Test veröffentlicht in der Offenbach Post vom 31.01.
„Beschämt und fassungslos“,
das sind Worte, mit denen Politikermund auf Katastrophen reagiert. Von der Kanzel waren sie bisher selten zu vernehmen. Doch in diesen Tagen beschreiben Priester im Dekanat Rodgau so ihre eigene Gemütslage, ausgelöst durch die Reaktionen von Kardinal Marx und Altpapst Benedikt auf das Gutachten zum Missbrauch im Bistum München-Freising.
„Das Eingestehen eines persönlichen Versagens wäre das Mindeste gewesen“, kritisiert der Hausener Pfarrer Christoph Schneider in den Sonntagsgottesdiensten die „untragbare Behauptungen“ der Kirchenoberen. Benedikts „Angebot, für die Opfer zu beten, klingt fast schon zynisch“, bewertet er und fordert ein öffentliches Schuldeingeständnis. „Die Absolution in der Beichte kann man nur erlangen, wenn man seine Sünden bereut und zu einem Neuanfang bereit ist.“
Der Gemeindeleiter tadelt, „Würdenträger sind nicht bereit, öffentlich ihre Sünden zu bereuen und Verantwortung zu übernehmen“. Die katholische Kirche habe als moralische Institution versagt. „Ich schäme mich für diese Kirche, für die ich arbeite und der ich auch angehöre“, betont Schneider und verurteilt die Institution, „die Wasser predigt und Wein trinkt, die immer von Vergebung spricht, aber Täter deckte und sich selbst von Schuld freispricht“.
Pfarrer Norbert Hofmann von Herz Jesu und St. Thomas Morus hat zu einem Austausch eingeladen, an dem auch Dekan Willi Gerd Kost und Pfarrer Johannes Schmitt-Helfferich aus Mühlheim, Pater John-Peter Savarimuthu aus Rodgau sowie Gemeindereferentin Jutta Moka und Diakon Andreas Qandt (Hausen) teilnehmen. „Ich lehne die Art und Weise, wie Kirche mit den Missbrauchsfällen umgeht, zutiefst ab, aber ich bleibe in der Kirche, weil ich sie denen in Rom und in den vielen Domstädten nicht überlasse. Ich bin auch ein Baustein dieser Kirche“, stellt Schneider klar.
„Wir vor Ort können als Gegenentwurf dazu beitragen, dass eine Gemeinschaft von Menschen für Menschen bleibt“, ruft er auf. Damit stößt er in dem Kreis auf Zustimmung, man wolle die Kirche „nicht Verbrechern und Angsthasen überlassen“. Pfarrer Schmitt-Helfferich verweist auf viele segensreiche Aktivitäten in den Gemeinden. „Hauskommunion und Besuchsdienste sagen, wir lassen dich nicht allein“, zählt Schneider auf, „Gottesdienste und Gruppierungen laden zur Gemeinschaft ein, Seelsorge und Trauerbegleitung zeigen, dass wir in schwierigen Situationen Beistand leisten“.
Auch sein Amtsbruder Hofmann schämt sich für das Schweigen und Vertuschen und dafür, dass es kaum Entschädigung und Fürsorge für die Missbrauchten gebe. „Die Amtskirche überlebt so nicht“, fürchtet er, „es muss eine radikale Veränderung geben“. Diakon Quandt, im Zivilberuf Bankangestellter, vergleicht die Situation mit seiner Branche: Internationale Geldinstitute hatten das Vertrauen der Kundschaft in Misskredit gezogen durch Geringschätzung und Skandale auf der Führungsebene.
Vor einer „oberflächlichen Behandlung des Zahns“ warnt Dekan Kost: „Wenn die Wurzel krank ist, muss er freigelegt werden“. Auch er wünscht sich, dass die Betroffenen mehr in den Fokus gerückt werden. „Die 2,8 Millionen Euro sollten nicht für Gutachter und Berater ausgegeben werden, sondern für die Opfer“, plädiert er. Es sei nicht die Zeit „zu warten, bis noch etwas auftaucht“, ergänzt Quandt, die Verantwortlichen sollen „nicht leugnen, sondern bekennen“. Und da müsse auch so mancher seinen Hut nehmen, erwartet Jutta Moka.
Mühlheims Pfarrer Schmitt-Helfferich kann sich eine „Wahrheits- und Versöhnungskommission“ nach dem Vorbild in Südafrika vorstellen. „Das kann schmerzlich werden, bringt uns aber als Gesellschaft weiter“. Dass „Präventionsmaßnahmen in die Zukunft gerichtet sind, mache nicht die Aufarbeitung der Vergangenheit überflüssig“, schlägt Kollege Kost in dieselbe Kerbe. Das Ziel sei erst erreicht, wenn eine Aussöhnung mit den Opfern stattgefunden hat.
Der Gastgeber richtet den Blick auf die Verantwortung als Seelsorger, auch für seine Mitbrüder und sich selbst. „Uns fehlt oft das Persönliche, wir müssen untereinander Kontakte pflegen, damit keiner vereinsamt“, appelliert Hofmann und schildert das freundschaftliche Miteinander der Geistlichen in der spanischen Partnerpfarrei Caravaca de la Cruz.
Immerhin, die Hauptamtlichen im Dekanat treffen sich regelmäßig in einer Gaststätte in Hausen zum Stammtisch. „Wir müssen ein Team sein“, formuliert Pater Peter. Er sieht sich als „Teil der Kirche“, darum möchte er nicht „gegen“ die Amtskirche vorgehen, sondern sie und die Gemeinden „mitnehmen“, gemeinsam Lösungen suchen. „Wir brauchen Kraft von oben und umgekehrt, um eine Kirche zu bauen, die vertrauensvoll angenommen werden kann“.
Einig ist sich die Runde, „Kirche vor Ort ist ganz anders“, die Menschen spüren, „die Geistlichen sind für uns da“. Viele haben ihre „Heimat im Glauben gefunden und dankbar erlebt“. Pfarrer Hofmann berichtet von Wiedereintritten und guten Begegnungen, die Mut machen.