Schmuckband Kreuzgang

Dekan Zirmer: Wir brauchen also die Kirche, damit die Botschaft Jesu in unserer Welt lebendig bleibt

Anmerkungen von Dekan Karl Zirmer zur kirchlichen Statistik und den damit verbundenen Austrittszahlen

Dekan Karl Zirmer (c) Markus Schenk
Dekan Karl Zirmer
Datum:
Fr. 8. Juli 2022
Von:
Dekan Karl Zirmer

Ende Juni wurden die Zahlen zur kirchlichen Statistik 2021 veröffentlicht. Daraus geht hervor, dass fast 360.000 Menschen aus der Katholischen Kirche ausgetreten sind. Dazu veröffentlichen wir hier einige Anmerkungen von Dekan Karl Zirmer. 

Anmerkungen zum Thema „Kirchenaustritte 2021“

Anfang der letzten Woche wurden die Kirchenaustrittszahlen für 2021 veröffentlicht. Fast 360.000, so viele wie noch nie, haben im letzten Jahr der Kirche den Rücken gekehrt. Im Bistum Mainz haben 12.649 Personen die Kirche verlassen. Leider auch viele, die in der Kirche engagiert waren. Es gibt viele Gründe, die Menschen zum Kirchenaustritt bewegen. Die Kirche und ihre Vertreter tragen gewiss ein hohes Maß an Mitschuld an dieser Entwicklung. Die Missbrauchsskandale und ihre unsägliche Vertuschung bleiben nicht ohne Folgen. Wir haben aber nicht nur eine Kirchenkrise, wir haben auch eine Glaubenskrise. Wir haben es mit einem Säkularisierungs- und Entkirchlichungsprozess zu tun, der schon seit den 60iger Jahren des vorigen Jahrhunderts andauert. 

In dieser schwierigen Situation ist es ganz wichtig, dass wir nicht mutlos werden. Die Kirche und alle, die noch in ihr aktiv sind und ein Herz für Jesus und seine Botschaft haben, dürfen jetzt nicht in eine depressive Stimmung verfallen und resignieren. Das ist das Schlimmste, was uns passieren kann. 

Angesichts solcher Austrittszahlen ist es aber auch nicht verwunderlich, wenn Menschen die Frage stellen: Braucht man die Kirche überhaupt noch? Kann man nicht auch ohne Kirche Christ sein? 

Gewiss gibt es einzelne Personen, die aus der Kirche ausgetreten sind und die dennoch in ihrem Alltag auf vorbildliche Weise christliche Werte leben und verwirklichen. Ich habe großen Respekt vor solchen Menschen. Doch langfristig gesehen – so befürchte ich - ist eine Schwächung der Kirchen auch ein Verlust für die Gesellschaft.

Nach den Worten des Soziologen Hans Joas können religiöse Ideale ohne Organisation, bloß von den Individuen, nicht bewahrt und verwirklicht werden. Um diese Ideale am Leben zu erhalten, um sie den Nachkommen weiterzugeben und weitere Menschen mit ihnen in Verbindung zu bringen, um in gemeinsamen Ritualen die Ideale immer wieder neu zu verlebendigen und um Formen des Zusammenlebens zu ermöglichen, die sich in größerer Harmonie mit den Idealen befinden als es die Lebensführung im Allgemeinen zulässt – aus all diesen Gründen braucht man Institutionen wie es die Kirchen sind. Diese Erkenntnisse des Soziologen werden auch von der Kirchengeschichte bestätigt: Ohne die Kirche gäbe es kein Neues Testament und wir wüssten vermutlich nichts von Jesus und seiner Botschaft. 

Ich habe auch - wie so viele, die kirchlich sozialisiert sind- Jesus und seine Botschaft in der Kirche und durch die Kirche kennengelernt.  Wir brauchen also die Kirche, damit die Botschaft Jesu in unserer Welt lebendig bleibt.

Der christliche Glaube ist keine Privatangelegenheit zwischen Gott und dem Einzelnen; unser Glaube hat Gemeinschaftscharakter. Damit sich unser Glaube voll entfalten kann, brauchen wir die Glaubensbrüder und Glaubensschwestern, brauchen wir die Gemeinschaft der Glaubenden, die Kirche. Jeder macht sich seine eigenen Gedanken über Gott und den Glauben. Aber man muss darauf achten, dass man nicht zu sehr um sich selbst und seine Gedanken kreist. Ohne die Glaubensgemeinschaft der Kirche ist – meiner Meinung nach – die Gefahr groß, dass man schnell bei einem Auswahlchristentum landet. Dann wählt sich jede oder jeder aus der christlichen Botschaft das aus, was ihm oder ihr zusagt. Alles andere, gerade das Schwierige und Sperrige, wird weggelassen.  Der Glaube der Kirche ist darum für den Glauben des Einzelnen eine notwendige Ergänzung und Korrektur. Die Kirche bietet den Raum, damit der persönliche Glaube zur Entfaltung kommen kann.

 

Ein weiterer Aspekt kommt hinzu: Kirche ist für nicht nur eine menschliche Organisation. Das II.Vatikanische Konzil beschreibt die Kirche als eine komplexe Wirklichkeit, die aus einem menschlichen und einem göttlichen Element zusammenwächst. Nach den Worten des Konzils ist die Kirche sowohl eine sichtbare Versammlung als auch eine geistliche Gemeinschaft, sowohl eine menschliche Gemeinschaft als auch der geheimnisvolle Leib Christi. „Die irdische Kirche und die mit himmlischen Gaben beschenkte Kirche“ gehören untrennbar zusammen.

Die Kirche bringt uns mit Gott in Berührung, weil sie uns die Botschaft Jesu vermittelt und weil sie uns die sakramentale Begegnung mit Jesus Christus ermöglicht. Die Sakramente der Kirche sind nicht nur äußere Zeichen, menschliche Symbolhandlungen. „Sie sind Berührungen eines liebenden Gottes“ (Bischof Peter Kohlgraf, Fastenhirtenbrief 2020). Dass wir in den Sakramenten dem menschgewordenen Gottessohn begegnen, ist gewiss eine Glaubenssache, ein Glaubensgeheimnis. Ich habe zu diesem Glauben gefunden und bin dafür dankbar.

Eine große Herausforderung für unseren Glauben bleibt das menschliche Versagen der Kirche. Als menschliche Gemeinschaft ist sie nicht nur einem geschichtlichen Wandel unterworfen, sondern muss auch ständig „den Weg der Buße und der Erneuerung“ gehen. „Ecclesia semper reformanda“ (Die Kirche muss sich ständig erneuern). Es gibt vieles in der Kirche, was sich ändern muss, weil es dem Willen Christi widerspricht. Die Kirche darf nicht so bleiben, wie wir sie heute erleben. Ich persönlich glaube immer noch daran, dass sich vieles in der Kirche ändern kann und auch ändern wird. Ich möchte aber nicht verschweigen, dass sich die Kirche oft viel zu langsam vorwärtsbewegt. Es ist manchmal zum Verzweifeln, wie lange es dauert, bis sich überhaupt etwas verändert. Ich habe die große Sorge, dass viele engagierte Menschen in unserer Kirche die nötige Geduld nicht mehr haben oder aufbringen können und darum der Kirche den Rücken kehren oder sich innerlich zurückziehen. Was wir in dieser Situation vor allem brauchen: eine große Gelassenheit und einen langen Atem. Und die Welt braucht glaubensfrohe Christen, Menschen, die sich von Jesus und seiner Botschaft begeistern lassen und auch andere dafür begeistern können.

Angesichts des vielfältigen menschlichen Versagens der Kirche fällt es vielen Menschen schwer, aus innerer Überzeugung in dieser Kirche zu bleiben. Gehen oder bleiben? Diese Frage muss letztendlich jede und jeder von uns selbst beantworten. Ich sehe viele gute Gründe, warum man guten Gewissens in dieser Kirche bleiben und für sie wirken kann. Das entscheidende Argument für mich lautet: In dieser Kirche bin ich Jesus Christus und seiner Botschaft begegnet. Ich bleibe in der Kirche, weil ich beim Ihm, bei Jesus Christus bleiben will.

 

Pfr. Karl Zirmer, Dekan

 

Download: Anmerkungen von Dekan Karl Zirmer - Kirchenaustritte 2021