass ein Sakrament nur in einer willensmäßigen Verbindung mit Jesus Christus und seiner Kirche gültig gespendet werden kann. Aber der Vollzug hängt nicht ab von der Rechtgläubigkeit und dem religiös-sittlichen Zustand des Spenders. Es kommt darauf an, das zu vollziehen, was die Kirche bei der Spendung tut („quod facit Ecclesia“, nicht „quod intendit Ecclesia“).
Vor diesem Hintergrund ist deutlich, dass einige Kirchen auch heute noch nicht die Taufe anerkennen. Es handelt sich dabei um die Zeugen Jehovas, die Mormonen, die Neuapostolische Kirche, die „Christengemeinschaft“, die Quäker und die Heilsarmee. Diese Gemeinschaften spenden die Taufe nicht. Diese und andere Kirchen konnten deshalb auch nicht die Magdeburger Erklärung unterzeichnen, worauf wir freilich noch zurückkommen werden (vgl. unten V.).
Ein Teil der früheren Bedenken gegen eine Taufanerkennung hing mit anderen Problemen zusammen, die hier nur kurz gestreift werden sollen, da sie auch heute keine große Rolle mehr spielen. Dies hängt vor allem damit zusammen, dass gewisse Kirchen die trinitarische Taufformel nicht eingehalten haben. Auf der einen Seite gab es – freilich selten – einen groben Unfug, wenn z.B. in eine Taufformel auch weltliche Autoritäten eingeschleust worden sind. So hat mir glaubwürdig vor Jahrzehnten ein alter Pfarrer von einer Taufe erzählt, die „Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Königs von Preußen“ erfolgt sei. Heute kann man dies gar nicht mehr glauben. Es gab aber schließlich Annahmen, dass die am stärksten ausgebaute, einzige trinitarische Form bei Mt 28,19 im Licht der historischen Kritik nicht auf eine Einsetzung dieses Sakramentes durch Jesus Christus selbst zurückgeführt werden könne, und dass es sich bei dieser trinitarischen Form ohnehin um eine in späterer Zeit eingefügte Interpolation handle, auf die man sich nicht berufen könne. An der Stelle dieses Textes hat man sich dann nicht selten auf die in der Apostelgeschichte vorkommende Formulierung einer Taufe „auf den Namen Jesu“ (vgl. z.B. Apg 2,37) berufen und so die Taufe vollzogen. Heute spielt diese Reduzierung der trinitarischen Form kaum mehr eine Rolle, da mit der Formel weitgehend eine Abgrenzung von der Taufe Johannes des Täufers erfolgt ist und selbstverständlich der Bezug auf die Person Jesu die anderen theologischen Dimensionen einschließt. Indem man sich heute kaum mehr auf eine solche Argumentation beruft, ist auch der Vollzug der Taufe durch den Rückgriff auf diese Formulierungen kaum mehr in Übung.
Insofern gibt es eine Festigung der Taufe und der Taufpraxis im Sinne einer trinitarischen Formel und auch des Übergießens des Täuflings. Dies hat sehr stark dazu beigetragen, dass die Taufanerkennung faktisch überzeugender und leichter vonstatten ging. Dazu hat auch die so genannte Lima-Erklärung viel beigetragen. Dies ist eine Kurzbezeichnung für die „Konvergenzerklärungen“, „Taufe, Eucharistie und Amt“, die von der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung (Faith and Order) des Ökumenischen Rates der Kirchen auf ihren Sitzungen in Lima (Peru) 1982 als Abschluss eines fast 50-jährigen Studienprozesses einstimmig verabschiedet und den Kirchen zur offiziellen Rezeption übergeben wurden. Der reformierte, später zur katholischen Kirche konvertierte Theologe M. Thurian hatte bei der Formulierung einen maßgebenden Anteil. Die Lima-Erklärung hat deshalb auch den Blick stark auf eine gegenseitige Anerkennung der Taufe gerichtet: „Kirchen erkennen zunehmend die Taufe anderer Kirchen als die eine Taufe in Christus an, wenn vom Taufkandidaten Jesus als der Herr bekannt worden ist oder, im Falle der Säuglingstaufe, wenn das Bekenntnis von der Kirche (Eltern, Erziehungsberechtigten, Paten und Gemeinde) abgelegt und später durch persönlichen Glauben und persönliches Engagement bekräftigt wurde. Gegenseitige Anerkennung der Taufe wird als ein bedeutsames Zeichen und Mittel angesehen, die in Christus gegebene Einheit in der Taufe zum Ausdruck zu bringen. Wo immer möglich, sollten die Kirchen die gegenseitige Anerkennung ausdrücklich erklären.“ (Nr. 15)
IV.
Damit war auf dem Weg zu einer intensiveren Taufanerkennung ein wichtiger Schritt getan, der hier nur kurz skizziert werden kann. Durch die beschriebenen Klärungen ging es nicht mehr nur um die rechtliche Seite der Anerkennung. Dazu hat denn auch das Zweite Vatikanische Konzil einen wichtigen Beitrag geleistet. Gewiss war dieser theologisch mannigfaltig vorbereitet. Aber ein Durchbruch erfolgte vor allem durch grundlegende Texte des Konzils. Dazu gehört aus der Kirchenkonstitution die Aussage: „Mit jenen, die durch die Taufe der Ehre des Christennamens teilhaft sind, den vollen Glauben aber nicht bekennen oder die Einheit der Gemeinschaft unter dem Nachfolger Petri nicht wahren, weiß sich die Kirche aus mehrfachem Grunde verbunden ... (Viele) empfangen das Zeichen der Taufe, wodurch sie mit Christus verbunden werden.“ (LG 15) Dies wird besonders im Ökumenismus-Dekret vertieft, wo es heißt: „Der Mensch wird durch das Sakrament der Taufe, wenn es gemäß der Einsetzung des Herrn recht gespendet und in der gebührenden Geistesverfassung empfangen wird, in Wahrheit dem gekreuzigten und verherrlichten Christus eingegliedert und wiedergeboren zur Teilhabe am göttlichen Leben (Verweis auf Kol 2,12 und Röm 6,4) ... Die Taufe begründet also ein sakramentales Band der Einheit zwischen allen, die durch sie wiedergeboren sind. Dennoch ist die Taufe nur ein Anfang und Ausgangspunkt, da sie ihrem ganzen Wesen nach hinzielt auf die Erlangung der Fülle des Lebens in Christus. Daher ist die Taufe hingeordnet auf das vollständige Bekenntnis des Glaubens, auf die völlige Eingliederung in die Heilsveranstaltung, wie Christus sie gewollt hat, schließlich auf die vollständige Einfügung in die eucharistische Gemeinschaft.“ (UR 22, vgl. auch UR 3) Die Einheit der Kirche geht also aus der Taufe hervor, wenngleich die volle Einheit auch noch fehlt.
In dieser Perspektive wird die Taufe nicht mehr so sehr gegeneinander abgrenzend verstanden, sondern sie ist das Band zwischen allen, die durch sie wiedergeboren werden. Trotz der Spaltungen in der Christenheit bildet die Taufe das Band der Einheit in Jesus Christus. Durch die Taufe wird zunächst einmal die Gliedschaft in der Kirche Jesu Christi begründet. Sie bringt prinzipiell alle Rechte und Pflichten in der Kirche mit sich. Dies hat der CIC von 1917 und auch von 1983 festgehalten. Das Kirchenrecht von 1983 entfaltet das Modell einer gestuften Kirchenzugehörigkeit. In diesem Zusammenhang ist auch die Beschreibung der komplexen Wirklichkeit der Kirche als Mysterium des Glaubens und als sichtbare institutionelle Gestalt in der Kirchenkonstitution wichtig (vgl. LG 8).
Diese Sicht wird in dem Ökumenischen Direktorium, also den Richtlinien zur Durchführung der Konzilsbeschlüsse über die ökumenische Aufgabe, entfaltet. Zunächst in der ersten Fassung von 1967. Hier wird die gebührende Wertschätzung der Taufe hervorgehoben (Nr. 18). Das im Jahre 1993 in zweiter Auflage neu herausgekommene Direktorium bezieht sich zwar wesentlich auf die Ausführungen der ersten Auflage. Die Taufanerkennung tritt dem ersten Eindruck nach sogar eher etwas zurück. Aber dies hängt wohl auch schon mit einer positiveren Bewegung in Richtung der Anerkennung zusammen. Ausdrücklich regt das Direktorium gemeinsame Erklärungen über die gegenseitige Anerkennung der Taufen auf den Ebenen der Diözesen und der Bischofskonferenzen an. Die Frage der Anerkennung wird über das einzelne Sakrament hinaus stärker mit der durch die Taufe gegebenen Eingliederung in Jesus Christus und in seine Kirche verknüpft und in gewisser Weise auch überschritten. So wird also bereits im Ökumenischen Direktorium von 1993 eine verbindliche wechselseitige Anerkennung ausgesprochen. Dabei geht es auch um die Feier der bereits bestehenden Gemeinschaft unter getrennten Christen. Hier erhält der spirituelle Ökumenismus eine besonders große Bedeutung.
Johannes Paul II. hat in seiner Enzyklika „Ut Unum Sint“ aus dem Jahre 1995 seinerseits den Zusammenhang der Taufanerkennung und der Kirchengemeinschaft hervorgehoben. Über die gegenseitige Anerkennung einzelner Elemente hinaus, die durchaus Reichtümer Jesu Christi darstellen und immer mehr auf eine Vollgemeinschaft hin führen, wächst die Gemeinschaft der Kirche. Die Vereinbarungen zur gegenseitigen Anerkennung der einen Taufe gehen deshalb „über einen ökumenischen Höflichkeitsakt hinaus und stellen eine ekklesiologische Grundaussage“ dar (Ut Unum Sint Nr. 42). „Wenn schon durch die Taufe die, wenn auch nicht vollkommene, Gemeinschaft grundgelegt ist, dann weist sie auf eine Vervollkommnung hin, die am Ende des ökumenischen Weges steht. Das alles macht auf ein ekklesiologisches Stufenmodell aufmerksam. Somit operiert auch die katholische Theologie nicht mit einem uniformen Einheitsverständnis, sondern mit einem Modell von Kirchengemeinschaft, das einer Pluralität von Kirchen und Gemeinschaften Raum lässt, die einander auf der Grundlage einer sakramental strukturierten Konzeption von Gemeinschaft Teil-Kirchen sind.“ Dies zeigt, wie eng die Frage der Taufanerkennung in dieser letzten Phase auf eine dynamische Struktur der Kirchengemeinschaft hinweist.
Es gibt in diesem Bereich auch wichtige Konvergenzen von nicht-katholischer Seite, die bisher zu wenig beachtet worden sind. Die Kommission für Glauben und Kirchenverfassung hat eine Studie, an der seit 1978 gearbeitet worden ist, abgeschlossen (2006): One Baptism: Towards Mutual Recognition. Zusätzlich hat sich die Gemeinsame Arbeitsgruppe der Römisch-Katholischen Kirche und des Ökumenischen Rates der Kirchen mit derselben Frage, ebenfalls seit 1998, intensiver beschäftigt. Das Ergebnis ist im Achten Bericht der Arbeitsgruppe (1999-2005) veröffentlicht. Dieser letzte Text beobachtet eine stärkere Konvergenz zwischen den kirchlichen Traditionen der Taufe, wobei der Hauptakzent weniger auf den Taufritus, sondern mehr auf das „breitere Grundmuster der Tauf-Initiation und des Hineinwachsens in Christus gerichtet wird“. Wie sehr man über die Bedeutung der Anerkennung allein hinausgeht, zeigt der Bericht der Gemeinsamen Arbeitsgruppe: „Die Anerkennung der Apostolizität des Ritus und des ordo der Taufe ist ein Schritt in Richtung auf die volle Anerkennung der Apostolizität der Kirchen in einer weiteren und tieferen Bedeutung ... Die gegenseitige Anerkennung der Taufe wird zur Form, in der getrennte Gemeinschaften den bereits erreichten Grad der Gemeinschaft zum Ausdruck bringen; sie ist selbst ein Akt der Anerkennung von Koinonia, in dem sich die wirkliche Gemeinschaft zwischen den Kirchen niederschlägt, und sie weist zugleich darauf hin, dass diese Gemeinschaft noch nicht vollkommen ist.“ So ist die wechselseitige Taufanerkennung von grundlegender Bedeutung für die Suche der Kirchen nach sichtbarer Einheit und ein Anstoß zu einer wachsenden Gemeinschaft in Gottesdienst, Zeugnis und Dienst. Es zeigt sich außerdem in beiden Texten, dass es fruchtbar gewesen ist, die Taufe hineinzustellen in den umfassenden Prozess der Initiation und seiner verschiedenen Dimensionen (seit 1997).
V.
Es ist bekannt, dass nicht alle Kirchen, die in der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen auf der Ebene der Bundesrepublik Mitglieder sind, die Vereinbarung in Magdeburg am 29. April 2007 unterschrieben haben. Einige kleinere orthodoxe Kirchen und die so genannten täuferischen Kirchen evangelischerseits haben nicht mitunterschrieben. Einer ihrer Vertreter hat jedoch in Magdeburg ein Grußwort gesprochen, indem er für die nichtbeteiligten Kirchen den gemeinsamen trinitarischen Glauben hervorhebt (Pastor Werner Funck, Mennonit). Unter ihnen gab es freilich Differenzen in der Wertung der Anerkennung.
Die Gründe für die Zurückhaltung einiger orthodoxer Kirchen liegt darin, dass man hier die Taufe von Anfang an in einem größeren Kontext sieht. Eine hervorhebende Akzentuierung der Taufe allein ist ihnen eher fremd. So hat auch die fehlende Kircheneinheit größere Konsequenzen für das Verständnis der in der Taufe gegebenen Einheit. In der konkreten Praxis kann es dennoch freilich aufgrund des Ökonomieprinzips eine Anerkennung der in anderen Kirchen gespendeten Taufe geben. Die Orthodoxie verweist auch auf die Einheit und Reihenfolge der Initiation hin: Taufe – Firmung – Eucharistie.
Die täuferischen Kirchen haben nicht unterzeichnet, weil für sie die Erwachsenentaufe die Norm ist, sodass die Aufnahme in die kirchlichen Gemeinschaften eine „Gläubigen-Taufe“ (auch „Glaubenstaufe“) erforderlich macht. Es ist freilich für mich nicht ganz einsichtig, warum die täuferischen Kirchen das „Grundeinverständnis“ der Anerkennung nicht teilen konnten. Denn bei der Ablehnung der Unterzeichnung geht es ja im Kern um die Zurückweisung der Kindertaufe, von der unmittelbar gar nicht die Rede ist. Aber vielleicht tendieren in den Augen täuferischen Kirche einige Formulierungen doch in eine solche Richtung. Dann allerdings ergeben sich auch noch wenig diskutierte theologische Differenzen.
Darum ist es angebracht, im Rahmen der gesamten Vorträge über die Taufe wenigstens an dieser Stelle in Form eines Exkurses über die Kindertaufe zu sprechen. Dies kann hier nicht im ganzen Umfang geschehen, schon gar nicht im Lichte der jahrelangen Diskussion zur Praxis der Kindertaufe, die freilich auch ziemlich abgeebbt ist.
Bei der Kindertaufe ist zunächst einmal fundamental vorausgesetzt, dass es sich um eine Familie handelt, die dem christlichen Glauben in ihrem „Haus“ Raum gibt. Von Anfang an ist die Taufe ein Zeichen dafür, dass ein Mensch in die Gemeinschaft der Glaubenden aufgenommen wird. Wenn das Kind schon im Wirkungskreis des Glaubens lebt und darum unter den genannten Umständen „heilig“ genannt werden kann, dann kann es auch in einer eigenen Zeichenhandlung in diese Gemeinschaft aufgenommen werden. Für die Eltern ist die Spendung der Taufe ein entscheidender Hinweis darauf, dass aller Glaube und alle Hoffnung ihres eigenen Lebens zuletzt nicht nur ein Ausdruck ihres gesunden Optimismus und ihrer Tüchtigkeit sind, so wenig diese madig gemacht zu werden brauchen, sondern dass sie reines Geschenk des Gottes sind, der gegen alle Hoffnung selbst die Hoffnung und das immerwährende Erbarmen über allem menschlichen Schicksal bleibt. Es wird deutlich gemacht, dass bei aller genaueren Unbestimmbarkeit des Sinnes von Urvertrauen und Zuversicht, wie sie der frühen Kindheit besonders zugehören, zutiefst doch ein radikaler Unterschied waltet zwischen dem Wohl des Menschen, das sehr trügerisch und vorübergehend sein kann, und seinem Heil, das ihm über alle Widrigkeiten hinweg auf feste Hoffnung hin in Jesus Christus verbürgt ist. Dieses Heil, lichtvoll und wirksam geworden im Lebensraum einer gläubigen Familie, wird durch die Taufe dem Kind geschenkt. Glaube und Heil würden u. U. in die biologische Sphäre eingeschlossen oder naturalistisch eingefärbt, wenn nicht im Zeichen sichtbar wird, dass man auch in der Kindertaufe von Gott her radikal „neu“ werden, umkehren muss und nur so zur Mitte des christlichen Glaubens findet. Alles Reden über das Wort Gottes und die Gnade für dieses Kind, alle Offenheit für Gott in einer christlichen Familie wird in der Taufhandlung verwandelt in die Entschiedenheit, dass hier, über diesem Kind, die verbindliche Verheißung Gottes vergebend, rettend und helfend unumstößliche Wirklichkeit geworden ist. Die Sphäre bloßer religiöser Gefühle oder gedanklicher Überlegungen wird in der Andersartigkeit der Taufe gebrochen. Die einmalige Taufe, als grundlegende Handlung für das Christenleben, macht sichtbar, dass das Wort, von dem wir leben, in jenem einmaligen Christusgeschehen gründet, von ihm herkommt, auf es weist und nie über dieses Wort hinausführen kann. Und noch etwas: Alles Reden wird in der Taufe durch ein Handeln bekräftigt. Wie viel von dem gesprochenen Wort die gemeinte Person erreicht, ist ohnehin immer ungewiss. Das Handeln aber geschieht an dem Täufling persönlich: Verbum visibile nannten die Väter das Sakrament, sichtbares Wort. Es ist ein Wort, das in einer Tatsache unseres Lebens erscheint und darum nicht zu Unrecht in der Nähe der Geburt und des Anfangs des Menschseins steht. Das zu taufende Kind braucht bei der Taufe nicht direkt gefragt zu werden, aber es wird auch nach dem neuen Kindertaufritus angesprochen. Auch die Kindertaufe vollzieht sich nicht völlig apersonal: Das Kind wird hier überhaupt zum ersten Mal mit seinem eigenen Namen genannt, erhält dadurch eine unverlierbare menschliche Würde und gerade im christlichen Glauben bei aller „natürlichen“ Ungleichheit der Rassen und Klassen, der Armen und Reichen, der Kleinen und Großen die gleiche Freiheit der Kinder Gottes. Es ist gerade heute wichtig, dass dies „sichtbar“, „zeichenhaft“ und zugleich „wirksam“ geschieht.
In diesem Zusammenhang ist auch völlig klar, dass die Kindertaufe nur ein „Anfang“ ist. Hier ist der Ort, wo man der Grundintention auch jener Theologien zustimmen kann, welche die Kindertaufe anders sehen, dass sie nämlich primär als Aufgabe erscheine und dass man sie viel stärker in dem folgenden Sinne unter ihrem eschatologischen Aspekt verstehen müsse: Das Kind hat den Glauben in der Taufe auf Verheißung hin zugesprochen bekommen und hat das wirkliche, aktive Bekenntnis zu diesem Glauben noch vor sich (Melanchton und K. Barth). Die Taufgnade wäre nicht bloß magisch verstanden, sondern unverantwortlich übernommen, wenn die Eltern nicht das Ihre dazu beitrügen, das nun erlöste Kind auf dem weiteren Weg des Glaubens zu führen und zu befähigen, mehr und mehr sich selbst in diesem Glauben zu finden. Wenn die Eltern den „Geist“ des Glaubens im Kind nicht ebenso fördern, wie sie sich vor dem Entschluss zur Taufe zum gemeinsamen Bekenntnis gefunden haben, so wird die Gnade des Sakramentes, die immer Gabe und Aufgabe zugleich ist, in ihrer eigenen Dynamik verraten. Der gesetzte Anfang kann nur dann seine volle Wirkmöglichkeit und Ursprünglichkeit behalten, besser: entfalten, wenn er mit dem Wachsen und Reifen Schritt hält, d. h. wenn er in die sich entwickelnde Personalität und Identität des kindlichen Ichs diffundiert und alle neu zu erobernden Daseinsbereiche miterschließen hilft. Bleibt der empfangene Glaube, vermittelt durch die Familie, nicht lebendig unterwegs, dann stirbt er ab. Erinnern wir uns an Paulus: Für ihn kommt es nie allein auf die Taufe als „Ritus“ an, sondern allein auf die Wirksamkeit des neu geschenkten Lebens im Alltag der Welt. Wenn einem Kind von den Eltern nicht dazu verholfen wird, eine solche Bewährung des Glaubens Schritt für Schritt zu finden, muss man sich gerade von der genuin paulinischen Theologie der Taufe her fragen, ob eine solche Taufe konkret verantwortet werden kann. Hier hat ein „Taufaufschub“ seinen Ort.
Wenn wir die übrigen Ergebnisse der Psychologie ernst nehmen, dann könnte man sogar vermuten, ein Erwachsener wäre für den Durchschnitt der Menschen vielleicht fast unfähig für den christlichen Glauben, wenn ihm nicht in beständigem Lernprozess von Anfang an das Hineinleben auch in diese religiöse Dimension des menschlichen Daseins mitermöglicht worden wäre. Das Postulat der Abschaffung der Kindertaufe verkennt nicht bloß das eigene Recht der geschichtlichen Daseinsform des Kindes, sondern muss auch als Voraussetzung der Erwachsenentaufe eine Unzahl jener großen Konversionen und Bekehrungen eines hl. Paulus, Augustinus usf. fordern, die noch viel deutlicher in der souveränen Freiheit des gnädigen Gottes stehen als das Heil, welches in der Taufe der kleinen Kinder vermittelt wird. Auch die traditionelle Theologie hat die persönliche Entscheidung und das Bekenntnis zum Glauben nicht außer Acht gelassen. Bei der Taufe sprechen die Eltern das Bekenntnis. Vermutlich wurde die Firmung gerade deswegen als ein eigenes Sakrament – und d. h. immer auch für eine eigene Situation des menschlichen Lebens – von der Taufe abgehoben, weil sie auf diesen Schritt in die volle Mündigkeit des Glaubens aufmerksam macht. Es wird nämlich gespendet, „damit der Christ mit Mut Christi Namen bekenne“. Weil wir nicht mehr Taufe und Firmung zusammensehen und die zwischen ihnen bestehende Dynamik wahrnehmen, haben wir ein theologisch suspektes Verständnis von Taufe und erst recht von Kindertaufe. Hier ist der Begriff der „Initiation“ von großer Bedeutung, ebenso der Prozess und Stufenweg des Glaubens und der Eingliederung in die Kirche.
VI.
Die Bedeutung des theologischen Faktums, dass die getrennten Christen sich gegenseitig ihre Taufe anerkennen, ist noch längst nicht genügend in den Blick gekommen. Eine verborgene, aber wirkliche Einheit umgreift die Geschichte der Exkommunikationen, Schismen und Häresiebezichtigungen. Es ist eine viel zu wenig gewürdigte Tatsache, dass es unbeschadet einiger Ausnahmen eine hohe Übereinkunft in der theologischen Sicht der Taufe gegeben hat und dass – mindestens zwischen der katholischen Kirche und den evangelischen Kirchen – hier so gut wie keine Glaubensdifferenzen in Erscheinung getreten sind. Hinter den unterschiedlichen Sprachformen verbergen sich gewiss andere Denkstrukturen, aber es gibt doch eine wichtige und grundlegende Gemeinsamkeit.
Aber gerade das Gewicht dieser Gemeinsamkeit, das zur Anerkennung führt, ruft bei vielen evangelischen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften die Überzeugung hervor, dass mit der Anerkennung der Taufe nun auch die Tür offen sei zur Abendmahlsgemeinschaft. Dieses Denkmuster findet sich sehr oft. Man sollte es nicht nur ablehnen, sondern dahinter die Wertschätzung der Taufe erblicken, die ja in der Tat eine weitere Dynamik in sich enthält und aus sich entlässt. Auch hier kann ich nur einige wenige Perspektiven erwähnen.
Die katholische Theologie zieht aus dieser bedenkenswerten Tatsache nicht die Konsequenz, durch die Anerkennung der Taufe sei auch schon der Weg offen zur Abendmahlsgemeinschaft. Obgleich die Taufe „das sakramentale Band der Einheit“ ist, fehlt nach der Auffassung des Zweiten Vatikanischen Konzils bei einigen nicht-katholischen Kirchen „die aus der Taufe hervorgehende volle Einheit mit uns“ (Ökumenismusdekret Nr. 22). Die Äußerung braucht kein letztes Wort zu sein, aber sie muss redlich genannt werden. Der harte Satz verlangt eine Erläuterung.
Zunächst verlangt auch die Taufe von sich aus das volle aktive Glaubensbekenntnis und führt den Glaubenden durch ein radikales Mächtigwerdenlassen des geschenkten „Anfangs“ in immer umfassendere Lebenszusammenhänge hinein; Taufe und „Ethik“ gehören engstens zusammen. Insofern kann man bei der Beschreibung der Taufe als der Begründung der christlichen Existenz nicht nur den Initiationsakt des Heils isolierend herausheben. Hier gehen die Sprech- und Denkweisen der einzelnen Theologien andere, wenn auch keineswegs unversöhnbare Wege: Martin Luther betont, dass das ganze Leben Taufe ist; die katholische Theologie kann diesen Satz sich zwar in mancher Hinsicht auch zu Eigen machen, aber sie sieht den lebensumspannenden Prozess einer dynamischen Eingliederung in den Leib Christi nach allen Dimensionen, auch in dem Gefälle und in der Ordnung der Taufe auf die anderen Sakramente (Firmung, Buße, Krankensalbung) und das ganze Leben des Christen hin.
Die Eucharistie hat bei dieser Entfaltung der einmal empfangenen Heilsgabe ihren eigenen Ort. Sie realisiert auf sakramentale Weise die Gegenwart des Herrn bei seiner Gemeinde, „bis er kommt“ (1 Kor 11,26). Bei aller Heilsintensität dieser Gabe eignet ihr eine besondere Vorläufigkeit im doppelten Sinne: Sie weist zeichenhaft voraus auf die noch ausstehende Enderfüllung dieser Mahlgemeinschaft; die Verborgenheit und Verhülltheit des Leibes Jesu Christi unter dem Zeichen von Brot und Wein erweist nochmals eine eigene Vorläufigkeit, weil die unverbrüchlich zugesagte Gegenwart des Herrn nur im Glauben und nicht als Schau verheißen ist. Die Eucharistie stellt darum in besonderer Weise das Sakrament „zwischen den Zeiten“ dar. Sie hat eine ausgeprägte Beziehung zur Zeitlichkeit der Kirche und zum geschichtlichen Glaubensweg ihrer Glieder: Es ist das Geheimnis, das täglich oder jedenfalls wiederholt gefeiert wird, das „Mahl der Pilger“ und das Sakrament des Alltags. Daraus lebt und aktualisiert sich die Gesamtkirche und nährt sich das einzelne Glied. Die Eucharistie ist in diesem Sinne buchstäblich „Brot für das Leben der Welt“.
Deshalb kann die Eucharistie aber selbst nur wiederum vollgültig in ihrer einigenden Kraft erscheinen, wenn die christlichen Lebensvollzüge in ihre Feier eingebracht werden. Ohne diesen „weltlichen“ Kontext „verkultet“ der christliche Gottesdienst in einer unzulässigen Weise. Von hierher wird auch einsichtig, warum im Neuen Testament Abendmahlsgemeinschaft, Auferbauung der Gemeinde und Bruderschaft so eng zusammengehören. Zugleich gewährt diese Sicht auch einen Einblick, warum die klassische Theologie in der Eucharistie die „Vollendung des geistlichen Lebens“ sehen konnte.
Dieses Verständnis der Eucharistie kann den Bezug von Kirchenwirklichkeit und Abendmahlsgemeinschaft nochmals vertiefen, der nun auch in der Dimension geschichtlicher Erstreckung und dynamischer Entfaltung deutlichere Konturen gewinnt. Die Abendmahlsgemeinschaft realisiert sich dann am tiefsten, wenn sie aus einem umfassenden Integrationsprozess christlichen Tuns und kirchlichen Miteinanders herkommt und selbst solche Einigung wieder voranbringt. Dies hat aber auch zur Konsequenz, dass die Einheit der Kirche durch den Vollzug der eucharistischen Gemeinschaft sich nur dann vollgültig realisiert, wenn zugleich die anderen Bereiche des kirchlichen Lebens positiv und fruchtbar in eine solche Einigung eingebracht werden. Dies gilt zunächst für jede Gemeinde, die Eucharistie feiert (vgl. zum Beispiel den Zusammenhang von Eucharistie – Bruderliebe – Verkündigung). Aber es gilt noch entschiedener für die Einigung der getrennten Christen durch das gemeinsame Abendmahl. Natürlich gibt es auf diesem Weg zur einen Kirche relative Teilziele und legitime „Phasenverzögerungen“: Nicht alles wandelt sich gleichzeitig und konsequent auf allen Ebenen nach vorne hin. Aber die Eucharistie hat aufgrund ihrer hochgradig verdichteten ekklesiologischen Grundgehalte als „Mittel“ in diesem integralen Einigungsprozess auch eine außerordentlich verletzliche Stellung: Die eucharistische „Sammlung der Zerstreuten“ sollte möglichst in einem gleichzeitigen Miteinander auf dem Weg des gemeinsamen Glaubens und Gottesdienstes, der tätigen Liebe, der kirchlichen Ordnung und einer gegenseitigen Anerkennung vorankommen.
Aufgrund dieser inneren Zusammengehörigkeit kann es im Grunde keine „Vorwegnahme“ von Abendmahlsgemeinschaft als dem sakramentalen Zeichen der Einheit der Kirche ohne weitere und bleibende Konsequenzen geben. Diese fundamentale Entsprechung beruht auf der zentralen Stellung der Eucharistie in Bezug auf die umfassende Wirklichkeit der konkreten Kirche. „Das geistliche Gemeinwohl der ganzen Kirche ist der Substanz nach im Sakrament der Eucharistie gegeben.“ (Thomas von Aquin) So muss man auch das Ökumenismusdekret (UR 22) verstehen.
VII.
Es ist nun deutlich geworden, wie es um die Anerkennung der einen Taufe im ökumenischen Gespräch steht. Mancher wird sich fragen, was denn nun wirklich bei der wechselseitigen Taufanerkennung vom 29. April 2007 neu war und ist. Es ist zunächst einmal der ganze Weg ins Auge zu fassen. Aber die Anerkennung ist viel weiter und umfassender, tiefer und auch verbindlicher geworden. Die Willkür Einzelner ist dadurch ziemlich ausgeschlossen. Aber man darf nicht nur auf den isolierten Akt der Anerkennung selbst, dabei vielleicht noch verkürzt auf die gewiss richtige und wichtige rechtliche Dimension, schauen. Es gilt, nach rückwärts und nach vorne zugleich zu schauen. Viele Hindernisse aus früherer Zeit konnten überwunden werden. In der Zwischenzeit und in der jüngsten Gegenwart ist die wechselseitige Anerkennung der Taufe im Blick auf den künftigen Weg der Kirchen sogar zu einem mächtigen ökumenischen Motor geworden. Dies wurde z.B. von E. Schlink schon vor Jahrzehnten zum Ausdruck gebracht: „Der Begriff der Anerkennung der Taufe hat somit in unserer Zeit eine überaus wichtige Erweiterung erfahren. Die Taufe wird über die Grenzen der einzelnen Kirchen hinweg als Organ des göttlichen Heilshandelns anerkannt.“
Warum ist es dennoch nicht zu einer stärkeren Intensivierung der ökumenischen Arbeit zur Taufe gekommen? Damit hängt sicher die Tatsache zusammen, dass in der Taufe keine zentralen theologischen Kontroversen ausgetragen werden mussten. Dies ist zwar ein Positivum, hat aber auch die vertiefende theologische Arbeit eher etwas brach liegen lassen. Die theologische Reflexion war – von rühmlichen Ausnahmen abgesehen – in dieser Hinsicht nicht so umfassend und tief wie auf anderen Feldern. Man kann hierbei gut erkennen, dass ökumenische Herausforderungen und Auseinandersetzungen einen wichtigen Beitrag zur je eigenen theologischen Reflexion bedeuten.
Vielleicht spielt aber noch ein anderes Element mit. Es gibt eine Verführung in der Theologie der Taufe, weil sie etwas zu sein scheint, was immer schon hinter uns liegt. Die Taufe ist geschehen und scheint von einer gewissen Selbstverständlichkeit geprägt sein. Sie gehört zu den elementaren Lebensvorgängen einer christlichen Kirche. Jedoch ist uns heute eine solche immer auch etwas müde wirkende Einstellung nicht erlaubt. Gerade auch die Taufe bedarf im Zusammenhang der Einladung zum Christwerden in unserem Bewusstsein - aber auch in der Praxis der Kirche - einer neuen Aufmerksamkeit. Diese ist gewiss zum Teil im Gang. Dies gilt etwa für die Liturgie, besonders aber für die Erneuerung der Erwachsenentaufe einschließlich eines Katechumenates. Dies ist eine Chance, um die Reflexion und Praxis im Blick auf die Taufe neu fruchtbar zu machen. Für eine neue missionarische Pastoral ist dies zweifellos ein erster und unersetzlicher Schritt.
So ist alles schon in eindrucksvoller Weise zusammengefasst beim hl. Paulus: „Durch den einen Geist wurden wir in der Taufe alle in einen einzigen Leib aufgenommen, ... und alle wurden wir mit dem einen Geist getränkt.“ (1 Kor 12,13)
(c) Karl Kardinal Lehmann
Redemanuskript: Es gilt das gesprochene Wort
Im Original sind eine Reihe von Fußnoten und Anmerkungen enthalten
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„Jesus Christus ist unser Heil. Durch ihn hat Gott die Gottesferne des Sünders überwunden (Röm 5,10), um uns zu Söhnen und Töchtern Gottes zu machen. Als Teilhabe am Geheimnis von Christi Tod und Auferstehung bedeutet die Taufe Neugeburt in Jesus Christus. Wer dieses Sakrament empfängt und im Glauben Gottes Liebe bejaht, wird mit Christus und zugleich mit seinem Volk aller Zeiten und Orte vereint. Als ein Zeichen der Einheit aller Christen verbindet die Taufe mit Jesus Christus, dem Fundament dieser Einheit. Trotz Unterschieden im Verständnis von Kirche besteht zwischen uns ein Grundeinverständnis über die Taufe.
Deshalb erkennen wir jede nach dem Auftrag Jesu im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes mit der Zeichenhandlung des Untertauchens im Wasser bzw. des Übergießens mit Wasser vollzogene Taufe an und freuen uns über jeden Menschen, der getauft wird. Diese wechselseitige Anerkennung der Taufe ist Ausdruck des in Jesus Christus gründenden Bandes der Einheit (Eph 4,4-6). Die so vollzogene Taufe ist einmalig und unwiederholbar.
Wir bekennen mit dem Dokument von Lima: Unsere eine Taufe in Christus ist ‚ein Ruf an die Kirchen, ihre Trennungen zu überwinden und ihre Gemeinschaft sichtbar zu manifestieren’ (Konvergenzerklärungen der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung des Ökumenischen Rates der Kirchen, Taufe, Nr. 6).“
von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz
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