"Immanuel: Gott-mit-uns"

Katechese am Mittwoch, 16. 08.2000, in der Kirche S. Giuseppe Artigiano a Via Tiburtina

Datum:
Mittwoch, 16. August 2000

Katechese am Mittwoch, 16. 08.2000, in der Kirche S. Giuseppe Artigiano a Via Tiburtina

Als Text für die Katechese des heutigen Mittwoch ist Jes 9,1 – 2a und 5 – 6 vorgesehen. Dieser Text lautet in der deutschen Einheitsübersetzung:

"Das Volk, das im Dunkel lebt,
sieht ein helles Licht;
über denen, die im Land der Finsternis wohnen,
strahlt ein Licht auf.
Du erregst lauten Jubel
und schenkst große Freude...
Denn uns ist ein Kind geboren,
ein Sohn ist uns geschenkt.
Die Herrschaft liegt auf seiner Schulter;
man nennt ihn Wunderbarer Ratgeber, Starker Gott,
Vater in Ewigkeit, Fürst des Friedens.
Seine Herrschaft ist groß,
und der Friede hat kein Ende.
Auf dem Thron Davids herrscht er über sein Reich;
er festigt und stützt es durch Recht und Gerechtigkeit,
jetzt und für alle Zeiten.
Der leidenschaftliche Eifer des Herrn der Heere
wird das vollbringen."

 

Diese Lesung kennen wir aus der Messe in der Heiligen Nacht an Weihnachten. In diesem Text kommt nicht wörtlich das Thema unserer Besinnung vor, nämlich das Wort "Immanuel", d.h. "Gott mit uns". Es ist zwar ein sehr wichtiges Wort der biblischen Botschaft überhaupt, kommt aber trotz dieser Bedeutung relativ wenig vor. Im Neuen Testament findet sich im Matthäus-Evangelium die wohl wichtigste Aussage, indem nämlich vom Immanuel des Jesaja-Buches ein Bogen geschlagen wird zu Jesus Christus. Dort heißt es (mit Bezug auf eine andere, zweite Jesaja-Stelle): "Dies alles – gemeint ist die Geburt Jesu – ist geschehen, damit sich erfüllte, was der Herr durch die Propheten gesagt hat: Seht, die Jungfrau wird ein Kind empfangen, einen Sohn wird sie gebären, und man wird ihm den Namen Immanuel geben, das heißt übersetzt: Gott ist mit uns." (l,22 f) In der Geburtsgeschichte Jesu wird also die Weissagung über den Immanuel als nun erfüllt zitiert. So ist das hier zitierte Jes 7,14 die wichtigste alttestamentliche Aussage über Immanuel. Wir kommen später darauf zurück. Nach übereinstimmender Meinung der Exegeten, und zwar der Juden und der Christen, ist dieser Vers die wohl am meisten behandelte, aber auch am meisten umstrittene Stelle in der Bibel überhaupt. Auf jeden Fall wird damit ein idealer Herrscher angekündigt - ob bald oder in ferner Zukunft -, der eine Wende für das auserwählte Volk bringen soll.

 

Diese hier noch etwas offene und allgemeine Anspielung wird dann im 11. Jesaja-Kapitel näher entfaltet. Man muss, wenn man über den Immanuel spricht, diesen Text im Ohr haben. Er spricht von einem Herrscher, der vom Geist Gottes erfüllt ist, aus dem Geschlecht Davids kommt, in besonderer Weise gerecht ist und das messianische Reich sowie einen paradiesischen Frieden herbeibringt. Wir kennen alle diesen Text, der besonders im Advent und im Weihnachtsfestkreis eine Rolle spielt:

 

"An jenem Tag

wächst aus dem Baumstumpf Isais ein Reis hervor,

ein junger Trieb aus seinen Wurzeln bringt Frucht.

Der Geist des Herrn lässt sich nieder auf ihm:

der Geist der Weisheit und der Einsicht,

der Geist des Rates und der Stärke,

der Geist der Erkenntnis und der Gottesfurcht.

Er erfüllt ihn mit dem Geist der Gottesfurcht.

Er richtet nicht nach dem Augenschein,

und nicht nur nach dem Hörensagen entscheidet er,

sondern er richtet die Hilflosen gerecht

und entscheidet für die Armen des Landes, wie es recht ist.

Er schlägt den Gewalttätigen mit dem Stock seines Wortes

und tötet den Schuldigen mit dem Hauch seines Mundes.

Gerechtigkeit ist der Gürtel um seine Hüften,

Treue der Gürtel um seinen Leib.

Dann wohnt der Wolf beim Lamm,

der Panther liegt beim Böcklein.

Kalb und Löwe weiden zusammen,

ein kleiner Knabe kann sie hüten." (11, 1-6)

 

Diese drei Ankündigungen aus dem siebten, neunten und elften Kapitel des Jesaja gehören zusammen, auch wenn jede eine eigene Einheit ist und nicht alle aus einer Hand stammen werden. Man spürt, dass z.B. der eben zuletzt genannte Text aus Jes 11 mit den Aussagen von Jes 7 und 9 verbunden ist, aber nun doch eine Konkretisierung der früher noch unbestimmten Aussagen darstellt. Die heilvollen Folgen werden dann besonders in Jes 11 ausführlicher dargestellt. Wir werden also bei der Auslegung des "Immanuel: Gott mit uns" immer wieder – auch wenn keine förmlichen Zitate erfolgen – auf diese sogenannten Heilsworte zurückkommen. Nach allgemeiner Überzeugung gehören diese Texte mit ihren reichen und kräftigen Bildern zu den Perlen der hebräischen Poesie in der ganzen Bibel überhaupt.

Im Text ist die Rede vom Geschlecht Isais oder, wie wir auch gerne sagen, Jesses. Dieser war der Vater Davids (vgl. 1 Sam 16). Der Prophet Jesaja ist abgrundtief enttäuscht vom jetzigen Herrscher Ahas. Der verschmäht Jesajas Rat und vertraut immer wieder egoistischen Beeinflussungsversuchen in seiner Umgebung. Jesaja erwartet nichts mehr vom Könighaus. Gott wird ein Gericht über das Reich Davids bringen: "Seht, Gott, der Herr der Heere, schlägt mit schrecklicher Gewalt die Zweige ab. Die mächtigen Bäume werden gefällt, und alles was hoch ist, wird niedrig. Das Dickicht des Waldes wird mit dem Eisen gerodet, der Libanon fällt durch die Hand eines Mächtigen." (Jes 10,33 f)

Damit werden wir auch gewarnt, alles von unserer eigenen Aktivität und Durchsetzungsmacht zu erwarten. Der Mensch ist gerade, wenn er Macht hat über andere, immer wieder zutiefst gefährdet, nur seinen eigenen Willen zur Geltung zu bringen. Das Herrschen versteht an sich die Bibel im Kern als die Pflicht der Fürsorge des Herrschers für die ihm Anvertrauten. Aber immer wieder wird dabei die Gerechtigkeit verletzt, besonders gegenüber den Schwachen und Wehrlosen. Darum warnt die Schrift immer wieder auch die Herrschenden und mahnt: "Besser, sich zu bergen beim Herrn, als auf Menschen zu bauen. Besser, sich zu bergen beim Herrn als auf Fürsten zu bauen." (Ps 118, 8 f) Dies findet einen ganz erstaunlichen Widerhall im Magnifikat der Mutter des Herrn: "Er vollbringt mit seinem Arm machtvolle Taten: Er zerstreut, die im Herzen voll Hochmut sind; er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen." (Lk 1, 51 f) Es geht hier nicht in erster Linie oder ausschließlich um die Kritik an den Herrschenden – freilich wenn die Gerechtigkeit verletzt wird, muss man Einspruch erheben -, es geht besonders um das fehlgeleitete Verhalten des Menschen, wenn er, von unten oder von oben, einfach auf Macht und Herrschaft setzt.

Aus dieser Situation muss man die Weissagungen verstehen, die wir in den Kapiteln 7, 9 und 11 vernommen haben. So wird auch klar, dass die Immanuel-Verheißung in Jes 7,14, für sich allein genommen, nicht eindeutig ist und sowohl im Blick auf die kommende Zeit als auch die ferne Zukunft gewissermaßen offen bleibt. Deshalb ist es auch nicht unrichtig, wenn die Exegeten darauf hinweisen, dass die Ankündigung des Immanuel, allein von Jes 7 her gelesen, eine gewisse Doppeldeutigkeit enthält. Es ist nämlich auf der einen Seite zweifellos eine Heilsbotschaft, auf der anderen Seite ist es auch an König Ahas und seine Familie ein Droh- und Gerichtswort, nachdem er sich Gott und dem Bund mit ihm versagte und seine Hoffnung auf seine kluge Bündnispolitik mit dem mächtigen Assyrerkönig setzte (vgl. auch Jes 7, 14 – 17). Aber es scheint mir doch, dass das positive Heilsmoment insgesamt stärker ist.

Wir wollen uns nicht länger mit den verschiedenen Deutungen des Immanuel befassen. Es gibt zahlreiche Interpretationen. Der Immanuel wird von einigen als ein Sohn des Königs verstanden, also Hiskija; andere wollen darin einen Sohn Jesajas erblicken; wieder andere sehen "Immanuel" als ein Kollektiv, also Kinder mehrerer Mütter. Schließlich gibt es auch die Meinung, Immanuel sei das neue Israel, so etwas wie der heilige Rest, dem die Zukunft gehört. In diesem Sinne kann, was hier nicht gezeigt werden muss, kein einziger Interpretationsversuch wirklich überzeugen. Um Mutter und Kind bleibt jedoch ein Geheimnis, das sich einer raschen einsichtigen Entschlüsselung entzieht, damals und heute.

Deshalb ist es m.E. wichtiger, auf die Verknüpfung des Immanuel zu achten mit dem, was er bedeutet. Dies setzt freilich einen – nicht selten bestrittenen – Zusammenhang voraus zwischen den verschiedenen Heilsworten und der dazu gehörenden Gestalt in den Kapiteln 7, 9 und 11. Der verheißene Herrscher kommt nämlich nicht mehr aus diesem Geschlecht. Gott bleibt aber seiner Verheißung treu. Ein neuer Spross wird ganz unvermutet aus dem alten Wurzelstock aufsteigen. Menschliche Untreue hat die Verheißung Gottes infrage gestellt, aber die Treue Gottes bleibt, wenn der Mensch versagt. Der Prophet sucht nach einem Herrscher, der nicht mehr enttäuscht. Gottes Geist stattet ihn für sein Amt aus. Der Geist Gottes wird in besonderer Weise bei ihm sein. Er wird auf ihm ruhen. Nur so ist eine ungestörte Herrschaft möglich.

Dazu braucht es die hier zum erstenmal anklingenden Geistesgaben, die man für jede Führung braucht: Weisheit und Einsicht, Rat und Entschlusskraft, Erkenntnis und vor allem auch Gottesfurcht. Der Weg zur friedlichen Gesellschaft ist nicht mehr die Gewalt, sondern die Macht der Überzeugung und des Wortes. Es ist auch heute noch ein feiner Gradmesser für jede Herrschaft, ob sie den Hilflosen Recht widerfahren lässt, den Armen gegen Übergriffe schützt und das Antlitz des Geringsten achtet. Der Schrei nach dem Friedenskönig war zu allen Zeiten notwendig und berechtigt: "Denn er rettet den Gebeugten, der um Hilfe schreit, den Armen und den, der keinen Helfer hat. Er erbarmt sich des Gebeugten und Schwachen, er rettet das Leben der Armen. Von Unterdrückung und Gewalttat befreit er sie. Ihr Blut ist in seinen Augen kostbar." (Ps 72, 12 – 14)

Wenn eine solche Situation in Gerechtigkeit und Frieden erreicht und die Sünde des Menschen in Schach gehalten wird, dann werden auch die Verhältnisse in der Schöpfung umgewandelt. Frieden soll nicht nur unter Menschen und Völkern, sondern im ganzen Bereich lebendiger Wesen sein. Nirgends mehr soll das Böse herrschen. Der Prophet lehnt sich an ein uraltes Bild friedfertiger Harmonie zwischen Tier und Tier und Mensch und Tier an. Dann wird die Heillosigkeit von der Welt genommen. Die Bilder sprechen für sich: "Dann wohnt der Wolf beim Lamm... Kalb und Löwe weiden zusammen, ein kleiner Knabe kann sie hüten." Alles deutet auf die Beseitigung von Gefahr und Schaden für den Menschen und auf einen universalen Frieden hin, in dem der Schwache den Starken nicht zu fürchten braucht. Die Völker kommen von selbst zu diesem idealen Herrscher. Sie beugen sich nicht der Gewalt, sondern suchen Rat und Vertrauen seiner Führung.

Nun kommt noch beim Immanuel die schon erwähnte, aber noch zu entfaltende Ankündigung der Geburt hinzu, die ja das eigentliche Zeichen ist, das dem König mitgeteilt wird: "Darum wird auch der Herr von sich aus ein Zeichen geben: Seht, die Jungfrau wird ein Kind empfangen, sie wird einen Sohn gebären, und sie wird ihm den Namen Immanuel (Gott mit uns) geben." (7, 14, vgl. auch Mt 1, 23) Wir haben früher schon gesagt, dass dies einer der umstrittensten Verse der ganzen Bibel ist. Wir wollen uns aber damit nicht beschäftigen, sondern ihren Sinn zu erahnen suchen, der für uns heute wichtig ist.

Umstritten ist vor allem der Ausdruck: "Seht, die Jungfrau wird ein Kind empfangen". Viele übersetzen anders, nämlich: die Frau, manchmal auch die junge Frau. Dies ist natürlich wichtig wegen der Erfüllung dieses Heilswortes in Jesus Christus durch die Geburt aus Maria. Es ist nicht richtig zu sagen – auch wenn man es oft lesen kann -, schon die griechische Übersetzung der hebräischen Bibel, die sogenannte Septuaginta, habe das hebräische Grundwort einfach mit "Jungfrau" falsch übersetzt. Das hebräische Wort ("almah") bedeutet nämlich ein geschlechtsreifes Mädchen, das ledig oder verheiratet sein kann, bis zur Geburt des ersten Kindes. Man muss also - ob einem dies passt oder nicht - beim Verständnis des Immanuel-Wortes einräumen, dass hier "Jungfrau" nicht einfach von Anfang an ausgeschlossen ist.

Wir müssen den biblischen Text recht verstehen. Die Worte der Bibel sind bei aller Verbindlichkeit nicht einfach ein für allemal fixiert und geradezu zementiert. Sie stehen in einem wichtigen Überlieferungszusammenhang. Dies heißt konkret, dass man mit einer Zusage Gottes oder dem Heilswort eines Propheten meditativ und reflexiv umgeht, indem man sie immer wieder von neuen Seiten und anderen Zugängen her bedenkt. So entdeckt man auch einen tieferen Sinn dieser Worte. Sie bleiben gleich und wachsen dennoch in unserem Verständnis. Und gerade die geheimnisvollen Worte, wie sie hier vorliegen, verlangen ein immer erneutes Sichversenken und geben so auch nicht zuletzt dem Beter neuen Aufschluss von dem, was gesagt wird. Heute wissen wir, dass man auch bei der Übersetzung der Bibel in neue Sprach- und Kulturräume hinein ähnlich verfahren ist, also beim Übergang vom Hebräischen in das Griechische und dann auch in das Lateinische, abgesehen von allen Sprachen besonders auch im Osten. Diese Bewegung hat man in den letzten Jahrzehnten für die griechische Bibel in besonderer Weise entdeckt. Dabei möchte ich wenigstens ganz kurz den tiefen Sinn dieser Geburt aus der Jungfrau Maria, wie wir im Credo bekennen, andeuten: Der Immanuel kommt nicht einfach so zustande wie wir gewöhnlichen Menschen. Seine Geburt ist ein Geheimnis besonderer Art. Das Johannes-Evangelium sagt es gleich am Anfang in bemerkenswerter Deutlichkeit, dass Jesus "nicht aus dem Willen des Fleisches, nicht aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren" und "der einzige Sohn vom Vater" ist (Joh 1, 13 f). Man muss vor allem hier das Positive sehen. Es geht nicht zuerst darum, dass hier der menschliche Vater zurücktritt, sondern dass Gott selbst sich in diesem Immanuel, in diesem Sohn, ganz und ganz der Welt zuwendet. Gott gibt sich ganz und unmittelbar durch seinen Sohn an die Welt. Das Heilige wird selbst tief in die Welt hineingesenkt, allerdings auf eine verborgene Weise. Johannes sagt dies wiederum auf eine unnachahmliche Weise: "Niemand hat Gott je gesehen. Der Einzige, der Gott ist und am Herzen des Vaters ruht, er hat Kunde gebracht." (Joh 1, 18)

Vielleicht ist es jetzt erst am Platz zu sagen, dass der christliche Glaube von Anfang an daran festhält: In der Geburt Jesu Christi durch Maria erfüllt sich die Verheißung des Immanuel. Jesus Christus ist wirklich der Gott mit uns. Deshalb ist es wohl auch jetzt erst sinnvoll, wenn wir davon sprechen, dass der Immanuel, wie wir sagen, eine messianische Gestalt ist. Das Wort Messias wird sehr vieldeutig gebraucht. Es spricht nichts dagegen, das Wort hier zu verwenden. Zu einer messianischen Gestalt gehört nämlich, dass sie 1. königlich ist, 2. Heil bringt und 3. mit ihm eine neue, letzte Zeit anbricht. Da dies bei Jesus zweifellos der Fall ist, können wir durchaus von einer messianischen Gestalt sprechen. Man darf die Bibel nicht nur vom Alten zum Neuen Testament lesen, man muss vom Neuen Testament aus auch zum Alten Testament zurückwandern. Beide Wege ergänzen sich und brauchen einander.

Gerade dies führt uns aber nochmals weiter, wenn wir uns auf das Wort Immanuel besinnen. Manche Schwierigkeiten mit dem Text dürfen nicht übersehen lassen, dass es die Verdichtung einer im Alten und im Neuen Testament durchgängigen Aussage ist, die letztlich sogar etwas wie die immer wieder gesuchte Mitte des Alten und des Neuen Testamentes darstellt. Daran ändert auch nichts, dass Immanuel relativ selten in der Schrift vorkommt. In Wirklichkeit geht nämlich "Immanuel" zunächst einmal zurück auf eine Namensbezeichnung. Man spricht gerne von einem "Vertrauensnamen". Dies heißt dann: "Mit uns ist Gott!", "Bei uns ist Gott!" Man denke hier z.B. auch an Ps 46, 4 ff: "Der Herr der Heerscharen ist mit uns, der Gott Jakobs ist unsere Burg... Gott ist in ihrer Mitte, darum wird sie (die Gottesstadt) niemals wanken; Gott hilft ihr, wenn der Morgen anbricht." Der Name spricht also ein zuversichtliches Bekenntnis aus. Ich glaube also weniger, dass man dieses "Gott mit uns" z. B. auf ein Wort im heiligen Krieg oder auf einen Schreckensruf oder einen Schmerzensschrei angsterfüllter Mütter festlegen sollte.

Dahinter verbirgt sich nicht nur ein möglicher Wunsch, Gott möge bei uns sein, wie es etwa in 1 Kön 8, 57f zum Ausdruck kommt, wo es in Salomos Segen heißt: "Der Herr, unser Gott, sei mit uns, wie er mit unseren Vätern war. Er verlasse uns nicht und verstoße uns nicht. Er lenke unsere Herzen zu sich hin, damit wir auf seinen Wegen gehen und die Gebote, Befehle und Anordnungen befolgen, die er unseren Vätern gegeben hat." Ich bin vielmehr überzeugt, dass dahinter letztlich doch wohl auch die Offenbarung des Gottesnamens steht. Dabei denke ich ganz besonders an Ex 3, 14, wo Gott auf die Frage des Mose "Wie heißt er?" antwortet: "Ich bin der ‚Ich-bin-da‘". Man übersetzt auch nicht selten: "Ich bin, der ich bin", oder: "Ich bin der, der immer da ist". Darin liegt in ganz besonderer Weise die Zusage, dass Jahwe sich seinem Volk zuwendet, es auch in der Wüste führt und begleitet und es nie verlässt. Dieser Name ist jedoch fast so etwas wie eine Revolution im Gottesverständnis. Gott ist nicht in unerreichbarer Ferne. Manche Vorstellungen von Gott steigern diese Weltferne, um die Göttlichkeit Gottes zu erhöhen und gleichsam zu sichern. Gott ist dann nur Gott, wenn er schweigt und sich von den menschlichen Problemen zurückzieht. Daran ist richtig, dass wir die Unbegreiflichkeit und Andersartigkeit Gottes bewahren. Aber in der biblischen Offenbarung darf nicht untergehen, dass Gott gerade dadurch Gott ist, dass er sich uns in freier Souveränität zuwendet und uns von unserer Unfreiheit erlösen kann. Der Name Immanuel ist die äußerste Konzentration dieses Sichzuwendens Gottes gerade in großer Not.

Man kann sogar im Alten Bund eine Linie feststellen, in der sich dieser ferne Gott immer mehr in unsere Nähe begibt: durch die Schöpfung, durch sein Wort, durch seine Weisungen, durch die Propheten. Es ist eine wirkliche absteigende Bewegung, in der Gott uns immer näher kommt. Die jüdische Religion hat dies über das Alte Testament hinaus festgehalten, z.B. im Verständnis der Bundeslade, ein Schrein, in den Mose die Gesetzestafeln legte (vgl. Ex 37, 1 – 9). Er wurde geradezu eine Stätte der Offenbarung. Das Wohnen Gottes mitten in seinem Volk sagt dasselbe ("Schechina").

Im Neuen Testament kommt diese Bewegung des Herabsteigens Gottes an ihr Ziel. In besonderer Weise drückt der Anfang des Hebräerbriefes dies aus: "Viele Male und auf vielerlei Weise hat Gott einst zu den Vätern gesprochen durch die Propheten; in dieser Endzeit aber hat er zu uns gesprochen durch den Sohn, den er zum Erben des Alls eingesetzt, durch den er auch die Welt erschaffen hat; er ist der Abglanz seiner Herrlichkeit und das Abbild seines Wesens; er trägt das All durch sein machtvolles Wort" (1, 1ff). In besonderer Weise fasst dann schließlich der Prolog des Johannesevangeliums alles mit den Worten zusammen: "Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt." (1, 14) Dies ist mit Recht das Leitwort dieses Weltjugendtreffens im Jahr 2000, in dem wir mit außerordentlichem Dank die Menschwerdung Jesu Christi begehen und feiern wollen.

In der Katechese von morgen werden wir sehen, wie diese Zuwendung Gottes zur Welt und zu den Menschen sich im irdischen Leben Jesu konkret ereignet.

copyright: Bischof Karl Lehmann, Mainz

 

Es gilt das gesprochene Wort

 

 

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz