„Euer Leben ist mit Christus verborgen in Gott"

Predigt im Pontifikalhochamt am Ostersonntag, 5. April 2015, im Hohen Dom zu Mainz

Datum:
Sonntag, 5. April 2015

Predigt im Pontifikalhochamt am Ostersonntag, 5. April 2015, im Hohen Dom zu Mainz

Predigttext: Kol 3,1-4, bes.3,3

Ostern ist durch die enge Verbindung mit der Auferstehung Jesu Christi das Fest des Lebens. Es ist der Sieg des Lebens über den Tod. Gegen ihn ist nach unserer menschlichen Erfahrung kein Kraut gewachsen. Wie kann es dann das Überleben eines Menschen gegen diesen äußersten Feind geben? Ist Ostern wirklich glaubhaft? Ist es nicht wie ein wunderschönes Märchen, das die Sehnsucht der Menschen spiegelt, aber keine Realität wiedergibt? Unwillkürlich werden wir an Goethes Feststellung beim Osterspaziergang im „Faust" erinnert, „allein mir fehlt der Glaube".

Deshalb kommt vieles darauf an, wie wir den Sieg Jesu Christi über den Tod und die Folgen dieses Ereignisses für den Menschen verstehen. Es gibt hier gewiss schon von Anfang an im frühen Christentum Missverständnisse. Man findet eine schwärmerische Vorstellung, als wäre nun das Heil in ungebrochener Fülle sichtbar vorhanden, der Tod sei bereits verschwunden und die Auferstehung sei schon entschieden. So heißt es im 2. Timotheus-Brief, einige seien abgeirrt - sie werden sogar mit Namen genannt - und würden behaupten, „die Auferstehung sei schon geschehen" (2,18). Man weiß auch schon damals, wie gefährlich eine solche Rede ist: „Gottlosem Geschwätz geh aus dem Weg; solche Menschen geraten immer tiefer in die Gottlosigkeit... So zerstören sie bei manchen den Glauben." (2,16.18)

Betrachten wir deshalb genauer die Aussagen, vor allem des hl. Paulus: Er sagte niemals, die Christen seien bereits jetzt mit Jesus Christus auferstanden, vielmehr betont er, der Christ sei mit Jesus Christus gestorben und gehe der künftigen Auferstehung entgegen. Jede schwärmerische Ausdeutung wird ausgeschlossen. Paulus betont immer wieder die bleibende Bedeutung des Kreuzes für den Christen auch nach Ostern. Die Vollendung ist noch nicht erfüllt, sie liegt noch in der Zukunft. Das Leben, das nicht mehr zerstört werden kann, ist eine endzeitliche Gabe Gottes selbst. Dieses Leben ist die Gabe des Heils schlechthin. Es werden kräftige Akzente in dieser Richtung gesetzt, die vor allem durch die Imperative zum Ausdruck kommen, denn sie deuten ja in die Zukunft und in das, was erst noch vollendet werden muss: „So sucht, was droben ist... Trachtet nach dem, was oben ist..." (Kol 3,1f) Wir sind physisch nicht in ein überirdisches Reich entrückt, sondern haben unsere Existenz ganz real in dieser Welt. Von diesem Leben wird nun deutlich gesagt, dass sich nicht der Ort, sondern die Zielrichtung des konkreten Lebensvollzuges für den Gläubigen geändert habe.

Es ist aber nun nicht zu übersehen, dass der Brief an die Kolosser zweifellos auch betont: Ihr seid mit Christus auferweckt. Dies darf man nicht abschwächen. Paulus selbst - hier gibt es Unterschiede zwischen Paulus und dem wohl nicht von ihm selbst geschriebenen Brief an die Kolosser, was uns aber hier nicht weiter interessieren soll - betont zunächst einmal mit keiner geringeren Deutlichkeit, dass wir mit Christus gestorben sind und versteht dies, dass wir uns von den „Elementen der Welt" losgesagt haben (vgl. 2,20). Auch wenn Paulus sehr wohl weiß, dass das Leben in dieser Zeit uns nicht wegen der Auferstehung Jesu Christi in eine Scheinwelt versetzt, so gibt es doch einige Aussagen von ihm, wo er geradezu über den Sieg Jesu in der Auferstehung Jesu Christi jubelt. Er kann dabei auch auf Aussagen des Alten Testamentes zurückschauen und diese zugleich als Erfüllung für Heute in Anspruch nehmen, wenn es etwa beim Propheten Jesaja in seiner berühmten Apokalypse (24,1 - 27,13) im Blick auf das Festmahl auf dem Berg Zion heißt: „Er besiegt den Tod für immer. Gott, der Herr, wischt die Tränen ab von jedem Gesicht." (25,8) Ähnlich heißt es beim Propheten Hosea im griechischen Text: „Aus der Gewalt der Unterwelt sollte ich sie befreien? Vom Tod sollte ich sie erlösen? Tod, wo sind deine Seuchen? Unterwelt, wo ist dein Stachel?" (13,14G) Paulus hat wohl diese Verse im Sinn, wenn er geradezu den Tod verspottet und regelrecht jubelt: „Verschlungen ist der Tod vom Sieg. Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel?" (1 Kor 15,54f)

Dies können wir mit Paulus an diesem Osterfest singen. Es schafft Gewissheit in unserem Glauben „Wenn aber Christus nicht auferweckt worden ist, dann ist euer Glaube nutzlos, und ihr seid immer noch in euren Sünden; und auch die in Christus Entschlafenen sind dann verloren. Wenn wir unsere Hoffnung nur in diesem Leben auf Christus gesetzt haben, sind wir erbärmlicher daran als alle anderen Menschen." (1 Kor 15,17ff)

Wie kann man also die beiden Aussagen, die jeweils Glaubensgehalte sind, zusammenbringen? Auf der einen Seite die eben gehörte Aussage vom Sieg Jesu über den Tod, auf der anderen Seite die Feststellung, dass wir zwar mit ihm auferstanden sind, aber eben noch in dieser Welt leben und dabei oft unter der Last der Sünde stöhnen, die uns bedrängt? An den Sieg Jesu glauben wir, die Anfechtung spüren wir tagtäglich, aber wir sind auch wirklich verändert. Nicht nur im Sinne eines ganz inwendigen mystischen Erlebnisses, wie manche Ausleger gelegentlich sagen. Wir sind wirklich im Sinne eines neuen Lebens verändert, aber dies geschieht durch den Glauben (vgl. 2,12). Wir sind in diesem Anderssein ganz an Jesus Christus gebunden. Wir haben das neue Leben nur da und dort, wo wir mit Jesus Christus im Vertrauen leben und ihm auch gehorsam sind. Aber - und dies dürfen wir nie vergessen - die Vollendung ist noch nicht erfüllt, sondern liegt noch in der Zukunft. Es gibt keine sofortige allgemeine Totenerweckung, wie die Apokalyptik meinte.

Der Kolosser-Brief gibt uns die Lösung dieser Spannung mit einem kostbaren Wort der heutigen Lesung: „Denn ihr seid gestorben, und euer Leben ist mit Christus verborgen in Gott." (3,3) Dieser Satz erhält nun ein großes Gewicht. Das unzerstörbare Leben, das zur Auferstehung gehört, ist verborgen mit Christus in Gott. Diese Verborgenheit besagt auch, dass es den Blicken der Menschen entzogen ist, dass es nicht handgreiflich aufgezeigt werden kann. Es wird im Glauben empfangen und kann nur im Gehorsam und im Vertrauen auf Gott festgehalten werden. Wir haben das neue Leben, das uns geschenkt ist, nur in Jesus Christus. Der Getaufte hat sein Leben aus Glauben und Hoffnung.

Dazu gehört jedoch auch die Gewissheit der Erfüllung. Deswegen sagt der kommende Vers: „Wenn Christus, unser Leben, offenbar wird, dann werdet auch ihr mit ihm offenbar werden in Herrlichkeit" (3,4). Damit ist die Vollendung der Welt und der Geschichte gemeint, der jüngste Tag. Dann wird der Schleier weggezogen. Dann wird erstrahlen, was jetzt vor unseren Augen noch verhüllt ist (vgl. auch 2 Kor 5,10; 1 Joh 2,28; 3,2). Hier wird dann in einer äußerst konzentrierten Sprache in letzter Kürze gesagt: Christus, unser Leben. Es ist eigentlich so etwas wie eine Kurzformel unseres Glaubens. Es ist nicht zufällig, dass sie auch an anderen Stellen in der Hl. Schrift vorkommt. So im Philipper-Brief, wo Paulus sagt: „Denn für mich ist Christus das Leben und Sterben Gewinn." (1,21) Im ersten Johannes-Brief wird in äußerster Klarheit gesagt, dass Gott selbst uns das ewige Leben gegeben hat in seinem Sohn: „Wer den Sohn hat, hat das Leben; wer den Sohn Gottes nicht hat, hat das Leben nicht." (1 Joh 5,12) Nur nebenbei sei bemerkt, dass diese Kurzformel „Christus, unser Leben" auch besonders oft vorkommt in den Briefen des hl. Bischofs Ignatius von Antiochien (um 110). Offenbar ist es eine Säule im frühen Bekenntnis der Kirche. Deswegen findet man es auch in unserem Credo. Die Gemeinschaft „mit Christus", die durch die Taufe begründet ist und das Leben der Christen ausmacht, wird dann „in Herrlichkeit" (3,4) ihre Vollendung finden. Da wir mit Jesus Christus gestorben und auferweckt sind, sind wir jetzt schon - hier auf Erden - mit ihm als dem Herrn (Kyrios) zu einer unlöslichen Gemeinschaft verbunden.

Aber dieses Leben ist in seiner Integrität noch verborgen. Darum brauchen wir die Mahnung und den Zuspruch, sie sollen uns helfen, „im Glauben fest zu stehen" und uns so in unserem Leben zu bewähren. Deswegen müssen wir, wie Paulus öfter sagt, den alten Menschen ablegen und den neuen Menschen anziehen, den Gott geschaffen hat.

Damit ist auch sehr viel gesagt über unser Leben. Wir spüren dies auch in unseren Tagen, wo durch den Tod einzelner Menschen, die uns nahe standen, und vor allem auch durch die schrecklichen Todesfälle zu Wasser, in der Luft und überhaupt auf unserem Planeten, unser Glaube tief angefochten wird, ganz gewiss auch durch viele Gewalttaten auf unserer Erde. Hier überfallen uns immer wieder viele Anfechtungen, ja auch Zweifel. Wenn wir uns auf den Glauben berufen, werden wir oft belächelt. Man möchte unmittelbare Wirkung sehen. Man verlangt handgreifliche Beweise. Aber gerade Ostern sagt uns im Blick auf das Geschick Jesu Christi, dass wir nicht schon in einem vollendeten Leben sind, dass wir immer noch der Gewalt durch den Menschen oder auch durch die Natur ausgesetzt sind. Das Kreuz ist die bittere Wirklichkeit unseres täglichen Lebens, die wir einzeln und als Menschheit erfahren. Paulus ist nicht nur ein Vorbild im Glauben, sondern auch in der Lebensklugheit, wenn er Kreuz und Auferstehung nicht einfach trennt. Aber es ist sehr schwer, in solchen Situationen am Glauben festzuhalten. Hier müssen wir die alte Weisheit der spirituellen Tradition unserer Kirche beachten. Sie sagt uns nämlich immer wieder, dass wir in den Situationen der Enttäuschung, der Müdigkeit, des Zweifels und der Ermattung im Glauben nicht - wie es oft geschieht - nachlassen dürfen, sondern dass es gerade in solchen Situationen darauf ankommt, treu zu sein, erst recht Jesus Christus zu vertrauen, wie der Kolosser-Brief in klaren Worten sagt: „Euer Leben ist mit Christus verborgen in Gott". Es ist menschlich verzeihlich, wenn wir uns dann enttäuscht vom lebendigen Glauben abwenden. Aber Trost und Zuversicht erfahren wir nur, wenn wir wie der gekreuzigte Auferstandene in Geduld ausharren. Wir haben von Ostern her die Zuversicht, dass wir am Ende des Tunnels, der Nacht und der Verwirrung wieder ein Licht entdecken können. Vielleicht ist es zuerst nur ein kleines Licht, es kann aber im Glauben an die Auferstehung unseres gekreuzigten Herrn auch heller werden. Amen.

Karl Kardinal Lehmann
Bischof von Mainz

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

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