Ist der kirchliche Hilfeplan schäbig?

Zum Echo auf das Angebot für die Opfer des sexuellen Missbrauchs

Datum:
Sonntag, 13. März 2011

Zum Echo auf das Angebot für die Opfer des sexuellen Missbrauchs

Gastkommentar des Bischofs von Mainz für die Kirchenzeitung "Glaube und Leben"

Die Deutsche Bischofskonferenz hat am Runden Tisch „Sexueller Kindesmissbrauch" der Bundesregierung zum Thema „Anerkennung des Leids der Opfer sexuellen Missbrauchs" als bisher einzige betroffene Institution zusammen mit der Ordensoberenkonferenz ein Modell vorgestellt, in welcher Weise in Fällen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger auch materielle Leistungen erbracht werden können, besonders wenn eine Schmerzensgeld- oder eine Schadensersatzleistung wegen eingetretener Verjährung rechtlich nicht mehr durchsetzbar ist. Nach langwierigen Überlegungen wurde am 2. März ein verbindlicher Grundsatztext „Leistungen in Anerkennung des Leids, das Opfer sexuellen Missbrauchs zugefügt wurde" verabschiedet und veröffentlicht.

Ich habe mich zunächst mit dem Gedanken materieller Hilfen, vor allem auch in finanzieller Form, sehr schwer getan. Ein Hauptgrund war für mich, dass niemals der Eindruck entstehen sollte, man könnte die oft verheerenden Verfehlungen auch nur entfernt mit einer finanziellen Leistung wieder gut machen. Es könnte der fatale Eindruck entstehen, man wollte sich von dem angerichteten Elend loskaufen, und dies durch Geld. Ich fand diesen Gedanken unerträglich und habe mich deswegen auch von Anfang an gegen einen Begriff wie „Entschädigung" gewandt. Gewiss gibt es im ethischen Bereich die Notwendigkeit einer „Wiedergutmachung", aber dies gilt überwiegend dann, wenn es um eine materielle Schädigung geht.

Ich hatte noch ein Bedenken. Verfehlungen des sexuellen Missbrauchs stehen in einem abgrundtiefen Widerspruch zu dem, was die Kirche an ethischen Normen vorgibt und woran sich Millionen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern täglich und weltweit auch streng halten. Man denke nur an die Kindergärten, die Schulen und die Jugendarbeit. Auch wenn uns dies nicht alle glauben, so sind wir doch bei jedem ernsthaften Verdacht aufmerksam, gehen auch Gerüchten und Vermutungen nach und wollen nichts „vertuschen", auch wenn es da und dort in einzelnen Fällen einen leichtfertigen und nicht zu verantwortenden Umgang gab und geben sollte. Aber ich habe nicht eingesehen, dass die Institution Kirche eine „Entschädigung" leisten soll, wenn einzelne Vertreter völlig gegen die Einstellung und Forderung der Kirche zum Schaden aller handeln. Die Verantwortung liegt zuerst ganz beim Täter. Überdies frage ich mich, woher die Kirche für eine solche Entschädigung die finanziellen Beträge nehmen soll - doch nicht von der Kirchensteuer und den freiwilligen Beiträgen einzelner Christen!

Dabei war von Anfang an klar - und dies schon nach den Richtlinien des Jahres 2002 -, dass wir bereit sind, für evtl. entstandene Therapiekosten aufzukommen. In einzelnen Fällen kann man durchaus im Rahmen der kirchlichen Hilfeleistungen an eine materielle Unterstützung denken. Es geht also nicht darum, jede materielle und finanzielle Hilfe abzulehnen. Aber es ist etwas anderes, wenn man für jeden Missbrauch, wie immer er geartet war, gleichsam eine Liste mit verschiedenen finanziellen Leistungen fordert.

Ich habe im Lauf des letzten Jahres meine grundsätzliche Meinung langsam etwas modifiziert. Das Angebot auch materieller Hilfen kann nochmals die eindeutige Distanzierung und die Verurteilung des Unrechts der Täter auf der Ebene des Rechts und der Öffentlichkeit sichtbar machen. Wenn wir dadurch auch bei der Bewältigung belastender Lebensumstände helfen können, hat finanzielle Hilfe zusätzlich einen guten Sinn. Dafür sind jetzt in dem Beschluss der Bischofskonferenz verschiedene Leistungen ausgearbeitet worden (Schaffung eines Präventionsfonds, Übernahme von Kosten für Psychotherapie oder Paarberatung, materielle Leistung in Anerkennung des Leides, Regelung für besonders schwere Fälle).

Ich will keinen Zweifel lassen, dass man auch durch diese sehr verschiedenen Leistungen keine Wiedergutmachung vollbringen kann. Insofern ist jede Form dieser finanziellen „Entschädigungen" ambivalent und muss mit größter Sensibilität gehandhabt werden. An vorderster Stelle stehen die Umkehr des Täters, die erhöhte Wachsamkeit der Verantwortlichen, die Bitte um Vergebung und gewiss auch immaterielle und evtl. auch materielle Hilfe.

Die Deutsche Bischofskonferenz hat im Blick auf diese Regelung, mit der wir, wie eingangs gesagt, als bisher einzige betroffene Institution vorangegangen sind, sich die Sache wirklich nicht leicht gemacht. Es gab jedoch leider schon im vergangenen Jahr ärgerliche Reaktionen einzelner „Opfer", die wiederholt von den Medien eingeladen worden sind, wenn z. B. gerufen wurde: „Geld will ich endlich sehen, nichts als Geld!" Mich hat tief empört, in was für einer Gesellschaft wir leben, wenn es am Ende wirklich nur ohne Rücksicht auf alle anderen Dinge um das blanke Geld geht? Es ist auch traurig, wenn Kommentatoren in diesen Tagen die vorgesehene Regelung, über die man durchaus reden und auch streiten kann, einfach als „schäbig" bezeichnen. Manchmal kommen solche Worte auch aus dem Mund solcher, die der Kirche näher stehen.

Wir lassen uns deswegen die vorgesehene Regelung nicht grundsätzlich madig machen. Wir hoffen, dass dieser Hilfeplan als ernsthafte und aufrichtige Geste verstanden wird, gerade auch von den Opfern.

(c) Karl Kardinal Lehmann, Bischof von Mainz

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz