"Vergeltet niemand Böses mit Bösem!"

Predigt von Kardinal Lehmann im Gedenkgottesdienst zum Jahrestag des Kriegsendes

Datum:
Freitag, 8. Mai 2015

Predigt von Kardinal Lehmann im Gedenkgottesdienst zum Jahrestag des Kriegsendes

„Vergeltet niemand Böses mit Bösem! Seid allen Menschen gegenüber auf Gutes bedacht!... Lass dich nicht vom Bösen besiegen, sondern besiege das Böse durch das Gute!" (Röm 12,17.21)

Die vielen Zeugnisse, die Millionen von Menschen in diesen Wochen des Gedenkens an das Kriegsende vor 70 Jahren zur Sprache bringen, beweisen, wie lebendig das Gedächtnis noch sein kann, wenn es gegen den Strom des Vergessens zur Besinnung aufgefordert wird. Erinnerungen werden wach, als ob sie von gestern berichteten. Wunden brechen wieder auf, die bereits verheilt schienen.

Die Diskussion der letzten Jahre und auch Monate hat gezeigt, dass dabei sehr verschiedene Gefühle zusammenkommen. Vielleicht ist dies bei diesem 70. Gedenktag etwas Neues: Der Abstand von sieben Jahrzehnten gibt nun vieles ganz frei, ganz abgesehen davon, dass die wiedergewonnene Einheit unseres so lang gespaltenen Landes immer noch recht unterschiedliche Erfahrungen zutage fördert. Dabei geht es nicht nur um die verschiedenen Deutungen der Nachgeborenen, sondern auch die Erinnerungen von damals selbst weisen beträchtliche Differenzen auf.

Es gibt durchaus Gründe für diese Verschiedenheit. Wer die Hölle von Konzentrationslagern nicht durchlitten hat, wird wohl nie das Grauen nachempfinden können, das diese Menschen heute noch heimsucht. Wer seine Heimat nicht verloren, sondern sie am 8. Mai 1945 mehr oder minder unversehrt wieder geschenkt bekommen hat, kann vermutlich nie das Leid derer ermessen, die ohne Schuld von Haus und Hof verjagt worden sind. Während die allermeisten von uns nicht mehr täglich unter den Folgen der Zerstörung leiden, hallt in vielen Familien bis heute das Leid nach: das grauenvolle Schicksal des jüdischen Volkes, die brutale Ermordung der Sinti und Roma und vieler anderer, die verfolgt, gequält und ausgerottet worden sind. Unter uns leben aber auch noch viele Frauen, die bis heute keine Gewissheit haben über das endgültige Schicksal ihres Gatten und des Vaters ihrer Kinder; viele Frauen haben böse Erinnerungen an das, was ihnen an Leib und Seele widerfuhr; in den Seelen vieler Kinder zittern die Schrecken der Bombennächte nach.

Tot capita, tot sententiae, ja: tot experientiae. Wieviel Menschen, so viele Erfahrungen. Diese Tage lehren uns, dass wir sie nicht alle auf einen gemeinsamen Nenner bringen oder gar zwingen können. Als Neunjähriger am Ende des Krieges habe ich vieles anders empfunden als meine vierzehn- oder sechzehnjährigen Kameraden. Wir müssen zunächst Achtung haben vor diesen recht unterschiedlichen Erfahrungen. Toleranz und Annahme des anderen erweisen sich darin, dass wir in dieser Verschiedenheit aufeinander hören und einander achten. In den Todeszellen und Zuchthäusern, Arbeitslagern und Gefängnissen der Naziherrschaft saßen Menschen, die beileibe nicht immer einig waren in so etwas wie „Menschenbild", aber sie wussten gemeinsam, was nicht sein darf, und bestärkten so die Überzeugung von der Menschenwürde, die allen zusammen und jedem einzelnen zu eigen ist. Davon darf sich auch etwas in den verschiedenen Erfahrungen und Deutungen der Ereignisse vor 70 Jahren spiegeln. Unser Grundgesetz wäre ohne diese Erfahrung nicht entstanden.

Dennoch dürfen wir es uns nicht so einfach machen, dass jeder nur auf seinen Anschauungen beharrt, andere Verständnisse ausblendet oder sie gar verurteilt. Es ist nicht leicht, die gegensätzlichen Gefühle und Widerfahrnisse zusammenzuhalten. Aber wenn wir ehrlich sind, dann haben sich diese Spannungen und Widersprüche auch damals im eigenen Herzen und in derselben Person zugetragen. Wir waren froh, dass die Angst um Leib und Leben bald zu Ende ging, aber wir hatten auch Angst vor den Besatzern. Bis mitten in die Befreiung hinein gab es Zerstörung. Nicht alle haben dies in gleicher Weise erfahren. Die Maitage 1945 waren für viele auch der Beginn unsagbaren Leidens: Mord, Schändung, Vergewaltigung, Vertreibung von Haus und Hof, Wegnahme des Eigentums. Manche erzählen, dass sie auf der Flucht oder der Vertreibung Armbinden tragen mussten mit der Kennzeichnung „Deutscher" (abgekürzt in verschiedenen Sprachen), gewiss nicht so schutzlos machend wie der Judenstern, aber doch nicht ohne Ähnlichkeit mit ihm. Im Übrigen müssten wir viel mehr die Opfer auch vieler anderer Nationen beklagen. Professor Heinrich August Winkler hat dies heute auch bei der Feier des Deutschen Bundestages erwähnt.

Nein, wir dürfen manche törichten Vokabeln und Losungen der letzten Zeit nicht weiterverwenden. Die Blutspur dieser zwölf Jahre Schreckensherrschaft hat sich so tief in das Gedächtnis vieler Menschen unseres Jahrhunderts eingegraben, dass es nie einen Schlussstrich unter diese Geschichte geben kann. Am allerwenigsten im Blick auf die vielen unschuldigen Opfer aus anderen Völkern wie auch aus unserem eigenen Volk. Es wäre schändlich, wenn wir fremdes Leid, das es letztlich ohnehin nicht gibt, vergessen würden oder gar möchten, jedoch stets nur das eigene Leiden im Munde führen. Dies wäre ein ganz und gar unerlaubtes Aufrechnen. Es ist schlimm, dass solches da und dort vorgekommen ist. Aber deshalb allein dürfen wir nichts verschweigen. Wir können und dürfen nicht vergessen, auch die jüngeren Generationen nicht. Es gibt eine Haftung unseres Volkes, die wir nicht abschütteln können.

Man darf bei aller Betonung der eigenen Erfahrungen das ganze Geschehen von damals nicht unterschlagen. Es wäre auch fatal, wenn wir die verschiedenen Gefühle und Deutungen jener Tage zur Rechtfertigung gegenwärtiger politischer Positionen oder gar Ideologien missbrauchen würden. Der Respekt vor den Opfern verbietet uns solche erbärmlichen Spiele. Wehe, wenn wir die letzte Gemeinsamkeit so vieler Opfer, den Verrat und die Achtung ihrer Menschenwürde noch einmal preisgeben.

Es ist schwer, diese gemeinsame Erfahrung von damals festzuhalten. Es ist nicht nur schwierig, weil wir im Zuge der hohen Individualisierung unserer Gegenwart gerne und fast zwangsläufig unsere eigenen Empfindungen absolut setzen. Das ganze Phänomen dieses Kriegsendes· zersetzt sich immer wieder vor unseren Augen. Wir mussten befreit werden, weil wir uns selbst nicht frühzeitig und tatkräftig von der Diktatur lossagten. Der Widerstand hatte zwar im Volk viele Formen - von der Nichtbeachtung vieler Vorschriften bis zur Sabotage -, aber nur Wenige wagten dafür ihre ganze Existenz. Es wäre auch gelogen, wollten wir die Befreiung glorifizieren. Es gab gewiss bei den Siegern weitgehend nüchternen Anstand, keine übertriebene Siegestrunkenheit und wenig Hass. Heimlich wussten auch sie, dass dieser Krieg am Ende keinen Sieger kannte, sondern dass es nur Besiegte gab. Es gab jedoch genügend Pläne, Deutschland zu zerstückeln, industriell zu demontieren und in eine Agrargesellschaft zurückzuverwandeln. Wer froh war, als Soldat wieder in die Heimat zurückkehren zu können, hatte stets das Stoßgebet auf den Lippen: „Lieber Gott, hilf mir, dass ich nach Hause komme." Auch von außen gab es trotz des Sieges angstvolle Fragen. „Was sind die Deutschen, wenn ihr hoffnungsloser Glaube zusammenstürzt? Was bleibt von ihnen übrig? Was sonst war in ihnen vorbereitet? Welches zweite Leben könnten sie jetzt beginnen? Was sonst sind sie ohne ihren furchtbaren militärischen Glauben? Wie sehr fühlen sie ihre Ohnmacht, da es für sie nichts als Macht gab? Wohin können sie noch fallen? Was fängst sie auf?" (Aufzeichnungen von Elias Canetti in London 1945) Wir erinnern uns an die Furien blinder Zerstörungswut, als in den letzten Wochen und Tagen der „Werwolf" wütete, die SS-Leute sogenannte Deserteure, die fast noch Kinder waren, an den Bäumen aufhängten und ältere Männer im „Volkssturm" hingeopfert wurden.

Dieses widersprüchliche Ganze des Kriegsendes sollte uns umtreiben. Es verbietet jede simple Parteinahme. Ich glaube, dass es kaum ein anderer so gut zur Sprache gebracht hat wie der erste Bundespräsident Theodor Heuss, der zum Abschluss der Verfassungsberatungen vor dem Parlamentarischen Rat in Bonn am 8. Mai 1949 über die Lage der Deutschen erklärte, der 8. Mai 1945 bleibe „die tragischste und fragwürdigste Paradoxie der Geschichte für jeden von uns. Warum denn? Weil wir erlöst und vernichtet in einem gewesen sind." Genau hier liegt die bleibende Ambivalenz dieses Tages. Das Janusgesicht lässt sich nicht einfach zum Verschwinden bringen. Darum darf auch keine falsche Trauer gefördert werden, weil z.B. unser Land den Krieg verloren hat.

Die Paradoxie und Zweideutigkeit darf jedoch nicht so weit gehen, dass der befreiende Durchbruch des Kriegsendes im Bewusstsein zurücktreten könnte. Der 8. Mai 1945 brachte die langersehnte Befreiung und so am tiefsten Punkt unserer Geschichte auch neue Hoffnung. Dass sie aus den Trümmern erstand, mindert nicht ihre Bedeutung. Im Gegenteil. Gerade der Widerstand hat viele für diese Stunde des Neubeginns starkgemacht Man darf sich ja nicht einmal die Frage stellen, was aus uns geworden wäre, wenn der Schrecken am 8. Mai 1945 nicht gebrochen worden wäre. Wir kennen ja die Pläne derer, die in zwölf Jahren die Verbrechen angehäuft haben und vom tausendjährigen Reich träumten.

Früher sprach man gerne im Blick auf den 8. Mai 1945 von der „Stunde null" (vgl. dazu heute R. Blasius, In der Opferrolle. Deutsche in West und Ost verklärten das Kriegsende gern zur „Stunde null", in FAZ vom 8.5.2015, S.15) Gewiss, nur der Zusammenbruch des bisherigen Staates eröffnete die Chance eines Neuanfangs, der die existentiellen politischen Erfahrungen und die eindringlichen Lektionen der jüngsten Vergangenheit zu nutzen versuchte. Unsere Verfassungen in den Ländern und im Bund zeugen vom Willen zu einem solchen Neuanfang. Es gab jedoch offensichtlich nicht einfach die blanke „Stunde null", die eine radikale politische Erneuerung Deutschlands erlaubte. Dafür sorgte von außen auch die Besatzungspolitik, die es auf ihre Weise mit einem Neuanfang versuchte: die sogenannte Entnazifizierung und die Entmilitarisierung, die Prozesse gegen die Schuldigen, die Beschränkung des politischen Lebens (vgl. K.D. Bracher, Wendezeiten der Geschichte, Stuttgart 1992, 232ff). An keinem Punkt kann man besser erkennen, wie wenig Vergangenheit einfach „bewältigt" werden kann. Bis in unsere Tage wird immer wieder festgestellt, dass diese Vergangenheit in vielen Bereichen, z.B. auch in der Justiz und Diplomatie, „lange Schatten" hatte (vgl. das gleichnamige kleine Buch von Peter Graf Kielmansegg, Berlin 1989).

Schließlich gab es aber keine wirklich gemeinsame Linie in der Besatzungspolitik. Bald zeigten sich darüber hinaus die ersten Konflikte des „Kalten Krieges", in die wir bald hineingezogen worden sind. In Teilen Deutschlands und Europas ist die Hoffnung auf eine wirksame Befreiung bald bitter enttäuscht worden. Unser Vaterland wurde geteilt. Freiheit und Demokratie konnten im Osten nicht wirklich aufgebaut und realisiert werden. Wieder begann ein Flüchtlingsstrom, der nun fast drei Millionen Bewohner der Sowjetischen Besatzungszone umfasste, bis der Mauerbau am 13. August 1961 die „Abstimmung mit den Füßen" abrupt beendete. Allein dies zeigt, wie wenig uns eine „Stunde null" im Sinne einer Pause zu wirklich neuem Nachdenken und zu einer total anders gerichteten Entscheidung möglich war.

Aber es gab in dieser Zeit eben doch neue Weichenstellungen für die Zukunft. Trotz der Belastung der Diktatur und der großen Zerstörungen gelang der Wiederaufbau erstaunlich schnell. Im Westen wurden aus den Kriegsgegnern von gestern rasch Verbündete. Statt der geplanten Umerziehungs- und Kontrollpolitik gab es bald Schritte auf eine Einbeziehung der Bundesrepublik Deutschland in ein übernationales westeuropäisches Bündnissystem. Für die große Mehrheit der Deutschen wurde der 8. Mai 1945, mehr als man vor 70 Jahren denken konnte, zu einer Befreiung nicht nur als Ende von Diktatur und Krieg, sondern zu einer unverhofften Chance für die Demokratie. Anders als in der unglückseligen Zeit nach dem Ende des Ersten Weltkrieges haben die Deutschen die Chance zu einem solchen Neuanfang konsequent ergriffen. Es war ein Glücksfall, dass durch das Zusammenwirken europäischer und amerikanischer Impulse die westliche Demokratie in unserem Land nicht nur gegründet, sondern auch gefestigt werden konnte. Durch die beständige Auseinandersetzung mit Faschismus und Totalitarismus erfolgte eine Abgrenzung der freiheitlich-demokratischen Position gegen Rückfälle.

Der Wiederaufbau und die Stärkung der freiheitlichen Demokratie, einschließlich der Menschenrechte, wären nicht möglich gewesen, ohne das stetige Einbeziehen Deutschlands in die europäische Integration. Es mutet manchmal wie ein Wunder an, wie diese Einigung Europas bis heute Macht erhielt und sich in vielem durchsetzen konnte. In Wirklichkeit war es natürlich der „lange Weg zum Westen", der dies endlich möglich machte. Vermutlich konnte es nur so gelingen, die Verführungskraft eines unduldsamen Nationalismus nicht nur bei uns einigermaßen zu bannen. Dies sollten wir bei der Europa-Skepsis unserer Tage nicht vergessen.

Wir sind noch auf diesem Weg. Der 8. Mai 1945 hat uns nicht losgelassen. Die Paradoxie dieses Tages besteht immer noch weiter in den Aufgaben unserer Gegenwart. Immer noch leiden wir unter den Folgen der eigenen Geschichte. Wir können unsere gemeinsame Haftung für die Folgen unserer Vergangenheit nicht einfach abschütteln, auch wenn niemand von Kollektivschuld spricht oder die nachwachsenden Generationen moralisch belastet. Gedenktage erwecken vielleicht den Eindruck, als solle jeder neuen Generation die Last einer Schuld, die nicht die ihre ist, weitervererbt werden. Eine Aufgabe bleibt auf jeden Fall für alle bestehen, nämlich die Erinnerung an die äußerste Unmenschlichkeit in Impulse der Menschlichkeit zu verwandeln. Vielleicht kann man nur so all das ertragen, was geschehen ist. Wir müssen auch endlich zur „Normalität" z.B. der Anerkennung von Menschenwürde und Menschenrechte kommen und uns nicht immer wieder auf Ausschwitz berufen, wenn es um weltweit anerkannte Humanität und um die Menschenwürde geht.

Es scheint mir auch, dass wir an einem anderen Punkt den Mut zur Wahrheit haben müssen. Beim Wiederaufbau unseres Landes kamen die Anstrengungen hauptsächlich den ökonomischen, sozialen und militärischen Faktoren unserer Sicherheit zugute. Der daraus entstehende Wohlstand hat gewiss auch unserer jungen Demokratie genützt. Die Grenze einer solchen pragmatischen Orientierung, hinter der die intellektuellen, moralischen und auch religiösen Bemühungen zurückblieben, kam jedoch um die Mitte der 60er Jahre bald ans Licht. Eine vertiefte Bewusstseinsbildung, die den Neuanfang des 8. Mai 1945 immer noch gleichsam nachholen musste, gab es zwar in Anfängen und Fragmenten, aber sie hinkt bis heute den sozio-ökonomischen Veränderungen in letztlich doch fataler Weise nach.

Die „Grundwerte"-Diskussion der siebziger und späteren Jahre verebbte wieder. Auch beim Neubau des gemeinsamen europäischen Hauses kommen bis heute Ethos und Kultur zu kurz. Der gemeinsame Nenner ethischer Überzeugungen wird immer kleiner. Gemeinsinn·wird rar. Die Berufung auf das Gewissen wird inflationär und entbehrt oft einer letzten Überzeugung. Die Präambel unserer Verfassung hatte den Mut, für dieses letzte Fundament - und sei es als Chiffre - noch den Namen Gottes zu benennen: „Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen ...". Ob es jedoch auf die Dauer für alle und für jeden uneingeschränkt und absolut Menschenwürde und Menschenrechte sowie einen unantastbaren Schutz für sie geben kann, ohne dass sie den Schutz und die Ermutigung, die Gewähr und die Mahnung von Gott her haben, ist noch nicht ausgemacht. Frieden und Freiheit sind keine Selbstverständlichkeit. Sie waren es auch noch nie.

Vielleicht haben wir diese Lektion der Jahre 1933-1945 immer noch nicht genügend eingelöst. Ihre Erfüllung beginnt damit, dass wir entschlossen und von Anfang an jedem Unheil und jedem Unrecht entgegentreten. Dies ist mindestens die gemeinsame Verantwortung aller Demokraten, die uns diesen Gedenktag nicht zu einem überflüssigen öffentlichen Ritual, sondern zu einem ernsthaften Erbe werden lässt.

Worauf kommt es in dieser Stunde an - 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges? Darauf, dass wir Gott die Ehre geben, auf sein Wort hören, ihn um Vergebung und den Geist der Versöhnung bitten, und ihm antworten mit unserem Gebet und mit der Tat unseres Lebens. Menschliche Antworten auf die Schrecken und das Grauen, die dieser Krieg über die Völker Europas und die ganze Welt gebracht hat, reichen allein nicht aus. Darum sind wir hier versammelt. In Demut und Scham neigen wir uns vor Gott, um ihn zu bitten, die Schuld zu vergeben und die Menschen in einem neuen Geist zusammenzuführen, damit die Wunden heilen.

Im Gebet wollen wir den Herrn anrufen, dass er uns die Einsicht und die Kraft schenkt, jeder ungerechten Gewalt und jedem Unrecht von Anfang an zu widerstehen, den Frieden zu suchen und zu fördern sowie Gottes Weisungen zum Leben zur Richtschnur unseres Handelns zu machen. Lassen Sie mich wiederum die zentralen Sätze des Hl. Paulus im Römerbrief (12, 17.21) zitieren, die ich am Anfang anführte: „Vergeltet niemand Böses mit Bösem! Seid allen Menschen gegenüber auf Gutes bedacht! ... Lass dich nicht vom Bösen besiegen, sondern besiege das Böse durch das Gute!". Amen.

(c) Karl Kardinal Lehmann, Bischof von Mainz

Redemanuskript (8. Mai 2015) - Die Predigt wird im Vortrag gekürzt. Es gilt das gesprochene Wort!

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz