Die Woche, in der wir das Leiden und Sterben Jesu Christi begehen, ruft uns immer wieder das Kreuz in Erinnerung. Es bleibt auch noch ein wichtiges Symbol nach Ostern, denn der auferstandene Herr zeigt die Wundmale des Gekreuzigten. Der erhöhte Herr entschwindet nicht in den Himmel und vergisst dabei was er an Leid erfahren hat. Vielen, die den Film von Mel Gibson „Die Passion Christi“ gesehen haben oder von ihm hörten, sind in diesem Jahr vielleicht noch stärker erschüttert von der unglaublichen Gewalt, die mit dem Kreuzestod Jesu einhergeht. Es mag daher angemessen sein, im Rahmen einer kurzen Predigt am Karfreitag, wenigstens einige Züge hervorzuheben.
Der Tod am Kreuz ist in der alten Welt die schwerste Todesstrafe, die besonders entehrend und grausam ist. Sie wurde fast immer im Zusammenhang mit einem Aufruhr verhängt, sodass fast immer politische Vorwürfe und Motive im Spiel sind. Nicht selten ging der Kreuzigung eine Geißelung voraus. Üblicherweise verblieb der Leichnam am Kreuz den Tieren überlassen bzw. der Verwesung ausgesetzt. Gelegentlich wurde der Todeskampf, der sich lange hinziehen konnte, auch durch das Zerschlagen der Beinknochen verkürzt. In diesem Sinne ist der Tod Jesu wirklich die schändlichste Tötungs- und Hinrichtungsart der alten Welt. Auch wenn man diesen Teil in dem erwähnten Passionsfilm als überbetont und besonders grausam dargestellt empfindet, so darf man nach den historischen Zeugnissen wirklich keine Abstriche vornehmen an der Gewalttätigkeit, die in diesem Tod besonders zum Ausdruck kommt.
Das Kreuz war den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit (vgl. 1 Kor 1,23). Es brachte auch die Christen von Anfang an in Verlegenheit. Wir kennen manchen Spott über die Christen wegen des Kreuzes in der damaligen Umwelt, wir kennen alle die Darstellung des Gekreuzigten mit einem Eselskopf aus dem römischen Palatin. Im Gottesdienst wie im täglichen Leben verwendeten und verwenden die Christen bis heute die (Selbst-)Bekreuzigung. Sie wollen dadurch zum Ausdruck bringen, dass sie zu Jesus Christus gehören, aber damit auch alles Böse und Gewalttätige abwehren und abhalten. Man wagte es aber bis zur Mitte des 4. Jahrhunderts nicht, ein Kreuz bildlich darzustellen. Es war ja schließlich das schändliche Zeichen eines Gehenkten, das man mit den Maßstäben der klassischen Ästhetik, die sich auf das Schöne und Gute konzentrierte, nicht darzustellen wagte. Seit Konstantins Vision wurde das Kreuz als Siegeszeichen aufgefasst. Die Auffindung des „wahren Kreuzes“ durch seine Mutter Helena verstärkte dies.
Das Kreuz ist in vieler Hinsicht Höhepunkt und zugleich Ende der Gewalt. Bei aller Grausamkeit wird schon in den ersten Kreuzigungsdarstellungen (im 5. Jahrhundert, z.B. die Holztür von S. Sabina in Rom) erscheint der Gekreuzigte eigentümlich unberührt von Leiden und Tod. Er ist der Sieger über den Tod und wird oft mit offenen Augen dargestellt. So ist es verständlich, dass man lange Zeit das Kreuz nun als Zeichen des Sieges verstand und es darum auch aus wertvollen Metallen fertigte und mit wertvollen Edelsteinen schmückte. Schließlich war das Holz des Kreuzes gerade auch deshalb so kostbar, weil es zugleich gegen alle Gewalt zum Zeichen unzerstörbaren Lebens wurde. Die Kreuzverehrung, die zum Karfreitags-Gottesdienst seit alter Zeit gehört, ist ein sehr bewegtes Beispiel dafür.
So nimmt es aber auch nicht Wunder, dass man besonders im Hochmittelalter im Kreuz konsequent stärker wieder den Ausdruck von Leiden und Schwachheit Jesu entdeckte. Besonders in Zeiten der geistlichen Reform, vor allem im Mönchtum, erhielt dieses Kreuz als Ausdruck des Leidens einen ganz zentralen Platz, z.B. beim hl. Franziskus bis zum mitleidenden Empfang der Kreuzeswunden (Stigmata), aber auch bei den großen Mystikerinnen des hohen Mittelalters. Die Gotik hat dies noch durch die Betonung der Dornenkrone verstärkt. Man hat alles getan, um den Betrachter des Kreuzes tief und bis in die letzten Schichten des Menschen zu beeindrucken.
Die Kreuzesfrömmigkeit dieser Zeit zeigt deutlich auf, dass man im Kreuz zwar das Wüten der Gewalt deutlich vernahm und zum Ausdruck brachte, dass es jedoch zugleich an ein inneres Ende kommt. Jesus bleibt nicht im Tod. Alle Gewalt hat letztlich, gerade wenn sie sich immer wieder steigert, Vergeblichkeit und Ohnmacht in sich. Sie fällt nicht zuletzt auch immer wieder auf den Verursacher zurück und zerstört diesen selbst. Freilich gibt es auch sehr raffinierte, feine Methoden der Gewaltanwendung, z.B. Gehirnwäsche. So gibt es schließlich einen verborgenen Sieg des Kreuzes, d.h. der Versöhnungsbereitschaft, der Hingabe und des Verzichts auf Gewalt. Aus dem Kreuz ersteht paradoxerweise ein Leben, das nicht mehr zerstört werden kann, Liebe kann Verhärtungen auflösen, die keine Gewalt der Welt verändern kann. So wird die Macht der Gewalt im Kreuz entzaubert. Aber der Glaube weiß, wie mächtig die Gewalt im Kreuz immer noch ist, solange Welt und Geschichte andauern. Darum haben die Christen immer auch das Leid ihrer Zeit in das Kreuz hineingesehen, so in den Pestkreuzen des Mittelalters, aber auch in den gefolterten und gequälten Leibern, die aus modernen Gefängnissen kamen.
Das Kreuz ist bei aller Gewalttätigkeit und Grausamkeit für die Christen zu einem Zeichen der Überwindung der Gewalt im Leben der Menschen geworden. Dies wird besonders erkennbar in den folgenden Fürbitten, die die von Jesus vollbrachte Versöhnung allen Menschen zuwenden möchte. Mit ihnen wird die Fülle der Erlösung offenkundig.
Es gilt das gesprochene Wort!
(c) Karl Kardinal Lehmann
von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz
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