Über die Achtung vor dem Menschen aufgrund der Gottesebenbildlichkeit und den inneren Zusammenhang mit dem Prinzip der Menschenwürde in unseren politischen Verfassungen

Predigt im Pontifikal-Gottesdienst zur Eröffnung der Frühjahrs-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz am Montag, 1. März 2004, im Hohen Dom zu Köln, 18.00 Uhr

Datum:
Montag, 1. März 2004

Predigt im Pontifikal-Gottesdienst zur Eröffnung der Frühjahrs-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz am Montag, 1. März 2004, im Hohen Dom zu Köln, 18.00 Uhr

Texte zur Predigt: Lesung aus Gen 1,1. 26-29. 31a und Ps 8,2 und 5.6-7, 8-9

„Wer einen einzigen Menschen (am Leben) erhält, erhält eine ganze Welt.“

Es ist immer wieder eindrucksvoll, dass unser Grundgesetz lapidar und elementar an die Spitze der Spielregeln unseres Zusammenlebens den Satz stellt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ (Art. 1, Abs. 1) In wenigen Wochen sind es 55 Jahre seit der Verabschiedung des Grundgesetzes. Es ist der Tag, an dem traditionell und so auch in diesem Jahr jeweils der Bundespräsident gewählt wird.

Es ist in der Geschichte der Verfassungen keineswegs selbstverständlich, dass diese Wahrung der Menschenwürde an erster Stelle steht. Über Jahrhunderte haben die Verfassungen oft die eigenen Ziele des Staates als Fundament von allem gesehen. Gerade nach der Erfahrung mit zwei Weltkriegen und mit den verbrecherischen Regimen von Rechts und Links hatte man einen guten Grund, all denen eine unantastbare Würde zuzusprechen, die ein Menschenantlitz tragen. Auch die Charta der Vereinten Nationen meint dasselbe, wenn sie sich bereits im Jahre 1945 auf die Würde und den Wert des Menschen beruft. Und es ist ein gutes Zeichen, dass auch der vorgelegte Entwurf für eine europäische Verfassung zu Beginn mehrfach von dieser Menschenwürde spricht, so z.B. unter dem Titel „Die Werte der Union“ in Art. 2: „Die Werte, auf denen die Union sich gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte.“

Überall beruft man sich auf die Menschenwürde. Unsere aktuellen Diskussionen über Embryonenforschung, Humangenetik, Klonen, Organtransplantation, Abtreibung, Hirntod, Euthanasie, aber auch Homosexualität, Drogen und Todesstrafe kommen ohne Bezug und Rückgriff auf die Menschenwürde nicht aus. Es ist darum nicht erstaunlich, dass die fast inflationäre Berufung auf diese Menschenwürde vielen wie eine leere Hülse oder ein ungedeckter Scheck vorkommt. Da in der Tat manche gesetzlichen Bestimmungen in den genannten Bereichen die Menschwürde nicht ausreichend beachtet, ist diese zunehmende Relativierung der Menschenwürde nicht so erstaunlich und überraschend. So heißt auch der Titel eines bewusst provozierenden Buches eines Philosophen „Die Würde des Menschen ist antastbar“ (F.J.Wetz, Stuttgart 1998). Nicht wenige haben in unserem Land die Sorge, es gebe einen Prozess der Aushöhlung der bisherigen Verbindlichkeit der Menschenwürde, die ja auch nach unserem Grundgesetz das Fundament der „unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechte“ überhaupt ist (vgl. Art. 2, Abs. 2).

Um so dringlicher wird die Frage, wie man die Menschenwürde besonders als „absoluten Wert“ begründet. Manche fragen sich, wie man in unserem durch und durch säkularen Zeitalter mit abnehmender Religiosität die Menschenwürde begründet werden kann.

Im theologischen Bereich, aber auch darüber hinaus, ist man rasch bei der Gottebenbildlichkeit des Menschen im Sinne der ersten Schöpfungsgeschichte auf der ersten Seite der Bibel. Aber man darf es sich hier nicht zu einfach machen. Es gibt noch viele Quellen für diese Menschenwürde von der Antike bis in die Aufklärung. Man hat sich auch im Bereich unserer Kirchen manchmal schwergetan, allen Menschen diese Würde mit ihren Rechten einzuräumen. Man denke z.B. an die Sklaven. Die unantastbare Menschenwürde präzisiert sich in unverlierbaren Menschenrechten. Es geht um eine fundamentale Rechtsgleichheit.

Aber die Frage bleibt: Wie soll diese allgemeine Menschenwürde begründet werden? Dafür ist die Berufung auf die erste Seite der Bibel durchaus angemessen: „Und Gott sprach: Lasst uns Mensche machen als unser Abbild, uns ähnlich...Gott schuf also den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn.“ (Einheitsübersetzung), oder: “ ... ein Bild das uns gleich sei...Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn.“ (Revidierte Luther-Übersetzung) oder: „Machen wir den Menschen in unserem Bild nach unserem Gleichnis... Gott schuf den Menschen in seinem Bilde, im Bilde Gottes schuf er ihn“ (Buber-Rosenzweig).

Man muss dieses Wort sorgfältig bedenkan. Der Mensch wird dabei als Repräsentant Gottes für das Lebendige neben ihm bestimmt. Ganz deutlich werden auch die Unterwerfung der Erde und die Herrschaft über die Tiere als Grundaufgaben herausgestellt. Heute wissen wir, dass der Ausdruck „Bild Gottes“ in Königsaussagen verwurzelt ist und dem Menschen wirklich eine hoheitlich-herscherliche, zentrale Stellung im Ganzen der Schöpfungswelt zuspricht. Man darf die Worte nicht entschärfen, denn es ist wirklich ganz konkret vom Unterwerfen und Niedertreten die Rede. Aber wir dürfen auch nicht stillschweigend einen neuzeitlichen Herrschaftsbegriff benutzen, der mit Ausbeutung identisch wäre. Denn zum Sinn des damaligen „Herrschen“ gehört nicht minder die Fürsorge, damit die Kreaturen schöpfungsgemäß zusammenleben. Also gehört auch Hegen und Pflegen zu diesem Dienst. Nur so ist der Mensch Statthalter und Repräsentant Gottes, er ist nicht unumschränkter Herr. Er hat diesen Herrschaftsbereich der Erde zu Lehen, als Auftrag, als Mitgift, die er erhalten und bewahren soll.

Der Mensch ist dadurch ausgezeichnet, dass er diese Fähigkeit zur Herrschaft besitzt. Sie setzt voraus, dass sich der Mensch einen Überblick über den ihm anvertrauten Bereich und seine Möglichkeiten verschafft, die Situation erkennt und seinen Willen durchsetzen kann. Also besteht diese Auszeichnung des Menschen in der Vernunft, in der Urteilskraft und im Willen. Die Tradition hat immer wieder Gottebenbildlichkeit so gedeutet, etwa Thomas von Aquin: „Der Mensch überragt alle anderen Lebewesen durch seinen Verstand und seine Vernunft. Also ist er Ebenbild Gottes nach seiner Vernunft und seinem Verstand.“ (S.th I, qu.3, art. l)

Dabei ist nicht zu übersehen, dass der Text eine doppelte Bedeutung anspricht. Der Mensch hat diese Auszeichnung des königlichen Statthalters Gottes auf Erden. Es gehört zu seiner Ausstattung von der Schöpfung her, also zu seinem Menschsein. Es ist aber auch ein Auftrag, der erst noch erfüllt werden muss. Er ist also eine ethische Aufgabe, die Achtung gerade in der Wahrnehmung dieses Schöpfungsauftrages voraussetzt. Der Mensch kann nicht auf der Erde wüten und sie verbrauchen, wie er will. Es ist seine erste Pflicht, für die Sicherung des Lebens der ihm unterworfenen Welt und damit für den inneren und äußeren Frieden zu sorgen. Und dieser Auftrag gehört von Gott her zum inneren Bestand der Schöpfung. Man muss das Wort „Würde“ beachten. Sie eignet den Menschen von der Schöfpung her. Nicht wir verleihen sie ihm. Darum darf sie auch nicht angetastet werden. Sonst verliert auch derjenige, der dies tut, seine eigene Würde.

Diese Einsichten beschränken sich nicht auf die Bibel und die Theologie. Sie haben auch das Denken in anderen Bereichen angestoßen. Ich möchte im Rahmen dieser Predigt nur auf zwei kurze Beispiele verweisen. So auf Kant, dessen 200. Todestag wir soeben begangen haben: „Was einen Preis hat, an dessen Stelle kann auch etwas anderes ... gesetzt werden, was dagegen über allen Preis erhaben ist..., das hat eine Würde. Der Mensch und überhaupt jedes vernünftige Wesen existiert als Zweck an sich selbst, nicht bloß als Mittel zum beliebigen Gebrauche für diesen oder jenen Willen.“ (Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, 2. Abschnitt) Über alle Wertungen und jeden Preis erhaben, darf der Mensch niemals bloß als „Mittel“ gebraucht werden. Nichts anderes meint Hegel, wenn er davon spricht, dass dieser Gedanke der Person „von unendlicher Wichtigkeit“ ist (Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 209). Es ist also nicht so, dass die Menschenwürde nur ein unverdauter biblischer Rest wäre, auf den man letztlich verzichten kann. Dann sollten wir aber auch das ganze Sinnpotential nützen, das in der Bibel steht.

Dies ist auch der Grund, warum diese letzte Tiefe der Menschenwürde und damit auch der Menschenrechte gegen alle Versuchungen der Menschen, sich in falscher Weise zum Herrn des Lebens aufzuspielen, von Gott kommt, in ihm Schutz findet, das er aber auch Achtung verlangt. Nicht zuletzt darum beginnt auch die Präambel der Grundgesetzes: „Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen... „. Darum verlangen wir die Aufnahme eines Gottesbezugs und auch einen Hinweis auf die kulturell-religiösen Traditionen Europas, vor allem der Bibel, in einer Europäischen Verfassung.

Nur so haben wir auch den rechten Geist, um angesichts der Größe des Menschen keinem Allmachtswahn zu verfallen, sondern beides zu bewahren: das Staunen vor seiner Größe und die Demut des Herrschens. Dies können wir nur vor Gott, denn dieser lässt uns unverkürzt die Größe des Menschen, gewährt uns aber auch immer wieder Vergebung, wenn wir in unserer Hybris straucheln. Erinnern wir uns an die Worte von Ps 8: „Herr unser Herrscher, wie gewaltig ist dein Name auf der ganzen Erde; über den Himmel breitest du deine Hoheit aus. Was ist der Mensch, dass du an ihn denkst, des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst? Du hast ihn nur wenig geringer gemacht als Gott, hast ihn mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt. Du hast ihn als Herrscher eingesetzt über das Werk deiner Hände, hast ihm alles zu Füßen gelegt.“ Amen.

Es gilt das gesprochene Wort

(c) Karl Kardinal Lehmann

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz