Unsere Erde ist nur ein kleines Gestirn im großen Weltall.
An uns liegt es, daraus einen Planeten zu machen, dessen Geschöpfe nicht von Kriegen gepeinigt werden, nicht von Hunger und Furcht gequält,
nicht zerrissen in sinnlose Trennung nach Rasse, Hautfarbe oder Weltanschauung.
Gib uns Mut und Voraussicht,
schon heute mit diesem Werk zu beginnen, damit unsere Kinder und Kindeskinder einst stolz
den Namen Mensch tragen.
(Aus dem „Gebet der Vereinten Nationen“, formuliert 1942)
Liebe Leserinnen und Leser!
Liebe Schwestern und Brüder im Glauben!
„Man kann nicht mit Gebeten die Welt verändern“, sagt eine Re- densart. Stimmt das? Ist unser Gebet dann etwa sinnlos? Darüber könnte man lange philosophieren oder sogar streiten.
Und es gibt wohl keine einfache Antwort auf diese Frage. Einfache Antworten greifen meistens zu kurz.
Natürlich können wir nicht einfach ein Gebet an Gott adressieren und erwarten, dass er als eine Art „Wunscherfüllungsautomat“ tut, was wir von ihm erwarten. Das wäre zu klein von Gott gedacht. Andererseits dürfen wir sehr wohl darauf hoffen, dass ein Gebet etwas bewirkt, wenn auch vielleicht anders als wir erwar- ten.
„Man kann nicht mit Gebeten die Welt verändern“!? Wirklich? Eine Antwort auf diese These oder Frage lautet: „Man kann zwar nicht mit Gebeten (unmittelbar) die Welt verändern, aber Gebete verändern die Menschen und Menschen verändern die Welt“.
Tatsächlich: Gebet ist ja keine Einbahnstraße. Gebet ist ein Dia- log mit Gott und eigentlich mehr „Hören“ als „Sprechen“. Wenn Menschen also in ihrem Gebet auch auf Gott „hören“, auf das, was Gott in unser Herz spricht, wird es die Menschen, die beten, verändern. Und Menschen verändern die Welt.
Man denke an die „friedliche Revolution“ in der DDR, die zur „Wende“ führte und einen Ursprung in den Friedensgebeten der zunächst sehr wenigen aktiven Christen in der DDR hatte.
Am 8. Mai 1945, vor 80 Jahren, endete der 2. Weltkrieg und damit zugleich die Nazi-Barbarei – der heftigste Tiefpunkt der Mensch- heitsgeschichte.
Das Erschrecken über Rassenwahn, Diktatur und Krieg führte zu einem Paradigmenwechsel in der Politik vieler Länder, zum Willen nach einer aktiven Friedenpolitik, nach einer Kultur der bewussten Verständigung zwischen den Völkern und Nationen.
Die Gründung der Vereinten Nationen, die -langfristige- Bildung der Europäischen Union und die deutsch-französische Freundschaft sind Ergebnisse dieses Umdenkens, das z.B. ehemalige „Erbfeinde“ zu einer bewussten Völker-Freundschaft und guten Nachbarschaft führen wollte, durchaus mit Erfolg. Viele „Architekten“ dieser Bündnisse und Freundschaften waren auch praktizierende Christen.
Seit 1945 erlebten wir in Europa die vermutlich längste Friedens- zeit in der Geschichte der Menschheit (mit den traurigen Ausnah- men der Jugoslawien-Kriege in den 1990er-Jahren und nun des Krieges in der Ukraine). So wurde die gewiss nicht fehlerfreie Euro- päische Union doch zur Friedensnobelpreisträgerin, denn die jahr- zehntelange Friedensperiode zwischen europäischen Staaten und Völkern ist eine bewusste Programmatik und eine der größten zivi- lisatorischen Leistungen der Geschichte.
Frieden ist eine Frage der politischen Kultur, der Einstellung, der Prioritäten. Mit einem imperialistischen Denken wie in Putins Russland ist er schwer zu vereinbaren. Aber auch „America first“ oder andere nationale Egoismen sind keine Investition in eine Friedens- Kultur.
Wir erleben, dass Frieden kein „Selbstläufer“, die als sicher ge- glaubte Friedensarchitektur labiler geworden ist.
Das schafft langsam ein neues Bewusstsein, dass wir dem Krieg vorbeugen und noch dringender bewusst an einer Kultur des Friedens arbeiten müssen. Ich bin sicher, dass unser Gebet für den Frieden dazu einen Beitrag leisten kann.
So gibt uns der 8. Mai 2025 Anlass, dankbar zu sein für viele Jahrzehnte des Friedens - und für eine Kultur des Friedens zu beten und zu arbeiten: „Gebete verändern die Menschen und Menschen verändern die Welt“.
Ihr Pfarrer Erik Wehner
Leiter des Pastoralraums Gießen-Stadt