Zwiespältige Reform der Reform

Zum Streit um die Rechtschreibung

Datum:
Samstag, 14. August 2004

Zum Streit um die Rechtschreibung

Gastkommentar des Mainzer Bischofs, Karl Kardinal Lehmann, in der Mainzer AZ vom 14. August 2004

Das Sommerloch in den Medien bauscht oft in Ermangelung großer Nachrichten kleine Ereignisse zu Sensationen auf. Wie der gegenwärtige Streit um die Rechtschreibreform erweist, lässt sich das Sommerloch auch trefflich zu von langer Hand geplanten Kampagnen instrumentalisieren, die erstaunliche Partnerschaften hervorbringen. Was steckt dahinter? Wie soll es weiter gehen?

 

Ich glaube nicht, dass das alte Regelwerk in jeder Hinsicht so hoch „bewährt“ ist, wie es jetzt von manchen gepriesen wird. Was ist der alte „Duden“ schon beschimpft worden! So ist mir die Massivität der Attacken auf die Reform zwar in gewissen Grenzen verständlich, ganz geheuer ist sie mir nicht. Selbstgefällige Äußerungen wie „Die Reform ist gekippt“ als Schlagzeile überzeugen mich wenig. Es ist mir zu viel Triumphalismus im Spiel. Und auch hier ist der Beifall – leider auch unter einigen Politikern – schon bestellt, wie es auf der anderen Seite unvernünftige Verteidiger der Reform um jeden Preis gibt. Hier riecht vieles nach Machtstreben und Manipulation.

 

Ich staune auch, dass man weitgehend an der Frage vorbei geht, wie man eine totale Reform der Reform den 12,5 Millionen Kindern und Jugendlichen zumuten und vermitteln kann. Es kann nicht nur um die Mehrkosten der Schulbuchverlage gehen. Dies alles ist pädagogisch wenig rücksichtsvoll und sensibel, auch den Lehrenden gegenüber. Was sollen sie über die Verbindlichkeit von Sprache denken, wenn man das Regelwerk für ihre Schriftform fast beliebig auswechselt? Wie erfahren und verarbeiten sie den Streit, der wie ein Riss durch die Gesellschaft geht? Ich zweifle auch, ob die Verlage, Journalisten und Schriftsteller, die sich zu Wort melden, die berufenen Richter schlechthin sind. Viele andere haben täglich mit dem Wort zu tun. Ich denke an Sprachwissenschaftler, Historiker vieler Sparten, Theaterleute, Akademien, Philosophen und Theologen. Hier kann es kein schlichtes Monopol nur bestimmter Berufsgruppen geben.

 

Was tun? Es wird wohl keine simple „Rückkehr“ geben. In der „Substanz“ ist ja auch vieles geblieben. Es geht um einige Auswüchse und nicht wenige Korrekturen. Wahrscheinlich braucht man längere Übergangszeiten, gewiss kein Hauruck-Verfahren. So wie die Dinge stehen, wird man nicht an der Kultusministerkonferenz vorbeigehen dürfen. Die Ministerpräsidentenkonferenz sollte sich auf die Rahmenbedingungen für eine behutsame und gedeihliche Weiterentwicklung beschränken, vor allem auch, damit keine Spaltung der Länder geschieht. Es kann dabei nicht nur um die Bundesrepublik Deutschland gehen. Die deutsche Sprache überschreitet unsere Nation. Dies verlangt Sensibilität und Mitwirken in einer neuen Form.

 

Zur Reform gehört ohnehin mehr als der Rückbau eines Regelwerkes. Wie steht es überhaupt um Erziehung zum rechten Umgang mit dem gesprochenen und geschriebenen Wort; um Hinführung zu Rechtschreibung überhaupt, um den Kampf gegen Sprachverwilderung, das Überhandnehmen überflüssiger Anglizismen und Fremdwörter? Rechtschreibung – in welcher Form auch immer – braucht umfassende Pflege der Sprachkultur. Darüber möchte ich gerne mehr hören und lesen.

 

 

(c) Karl Kardinal Lehmann

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz