Schmuckband Kreuzgang

Stellungnahme von Dekan Karl Zirmer zum Münchner Missbrauchsgutachten

Dekan Karl Zirmer (c) Markus Schenk
Dekan Karl Zirmer
Datum:
Sa. 22. Jan. 2022
Von:
Dekan Karl Zirmer

Aus aktuellem Anlass möchte ich auf ein Thema eingehen, das zurzeit viele Menschen in unserem Land und in der Kirche umtreibt und aufwühlt: die Veröffentlichung des Münchner Missbrauchsgutachten.

Dieses Gutachten erschüttert die katholische Kirche. Auch mich hat das, was da aufgedeckt wurde, sprachlos gemacht. Tief enttäuscht bin ich vom Verhalten des emeritierten Papstes Benedikt XVI. In vier Fällen wird ihm während seiner Amtszeit als Erzbischof von München-Freising Fehlverhalten vorgeworfen. Er behauptet Unkenntnis davon gehabt zu haben, was aber – nach Aussage der Gutachter - mit der Aktenlage schwer in Einklang zu bringen ist. Wenn er tatsächlich von diesen schwerwiegenden Fällen nichts gewusst hat, ist das auch ein schwerwiegendes Versagen, für das er die Verantwortung übernehmen muss. Ich erwarte, dass er zu diesen Vorwürfen Stellung nimmt.

Ich habe in der Vergangenheit Papst Benedikt oft verteidigt, wenn er angegriffen wurde, weil ich der Meinung war, er wurde oft missverstanden und zu Unrecht kritisiert. Ich schätze ihn als großen Theologen. Seine „Einführung in das Christentum“ und seine Jesus-Bücher sind Klassiker der Theologie. Es schmerzt mich sehr, wenn der emeritierte Papst durch sein Fehlverhalten nicht nur sein Lebenswerk schwer beschädigt, sondern auch der Kirche und dem Papsttum immensen Schaden zufügt.

Die Katholische Kirche erlebt ihre schwerste Krise seit der Reformation. Am Anfang des Missbrauchsskandals ging es vor allem um die Täter, um die Priester, die solche Verbrechen begangen haben. Inzwischen richtet sich die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit vor allem auf die Verantwortlichen der Kirche, die diese Taten systematisch vertuscht haben. Hinzu kommt, dass bisher nur wenige bereit waren, dafür Verantwortung zu übernehmen.

Wenn führende Vertreter der Kirche versagen, dann ist das ein Ärgernis für die Welt und eine schmerzliche Erfahrung für alle die zu dieser Kirche gehören. Ich denke jetzt vor allem an die Opfer, die Furchtbares erleben mussten und tief verletzt sind. Viele hatten großes Vertrauen der Kirche und ihren Vertretern entgegengebracht und wurden tief enttäuscht. Die Kirche steht in tiefer Schuld bei ihnen. Der Schaden, der ihnen zugefügt wurde, ist unermesslich. Da muss noch viel getan werden, damit sie spüren: Unser Leid wird gesehen und wir werden ernstgenommen.

Es ist schlimm, wenn die Verantwortlichen in der Kirche ihrem Auftrag nicht gerecht werden und ihr Verhalten in eklatantem Widerspruch steht zur Botschaft, die sie verkünden. Solche Erfahrungen, die man überall in der Kirche machen kann, können schnell zu einer schweren Anfechtung für den Glauben der Kirchenmitglieder werden und zum Kirchenaustritt führen.

Aber bei aller berechtigter Kritik an der Kirche, bei aller Enttäuschung und Verärgerung über das Verhalten derer, die diese Kirche vertreten, ich lasse mich davon trotzdem nicht irritieren: Ich bleibe in dieser Kirche, denn nur so kann ich etwas bewegen und bei Veränderungen mitwirken.

Ich habe gelernt zu unterscheiden zwischen dem Verkünder der Botschaft, das sind die kirchlichen Amtsträger, und dem Inhalt dieser Botschaft, das ist Christus. Über das Bodenpersonal der Kirche darf ich mich ärgern, von Ihm selbst, von Christus, will ich mich aber nicht abwenden.

Ich habe auch gelernt, dass die Kirche mehr ist als nur eine menschliche Gemeinschaft. Wenn die Kirche nur eine menschliche Organisation wäre, dann wäre ihre Situation in der Tat trostlos und hoffnungslos. Aber die Kirche ist mehr.

Was mit diesem „Mehr“ gemeint ist, können wir beim Apostel Paulus im 12.Kapitel des 1.Korintherbriefes nachlesen. Paulus schreibt: „Ihr aber seid der Leib Christi, und jeder einzelne ist ein Glied an ihm.“ (12,27)

Wir dürfen die Kirche also nicht reduzieren auf den Papst und die Bischöfe. Wir alle, die Getauften, sind Kirche! In der Taufe wurden wir durch den einen Geist in den „Leib Christi“ aufgenommen.

Es gibt aber auch ein Lichtblick in diesen dunklen Tagen: Eine Kirche, die ein solches Gutachten in Auftrag gibt, ist noch nicht ganz verloren! Ich erkenne darin zumindest die gute Absicht, der ungeschminkten Wahrheit ins Gesicht zu schauen. Das allein reicht gewiss nicht. Der feste Wille, endlich notwendige Veränderungen vorzunehmen und Reformen durchzuführen muss hinzukommen. Ich wünsche mir sehr, das in dieser Richtung weitergedacht und auch konsequent gehandelt wird.

Ein entschiedener Reformwille gepaart mit dem Vertrauen auf die Kraft des Heiligen Geistes kann das jetzt Unmöglich Erscheinende möglich machen: dass wir die schwere Krise der Kirche überwinden und voll Zuversicht der Zukunft entgegengehen.

Pfarrer Karl Zirmer, Dekan

Download: Stellungnahme von Dekan Karl Zirmer zum Münchner Missbrauchsgutacht

Das Gutachten

Das am 20.01.2022 veröffentlichte Gutachten „Sexuellem Missbrauch Minderjähriger und erwachsener Schutzbefohlener durch Kleriker sowie hauptamtlich Bediensteter im Bereich der Erzdiözese München und Freising von 1945 – 2019“ können Sie hier einsehen und herunterladen.

Zum Gutachten zu Fällen sexuellen Missbrauchs im Erzbistum München und Freising