Der November erscheint vielen von uns als der unbeliebteste Monat im Jahr. Das nasskalte und trübe Wetter schlägt auf Seele und Gemüt. Gleichzeitig erinnern uns christliche Gedenktage wie Allerheiligen und Allerseelen, Buß- und Bettag oder der Totensonntag schmerzlich an den Verlust nahestehender und geliebter Menschen. Und konfrontieren uns so unwillkürlich mit der dunklen Seite unseres Lebens: mit Vergänglichkeit und Tod, mit Leid und Trauer.
Der November symbolisiert die dunklen Tage in unserem Leben und erinnert daran, dass wir irgendwann loslassen müssen. Dieses Loslassen einzuüben ist freilich eine lebenslange Herausforderung und gehört in jeder Phase unseres Lebens dazu. Hoffnungen und Pläne, die sich nicht verwirklichen lassen, enge Wegbegleiter, weil sie sterben oder weil Beziehungen abbrechen, oder Kinder, die das Haus verlassen und sich auf ihren eigenen Weg machen. So erkennen wir, manchmal sehr schmerzlich, manchmal auch befreiend, dass bestimmte Lebensabschnitte unwiederbringlich hinter uns liegen.
„Wenn sich eine Tür schließt, öffnet sich eine andere“, sagt ein bekanntes Sprichwort. So verstanden bedeutet Loslassen immer auch die Möglichkeit, Neues beginnen zu können. Das kann über schwierige Lebenssituationen hinweg helfen und unseren Blick wieder nach vorne öffnen.
Mit dem Tod hingegen scheinen sich alle Türen endgültig zu schließen. Zu groß ist die Ungewissheit über das, was nach dem Tod kommt. Und so brennt vielen von uns die Frage auf der Seele, wohin wir denn unsere Verstorbenen loslassen müssen.
Trost und Orientierung gibt der christliche Glaube mit seinen zahlreichen Gebeten und Ritualen, die die Toten auf ihrem Weg in eine andere Welt begleiten sollen. So bitten und beten Christinnen und Christen am Grab: „Herr, lass sie ruhen in Frieden!“. Der Wunsch „Ruhe in Frieden“ begegnet uns oft als Inschrift auf Grabsteinen oder als Überschrift von Todesanzeigen. In Frieden ruhen – was für eine Ruhe, was für ein Frieden soll das sein? Ein Frieden, der mit dem Tod einsetzt und den Verstorbenen für immer in einen schmerzlosen Dauerschlaf versetzt? Oder geht es nicht vielmehr um den Frieden, von dem Jesus immer wieder gesprochen hat und der Geborgenheit in der Gemeinschaft mit Gott bedeutet?
„Meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt“, verspricht Jesus seinen Jüngern in den Abschiedsreden. „In der Welt habt ihr Angst. Aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden“. Im Johannesevangelium bilden die sogenannten Abschiedsreden die Nahtstelle zwischen dem Abschluss von Jesu öffentlichem Wirken und dem Beginn seiner Leidensgeschichte, die mit dem Tod am Kreuz enden wird. Jesus weiß um die Angst seiner Jünger. Aus der Gewissheit, dass er nach seinem Tod auferstehen und dann zu seinem Vater im Himmel zurückkehren wird, lenkt er ihren Blick auf eine andere Wirklichkeit. Eine Wirklichkeit, die sie selbst jetzt in Gemeinschaft mit ihm nur erahnen können. Eine Wirklichkeit, die einen Frieden verheißt, der letztlich jenseits unserer menschlichen Vorstellungskraft liegt. Und die uns hoffen lässt, dass sich mit dem Tod eine neue Tür öffnen wird. Als Perspektive für uns und für unsere Verstorbenen.
Wenn wir in diesem Sinne „Lass sie ruhen in Frieden“ beten, vertrauen wir darauf, dass unsere Verstorbenen nicht nur aufgehört haben, an dieser Welt zu leiden, sondern dass sie bei Gott den von Jesus verheißenen Frieden finden. Mit dieser Hoffnung können wir sie gehen lassen und loslassen.
Christine Hober
Quelle: Krankenbrief 11/24, www.krankenbrief.de, In: Pfarrbriefservice.de