Zur Zukunft unseres Glaubens - Einige Perspektiven für das Überleben

Kolumne von Kardinal Lehmann in der Kirchenzeitung "Glaube und Leben" - ausgabe vom 1. September 2013

Datum:
Sonntag, 1. September 2013

Kolumne von Kardinal Lehmann in der Kirchenzeitung "Glaube und Leben" - ausgabe vom 1. September 2013

Wir sprechen viel vom religiösen Wandel in unserer Zeit. Wir meinen damit vor allem auch die Tatsache, dass Religionen, die bisher weitgehend außerhalb unseres Kulturraumes wirksam waren, bei uns nicht nur bekannt, sondern auch gelebt werden. Man fragt auch nach den Wandlungen im Verhältnis der Religionen untereinander. Aber vielleicht müssen wir noch stärker nach den Veränderungen des Glaubens im Blick auf die Zukunft schauen.

So waren im Jahr 1970 49 Prozent der Deutschen evangelisch, 44 Prozent katholisch, 4 Prozent waren konfessionslos. Die Zahlen haben sich ständig verschoben. 2010 galt für beide großen Kirchen der Anteil bei je 29 Prozent. Die Konfessionslosen schnellten aber hoch auf 37 Prozent.

Zunächst sieht man vielleicht nur die hohe Zahl der Konfessionslosen. Sie ist in vier Jahrzehnten fast um das Zehnfache gewachsen. Immerhin - so wird man denken - sind jedoch 60 Prozent der gesamten Bevölkerung zusammen an die christliche Religionsgemeinschaft gebunden. Wenn man aber den jetzt erkennbaren Trend der vergangenen Jahre in die Zukunft verlängert, dann wird es gar nicht so lange dauern - nach gewissen Prognosen schon in gut zehn Jahren -, dass die Mehrheit der Bevölkerung nicht mehr der christlichen Religionsgemeinschaft angehört.

Die Konfessionslosigkeit wird damit eine viel größere Bedeutung erhalten. Schon heute erscheinen die Konfessionslosen vielen nicht mehr als eine Besonderheit. In der Tat wird sie durch diese Entwicklung immer stärker zu einer Norm. Ja sie können dann relativ leicht wie eine neue und andere „Konfession" erscheinen.

Wir können dies heute auch bereits in der gesellschaftlichen Möglichkeit entdecken. Die ungetauften - auch von christlichen Eltern - Schülerinnen und Schülern nehmen sehr zu. Dies wirkt sich auch dadurch aus, dass der Religionsunterricht unter Umständen durch die geringe Zahl der Mitglieder einer Konfession am konkreten Ort nicht mehr zustande kommt. Gemischt-konfessionelle Lerngruppen werden zunehmen. Damit wird die konfessionelle Prägung z.B. des kath. Religionsunterrichtes schwächer.

Diese Zahlen schrecken uns auf, aber wir haben wohl die Wirklichkeit in ihren letztlich massiven Veränderungen noch nicht voll wahrgenommen. Es ist gut, dass auch die Praktische Theologie und besonders auch die Religionspädagogik sich intensiver diesen Fragen zuwenden. Auch die Verantwortlichen für den schulischen Religionsunterricht in den Kirchen sind alarmiert. Gewiss kann man auch durch Gespräche in der Nachbarschaft, in Freundeskreisen und an mancher anderen Stelle ein fast versunkenes Interesse an einer konkreten Religion wecken.

Es gibt dabei viele Fragen, die unser eigenes katholisches Christsein betreffen: Wie können Kinder und Jugendliche in einer so pluralen Welt ihre eigene konkret kirchliche, d.h. eben auch konfessionelle Identität leben? Wie kann man inmitten so vieler Stimmen auf der einen Seite auf echte Weise dialogfähig werden; wie kann man auf der anderen Seite bei aller Offenheit die eigene Überzeugung wahren? Welchen konkreten Rang erhält die Konfession, wenn sie mitten in einer solchen Verschiedenheit lebt und darauf antwortet? Was kann in dieser Perspektive die Ökumene leisten?

Wir spüren überall schon kräftige Anfänge einer solchen Entwicklung. Sie bietet auch Chancen, Menschen in neuer Weise auf den Glauben anzusprechen, der ihnen bisher fehlte. Dabei wird es vor allem darauf ankommen, dass man selbst in einer konkreten kirchlichen, also konfessionellen Kultur lebt, die zugleich entschieden und dialogbereit zu den eigenen Überzeugungen steht und doch eine große Offenheit besitzt, ohne dass man sich deshalb rasch anderen religiösen oder weltanschaulichen Systemen an den Hals wirft. In diesen Auseinandersetzungen kann der gelebte Glaube auch in einer neuen Weise anziehend wirken. Wir brauchen einen solchen neuen Mut, wenn unser Glaube zukunftsfähig bleiben will.

(c) Karl Kardinal Lehmann, Bischof von Mainz

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